Westliche Konzeptionen Die Querfront als Zeichen der Wahrheit!?

Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des…Kommunismus? Nein, es ist der Faschismus! Oder doch eher der Rechtspopulismus? Oder spukt es aus der linksautonomen Ecke? Und was hat es mit diesen autonomen Nationalisten auf sich?

Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des…Kommunismus? Nein, es ist der Faschismus! Oder doch eher der Rechtspopulismus? Oder spukt es aus der linksautonomen Ecke? Und was hat es mit diesen autonomen Nationalisten auf sich? Auf jeden Fall spukt es in Europa; und es wimmelt nur so von Gespenstern, die allesamt danach trachten, die Demokratie zu zerstören, der Lügenpresse das Maul zu stopfen und die raffgierigen Wirtschaftseliten mitsamt ihrer politischen Steigbügelhalter davonzujagen! Doch das Schlimmste kommt erst noch: Anstatt sich in klassische Rechts-Links-Schemata einzuordnen, trachten zeitgenössische Radikale nach der ultimativen Querfront, in der tätowierte Glatzköpfe, linksradikale Randalierer und völkisch-esoterische Umweltfanatiker Hand in Hand und angeführt durch paranoide Verschwörungstheoretiker zur Endschlacht gegen das verhasste „System“ rufen.
Angesichts dieser Bedrohungslage widmet sich die Otto-Brenner-Stiftung in ihrem achtzehnten Arbeitspapier dem Phänomen des begriffsübergreifenden Extremismus und untersucht auf 52 Seiten die politisch-publizistischen Akteure des Kopp-Verlags, der Montagsmahnwachen und des Compact-Magazins. Doch abgesehen von der Feststellung, dass es den Protagonisten gelungen sei, „eine zwar vergleichsweise (noch) begrenzte, aber gut funktionierende und leistungsfähige eigenständige ‚Gegenöffentlichkeit‘“ zu schaffen, bietet die Studie keine neuen Erkenntnisse. Das ihr angehängte Interview mit dem Bewegungsforscher Dieter Rucht geht jedoch zumindest ansatzweise auf grundlegende Fragestellungen ein. So würden Sozialforscher feststellen, dass sich immer mehr Menschen von der gewohnten Einteilung in rechts oder links absetzen würden. „Hinweise auf einen solchen Trend gab es schon in den sechziger Jahren. […] „Die Grünen“ haben damit in ihrer Anfangsphase kokettiert: Wir sind weder links noch rechts, meinte Petra Kelly. […] Auch im rechtsradikalen Lager ist das zu hören: ‚Bekämpfen wir doch nicht die Linke‘, rief Udo Voigt seinen Anhängern zu, ‚es geht doch gemeinsam gegen die da oben‘. Es ist festzuhalten: Diese Loslösung nimmt langfristig zu, und es gibt die unterschiedlichsten ‚politischen Unternehmer‘, die sich dieses Potenzial zunutze machen oder die es repräsentieren wollen.“ Die Weigerung, sich entsprechend gewohnter Kategorien politisch selbst zu verorten, resultiere laut Rucht aus Politikverdrossenheit und der allgemeinen Enttäuschung über die etablierten Parteien. Da sich letztere entsprechend klassischer Begriffe selbst konstituieren und andere Akteure anhand derselben klassifizieren, würden die Unzufriedenen von beidem Abstand nehmen, da das eine mit dem anderen auf untrennbare Weise verwoben sei. „Sie lösen sich von dem Alten ab, ohne aber bereits eine neue politische Heimat zu haben, abgesehen von der […] negativen Devise ‚Wir sind weder rechts noch links‘.“
Dieses politideologische Wirrwarr darf jedoch keineswegs über das Gefahrenpotential der sich Bahn brechenden Querfront hinwegtäuschen, so zumindest der eindringliche Apell des Philosophen Alexander Grau. In seinem Cicero-Artikel heißt es dazu: „Anders als ihre historischen Vorläufer gelingt es der aktuellen Querfront-Bewegung jedoch erfolgreich […], weit verbreitete, gesellschaftlich etablierte Feindbilder zu bündeln. Dies sind: ein massiver Antiamerikanismus, Überfremdungsängste und eine radikale Kritik an der Globalisierung, dem „Neoliberalismus“ oder der „Finanzmafia“.“ Wesentliche Protagonisten seien dabei der ehemalige Marxist und derzeitige Rechtspopulist Jürgen Elsässer, der frühere Waldorf-Schüler und heutige Verschwörungskönig Ken Jebsen sowie der einstige FAZ-Kolumnist und gegenwärtige Medienquerulant Udo Ulfkotte. Trotz des geistigen Kleinformats des Querfront-Personals, müsse die Bewegung ernst genommen werden, denn ihr Trick bestehe darin, sich aufklärerisch zu geben und im Namen des gesunden Menschenverstandes gegen korrupte Eliten zu sprechen. „Auf subtile Weise appelliert man so an die intellektuelle Eitelkeit des mündigen Bürgers: sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und das zu durchschauen, was die Mächtigen verschweigen“. Auf diese Weise würden „antiliberale und antiwestliche Ressentiments“ geschürt, „die bis weit in bürgerliche Wählerschichten hinein verbreitet“ seien. Die Querfront-Ideologie „ist – anders als Links- und Rechtsextremismus – in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, so die finstere Einschätzung des Kultur- und Wissenschaftsjournalisten Grau.
