Frage:
Assalamu Alaikum wa Rahmatullahi wa Barakatuhu
Ist es jihadistischen Gruppen oder Individuen erlaubt, eine der ḥudūd-Strafen Allahs auf Erden in Abwesenheit des Islamischen Kalifatsstaates zu vollziehen? Möge Allah dich segnen und unter-stützen!
Von Noor Abulfilat
Antwort:
Wa Alaikum Assalam wa Rahmatullahi wa Barakatuhu.
Der Vollzug einer Strafe ist die Konsequenz eines Gerichtsurteils, nachdem die islamrechtlichen Beweise für seine Rechtmäßigkeit feststehen. Und ein Gerichtsurteil ist die Mitteilung des Richt-spruches in zwingender Weise. Dieser zwingende Charakter er-fordert die Existenz einer Gewalt, die die Streitparteien zur Ein-haltung des Richtspruches verpflichtet. Und diese Gewalt ist die Herrschaftsmacht, das heißt der Herrscher, der die Gesetze Allahs anwendet und die Muslime dazu verpflichtet, sich an diese Gesetze zu halten. Somit werden die Strafen ausschließlich durch den Herrscher ausgeübt, der Allahs Gesetze einführt bzw. etabliert.
Die Beweise hierfür sind die folgenden:
Allgemein gehaltene Beweise (muğmal), dazu zählen:
Der Erhabene sagt:
﴿الزَّانِيَةُ وَالزَّانِي فَاجْلِدُوا كُلَّ وَاحِدٍ مِنْهُمَا مِائَةَ جَلْدَةٍ…﴾
Peitscht die Unzüchtige und den Unzüchtigen mit jeweils hundert Peitschenhieben aus.[24:2]
Auch sagt Er:
﴿وَالسَّارِقُ وَالسَّارِقَةُ فَاقْطَعُوا أَيْدِيَهُمَا جَزَاءً بِمَا كَسَبَا نَكَالًا مِنَ اللَّهِ وَاللَّهُ عَزِيزٌ حَكِيمٌ﴾
Dem Dieb und der Diebin schneidet ihr die Hände ab, als Vergeltung für das, was sie begangen haben, und als ab-schreckende Strafe von Allah. Und Allah ist Allmächtig, Allweise.[5:38]
Und Er (t) sagt:
﴿وَالَّذِينَ يَرْمُونَ الْمُحْصَنَاتِ ثُمَّ لَمْ يَأْتُوا بِأَرْبَعَةِ شُهَدَاءَ فَاجْلِدُوهُمْ ثَمَانِينَ جَلْدَةً…﴾
Und denjenigen, die ehrbaren Frauen (Unkeuschheit) vor-werfen, jedoch nicht vier Zeugen (dafür) beibringen, verabreicht achtzig Peitschenhiebe.[24:4]
Al-Buḫārī überliefert von ibn ʿAbbās, dass der Gesandte (s) sprach:
«مَنْ بَدَّلَ دِينَهُ فَاقْتُلُوهُ»
Wer immer seinen Glauben ändert (den Islam verlässt), so tötet ihn.
Muslim überliefert von ʿUbāda ibn aṣ-Ṣāmit, der berichtet: Es sprach der Gesandte Allahs (s):
«خُذُوا عَنِّي، خُذُوا عَنِّي، قَدْ جَعَلَ اللهُ لَهُنَّ سَبِيلًا، الْبِكْرُ بِالْبِكْرِ جَلْدُ مِائَةٍ وَنَفْيُ سَنَةٍ، وَالثَّيِّبُ بِالثَّيِّبِ جَلْدُ مِائَةٍ، وَالرَّجْمُ»
Empfangt von mir (diese Offenbarung), empfangt von mir (diese Offenbarung). Allah gibt denjenigen Frauen (unver-heiratete Frauen, die Unzucht begangen haben) einen Ausweg. Wenn ein unverheirateter Mann Unzucht mit einer unverheirateten Frau begeht, sollen sie einhundert Peit-schenhiebe erhalten und für ein Jahr verbannt werden. Wenn sie (Unzucht begangen haben, während sie) verheiratet waren, sollen sie einhundert Peitschenhiebe erhalten und zu Tode gesteinigt werden.
At-Tirmiḏī überliefert in seinen „Sunan“ über Abū Ṣāliḥ von Muʿāwiya, der sagte: Es sprach der Gesandte Allahs (s):
«مَنْ شَرِبَ الخَمْرَ فَاجْلِدُوهُ…»
Wer auch immer Berauschendes trinkt, so peitscht ihn aus…
Dies sind Belege in zusammengefasster, gebündelter Formulierung (muğmal), die zur Durchführung der ḥudūd und zum Vollzug der Strafen verpflichten („peitscht aus“, „schneidet ab“, „tötet“, „ein-hundert Peitschenhiebe und zu Tode steinigen“ […]), aber sie konkretisieren nicht, wer die Strafe vollziehen soll und wie sie vollzogen werden sollte. Allgemeine Beweise, wie es in den isla-mischen Rechtsgrundlagen (uṣūl) erwähnt wird, erfordern eine Erläuterung bzw. Konkretisierung (bayān). Und ihre Einhaltung muss gemäß dieser Erläuterung (Konkretisierung) erfolgen. In seinen edlen Hadithen hat der Gesandte (s) diese allgemein ge-haltenen Aussagen erläutert. Auch der Konsens der Gefährten des Propheten (möge Allah mit ihnen zufrieden sein) in der Epoche der rechtgeleiteten Kalifen hat sie erläutert. So wurde in deutlicher Weise dargelegt, dass die Strafen durch den Herrscher ausgeführt werden müssen. Ebenso wurde die Art und Weise der Durchführung in den islamrechtlichen Texten in klarer Form erklärt. Zu diesen erläuternden Texten für die allgemein gehaltenen zählen:
