Islamrechtliche F&A Ist es erlaubt, die baiʿa für den Kalifen zeitlich zu begrenzen?

Frage: As-salāmu ʿalaikum wa raḥmatullāhi wa barakātuh. Unser ehrenwerter Scheich, ein freundlicher Gruß!

Frage:

As-salāmu ʿalaikum wa raḥmatullāhi wa barakātuh. Unser ehrenwerter Scheich, ein freundlicher Gruß!

Meine Frage betrifft die baiʿa, bei der es sich ja um einen Vertrag aus freiem Einverständnis zwischen der Umma und dem Kalifen handelt. Ist es erlaubt, sie zeitlich z. B. auf vier oder fünf Jahre zu begrenzen, wie es in den heutigen Systemen üblich ist? Haben diejenigen, die das behaupten, einen Beweis oder Scheinbeweis dafür?

Möge Allah dich segnen und dich und uns zu jenen machen, die Er für die Unterstützung des Islam und dessen Emporhebung heranzieht.

Antwort:

Wa ʿalaikum as-salām wa raḥmatullāhi wa barakātuh!

1. Die Offenbarungstexte bezüglich der baiʿa für den Kalifen widersprechen einer zeitlichen Begrenzung. Denn diebaiʿa für den Gesandten (s) und für die Rechtgeleiteten Kalifen bezog sich auf das Regieren nach dem Buche Allahs und der Sunna Seines Gesandten (s). Das war ihre bindende Einschränkung. Wenn also der Kalif vom Regieren nach dem Buche Allahs und der Sunna Seines Gesandten (s) ablässt, ist seine Herrschaft gemäß den diesbezüglich ergangenen Rechtssprüchen, die die Absetzungsweise des Kalifen und die Befugnisse des maẓālim-Gerichts detailliert ausführen, beendet. Eine zusätzliche Einschränkung festzulegen, wäre unzulässig, da dies dem Wortlaut der baiʿa widersprechen würde. Ihr Wortlaut umfasst nämlich ausschließlich die Regentschaft nach dem Buche Allahs und der Sunna Seines Gesandten (s), wie es die Hadithe und der Konsens der Prophetengefährten (iğmāʿ aṣ-ṣaḥāba) belegen.

Was die Sunna anlangt, so berichtet al-Buḫārī in geschlossener Kette von ʿUbāda ibn aṣ-Ṣāmit, der sagte:

»دَعَانَا رَسُولُ اللهِ صلى الله عليه وسلم فَبَايَعْنَاهُ، فَكَانَ فِيمَا أَخَذَ عَلَيْنَا: «أَنْ بَايَعَنَا عَلَى السَّمْعِ وَالطَّاعَةِ فِي مَنْشَطِنَا وَمَكْرَهِنَا، وَعُسْرِنَا وَيُسْرِنَا، وَأَثَرَةٍ عَلَيْنَا، وَأَنْ لَا نُنَازِعَ الْأَمْرَ أَهْلَهُ»، قَالَ: «إِلَّا أَنْ تَرَوْا كُفْرًا بَوَاحًا عِنْدَكُمْ مِنَ اللهِ فِيهِ بُرْهَانٌ»

Der Prophet rief uns zur baiʿa auf und wir leisteten sie ihm. Zu dem, wofür er uns die baiʿa abnahm, zählte, dass wir hören und gehorchen in dem, was uns ereifert und was uns widerwillig ist, in schweren wie in leichten Zeiten, auch auf die Bevorzugung (anderer) uns selbst gegenüber hin und dass wir die Befehlsgewalt jenen, die sie innehaben, nicht streitig machen. Er ergänzte: „Es sei denn, ihr seht einen offenkundigen Unglauben (kufr), für den ihr von Allah einen eindeutigen Beweis habt!‘“[Muslim]

Auch berichtet Muslim einen Hadith von Yaḥyā ibn Ḥuṣain über seine Großmutter Um al-Ḥuṣain, in dem Yaḥyā sprach: Ich hörte sie sagen: „Es sprach der Gesandte Allahs (s):

