Westliche Konzeptionen Faschismus-Keule

Sie gilt vielen als primitive Schlagwaffe und wird nicht selten mit dem Etikett eines „Totschlagarguments“ versehen. Dennoch kommt sie in politischen Wortgefechten gerne zum Einsatz. Trifft sie dabei den falschen Adressaten, kann sie denjenigen in Ungnade fallen lassen, der sich ihrer bedient. Die Rede ist von der berüchtigten „Nazi-Keule“.

Sie gilt vielen als primitive Schlagwaffe und wird nicht selten mit dem Etikett eines „Totschlagarguments“ versehen. Dennoch kommt sie in politischen Wortgefechten gerne zum Einsatz. Trifft sie dabei den falschen Adressaten, kann sie denjenigen in Ungnade fallen lassen, der sich ihrer bedient. Die Rede ist von der berüchtigten „Nazi-Keule“.

Ihr zweifelhafter Ruf ist den Kritikern zufolge auf ihren unsachlichen und herabsetzenden Ton zurückzuführen, der die kommunikativen Maximen eines Gesprächs verletze. Besonders in der politischen Auseinandersetzung sollen vorgebrachte Argumente dadurch widerlegt werden, dass man Ereignisse oder Personen in die Nähe des Nationalsozialismus bringt oder sogar mit Adolf Hitler höchstpersönlich vergleicht. Letzteres bezeichnete der Philosoph Leo Strauss seinerzeit als „reductio ad Hitlerum“. Doch die ganz große Gefahr derartiger Vergleiche liege nach wie vor in einer vermeintlichen Relativierung der NS-Verbrechen – insbesondere des Holocausts. Gerade Politiker können durch den unbedachten Einsatz der „Nazi-Keule“ schnell selbst zur Zielscheibe medialer Berichterstattung werden. Um den anschließenden Medienzirkus unbeschadet zu überstehen, sollten die Betroffenen ziemlich abgebrüht sein und fest im Sattel sitzen. Vor allem die Analogie mit Adolf Hitler gilt als heißes Eisen, an dem sich schon so mancher die Finger verbrennen musste. Zu spüren bekam dies erst kürzlich Sean Spicer, als er während einer Pressekonferenz den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad wegen des von ihm befohlenen Giftgasangriffs auf die Stadt Chan Schaichun mit folgenden Worten „diffamierte“: „Nicht einmal jemand so verabscheuungswürdiges wie Hitler war so weit gesunken, chemische Waffen einzusetzen“. Die darauffolgende Empörungswelle setzte den Pressesprecher des Weißen Hauses dermaßen unter Druck, dass er nolens volens damit begann, seine Aussage bis ins Groteske zu relativieren. Ganz offensichtlich fehlte ihm das nötige ideologische Augenmaß, um zu erkennen, dass er mit seinem Statement einen Schutzpatron der laizistischen Ordnung im Nahen Osten auf den Schlips trat.

Zwar bekamen in der Vergangenheit zahlreiche Politiker und Staatschefs die „Nazi-Keule“ entgegenschleudert, doch nirgendwo sorgen derartige Vergleiche für so viel Fassungslosigkeit wie in Deutschland. Beispielhaft dafür waren die Reaktionen mehrerer deutscher Politiker angesichts der Vorwürfe des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogans, nachdem er mehrmals der Bundesregierung Nazi-Methoden vorwarf. So sprach Unionsfraktionschef Volker Kauder von einem „unglaublichen und nicht akzeptablen Vorgang“, der in aller „Form und Schärfe“ zurückgewiesen werden müsse. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz kritisierte vor allem Erdogans „Giftpfeile“ gegen Angela Merkel, schließlich sei es eine „Frechheit“, als „Staatsoberhaupt eines befreundeten Landes die Regierungschefin dieses Landes in dieser Form“ zu beleidigen. Die Linken-Politikerin Dagdelen dagegen schwafelte in gewohnter Antifa-Rhetorik von einer „ungeheure[n] Verharmlosung des deutschen Faschismus“.