a) Der Erhabene sagt:
﴿وَأَنِ احْكُمْ بَيْنَهُمْ بِمَا أَنْزَلَ اللَّهُ وَلَا تَتَّبِعْ أَهْوَاءَهُمْ وَاحْذَرْهُمْ أَنْ يَفْتِنُوكَ عَنْ بَعْضِ مَا أَنْزَلَ اللَّهُ إِلَيْكَ فَإِنْ تَوَلَّوْا فَاعْلَمْ أَنَّمَا يُرِيدُ اللَّهُ أَنْ يُصِيبَهُمْ بِبَعْضِ ذُنُوبِهِمْ وَإِنَّ كَثِيرًا مِنَ النَّاسِ لَفَاسِقُونَ﴾
Und richte unter ihnen nach dem, was Allah herabgesandt hat; und folge nicht ihren Neigungen. Und sei vor ihnen auf der Hut, dass sie dich nicht bedrängen und von einem Teil dessen abbringen, was Allah zu dir herabgesandt hat. Wenden sie sich jedoch ab, so wisse, dass Allah sie für etliche ihrer Sünden zu treffen gedenkt. Und wahrlich, viele der Menschen sind Frevler.[5:49]
Dieser edle Vers und zahlreiche weitere Verse zu dieser Thematik weisen darauf hin, dass der Gesandte (s) dazu bestimmt war, die Gesetze auszuführen. Die bezüglich der Herrschaft an den Ge-sandten (s) gerichtete Ansprache ist eine Ansprache an jeden Herrscher, der nach ihm kommt und nach dem Islam regiert. Dies gemäß dem islamischen Rechtsprinzip, das besagt, dass die An-sprache an den Gesandten (s) eine Ansprache an seine Umma ist, die in derselben Form (ʿalā wağhih) ergeht. Wenn sie das Thema Herrschaft betrifft, so ist sie an die nach ihm folgenden Kalifen gerichtet (die in ihrer Eigenschaft als Herrscher gleich dem Propheten für die Anwendung des gesamten Islam zuständig sind). Sie gilt allgemein für alle Kalifen, solange kein weiterer Spezifizierungsbeleg (dalīl taḥṣīṣ) in den Offenbarungstexten existiert. Dieser existiert hier aber nicht. Folglich ist derjenige, der die Gesetze ausführt, (je)der Herrscher, der nach dem Islam regiert.
b) Es gibt Überlieferungen vom Gesandten (s), die aufzeigen, dass die schuldige Person, die bestraft werden sollte, zum Gesandten Allahs (s) gebracht wurde, damit er die Strafe über sie vollstreckt. Muslim berichtet von Anas ibn Mālik:
«أَنَّ النَّبِيَّ صلى الله عليه وسلم أُتِيَ بِرَجُلٍ قَدْ شَرِبَ الْخَمْرَ، فَجَلَدَهُ بِجَرِيدَتَيْنِ نَحْوَ أَرْبَعِينَ، قَالَ: وَفَعَلَهُ أَبُو بَكْرٍ، فَلَمَّا كَانَ عُمَرُ اسْتَشَارَ النَّاسَ، فَقَالَ عَبْدُ الرَّحْمَنِ: أَخَفَّ الْحُدُودِ ثَمَانِينَ، فَأَمَرَ بِهِ عُمَرُ»
Eine Person, die Berauschendes getrunken hatte, wurde zum Propheten (s) gebracht. Sie bekam 40 Peitschenhiebe mit zwei Peitschen. Abū Bakr tat es ebenso. Als ʿUmar das Kalifat übertragen wurde, zog er die Menschen zu Rate. ʿAbd ar-Raḥmān sprach: "Die mildeste der ḥadd-Strafen sind 80 (Peitschenhiebe)." Und ʿUmar wandte dieses Strafmaß an.
Nach den Gelehrten unter den Gefährten des Gesandten Allahs (s) und anderen ist demgemäß zu handeln. Al-Baihaqī berichtet von Abū Huraira und Zaid ibn Ḫālid:
«أن رَجُلًا ذَكَرَ أَنَّ ابْنَهُ زَنَا بِامْرَأَةِ رَجُلٍ، فَقَالَ رَسُولُ اللَّهِ : «لَأَقْضِيَنَّ بَيْنَكُمَا بِكِتَابِ اللَّهِ»، فَجَلَدَ ابْنَهُ مِائَةً وَغَرَّبَهُ عَامًا، وَأَمَرَ أُنَيْسًا أَنْ يَغْدُوَ عَلَى امْرَأَةِ الْآخَرِ، فَإِنِ اعْتَرَفَتْ رَجَمَهَا، فَاعْتَرَفَتْ، فَرَجَمَهَا»
Ein Mann erwähnte, dass sein Sohn Unzucht mit der Frau eines anderen Mannes begangen habe. Da sprach der Ge-sandte Allahs (s): "Ich werde über euch mit dem Buche Al-lahs richten.“ Er ließ dessen Sohn mit hundert Hieben aus-peitschen und verbannte ihn für ein Jahr. Auch befahl er Unais, die Frau des anderen Mannes zu fragen. Wenn sie es zugibt, soll sie gesteinigt werden. Sie gab es zu und er ließ sie steinigen. Ebenso berichtet al-Baihaqī in seinem Werk "as-Sunan aṣ-Ṣaġīr" von Abu az-Zubair und dieser von Ğābir,
