Erste Frage:
Unser ehrenwerter Scheich. Einen freundlichen, von Allah gesegneten Gruß. As-salāmu ʿalaikum. Meine Frage betrifft die Vermögensschwelle (niṣāb) für die Entrichtung der zakāt auf Handelsware. Im Buch „Finanzen im Staate des Kalifats“ wird auf Seite 195 (arab. Ausgabe) gesagt, dass die Vermögensschwelle (niṣāb) für die Entrichtung der zakāt bei 200 Dirham Silber liegt, also bei 595 Gramm, bzw. bei 20 Dinar Gold, was 85 Gramm entspricht. Welchen der beiden Werte sollen wir nun für unsere Berechnung der zakāt auf Handelsware heranziehen? Wohl gemerkt gibt es große Unterschiede zwischen dem Gold- und dem Silberpreis. So entspricht ein Golddinar ca. Hunderten von Silberdirhamen. Wenn wir beispielsweise fünf Golddinare berechnen, so übertrifft deren Wert bereits den niṣāb von Silber. Welchen der beiden Werte sollen wir heute also heranziehen? Möge Allah dich belohnen und uns aus deinem Wissen Nutzen ziehen lassen.
Zweite Frage
As-salāmu ʿalaikum wa raḥmatullāh. Ich habe einige Fragen bezüglich der zakāt:
1. Wie wird die zakāt berechnet?
2. Wenn ich mit meinem Besitz – z. B. 120g Gold – die Vermögensschwelle (nisāb) überschreite, wird die zakāt dann auf das berechnet, was über die 87,479g Gold hinausgeht, oder auf den gesamten Betrag, also auf 120g Gold? Wie steht es nun mit dem Reinheitsgrad von Gold, so gibt es Gold zu 24 Karat, 22 Karat und niedriger?
Wenn sich in einem Haus Gold mit einem Gesamtgewicht von 170g befindet, das sich jedoch auf mehrere Besitzer aufteilt, sodass z. B. eine Hälfte meiner Mutter und die andere meiner Frau gehört, muss dann dafür die zakāt: entrichtet werden, obwohl jeder der beiden Besitzer alleine den nisāb nicht erreicht, bei Summierung der beiden Anteile der nisāb jedoch überschritten wird?
Wenn ich das genaue hiğrī-Datum, an dem die Jahresfrist nach Erreichen des niṣābs begonnen hat, nicht kenne, wie und von welchem Datum an soll ich dann mit der zakāt-Berechnung beginnen?
Antwort:
Wa ʿalaikum as-salām wa raḥmatullāhi wa barakātuh!
Da sich beide Fragen um dasselbe Thema drehen, fassen wir sie in einer Antwort zusammen:
1. Der niṣāb bei Gold beträgt 20 Dinar, was 85g Gold entspricht und nicht 87,479g, wie in der Frage angeführt. Denn ein Dinar hat ein Gewicht von 4,25g Gold. Wenn wir dieses mit 20 Dinar multiplizieren, dann beträgt der niṣāb 85g Gold. 2. Der niṣāb bei Silber beträgt 200 Dirham, was 595g Silber entspricht, denn ein Dirham hat ein Gewicht von 2,975g Silber. Wenn wir dieses Gewicht mit 200 Dirham multiplizieren, dann beträgt der niṣāb für Silber 595g. Beweis dafür ist der bei Abū ʿUbaid in seinem Werk „al-Amwāl“ tradierte Bericht von ʿAbdullāh ibn ʿAmr (r), der sagte: Es sprach der Gesandte Allahs (s):
«لَيْسَ فِي أَقَلَّ مِنْ عِشْرِينَ مِثْقَالا مِنَ الذَّهَبِ، وَلَا فِي أَقَلَّ مِنْ مِائَتَيْ دِرْهَمٍ صَدَقَةٌ»
Bei weniger als zwanzig miṯqāl an Gold und weniger als zweihundert Dirhamen fällt keine ṣadaqa (d. h. zakāt) an.
Auch berichtet al-Buḫārī von Yaḥyā ibn ʿUmara ibn Abī al-Ḥasan, dass er Abū Saʿīd (r) sagen hörte: Es sprach der Prophet (s):
«لَيْسَ فِيمَا دُونَ خَمْسِ أَوَاقٍ صَدَقَةٌ»
Bei weniger als fünf ūqīya fällt keine ṣadaqa an.
Gezählt ergibt dies zweihundert Dirham, denn eine ūqīya beträgt 40 Dirham.
