Wer den westlichen Staaten noch immer traut und meint, sie hätten nur das Wohl der Staaten in der islamischen Welt im Sinn, wenn sie sich beispielsweise um eine Lösung für Syrien bemühen, der hat aus der Geschichte nichts gelernt oder ignoriert die historischen Fakten bewusst. Ruft man sich nämlich das Sykes-Picot-Abkommen aus dem Jahr 1916 ins Bewusstsein, das bis heute seine zerstörerische Wirkung zeigt, kann man eigentlich nur zu der Erkenntnis gelangen, dass dem Westen ausschließlich daran gelegen ist, seinen Kolonialismus auszubauen und zu festigen. Das hat sich auch ein Jahrhundert nach dem Sykes-Picot-Abkommen nicht geändert.
Kaum eine westliche Übereinkunft entlarvt die kolonialen Interessen des Westens in der islamischen Welt so sehr wie das Sykes-Picot-Abkommen, das den Nahen Osten zu dem gemacht hat, was er heute ist. Alle Konflikte, Krisen und Kriege in der Region gehen auf genau dieses Abkommen zurück, bei dem sich Großbritannien und Frankreich das Osmanische Reich in Interessen- und Einflussgebiete aufgeteilt hatten für die Zeit nach dessen Zerstörung. Ihre Einmischung und Manipulation hat dazu geführt, dass sich jeder einzelne Nationalstaat auf islamischem Boden, der aus diesem Abkommen hervorgegangen ist, geradezu auf Knopfdruck in ein Krisenland verwandeln lässt, vor allem, seitdem die USA mitmischen und ihre eigenen kolonialen Interessen in der islamischen Welt haben. Besonders schlimm wird es nämlich dann, wenn Kolonialmächte gegeneinander agieren und es zu Stellvertreterkriegen kommt.
Während die arabischen Nationalisten daran glaubten, dass sie mit Hilfe Großbritanniens zu einem arabischen Kalifat kämen, das Großbritannien ihnen fest zugesagt hatte, hatten die britische und die französische Regierung längst beschlossen, das Kalifat zu zerstören und in Nationalstaaten aufzuteilen, die ihrem Einfluss unterstehen sollten. Die arabischen Nationalisten waren lediglich eines der Instrumente, um die geplante Zerstörung des Kalifats umzusetzen. Die Araber sollten die Osmanen durch eine Rebellion zusätzlich schwächen, um dem Kalifat den endgültigen Todesstoß zu versetzen, was letztlich Mustafa Kemal vollendete, ebenfalls ein Werkzeug der Briten.
Demnach hatte Großbritannien nie die Absicht gehabt, den arabischen Muslimen zu einem arabischen Kalifat zu verhelfen. Deshalb wandten sich die Briten auch bewusst an einflussreiche Führer unter den Arabern, die einen bewaffneten Aufstand verwirklichen konnten. Nur aus diesem Grund fiel die Wahl auf Scharif Hussein von Mekka und seine Söhne Abdullah und Feisal, die keine Denker waren und sich von dem britischen Geheimagenten Thomas E. Lawrence zum sogenannten Arabischen Aufstand anstacheln ließen, nichts ahnend, dass sie Opfer eines großen politischen Schwindels der Briten waren.
Bei dem Sykes-Picot-Abkommen handelte es sich um ein geheimes Abkommen, von dem die arabischen Muslime erst erfuhren, nachdem die Bolschewisten 1917 im Zuge der Oktoberrevolution in Russland an die Macht kamen und das Sykes-Picot-Abkommen öffentlich machten. Selbst nach der Veröffentlichung des Inhalts des Abkommens wollten viele Araber nicht glauben, dass Großbritannien sie hintergangen hatte, obwohl ein Verrat nahe liegt. Denn welches Interesse hätten die Briten an einem arabischen Kalifat haben sollen? Großbritannien übertraf diesen Verrat sogar noch dadurch, dass es den Zionisten in der berühmten Balfour-Deklaration vom 2. November 1917 eine „nationale Heimstätte“ in Palästina zusagte, obwohl Palästina noch Teil des Osmanischen Reiches war. An der Balfour-Deklaration war genau wie an dem Sykes-Picot-Abkommen der Brite Sir Mark Sykes beteiligt.
Alle aktuellen politischen Ereignisse in der islamischen Welt, seien sie in Syrien, im Irak oder in irgendeinem anderen Land im Nahen Osten, sind das Resultat des Sykes-Picot-Abkommens. Es ist die durch das Abkommen hervorgebrachte Ordnung, die die Unruhe in der Region bedingt. Diese kann erst behoben werden, wenn diese unrechtmäßige kolonialistische Ordnung rückgängig gemacht wird.
Auch wenn das Sykes-Picot-Abkommen 100 Jahre zurückliegt, spiegelt sich darin noch immer der Charakter der Kolonialmächte wieder. Es sollte den Muslimen von heute folglich eine Lehre sein, ihr Schicksal in die Hände der Kolonialmächte zu legen, die vor keinem Betrug zurückschrecken, um ihre eigenen Interessen und Ziele zu wahren.