Trotz dieser streckenweise akkuraten Beschreibung klammern derartige Erklärungen wesentliche Elemente des gegenwärtigen Querfront-Phänomens aus. So findet der ausgeprägte Hass gegen den Islam kaum Erwähnung und wird nicht als identitätsstiftendes Merkmal in Betracht gezogen. Dabei scheint eines der wichtigsten Bindeglieder des heterogenen Konglomerats eben gerade jene Aversion zu sein, die sich begrifflich in Feindbildern äußert – bestehend aus „Asylbetrügern“, „Wirtschaftsflüchtlingen“, „Zivilokkupanten“, „Integrationsverweigerern“, „Volkszersetzern“, „Islamisten“, „Islamofaschisten“ und „Terroristen“. Während linksideologische Gutmenschen den Islam als ein zu überwindendes Überbleibsel des auf feudal-kapitalistischen Produktionsverhältnissen basierenden ideologischen Überbaus betrachten, sieht die stramme NPD-Wählerschaft die genetische Identität des arischen Volkes durch sozialschmarotzende Orientalen bedroht. So verklären linksseitig Wagenknecht, Chomsky und Co. sämtliche islamische Bewegungen zu willfährigen Agenten „kapitalistischer Ausbeuter“, deren Aufgabe darin bestünde, linksemanzipatorische Gesellschaftsentwicklungen zu bekämpfen. Selbst das islamische Wirtschaftssystem wird dabei als feindliche Spielart des Kapitalismus diffamiert. In dem von ÖGPW und DVPW veröffentlichten Papier „Ist der Islam die Lösung, oder warum der Islam auch nur eine Spielart des Neoliberalismus darstellt“ heißt es diesbezüglich: „Die Hizb ut-Tahrir verfügt im Vergleich zu vielen anderen Bewegungen des Politischen Islam über relativ präzise Vorstellungen wie die von ihr angestrebte „islamische Ökonomie“ im Rahmen eines Kalifats aussehen soll. Grundsätzlich ist dieses nicht nur an den bereits erwähnten unterschiedlichen Eigentumsformen orientiert, sondern auch an einem marktwirtschaftlichen Modell, das den freien Markt nur dahingehend einschränkt, als er eben Zinsen verbietet, gewisse Güter dem Staat oder der Ummah vorbehält und ein durch Gold und Silber gedecktes Währungssystem verlangt.[…] Hier zeigen sich eindeutige Parallelen zur Zinskritik, wie sie in Europa von AnhängerInnen Silvio Gesells bis Gottfried Feders propagiert wurde und wird, nicht jedoch zur marxschen Kritik der politischen Ökonomie.“ Über wirtschaftliche Kategorien hinausgehend, meinen rechtsintellektuelle Paranoiker die Rolle der Muslime in einem noch viel teuflischeren Plan der judeo-angloamerikanischen Weltverschwörung ausfindig gemacht zu haben. Laut dem „ABC der politischen, ideologischen und sozialen Begriffe“ des Dr. Oberlercher würden orientalische Zeitgenossen nur deswegen in deutschen Landen angesiedelt, um „das Volk und sein völkisches Prinzip“ durch „Überflutung mit fremdrassischen Zivilokkupanten gänzlich“ zu entmachten. Hierbei gehe es jedoch nicht lediglich um eine rein ethnische Frage, viel mehr würde die immer stärker werdende Überfremdung den germanischen Volksgeist und damit die wahre Identität des deutschen Volkes zersetzen.