«أَنَّ رَجُلًا، زَنَا بِامْرَأَةٍ، فَلَمْ يُعْلَمْ بِإِحْصَانِهِ، فَجُلِدَ، ثُمَّ عُلِمَ بِإِحْصَانِهِ، فَرُجِمَ»
dass ein Mann mit einer Frau Unzucht beging. Es war nicht bekannt, dass er verheiratet war. So wurde er ausgepeitscht. Als dann bekannt wurde, dass er verheiratet war, wurde er zu Tode gesteinigt. Auch berichtet an-Nasāʾī einen ähnlichen Hadith. Abū Dāwūd berichtet in seinen "Sunan" von Ṣafwān ibn Umaiya, der sagte:
كُنْتُ نَائِمًا فِي الْمَسْجِدِ عَلَيَّ خَمِيصَةٌ لِي ثَمَنُ ثَلَاثِينَ دِرْهَمًا، فَجَاءَ رَجُلٌ فَاخْتَلَسَهَا مِنِّي، فَأُخِذَ الرَّجُلُ، فَأُتِيَ بِهِ رَسُولُ اللَّهِ ، فَأَمَرَ بِهِ لِيُقْطَعَ، قَالَ: فَأَتَيْتُهُ، فَقُلْتُ: أَتَقْطَعُهُ مِنْ أَجْلِ ثَلَاثِينَ دِرْهَمًا، أَنَا أَبِيعُهُ وَأُنْسِئُهُ ثَمَنَهَا؟ قَالَ: «فَهَلَّا كَانَ هَذَا قَبْلَ أَنْ تَأْتِيَنِي بِهِ»
Ich schlief in der Moschee, bedeckt mit einem bestickten Mantel im Wert von 30 Dirham. Ein Mann kam und entriss ihn mir. Der Mann wurde ergriffen und zum Gesandten Allahs (s) gebracht. Er veranlasste, dass seine Hand abgehackt werden sollte. Ich kam zu ihm und sagte: „Lässt du seine Hand für 30 Dirham abhacken? Ich verkaufe ihm den Mantel und leihe ihm den Kaufbetrag.“ Er sagte: „Hättest du es doch bloß so gemacht, bevor du ihn zu mir brachtest!“ Und im Bericht bei ad-Dāraquṭnī von ʿAmr ibn Šuʿaib von seinem Vater sprach der Ge-sandte Allahs (s):
«اشْفَعُوا مَا لَمْ يَتَّصِلْ إِلَى الْوَالِي، فَإِذَا أُوصِلَ إِلَى الْوَالِي فَعَفَا فَلَا عَفَا اللَّهُ عَنْهُ، ثُمَّ أَمَرَ بِقَطْعِهِ مِنَ الْمِفْصَلِ»
„Vergebt, solange es den Statthalter nicht erreicht hat. Wenn es vor den Statthalter gebracht wird und er vergibt, so soll Allah ihm nicht vergeben!“ Dann befahl er die Amputation vom Handgelenk.
c) Es gab Fälle im Zeitalter der rechtgeleiteten Kalifen, in denen der Straftäter, für den eine ḥadd-Strafe gilt, zum Kalifen oder seinem Stellvertreter gebracht wurde, um die ḥadd-Strafe an ihm zu voll-ziehen. Zu diesen Fällen gehören:
Abū Dāwūd aṭ-Ṭayālisī berichtet in seinem „Musnad“ von Ḥuḍain Abū Sāsān ar-Raqāšī, der sagte:
حَضَرْتُ عُثْمَانَ بْنَ عَفَّانَ رَضِيَ اللَّهُ عَنْهُ وَأُتِيَ بِالْوَلِيدِ بْنِ عُقْبَةَ قَدْ شَرِبَ الْخَمْرَ وَشَهِدَ عَلَيْهِ حُمْرَانُ بْنُ أَبَانَ وَرَجُلٌ آخَرُ فَقَالَ عُثْمَانُ لِعَلِيٍّ: «أَقِمْ عَلَيْهِ الْحَدَّ… »
Ich war anwesend bei ʿUṯmān ibn ʿAffān (r). Al Walīd ibn ʿUqba wurde vorgeführt, nachdem er Berauschendes getrunken hatte. Ḥumrān ibn Abān und ein weiterer Mann bezeugten es. Da sagte ʿUṯmān zu ʿAli: „Vollziehe die ḥadd-Strafe über ihn […].“ Auch berichtet Aḥmad in seinem „Musnad“ von ʿAbdullāh ibn Qais („Abū Mūsā al-Ašʿarī“),
«أن رسول الله بَعَثَهُ عَلَى الْيَمَنِ، ثُمَّ أَتْبَعَهُ مُعَاذَ بْنَ جَبَلٍ، فَلَمَّا قَدِمَ عَلَيْهِ قَالَ: انْزِلْ وَأَلْقَى لَهُ وِسَادَةً، فَإِذَا رَجُلٌ عِنْدَهُ مُوثَقٌ قَالَ: مَا هَذَا؟ قَالَ: كَانَ يَهُودِيًّا فَأَسْلَمَ، ثُمَّ رَاجَعَ دِينَهُ دِينَ السَّوْءِ فَتَهَوَّدَ. قَالَ: لَا أَجْلِسُ حَتَّى يُقْتَلَ قَضَاءُ اللهِ وَرَسُولِهِ ثَلَاثَ مِرَارٍ، فَأَمَرَ بِهِ فَقُتِلَ»
dass der Gesandte Allahs (s) ihn in den Jemen entsandte, daraufhin schickte er Muʿāḏ ibn Ğabal hinterher. Als dieser ankam, sagte ihm Abū Mūsa, er solle absteigen und gab ihm ein Kissen um sich hinzusetzen. Ein gefesselter Mann war bei ihm. Muʿāḏ fragte: „Was ist mit ihm?“ Er antwortete: „Er war ein Jude, dann wurde er Muslim, danach kehrte er zu seinem Glauben, dem Glauben der Schlechtigkeit, zurück und wurde wieder Jude.“ Da sagte Muʿāḏ: „Ich werde mich nicht eher setzen, bis er getötet wird; das ist das Urteil Allahs und Seines Gesandten.“ Er wiederholte es dreimal. Er (Abū Mūsā) befahl, ihn zu töten, und er wurde getötet.