2. Wenn der niṣāb bei Gold – d. h. 85g – und bei Silber – d. h. 595g – erreicht wird, so ist darauf noch keine zakāt zu entrichten, bis ein Jahr auf das Erreichen des niṣābs verstrichen ist. D. h. an dem Tage, an dem das Gold bzw. das Silber den niṣāb erreicht hat, beginnt die Jahresfrist zu laufen. Maßgebend ist hierbei das hiğrī-Jahr. Wird der niṣāb z. B. am 10. Muḥarram erreicht, so wird die zakāt auf dieses Vermögen am 10. Muḥarram des folgenden hiğrī-Jahres fällig. So berichtet at-Tirmiḏī von ibn ʿUmar, der sagte:
Wer Vermögen lukriert, so ist dafür keine zakāt zu entrichten, bis im Eigentum ein Jahr darauf vergangen ist. Der Anteil an zakāt, der auf Gold und Silber zu entrichten ist, beträgt ein Viertel vom Zehntel. Beim Silber-niṣāb wären es also 5 Dirham, das sind 14,875g Silber, und beim Gold-niṣāb ein halber Dinar, was 2,125g Gold entspricht. So berichtet ibn Māğa über ʿAbdullāh ibn Wāqid von ibn ʿUmar und ʿĀʾiša,
«كَانَ يَأْخُذُ مِنْ كُلِّ عِشْرِينَ دِينَارًا فَصَاعِدًا نِصْفَ دِينَارٍ، وَمِنَ الْأَرْبَعِينَ دِينَارًا دِينَارًا»
dass der Prophet (s) von zwanzig Dinar und mehr einen halben Dinar und von vierzig Dinar einen Dinar erhob.[Tirmiḏī]
Alī, der sagte: Es sprach der Gesandte Allahs (s):
«فَهَاتُوا صَدَقَةَ الرِّقَةِ: مِنْ كُلِّ أَرْبَعِينَ دِرْهَمًا دِرْهَمًا، وَلَيْسَ فِي تِسْعِينَ وَمِائَةٍ شَيْءٌ، فَإِذَا بَلَغَتْ مِائَتَيْنِ فَفِيهَا خَمْسَةُ دَرَاهِمَ»
So entrichtet die ṣadaqa auf Silber: Von jeweils vierzig Dirhamen einen, wobei auf 190 Dirham noch nichts anfällt. Wenn 200 erreicht sind, so sind darauf 5 Dirham zu entrichten.
3. Wie bereits erwähnt ist die zakāt auf Gold und Silber zu entrichten, wenn sie den niṣāb erreichen haben und ein Jahr auf das Erreichen des niṣābs verstrichen ist. Die zakāt muss auf den gesamten Betrag abgeführt werden, nicht nur auf jenen Teil davon, der über den niṣāb hinausgeht. Wer z. B. 170g Gold besitzt und ein Jahr darauf vergangen ist, der muss die zakāt auf die 170g entrichten, also ein Viertel vom Zehntel von 170g. Das wären: 4,25g Gold. D. h. er muss einen ganzen Dinar entrichten und nicht bloß die zakāt auf die 85g, die über den niṣāb hinausgehen. Anders ausgedrückt entrichtet er nicht nur 2,125g Gold, was einem halben Dinar entspräche. Gleiches gilt für Silber. Es muss darauf das Viertel vom Zehntel vom Gesamtbetrag entrichtet werden, sobald der niṣāb erreicht und ein Jahr darauf verstrichen ist.
4. Der Rechtsspruch bezüglich der zakāt gilt für das reine, 24-karätige Gold. Dasselbe gilt für die zakāt auf Silber. Wird das Gold bzw. das Silber mit anderen Metallen vermischt, werden diese anteilsmäßig vom Gewicht abgezogen, sodass die übrig gebliebene Menge nach Abzug des Mischanteils für die niṣāb-Berechnung herangezogen wird. Besitzt eine Person z. B. 85g 18-karätiges Gold, so hat sie die niṣāb-Schwelle noch nicht erreicht, weil das darin enthaltene reine Gold weniger als 85g ausmacht. Die zakāt auf einen 24-karätigen Goldbarren unterscheidet sich demnach von der zakāt auf einen 18-karätigen gleichen Gewichts. Für die niṣāb-Berechnung wird dabei der reine Goldanteil herangezogen. Der niṣāb bei 24-karätigem Gold beträgt somit 85g. Bei 18-karätigem Gold ist er höher, weil dieses zu einem Viertel mit anderen Materialien vermischt wurde. Anders ausgedrückt beinhaltet 18-karätiges Gold drei Viertel des Goldanteils von 24-karätigem. Demzufolge beträgt der niṣāb bei 18-karätigem Gold 11/3 des niṣābs bei reinem Gold, also 113,33g. Wer also 85g an reinem Gold besitzt (24 Karat), der hat den niṣāb erreicht. Ist darauf ein Jahr vergangen, zahlt er dafür 2,5% des Gesamtgewichts an zakāt. Wer aber 85g an 18-karätigem Gold besitzt, hat den niṣāb noch nicht erreicht, bis er 113,33g davon im Eigentum hält. Ist darauf die Jahresfrist verstrichen, zahlt er 2,5% zakāt vom Gesamtgewicht. Es ist also klar, dass bei der zakāt-Berechnung das reine Goldgewicht maßgebend ist.