Die vorgegebene Sorge scheint bei genauerer Betrachtung jedoch äußerst selektiv und widersprüchlich zu sein. Während die Hitler-Analogie mit Baschar al-Assad Trumps Pressesprecher beinahe das Amt kostete, konnte die westliche Welt Saddam Hussein mehrmals als „neuen Hitler“ bezeichnen, ohne dass jemand wirklich Anstoß daran nahm. Diese Selektivität lässt sich aktuell sehr deutlich an einer weiteren „Keule“ beobachten, die in regelmäßigen Abständen und mit Leidenschaft gegen den Islam und seine Anhänger geschwungen wird – die „Faschismus-Keule“. Federführend dabei ist der Bestseller-Autor Hamed Abdel-Samad, der sich gleich dazu berufen sah, zu diesem Thema eine „Analyse“ zu verfassen. In seinem Buch „Der islamische Faschismus“ versucht der deutsch-ägyptische Politologe anhand einer höchst fragwürdigen Faschismusdefinition nicht nur nachzuweisen, dass der „Islamismus“ zeitgleich entstanden sei wie die faschistischen Bewegungen in Europa. Vielmehr sei faschistoides Gedankengut „bereits im Ur-Islam angelegt“. Das erstaunliche ist hierbei weniger der Vergleich selbst, als vielmehr der Versuch, ihm einen wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen. So schustert sich Abdel-Samad im ersten Kapitel auf sage und schreibe einer Seite (!) eine Definition zusammen, ohne den Leser zunächst methodisch in die Faschismusforschung einzuweihen, die verschiedenen theoretischen Ansätze darzulegen und ihm auf dieser Grundlage die Problematik zu verdeutlichen, die einer allgemeingültigen Definition dieses Phänomens bislang entgegensteht. Und dies ist im Falle des Faschismus zwingend erforderlich, da es sich historisch gesehen um einen politischen Kampfbegriff handelt, den in erster Linie und hauptsächlich die Marxisten forcierten. Noch im Jahre 1920 wusste nämlich kaum jemand in Europa etwas mit diesem Begriff anzufangen. Dies sollte sich nur drei Jahre später schlagartig ändern, als die Linke in ganz Deutschland den „Antifaschistentag“ zelebrierte – nicht zuletzt um ein Zeichen gegen die siegreichen Schwarzhemden Mussolinis zu setzen. Die wissenschaftliche Schwierigkeit den Faschismusbegriff einzugrenzen und näher zu bestimmen, skizzierte der bekannte Faschismustheoretiker Ernst Nolte in seinem Werk „Der Faschismus in seiner Epoche“ wie folgt: „Er [der Faschismus] hat den Nachteil, daß er zugleich Name und Begriff ist; er hat den Vorzug, daß er keinen konkreten Gehalt aufweist und nicht wie das deutsche Wort Nationalsozialismus mit einem inhaltlichen Anspruch auftritt, der sich rechtfertigen lässt“. Die Herausforderung für die Wissenschaft bestand folglich darin, einen primär politischen und polemischen Kampfbegriff in einen historischen zu überführen. Für Nolte existierte hingegen „kaum eine Bezeichnung, die in den Jahrzehnten vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs häufiger angeführt, leidenschaftlicher umkämpft und mit größeren Folgen definiert worden ist als die des Faschismus“. Im Vergleich zu anderen politischen Strömungen wie dem Liberalismus oder Kommunismus, über deren Inhalt noch eine klare Vorstellung bestand, galt der Faschismus „dem einen als reaktionär, dem anderen als revolutionär; dem einen war er ein Sammelbegriff für alle Gegner der eigenen Partei, dem anderen ein winziger Ausschnitt aus einer altüberlieferten Position“, so Nolte.