Trotz der unterschiedlichen Perspektiven existiert also ein rechts-linksübergreifendes Feindbild, welchem eine überaus wichtige Brückenfunktion zukommt. Denn in der AfD, dem derzeit wohl größten Querfront-Sammelbecken, scheint es nahezu unmöglich, eine konsistente und umfassende politische Agenda zu formulieren. Die bisher einzige Position, durch die sich das aus Rassisten, enttäuschten Linken und heimatlosen Liberalen bestehende Wählerpotential mobilisieren lassen hat, war die Kritik an Muttis Flüchtlingspolitik und die eindringliche Warnung vor einer heraufbeschworenen „Islamisierung des Abendlandes“. Dies äußert sich ebenfalls in der am 2. Mai beschlossenen Grundsatzprogrammatik, in der es vordergründig um das Verbot von Minaretten, dem Gebetsruf, der Vollverschleierung, sowie einem bundesweiten Kopftuchverbot für Lehrerinnen und Schülerinnen geht. Während sich Bundesregierung und Volksparteien formell von diesen Forderungen distanzieren, ist nicht von der Hand zu weisen, dass die AfD mit ihren Positionen lediglich an bestehender Politik und bereits praktizierter Rechtsprechung anknüpft. Denn weder das Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst, noch das partielle Gebetsverbot an Berliner Schulen ist der geistigen Umnachtung einer Petry oder Storch entsprungen. Vielmehr handelt es sich dabei um Positionen, welche die in Deutschland lebenden Muslime der schwarzrotgrünen Parteienlandschaft zu verdanken haben. An dieser Stelle wird deutlich, wie sehr die AfD in einem längst etablierten Fahrwasser navigiert – ein Fahrwasser ohne das die Rechtspopulisten niemals einen vergleichbaren Aufstieg hätten erleben können. Es waren „Altparteien“ und „Lügenpresse“, die durch ihre unaufhörliche Hetze gegen den Islam ein soziopolitisches Klima erzeugt haben, durch das Millionen von Menschen für populistische Rhetorik und Inhalte sensibilisiert wurden. Hierdurch wird ebenso deutlich, dass die von Elsässer und Konsorten angeführte Querfront im Grunde nur den proletenhaften Bodensatz einer viel größeren Querfront bildet. Schließlich durchzieht die Abneigung gegen den Islam mittlerweile sämtliche Bereiche der Gesellschaft und ist längst zu einem zentralen Abgrenzungskriterium hinsichtlich der individuellen und kollektiven Identitätsbildung des säkularen Geistes geworden.
Doch die tatsächliche Dimension der antiislamischen Querfront ist weder durch eine soziopolitische Betrachtung der gesamten Bundesrepublik, noch durch eine analytische Einbeziehung Westeuropas erfasst. Erst die Berücksichtigung der weltbewegenden Ereignisse in Syrien ermöglicht das Begreifen des wahren Ausmaßes des Querfront-Phänomens. Denn es ist jener Konflikt, der die unterschiedlichsten Akteure und ideologischen Strömungen im Kampf gegen die Entstehung eines rechtgeleiteten Kalifats vereint hat. So koordinieren die neoliberalen Vereinigten Staaten und Großbritannien, das nationalchauvinistische Russland, die hybridkapitalistische Volksrepublik China, das laizistisch-etatistische Frankreich und das rheinisch-kapitalistische Deutschland ihre Kräfte, um das säkulare Assad-Regime am Leben zu erhalten und die islamische Bewegung Syriens durch verschiedenste FSA-Proxys zu infiltrieren. Auch auf mikropolitischer Ebene haben sich heterogene Strömungen in ihrem Krieg gegen den Islam vereint. Während sich im deutschsprachigen Raum sowohl die Linke, als auch die NPD mit Bashar al-Assad solidarisieren, kämpft in Syrien die alawitisch-marxistische Muqawama Suriya Seite an Seite mit der nationalsozialistischen Bewegung SSNP. Ebenso wird das SDF-Bündnis – bestehend aus der sozialistisch-ethnodemokratischen YPG und der säkular-nationalistischen Jaysh al-Thuwar – von der amerikanischen und russischen Luftwaffe, in ihrem Kampf gegen die muslimische Bevölkerung Nordsyriens, tatkräftig unterstützt.
Angesichts dieser Tatsachen sei hiesigen Politik- und Sozialwissenschaftlern geraten, das Querfront-Phänomen als das zu untersuchen und zu begreifen, was es tatsächlich ist: eine internationale und ideologieübergreifende Allianz – erzeugt durch die eigene Politik, inspiriert und zusammengehalten durch den gemeinsamen Hass gegen den Islam! Anstatt sich über lokale Erscheinungsformen wie AfD, Compact und Pegida lustig zu machen, sollten sich Grau und Konsorten lieber der metapolitischen Fragestellung zuwenden, ob es sich bei der merkwürdigen Liaison zwischen Glatzen, Sozis und Schlipsträgern lediglich um ein taktisches Bündnis oder gar eine geistige Synthese eurozentrischer Weltanschauungen handelt. Sollte letzteres der Fall sein, bleibt den westlichen Ideologen nur noch die Flucht in die Hegelsche (Un)Logik, schließlich gilt wenigstens dort der Widerspruch als Zeichen der Wahrheit.