5. Die zakāt ist ein individueller Gottesdienst (ʿibāda). Sie wird am Vermögen eines Muslims erst fällig, wenn es den niṣāb erreicht hat. Besitzt ein Mann z. B. 60g Gold und seine Frau ebenfalls 60g, so fällt weder für ihn noch für sie eine zakāt an, auch wenn die Summe dessen, was sie gemeinsam besitzen, den niṣāb überschreitet. Die zakāt wird erst fällig, wenn das Vermögen eines von ihnen alleine den niṣāb erreicht. Dann muss sie vom Vermögen dessen entrichtet werden, dessen Vermögenswert den niṣāb erreicht hat. Wenn das Vermögen des Mannes anwächst und beispielsweise 120g Gold erreicht, so muss die zakāt auf dieses Vermögen entrichtet werden, ohne das Vermögen der Frau – also die 60g Gold – hinzuzurechnen.
6. Handelt es sich beim Vermögen, auf das zakāt zu entrichten ist, um Fiatgeld (heutige Pflichtwährung) oder um Handelsware, so muss es nach einem der beiden niṣāb-Schwellen geschätzt werden, also entweder nach dem Gold- oder nach dem Silber-niṣāb. Unterscheiden sich beide niṣāb-Werte, wie es in unserer heutigen Zeit der Fall ist, sodass der Silber-niṣāb vom Wert her viel niedriger ausfällt als der Gold-niṣāb, so muss meiner Ansicht nach die Berechnung mit dem niedrigeren der beiden niṣāb-Schwellen, also mit dem Silber- und nicht mit dem Gold-niṣāb erfolgen. Der niedrigere der beiden niṣāb-Schwellen muss deshalb herangezogen werden, weil eine Person bei Erreichen des niedrigeren niṣābs bereits zakāt-pflichtig geworden ist. Es steht ihr nicht zu, diesen zu überschreiten und abzuwarten, bis sie den höheren erreicht hat. Vielmehr muss sie das Datum notieren, an dem sie zakāt-pflichtig geworden ist, und nach einem Jahr die zakāt darauf entrichten. Zudem ist die zakāt ein Anspruch der Armen und Mittellosen.
﴿إِنَّمَا الصَّدَقَاتُ لِلْفُقَرَاءِ وَالْمَسَاكِينِ…﴾
Die Almosen sind nur für die Armen und die Bedürftigen […].[9:60]
﴿وَالَّذِينَ فِي أَمْوَالِهِمْ حَقٌّ مَعْلُومٌ * لِلسَّائِلِ وَالْمَحْرُومِ﴾
Und diejenigen, in deren Vermögen ein bekannter Anteil bestimmt ist, für den Bittenden und den Unbemittelten.[70:24-25]
Auch sagte der Gesandte Allahs (s):
«فَأَعْلِمْهُمْ أَنَّ اللَّهَ افْتَرَضَ عَلَيْهِمْ صَدَقَةً فِي أَمْوَالِهِمْ تُؤْخَذُ مِنْ أَغْنِيَائِهِمْ وَتُرَدُّ عَلَى فُقَرَائِهِمْ»
So setze sie darüber in Kenntnis, dass Allah ihnen in ihrem Vermögen eine ṣadaqa (zakāt) auferlegt hat. Sie wird von ihren Reichen genommen und ihren Armen zurückgegeben.[Buḫārī]
Demzufolge ist es das Interesse des Anspruchsberechtigten, das berücksichtigt werden muss. Daraus ergibt sich, dass der niṣāb nach dem niedrigeren Wert zu bemessen ist, also nach der Höhe des Silber-niṣābs.