Neben der mehr als zweifelhaften Vorgehensweise Abdel-Samads, einen derart umstrittenen und analytisch unscharfen Begriff in einigen wenigen Sätzen zu beschreiben, birgt seine Definition selbst eine Vielzahl von Fragen. So seien für ihn die vermeintlichen Schnittpunkte zwischen Islam und Faschismus in erster Linie darin zu finden, dass beide den Anspruch erheben, „im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. Ganz oben in der Hierarchie steht der charismatische Führer[…]. Die faschistische Ideologie vergiftet ihre Anhänger mit Ressentiments und Hass, teilt die Welt in Freund und Feind ein […]. Sie richtet sich gegen die Moderne, die Aufklärung, den Marxismus und die Juden und glorifiziert Militarismus und Opferbereitschaft bis in den Tod.“ Mit dieser recht diffusen Beschreibung zeigt Abdel-Samad seiner Leserschaft lediglich auf, dass es ihm offensichtlich an einer analytischen und differenzierten Denkweise mangelt. Auch wenn die von ihm genannten Merkmale unter Historikern verbreitet und anerkannt sind, hätte sich Abdel-Samad der wissenschaftlichen Sorgfalt halber zumindest die Frage stellen müssen, ob es sich hierbei tatsächlich um Kernelemente des Faschismus handelt, bevor er diesen einfach auf eine andere Kulturgemeinschaft überträgt. Gemäß den Ausführungen Noltes in seinem Werk sei „weder der Antiparlamentarismus noch der Antisemitismus […] geeignet, das Kriterium des Begriffs Faschismus zu bilden. Ganz unpräzis wäre nicht minder eine Kennzeichnung als Antikommunismus, offenkundig irrelevant aber wäre eine Definition, die dieses fundamentale Merkmal nicht genügend betont oder ganz fortließe“. In anderen Worten bedarf es für eine genauere Bestimmung des Faschismus mehr als auf die antisemitische oder antidemokratische Haltung hinzuweisen. Zwar waren diese Aspekte für die faschistischen bzw. rechten Bewegungen jener Zeit durchaus charakteristisch – wenn auch in unterschiedlicher Intensität. Übersehen wird jedoch, dass einerseits der Antisemitismus wie auch der Rassismus Anfang des 20. Jahrhunderts in nahezu sämtlichen Ländern Europas zu finden waren. Und dies widerspricht – entgegen der Behauptung einiger exzentrischer Wissenschaftler – auch keineswegs dem Geist der Aufklärung, wie an den stellenweise antisemitischen und rassistischen Texten Voltaires und Kants deutlich zu erkennen ist. Andererseits war die parlamentarische Demokratie in Folge des Ersten Weltkriegs europaweit in eine schwere Legitimationskrise gestürzt, was in vielen Bevölkerungsschichten die Sehnsucht nach einem starken Staat begünstigte. Gelinde gesagt, verfügen kapitalistische Staaten damals wie auch heute über systemimmanente Faktoren, die faschistische oder antidemokratische Tendenzen vor allem in Krisenzeiten befördern können. Zu diesen Faktoren zählte in der Weimarer Zeit unter anderem die Befürchtung, dass sich die bolschewistische Revolution und mit ihr der Kommunismus auch auf Mittel- und Westeuropa ausbreiten könnte. Dies bewirkte in rechten Kreisen eine verhältnismäßig überspitze Reaktion auf die aus ihrer Sicht subversiven Bestrebungen marxistischer Gruppierungen. Dabei setzten die Faschisten ihren Fokus besonders auf den Schutz des Privateigentums – ein bekanntlich zentraler Gedanke der Aufklärung. Damit bestand auch keine ideologische Rivalität zu den demokratischen oder liberalen Bewegungen. Erkennbar ist dieser Umstand besonders am Spanischen Bürgerkrieg und der Rolle Großbritanniens und Frankreichs, die sich durch das „Nichteinmischungskomitee“ indirekt auf die Seite der von Hitler und Mussolini unterstützten rechtsgerichteten Putschisten schlugen. So existierten in weiten Teilen des bürgerlichen Lagers und insbesondere unter britischen Geschäftsleuten große Sympathien zu den spanischen Putschisten, da sie unter anderem die Eigentumsverhältnisse unangetastet ließen.

Ganz gleich jedoch wie man den Faschismusbegriff letztlich definiert, bleibt dieses Phänomen ein untrennbarer Teil der europäischen Kulturgeschichte, das kaum nachvollzogen werden kann, solange es nicht in die geistesgeschichtliche Entwicklung Europas eingebettet wird. Statt also krampfhaft nach irgendwelchen Gemeinsamkeiten zwischen Islam und Faschismus zu suchen, täten gerade hierzulande Historiker und Intellektuelle gut daran, sich die eigentlichen Ursachen des Faschismus bewusst zu machen und beispielsweise der Frage nachzugehen, warum namenhafte Präfaschisten vom Idealismus der deutschen Philosophie so begeistert waren und ihn zur metaphysischen Basis des eigenen Denkens machten. Dass Abdel-Samad diese relevanten Punkte in seinem Buch unberücksichtigt lässt, sagt im Grunde genommen alles über seine ideologische Stoßrichtung aus und sollte ihn als „Politologen“ längst diskreditiert haben. Nichtsdestotrotz wird er mit seinen literarischen Entgleisungen und kruden Thesen im gesamten deutschsprachigen Raum weiterhin kritiklos hofiert und als „großer Denker“ verklärt.

Angesichts der gegenwärtigen gesellschaftlichen Stimmungslage, die sich inzwischen in einer zunehmenden Islamfeindlichkeit niederschlägt, bedürfen derartige Thesen scheinbar keiner weiteren Überprüfung mehr. Denn Politik und Medien haben sich hierzulande längst der Kampfrhetorik verschrieben, von der allerdings nur sie Gebrauch machen dürfen. Denn gerade den Muslimen wird untersagt, in der derzeitigen ideologischen Auseinandersetzung ähnliche „Reizwörter“ ins Spiel zu bringen. So folgt dem kleinsten Vergleich mit dem Nationalsozialismus unverzüglich der Vorwurf, lediglich mit abgedroschenen „Totschlagargumenten“ um sich zu werfen, um die eigene argumentative Unzulänglichkeit kompensieren zu wollen. Und dies obwohl es sich beim Nationalsozialismus – im Gegensatz zum Faschismus – um keinen bloßen Kampfbegriff handelt, sondern um eine politische Idee mit einem konkreten Inhalt. Ob ein vorgebrachter Nazi-Vergleich im Einzelfall zutrifft oder nicht, ließe sich somit recht genau feststellen. Die Faschismus-Keule hingegen ist und bleibt die primitive Schlagwaffe jener, denen es am Ende tatsächlich an sachlich überzeugenden Argumenten fehlt.