Abū Bakr bekämpfte die Apostaten, als sie die zakāt verweigerten. Ibn Ḥibbān berichtet in seinem „Ṣaḥīḥ“ von Abū Huraira, der sagte:
«لَمَّا تُوُفِّيَ رَسُولُ اللَّهِ وَاسْتُخْلِفَ أَبُو بَكْرٍ رضي الله تعالى عَنْهُ وَكَفَرَ مَنْ كَفَرَ مِنَ الْعَرَبِ، قاتلهم أبو بكر وقَالَ: وَاللَّهِ لَأُقَاتِلَنَّ مَنْ فَرَّقَ بَيْنَ الصَّلَاةِ وَالزَّكَاةِ فَإِنَّ الزَّكَاةَ حَقُّ الْمَالِ وَاللَّهِ لَوْ مَنَعُونِي عِقَالًا كَانُوا يُؤَدُّونَهُ إِلَى رَسُولِ اللَّهِ لَقَاتَلْتُهُمْ عَلَى مَنْعِهِ»
Als der Gesandte Allahs (s) starb, Abū Bakr nach ihm die Herrschaft übernahm und einige Araber zum Unglauben zurückkehrten, bekämpfte sie Abū Bakr und sprach: „Ich werde jeden bekämpfen, der zwischen dem Gebet und der zakāt unterscheidet. Die zakāt ist der pflichtmäßige Anteil vom Vermögen. Bei Allah, wenn sie mir auch nur ein Halfter verwehren, das sie dem Gesandten Allahs (s) zu entrichten pflegten, so werde ich sie für dessen Verwehrung bekämp-fen.“
Daraus ergibt sich folgende Schlussfolgerung: Genauso wie das Spezifische (ḫāṣ) das Allgemeingültige (ʿām) festlegt (und die All-gemeingültigkeit aufhebt) und das näher Bestimmte (muqaiyad) das Unbestimmte (muṭlaq) festlegt (und die Unbestimmtheit aufhebt), legt gemäß den Regeln der Rechtsgrundlagen (uṣūl) auch das Erläuternde (mubaiyan) das zusammengefasst Erwähnte (muğmal) fest (und hebt die Bündelung auf). Also ist derjenige, der die ḥudūd-Strafen vollzieht, der Herrscher, der mit dem Islam regiert, d. h. der Imam. Das ist ein feststehender Sachverhalt, der im Einklang mit den Handlungen des Gesandten Allahs (s) steht und dem die Rechtgeleiteten Kalifen gefolgt sind, wie wir es zuvor dargelegt haben. Diese Angelegenheit war zu Zeiten des Islami-schen Kalifats wohlbekannt. Auch sind Zitate von geschätzten Gelehrten hierzu vorhanden:
Ibn Taimīya: Allah (t) hat sich an die Gläubigen mit Strafen und Rechten in einer uneingeschränkten Ansprache gewendet, in dem Er z. B. sagte:
﴿وَالسَّارِقُ وَالسَّارِقَةُ فَاقْطَعُوا أَيْدِيَهُمَا﴾
Dem Dieb und der Diebin schneidet ihr die Hände ab […][5:38]
Jedoch wusste Er, dass diejenigen, an die sich diese Handlungs-anweisung richtet, auch in der Lage sein müssen, sie zu vollziehen. Für die Unvermögenden kann sie nicht verpflichtend sein. Das Vermögen ist die Herrschaft. Deshalb ist der Vollzug der ḥadd-Strafen die Pflicht der Herrscher und ihrer Stellvertreter.
Imam ʿAlāʾ ad-Dīn al-Kāsānī: Die Bedingung für die Erlaubnis zur Durchführung der ḥudūd […] ist das Imamat (Kalifat).
Al-Qurṭubī: Es besteht keine Uneinigkeit darüber, dass die Adres-saten dieser Angelegenheit – der ḥudūd – der Imam und seine Stellvertreter sind.
Imam aš-Šāfiʿī: Niemand darf eine Strafe über freie Menschen vollziehen außer dem Imam und jenem, den er bevollmächtigt hat.
Ibn Qudāma: Es ist niemandem erlaubt, Strafen zu vollziehen, außer mit dem Imam oder seinem Stellvertreter.
Im Falle, dass kein Herrscher existiert, der nach dem Gesetz Allahs richtet, wird es für alle Muslime zur Pflicht, aufrichtig und unablässig für die Aufstellung des Herrschers, der nach dem Islam richtet, zu arbeiten. Diese unabdingbare Pflicht (farḍ) geht aus zahlreichen Texten im Koran, in der Sunna und ebenso aus dem Konsens der Gefährten (iğmāʿ aṣ-ṣaḥāba) klar hervor.
Hinsichtlich des Koran sagt Allah (t), in dem er sich an den Ge-sandten (s) wendet, Folgendes:
﴿فَاحْكُمْ بَيْنَهُمْ بِمَا أَنْزَلَ اللَّهُ وَلَا تَتَّبِعْ أَهْوَاءَهُمْ عَمَّا جَاءَكَ مِنَ الْحَقِّ﴾
So richte zwischen ihnen nach dem, was Allah herabgesandt hat, und folge nicht ihren Neigungen entgegen dem, was an Wahrheit zu dir gekommen ist.[5:48]
Auch sagt Er:
﴿وَأَنِ احْكُم بَيْنَهُم بِمَا أَنزَلَ اللَّهُ وَلَا تَتَّبِعْ أَهْوَاءَهُمْ وَاحْذَرْهُمْ أَن يَفْتِنُوكَ عَن بَعْضِ مَا أَنزَلَ اللَّهُ إِلَيْكَ ۖ﴾
Und richte unter ihnen nach dem, was Allah herabgesandt hat; und folge nicht ihren Neigungen. Und sei vor ihnen auf der Hut, dass sie dich nicht bedrängen und von einem Teil dessen abbringen, was Allah zu dir herabgesandt hat.[5:49]
Die Ansprache an den Gesandten (s), unter ihnen nach dem zu richten, was Allah herabgesandt hat, ist eine Ansprache an seine (s) Umma, und die sich aus ihrem Sinngehalt (mafhūm) ergebende Schlussfolgerung ist, dass die Muslime einen Herrscher nach dem Gesandten Allahs (s) aufstellen müssen, der unter ihnen nach dem richtet, was Allah herabgesandt hat. Auch hat die Befehlsform in der Ansprache einen apodiktischen (d. h. zwingenden) Charakter, denn das Thema der Ansprache stellt eine Pflicht (farḍ) dar. Und dies ist gemäß den Regeln der Rechtsgrundlagen (uṣūl) ein Indiz (qarīna) für den Pflichtcharakter (der sich aus der Ansprache ergebenden Anweisung über die Aufstellung eines Herrschers). Der Herrscher, der unter den Muslimen nach dem Gesandten Allahs (s) nach dem richtet, was Allah herabgesandt hat, ist der Kalif. Das Regie-rungssystem ist demzufolge das System des Kalifats.