«إِنْ أُمِّرَ عَلَيْكُمْ عَبْدٌ مُجَدَّعٌ – حَسِبْتُهَا قَالَتْ – أَسْوَدُ، يَقُودُكُمْ بِكِتَابِ اللهِ تَعَالَى، فَاسْمَعُوا لَهُ وَأَطِيعُوا»

Wenn euch ein Knecht mit abgeschnittener Nase – ich glaube, sie sagte: ein schwarzer Knecht- vorgesetzt wird, der euch mit dem Buche Allahs führt, so hört auf ihn und gehorcht!

Aus all dem geht deutlich hervor, dass sich die baiʿa und der Gehorsam fortsetzen, solange nach dem Buch Allahs und der Sunna Seines Gesandten (s) regiert wird. Ausgenommen ist das Aufkommen eines offenkundigen Unglaubens (kufr), d. h. einer definitiven Übertretung des islamischen Rechts.

Was den Konsens der Prophetengefährten betrifft, so wurde den Rechtgeleiteten Kalifen die baiʿa auf Basis des Regierens nach dem Buche Allahs und der Sunna Seines Gesandten geleistet, ohne sie an eine bestimmte Zeitspanne zu binden. Die baiʿa erfolgte vor der versammelten Gefährtenschaft, Allahs Wohlgefallen über sie. Somit ist ihr Konsens darüber ergangen, dass die baiʿa zeitlich nicht begrenzt wird. Der Fortbestand des Kalifen in seinem Amt ist vielmehr an den Gehorsam gegenüber Allah und Seinem Gesandten (s) geknüpft, d. h., an das Regieren nach dem, was Allah herabgesandt hat. Muʿammar ibn Rāšid tradiert in seinem Werk „al-Ğāmiʿ“ folgenden Bericht in geschlossener Kette:

„يَا أَيُّهَا النَّاسُ إِنِّي قَدْ وُلِّيتُ عَلَيْكُمْ وَلَسْتُ بِخَيْرِكُمْ… أَطِيعُونِي مَا أَطَعْتُ اللَّهَ وَرَسُولَهُ، فَإِذَا عَصَيْتُ اللَّهَ وَرَسُولَهُ فَلَا طَاعَةَ لِي عَلَيْكُمْ، قُومُوا إِلَى صَلَاتِكُمْ يَرْحَمْكُمُ اللَّهُ“

Abū Bakr hielt vor uns eine Ansprache, er sagte: „Ihr Menschen! Ich bin euch vorgesetzt worden und bin nicht der Beste unter euch. Gehorcht mir, solange ich Allah und Seinem Gesandten gehorche. Bin ich Allah und Seinem Gesandten ungehorsam, so obliegt euch kein Gehorsam mir gegenüber. Erhebt euch zum Gebet, möge Allah Sich eurer erbarmen!“

Aus diesen Belegen wird klar, dass die Dauer nicht eingeschränkt wurde. Erwähnt wird vielmehr der Gehorsam des Kalifen gegenüber Allah und Seinem Gesandten (s). Solange also der Kalif nach dem regiert, was Allah herabgesandt hat, besteht seine Herrschaft weiter. Widerspricht er einem definitiven Text, ist sie beendet, auch wenn sie nur ein oder zwei Monate gedauert hat. Dies geschieht gemäß den islamischen Rechtssprüchen, die zur Absetzung des Kalifen und zu den Befugnissen des maẓālim-Richters ergangen sind.

2. Haben nun jene, die eine Befristung propagieren, einen Beweis oder Scheinbeweis für ihre Behauptung? Weder können wir einen Beweis noch einen Scheinbeweis für sie erkennen. Diesen Sachverhalt haben wir in der Frage/Antwort vom 16. Ğumādā l-Āḫira 1434 n. H., dem 6. 4. 2013, ausführlich und vollständig behandelt. Man kann sie nachlesen.

26. Muḥarram 1438 n. H.

27.10.2016 n. Chr.