7. Was die Methode der zakāt-Berechnung betrifft, so hat sie folgendermaßen zu erfolgen: Hat das Vermögen den niṣāb erreicht, dann beginnt dessen Jahresfrist zu laufen. Wenn es z. B. am 10. Muḥarram 1437 n. H. den niṣāb erreicht hat, so wird die zakāt darauf am 10. Muḥarram des folgenden hiğrī-Jahres, also 1438 n. H., fällig. Hat sich dieses Vermögen vermehrt, so wird die Vermehrung dem Ursprungsbetrag hinzugefügt und die Jahresfrist ist für beide dieselbe. Wenn eine Person beispielsweise am 10. Muḥarram 1437 n. H. 100g Gold besitzt, dieses dann in Handelstätigkeit investiert und bis zum 10. Muḥarram des Folgejahres – also 1438 n. H.- 150g Gold dazuverdient hat, so muss sie die zakāt für 250g entrichten, da das verdiente Vermögen aus dem ursprünglichen hervorgegangen ist und somit denselben Rechtsspruch erhält. Sollte neues Vermögen nach dem 10. Muḥarram 1437 n. H. entstehen, das sich nicht aus der Vermehrung des ursprünglichen Vermögens ergeben hat, wenn der Person z. B. Geld geschenkt wurde oder sie Geld geerbt hat, so hat dieses neue Vermögen seine eigene Jahresfrist. Hat die Person es z. B. am 10. Shaban 1437 n. H. erworben, so wird dessen zakāt am 10. Shaban 1438 n. H. fällig und nicht am 10. Muḥarram 1438 n. H., weil die Jahresfrist beider Beträge unterschiedlich ist.
8. Auch ist es erlaubt, die zakāt-Zahlung vorzuziehen, indem sie vor Ende der Jahresfrist entrichtet wird. So ist es zulässig, am 10. Muḥarram die zakāt sowohl für den ursprünglichen Betrag als auch für jenen zu entrichten, der durch Schenkung oder Erbschaft dazugekommen ist, anstatt für den dazugekommenen Betrag bis zum 10. Šaʿbān zu warten. Die Erlaubnis, die zakāt-Entrichtung vorzuziehen, geht aus mehreren Rechtsbelegen hervor. Dazu zählen:
Al-Baihaqī berichtet in „as-Sunan al-kubrā“ von ʿAlī,
«أَنَّ الْعَبَّاسَ رَضِيَ اللهُ عَنْهُ سَأَلَ رَسُولَ اللهِ ﷺ فِي تَعْجِيلِ صَدَقَتِهِ قَبْلَ أَنْ تَحِلَّ فَأَذِنَ لَهُ فِي ذَلِكَ»
dass al-ʿAbbās den Gesandten Allahs (s) fragte, ob er seine zakāt vorauszahlen könne, bevor diese fällig wurde, und er (s) erlaubte es ihm.
Ad-Dāraquṭnī tradiert in seinem Werk „as-Sunan“ über Ḥuğr al-ʿAdawī von ʿAlī, der sagte: Der Gesandte Allahs (s) sprach zu ʿUmar:
«إِنَّا قَدْ أَخَذْنَا مِنَ الْعَبَّاسِ زَكَاةَ الْعَامِ عَامِ الْأَوَّلِ»
Von al-ʿAbbās haben wir die Jahres-zakāt zum Jahresanfang erhalten. Demzufolge kannst du bezüglich der zakāt auf dein Vermögen wie folgt vorgehen:
Trage das hiğrī-Datum ein, wenn dein Vermögen die niṣāb-Schwelle erreicht hat.
Nach einem vollen hiğrī-Jahr berechnest du alles, was an Vermögen bei dir vorhanden ist. Sei es der niṣāb-Betrag oder das, was darüber hinausgeht.
Dann entrichtest du die zakāt auf den gesamten Betrag, den du besitzt, und zwar nicht nur auf den Anteil, der (vor einem Jahr) den niṣāb erreicht hatte, sondern auf den Gesamtbetrag, d. h. auf den niṣāb und das, was darüber hinausgeht.
Von nun an berechnest du dein Vermögen jedes Jahr zu diesem Datum und entrichtest auf die Gesamtmenge die zakāt, sei es der niṣāb-Anteil davon oder das, was darüber hinausgeht.
9. Wenn man das Datum vergessen hat, an dem das Vermögen den niṣāb erreicht hat, so muss man es schätzen. Dabei ist das Interesse der zakāt-Berechtigten zu berücksichtigen, da ihr Anspruch am Vermögen gegenüber dem Anspruch des Vermögensbesitzers Vorrang hat. Schwankt z. B. die Schätzung der Jahresfrist zwischen den Monaten Muḥarram und Šaʿbān, so soll man den Monat Muḥarram – nicht Šaʿbān – als Beginn festlegen, da dies für den eigenen Glauben sicherer ist.
2. Ṣafar 1437 n. H.
14/11/2015