Darüber hinaus ist die Einführung der Strafen und aller anderer Gesetze verpflichtend, und dies kann ohne den Herrscher nicht durchgeführt werden. Hier gilt das islamische Rechtsprinzip: Was zu Erfüllung einer Pflicht unerlässlich ist, ist ebenfalls ver-pflichtend. Das bedeutet, dass die Aufstellung des Herrschers, der das islamische Recht anwendet gleichermaßen eine Pflicht ver-körpert. Und der Herrscher von diesem Aspekt her ist der Kalif. Folglich ist das Regierungssystem im Islam das System des Kalifats.
Was die Sunna anlangt, so wird von Nāfiʿ berichtet, der sagte: ʿAbdullāh ibn ʿUmar sprach zu mir: „Ich hörte den Gesandten Allahs (s) sagen:
«من خلع يداً من طاعة لقي الله يوم القيامة لا حجة له، ومن مات وليس في عنقه بيعة مات ميتة جاهلية»
Wer eine Hand aus dem Gehorsam zieht, der trifft auf Allah am Tage der Auferstehung ohne eine Rechtfertigung für sich zu haben, und wer stirbt und in seinem Nacken keine baiʿa (Treueeid) trägt, der stirbt einen Tod der ğāhilīya.“[Muslim]
Der Prophet (s) machte es zur Pflicht, dass jeder Muslim „im Na-cken“ eine baiʿa – d. h. einen Treueeid – trägt (mit anderen Worten soll jeder Muslim im Schutz und im Bann einer baiʿa stehen). Er beschrieb denjenigen, der stirbt, ohne „im Nacken“ diesen Treueeid zu tragen, als jemanden, der einen Tod der ğāhilīya – d. h. der vorislamischen Zeit des Heidentums und der Unwissenheit – stirbt. Nach dem Gesandten Allahs (s) wird die baiʿa ausschließlich dem Kalifen geleistet. Der Hadith erhebt es also zur Pflicht, dass „im Nacken“ jedes Muslims eine baiʿa existiert. Anders ausgedrückt muss ein Kalif existieren, der mit seiner Existenz „im Nacken“ jedes Muslims eine baiʿa verdient. Muslim berichtet von al-Aʿrağ und dieser von Abū Huraira, dass der Prophet (s) sprach:
«إنما الإمام جُنة يُقاتَل من ورائه ويُتقى به»
Der Imam ist ein Schirm; man kämpft hinter ihm und schützt sich durch ihn.
Auch tradiert Muslim von Abū Ḥāzim, der sagte: Ich begleitete Abū Huraira fünf Jahre lang und hörte ihn vom Propheten (s) berichten, der sprach:
«كانت بنو إسرائيل تسوسهم الأنبياء، كلما هلك نبي خلفه نبي، وإنه لا نبي بعدي، وستكون خلفاء فتكثر، قالوا فما تأمرنا؟ قال: فُوا ببيعة الأول فالأول، وأعطوهم حقهم، فإن الله سائلهم عما استرعاهم»
Das Volk Israel wurde von Propheten betreut. Immer wenn ein Prophet starb, folgte ihm ein anderer. Nach mir wird aber kein Prophet mehr sein. Es werden jedoch Kalifen kommen, und deren Zahl wird groß sein.“ Man fragte ihn: „Und was befiehlst du uns?“ Er antwortete: „Erfüllt die baiʿa des jeweils Ersteren und gebt ihnen ihr Recht, denn Allah wird sie über das ausfragen, was Er ihnen in ihre Obhut gelegt hat.“
In diesen Hadithen wird der Kalif als „Schirm“ (ğunna), d. h. als ein Schutz, beschrieben. Die Beschreibung des Kalifen als Schirm im-pliziert das Lob für die Anwesenheit eines Imams, somit handelt es sich um eine Aufforderung (ṭalab). Setzt Allah (t) oder Sein Ge-sandter (s) uns nämlich über etwas in Kenntnis, was einen Tadel enthält, so wird es als eine Unterlassungsaufforderung verstanden bzw. als Aufforderung, sich dessen zu enthalten. Ähnlich ist es, wenn der Text Lob für eine Handlung enthält. Dies wird als eine Handlungsaufforderung verstanden bzw. als Aufforderung, diese Handlung zu vollziehen. Wenn sich aus dem Vollzug der anbefoh-lenen Handlung die Implementierung des göttlichen Rechts ergibt und aus deren Vernachlässigung dessen Verlust, so ist die Auf-forderung von apodiktischem Charakter.
Diese Hadithe informieren uns ebenfalls darüber, dass diejenigen, die sich um die Angelegenheiten der Muslime kümmern, die Kalifen sind, was auf den Befehl hindeutet, sie einsetzen zu müssen. Da-rüber hinaus befahl der Gesandte Allahs (s) den Muslimen, den Kalifen Gehorsam zu leisten und diejenigen zu bekämpfen, die ihnen ihre Herrschaft streitig machen. Dies bedeutet implizit den Befehl, einen Kalifen aufzustellen und sein Kalifat zu schützen, da man denjenigen bekämpfen soll, der ihm seine Herrschaft streitig macht.
Muslim berichtet, dass der Gesandte Allahs (s) sprach:
«ومن بايع إماماً فأعطاه صفقة يده، وثمره قلبه، فليطعه إن استطاع. فإن جاء آخر ينازعه، فاضربوا عنق الآخر»
Wer einem Imam die baiʿa leistet, ihm seinen Handschlag und die Frucht seines Herzens gibt, der soll ihm gehorchen, so er dazu im Stande ist. Wenn ein anderer kommt und es ihm streitig macht, so schlagt dem anderen den Kopf ab
So ist der Befehl, dem Imam zu gehorchen, ein Befehl, ihn zu er-nennen. Des Weiteren ist der Befehl, diejeingen zu bekämpfen, die ihm seine Macht streitig machen, ein apodiktisches Indiz dafür, die Existenz eines einzigen Kalifen aufrechtzuerhalten.
Was den Konsens der Prophetengefährten (iğmāʿ aṣ-ṣaḥāba) betrifft, so waren sich alle Gefährten über die Notwendigkeit einig, einen Nachfolger (d. h. Kalifen) für den Propheten (s) nach dessen Tod aufzustellen. Sie waren sich auch darüber einig, einen Nachfolger für Abū Bakr, dann für ʿUmar und schließlich für ʿUṯmān zu ernennen, nachdem diese gestorben waren.
Was die Sicherheit des Gefährten-Konsenses zur Aufstellung eines Kalifen zusätzlich untermauert, ist die Tatsache, dass die ṣaḥāba die Bestattung des Gesandten Allahs (s) nach dessen Tod verzögerten und sich mit der Aufstellung eines Kalifen beschäftigten, obwohl die Bestattung eines Toten eine Pflicht darstellt. Von den Gefährten aber – die sich eigentlich um die Bestattung bzw. Beerdigung des Propheten kümmern mussten – war ein Teil damit beschäftigt, einen Kalifen aufzustellen, statt den Propheten zu begraben. Der andere Teil von ihnen duldete dies und beteiligte sich an der Verzögerung des Begräbnisses zwei ganze Nächte lang, obwohl er im Stande war, dies anzuprangern oder selbst den Propheten (s) zu begraben. So verstarb der Gesandte Allahs (s) am Montagvormittag. Er blieb bis in die Nacht auf Dienstag und den Dienstag tagsüber aufgebahrt, ohne begraben zu werden. Währenddessen wurde Abū Bakr (r) die baiʿa geleistet. Danach wurde der Prophet (s) mitten in der Nacht – der Nacht auf Mittwoch – begraben. Das bedeutet, dass die Beerdigung des Propheten (s) zwei Nächte lang verzögert wurde, wobei Abū Bakr die baiʿa vor dessen Beerdigung geleistet wurde. Somit ist der Konsens der Prophetengefährten (iğmāʿ aṣ-ṣaḥāba) darüber erfolgt, dass die Beschäftigung mit der Aufstellung eines Kalifen dem Begraben eines Toten vorzuziehen ist. Dies kann aber nur dann legitim sein, wenn die Aufstellung eines Kalifen eine höhere Pflicht darstellt als das Bestatten eines Toten.
Außerdem sind alle Gefährten des Propheten Zeit ihres Lebens darin übereingekommen, einen Kalifen verpflichtend aufzustellen. Obwohl sie über die jeweilige Person, die zum Kalifen gewählt werden soll, uneins waren, so waren sie niemals über die Tatsache uneinig, dass ein Kalif aufgestellt werden muss – weder nach dem Tode des Gesandten Allahs (s) noch nach dem Tode irgendeines der recht-geleiteten Kalifen. Der Konsens der Prophetengefährten (iğmāʿ aṣ-ṣaḥāba) stellt somit einen klaren und starken Beweis für die Pflicht dar, einen Kalifen aufzustellen.
Aufgrund dessen ist es die Pflicht der Muslime, wenn es keinen Herrscher – d. h. Kalifen – gibt, der nach dem Islam regiert, sich nach Kräften für seine Realisierung einzusetzen.
Die Existenz des Kalifen ist eine Pflicht – und was für eine! Denn er ist es, der die vom Herrn der Welten verpflichtend erlassenen ḥudūd-Strafen durchführt. Und es gilt das Rechtsprinzip: Was zur Erfüllung einer Pflicht unerlässlich ist, wird ebenfalls zur Pflicht. Insbesondere, da die Durchführung der ḥudūd eine ge-waltige Pflicht verkörpert, durch die die Rechtschaffenheit und Lauterkeit der Umma gewährleistet wird. So berichtet ibn Māğa in seinen „Sunan“ von Abū Huraira, der sagte: Es sprach der Gesandte Allahs:
«حَدٌّ يُعْمَلُ بِهِ فِي الْأَرْضِ، خَيْرٌ لِأَهْلِ الْأَرْضِ مِنْ أَنْ يُمْطَرُوا أَرْبَعِينَ صَبَاحًا»
Ein ḥadd, den man auf Erden durchführt, ist besser für die Erdbewohner, als wenn ihnen morgens vierzig Tage lang Regen beschert wird.
Schließlich möchte ich die Muslime in den Kampfgebieten, in denen weder eine stabile Regierung noch ein Staat vorhanden sind, auf die Pflicht aufmerksam machen, die Probleme unter den Muslimen einvernehmlich zu lösen und es nicht zuzulassen, dass sich diese Probleme zwischen den Menschen verschlimmern. Vielmehr soll man sie im Einvernehmen lösen, indem Gelehrte, Vernunft bedachte Menschen und Personen von Autorität sich erheben, um zwischen den Menschen Frieden zu stiften, ihre Probleme zu lösen, die Bedürfnisse der Armen unter ihnen zu stillen und den Unterdrückten dabei zu helfen, ihr Recht von den Unterdrückern zu-rückzubekommen. Dies aufgrund der Allgemeingültigkeit der Texte (ʿumūm), die dazu und zum Friedenstiften unter den Menschen aufrufen. Diese Texte sind nicht mit dem Vorhandensein eines Herrschers spezifiziert worden. Ebenso sind uneingeschränkt for-mulierte Texte (muṭlaq) mit der Aufforderung zum Friedenstiften ergangen, die nicht an die Existenz des Herrschers geknüpft worden sind. Zu diesen Texten zählen:
﴿لَا خَيْرَ فِي كَثِيرٍ مِنْ نَجْوَاهُمْ إِلَّا مَنْ أَمَرَ بِصَدَقَةٍ أَوْ مَعْرُوفٍ أَوْ إِصْلَاحٍ بَيْنَ النَّاسِ وَمَنْ يَفْعَلْ ذَلِكَ ابْتِغَاءَ مَرْضَاتِ اللَّهِ فَسَوْفَ نُؤْتِيهِ أَجْرًا عَظِيمًا﴾
Nichts Gutes steckt in vielen ihrer heimlichen Besprechungen, es sei denn in solchen, die zur Mildtätigkeit oder zur Güte oder zum Friedenstiften unter den Menschen ermahnen. Und wer das im Trachten nach Allahs Wohlgefallen tut, dem werden Wir einen großen Lohn bescheren.[4:114]
﴿وَإِنِ امْرَأَةٌ خَافَتْ مِنْ بَعْلِهَا نُشُوزًا أَوْ إِعْرَاضًا فَلَا جُنَاحَ عَلَيْهِمَا أَنْ يُصْلِحَا بَيْنَهُمَا صُلْحًا وَالصُّلْحُ خَيْرٌ وَأُحْضِرَتِ الْأَنْفُسُ الشُّحَّ وَإِنْ تُحْسِنُوا وَتَتَّقُوا فَإِنَّ اللَّهَ كَانَ بِمَا تَعْمَلُونَ خَبِيرًا﴾
Und wenn eine Frau von ihrem Ehemann Herablassung oder Abwendung fürchtet, so soll es keine Sünde für beide sein, wenn sie sich auf geziemende Art miteinander versöhnen; denn die Versöhnung ist besser. Und die Menschen sind auf Habsucht eingestellt. Tut ihr jedoch Gutes und seid gottes-fürchtig, so ist Allah eures Tuns kundig.[4:128]
﴿إِنَّمَا الْمُؤْمِنُونَ إِخْوَةٌ فَأَصْلِحُوا بَيْنَ أَخَوَيْكُمْ وَاتَّقُوا اللَّهَ لَعَلَّكُمْ تُرْحَمُونَ﴾
Wahrlich, die Gläubigen sind Brüder. So stiftet Frieden zwischen euren Brüdern und fürchtet Allah, auf dass euch Barmherzigkeit erwiesen werde.[49:10]
﴿وَجَزَاءُ سَيِّئَةٍ سَيِّئَةٌ مِثْلُهَا فَمَنْ عَفَا وَأَصْلَحَ فَأَجْرُهُ عَلَى اللَّهِ إِنَّهُ لَا يُحِبُّ الظَّالِمِينَ﴾
Die Vergeltung für eine Übeltat soll ein Übel gleichen Aus-maßes sein; dessen Lohn aber, der vergibt und Besserung bewirkt, ruht sicher bei Allah. Wahrlich, Er liebt die Unge-rechten nicht.[42:40]
Und Aḥmad berichtet in seinem „Musnad“ von Um ad-Dardāʾ und diese von Abū ad- Dardāʾ, der sagte:
Es sprach der Gesandte Allahs (s):
«أَلَا أُخْبِرُكُمْ بِأَفْضَلَ مِنْ دَرَجَةِ الصَّلَاةِ، وَالصِّيَامِ، وَالصَّدَقَةِ؟ قَالُوا: بَلَى قَالَ: إِصْلَاحُ ذَاتِ الْبَيْنِ قَالَ: وَفَسَادُ ذَاتِ الْبَيْنِ هِيَ الْحَالِقَةُ»
„Soll ich euch nicht von etwas Vorzüglicherem als Gebet, Fasten und Almosen berichten?“
Die Leute antworteten: „Doch!“ Er sagte: „Das Friedenstiften zwischen den Men-schen. Denn die Zwietracht unter ihnen ist das Verderben!“ Der Hadith wird auch bei Abū Dāwūd in seinem Werk „as-Sunan“ in voller Kette über Um ad-Dardāʾ von Abū ad-Dardāʾ tradiert. Ibn Ḥibbān erklärte ihn für richtig. Dort erging er in folgendem Wortlaut: Es sprach der Gesandte Allahs (s):
«أَلَا أُخْبِرُكُمْ، بِأَفْضَلَ مِنْ دَرَجَةِ الصِّيَامِ، وَالْقِيَامِ؟، قَالُوا: بَلَى يَا رَسُولَ اللَّهِ، قَالَ: إِصْلَاحُ ذَاتِ الْبَيْنِ، وَفَسَادُ ذَاتِ الْبَيْنِ هِيَ الْحَالِقَةُ»
„Soll ich euch nicht von etwas Vorzüglicherem als das Fasten und das Gebet in der Nacht berichten?“
Die Leute ant-worteten: „Doch, o Gesandter Allahs!“ Er sagte: „Das Frie-denstiften zwischen den Menschen. Denn die Zwietracht unter ihnen ist das Verderben!“
Demzufolge sollte die Problemlösung in Konfliktregionen, wo es keinen Staat gibt, im Friedenstiften liegen. Jedoch unter der Be-dingung, dass diese Friedensstiftung weder das Verbotene für statthaft erklärt noch das Statthafte für verboten. Dies gemäß den dazu ergangen islamrechtlichen Texten. Dazu zählen:
Der Bericht bei Abū Dāwūd in seinen „Sunan“ von Abū Huraira, der sagte: Es sprach der Gesandte Allahs (s):
«الصُّلْحُ جَائِزٌ بَيْنَ الْمُسْلِمِين. زَادَ أَحْمَدُ: إِلاَّ صُلْحًا أَحَلَّ حَرَامًا أَوْ حَرَّمَ حَلاَلاً. وَزَادَ سُلَيْمَانُ بْنُ دَاوُدَ وَقَالَ رَسُولُ اللَّهِ : الْمُسْلِمُونَ عَلَى شُرُوطِهِمْ»
Die Versöhnung zwischen den Muslimen ist zulässig.
In Aḥmads Überlieferung fügte der Prophet hinzu: „Außer einer Versöhnung, die etwas Verbotenes für statthaft oder etwas Statthaftes für verboten erklärt." Sulaimān ibn Dāwūd fügte hinzu: Der Gesandte Allahs (s) sagte: Die Muslime sind an ihre Bedingungen gebunden.
At-Tirmiḏī berichtet in seinen „Sunan“ in voller Kette von Kaṯīr ibn ʿAbdillāh ibn ʿAmr ibn ʿAuf al-Muzanī über seinen Vater und seinem Großvater, dass der Gesandte Allahs (s) sprach:
«الصُّلْحُ جَائِزٌ بَيْنَ المُسْلِمِينَ، إِلَّا صُلْحًا حَرَّمَ حَلَالًا، أَوْ أَحَلَّ حَرَامًا، وَالمُسْلِمُونَ عَلَى شُرُوطِهِمْ، إِلَّا شَرْطًا حَرَّمَ حَلَالًا، أَوْ أَحَلَّ حَرَامًا»
Die Versöhnung zwischen den Muslimen ist zulässig, außer einer Versöhnung, die etwas Statthaftes für verboten oder etwas Verbotenes für statthaft erklärt. Und die Muslime sind an ihre Bedingungen gebunden, außer einer Bedingung, die etwas Statthaftes für verboten oder etwas Verbotenes für statthaft erklärt. Dieser Hadith ist ḥasan-ṣaḥīḥ. Auch ibn Ḥibbān tradiert diesen Hadith in seinem ṣaḥīḥ-Werk in folgendem Wortlaut: Es sprach der Gesandte Allahs (s):
«الصُّلْحُ جَائِزٌ بَيْنَ الْمُسْلِمِينَ إِلَّا صُلْحًا أَحَلَّ حَرَامًا أَوْ حَرَّمَ حَلَالًا»
Die Versöhnung unter den Muslimen ist zulässig, außer einer Versöhnung, die etwas Verbotenes für statthaft oder etwas Statthaftes für verboten erklärt.
Das Schlichten zwischen den Menschen ist also gefordert, ob ein Herrscher existiert oder nicht. Das ist der islamische Rechtsspruch, den ich in dieser Angelegenheit sehe. Doch Allah, der Erhabene, ist wissender und weiser.
Schlussfolgernd gilt:
Die „Grenzstrafen“ Allahs (ḥudūd) werden durch den Herrscher implementiert, der mit dem Islam regiert. Dadurch wird die Sünde, welche die Strafe erforderlich gemacht hat, gesühnt. Das bedeutet, dass der Schuldige im Jenseits für die Sünde nicht mehr bestraft wird, für die er im Diesseits mit dem ḥadd bestraft wurde. So be-richtet al-Buḫārī in seinem „Ṣaḥīḥ“ von ʿUbāda ibn aṣ-Ṣāmit, der an der Schlacht von Badr teilnahm und einer der Stammesvertreter in der Nacht der baiʿa von ʿAqaba war, dass der Gesandte Allahs (s), als er sich inmitten einer Gruppe seiner Gefährten befand, sagte:
«بَايِعُونِي عَلَى أَنْ لاَ تُشْرِكُوا بِاللَّهِ شَيْئًا، وَلاَ تَسْرِقُوا، وَلاَ تَزْنُوا، وَلاَ تَقْتُلُوا أَوْلاَدَكُمْ، وَلاَ تَأْتُوا بِبُهْتَانٍ تَفْتَرُونَهُ بَيْنَ أَيْدِيكُمْ وَأَرْجُلِكُمْ، وَلاَ تَعْصُوا فِي مَعْرُوفٍ، فَمَنْ وَفَى مِنْكُمْ فَأَجْرُهُ عَلَى اللَّهِ، وَمَنْ أَصَابَ مِنْ ذَلِكَ شَيْئًا فَعُوقِبَ فِي الدُّنْيَا فَهُوَ كَفَّارَةٌ لَهُ، وَمَنْ أَصَابَ مِنْ ذَلِكَ شَيْئًا ثُمَّ سَتَرَهُ اللَّهُ فَهُوَ إِلَى اللَّهِ، إِنْ شَاءَ عَفَا عَنْهُ وَإِنْ شَاءَ عَاقَبَهُ. فَبَايَعْنَاهُ عَلَى ذَلِكَ»
Gebt mir den Treueschwur (baiʿa), dass ihr Allah nichts beigesellt, nicht stiehlt, keine Unzucht begeht, nicht eure Kinder tötet, keine verlogene Schändlichkeit zu euren Händen oder Beinen begeht und nicht ungehorsam seid bei einer Sache, die rechtens ist. Wer auch immer von euch dies erfüllt, wird von Allah den Lohn erhalten. Und wer etwas davon begeht und im Diesseits die Strafe dafür erhält, so ist es gesühnt. Und wer etwas davon begeht und Allah seine Sünde verborgen hält, so liegt es bei Allah. Wenn Er möchte, vergibt Er ihm, und wenn Er möchte, bestraft Er ihn. ʿUbāda ibn aṣ-Ṣāmit fügte hinzu: So schworen wir ihm darauf die Treue.
In Konfliktregionen, in denen weder ein Staat noch eine stabile Regierung existiert, sollte man nicht zulassen, dass Probleme sich verschlimmern. Sie sollten vielmehr durch Friedensstiftung gelöst werden, indem Leute mit Autorität, Gelehrte und Personen, die einflussreichen Respekt genießen, vermitteln und ehrlich und auf-richtig an einer Lösung arbeiten. Möge Allah, der Erhabene, ihr Beistand sein.
Das ist meiner überwiegenden Meinung nach die Antwort auf deine Frage in Bezug auf die Einführung der ḥudūd-Strafen. Ich habe die islamrechtlichen Beweise dafür angeführt sowie den Beweisaspekt und dann den Rechtsspruch abgeleitet. Aber Allah (t) ist wissender und weiser.
Muḥarram 1435 n. H.
03.12.2013 n.Chr.