Antwort von Kalifat.com auf eine Frage zur Berechnung der zakāt
Frage:
Assalamu alaikum. Ich habe eine Frage zum Buch „Das islamische Wirtschaftssystem“. Es wird dort ungefähr erwähnt: Eine Person x besitzt am 1.1.2017 etwa 1000 Euro. (Wir gehen davon aus, dass der Freibetrag (niṣāb) 3000 € beträgt) 3 Monate später, also am 01.03.2017, erhält diese Person durch Erbschaft 2500 €. Wenn man nun die zwei Beträge am 01.03. zusammenrechnet, ergeben sich 3500 €. Ab dem 01.03.2017 ist der niṣāb somit erreicht. Wenn das Geld nun am 01.03.2018 immer noch brach liegt, muss zakāt bezahlt werden. Laut dem Buch darf man die 2500 € nicht zu den 1000 € dazuzählen, weil die 2500 € nicht aus den 1000 € entstanden sind. So hatte ich das zumindest verstanden. Heißt das also, dass, wenn man aus verschiedenen Quellen Geld bekommt, diese immer getrennt voneinander berechnen muss? Muss man dann jeweils ein Jahr warten? In diesem Falle entstehen viele zakāt-Termine, weil die Gelder ja an unterschiedlichen Tagen aus unterschiedlichen Quellen eingenommen worden sind.
Antwort:
1. Es liegt ein Missverständnis bei dir vor. Es stimmt zwar, dass die Berechnung der Jahresfrist beginnt, wenn das Vermögen den niṣāb (Mindest- oder Schwellenwert, ab dem die zakāt zu entrichten ist) erreicht, allerdings wird für die niṣāb– und dann für die zakāt-Berechnung das gesamte Vermögen herangezogen, also in deinem Beispiel: 2500 Euro + 1000 Euro = 3500 Euro. Für diese Gesamtsumme muss nach einem hiğrī-Mondjahr – nicht nach einem christlichen Sonnenjahr (!) –, in welchem die 3500 Euro bei dir gelegen sind, die zakāt bezahlt werden.
2. Außerdem liegt nach unserer Rechtsmeinung der niṣāb viel tiefer als von dir angenommen. Bekanntlich gibt es bei Geld zwei niṣāb-Grenzen: den von Silber und den von Gold.
Der niṣāb von Silber liegt bei 200 Silberdirhamen, das sind:
200 x 2,975g Silber pro Dirham = 595g Silber.
Von Gold liegt er bei 20 Golddinar, das sind:
20 x 4,25g Gold pro Dinar = 85 g Gold.
Da Silber im Verlauf der letzten Jahrhunderte gegenüber dem Gold stark an Wert verloren hat, ist – in Euro umgerechnet – der Silber-niṣāb heute viel niedriger als der des Goldes.
Konkret bedeutet das:
Gold-niṣāb:
1g Gold = 41,35 Euro. (Goldkurs vom 7. 8. 2017)
=> Gold-niṣāb: 85g x 41,35 Euro = 3514,75 Euro
Silber-niṣāb:
500g Silber = 297 Euro (Silberkurs vom 7.8.2017)
=> 1g Silber = 297/500 = 0,594 Euro
=> Silber-niṣāb: 595g x 0,594 Euro = 353,43 Euro
Nach unserer Rechtsmeinung muss der geringere von beiden herangezogen werden, also der niṣāb von Silber, da die zakāt kein freiwilliges Almosen ist, sondern ein Recht des Armen am Vermögen des Reichen darstellt. Der Erhabene sagt:
﴿وَالَّذِينَ فِي أَمْوَالِهِمْ حَقٌّ مَعْلُومٌ لِلسَّائِلِ وَالْمَحْرُومِ﴾
Und diejenigen, in deren Vermögensgütern ein festgelegtes Anrecht ist, für den Bittenden und den Unbemittelten. (70:24-25)
Derjenige, der einen Rechtsanspruch hat, ist islamrechtlich bevorzugt zu behandeln, es muss zu seinen Gunsten entschieden werden. Also ist der niedrigere der beiden niṣāb-Werte heranzuziehen.
Das bedeutet:
Ab einem Geldbetrag von 353 Euro, der ein hiğrī-Jahr bei dir gelegen ist, muss darauf zakāt entrichtet werden.
3. Um nun zu deinem Beispiel zurückzukommen. Wegen der viel niedrigeren niṣāb-Schwelle wollen wir das Zahlenbeispiel entsprechend niedrig ansetzen:
Am 1. 1. 2017 (hiğrī war es der 3. 4. 1438) hattest du 200 Euro. Das war dein gesamtes Vermögen. Sowohl das, was du auf all deinen Bankkonten hattest, als auch das, was sich in deiner Geldbörse, in deiner Hosentasche und sonst wo verstreut im Hause befindet.
Dieser Betrag liegt noch unter der niṣāb-Schwelle, also fällt keine zakāt darauf an.
Am 1. 3. 2017 (hiğrī war es der 3. 6. 1438) bekommst du aus irgendeiner Quelle (Gehalt, Erbschaft, Geschenk etc…) 200 Euro dazu.
Dein Gesamtvermögen beträgt nun 400 Euro.
Ein hiğrī-Jahr später, also am 3. 6. 1439 n. H., voraussichtlich wird das der 18. 2. 2018 sein (und nicht erst am 1. 3. 2018), fallen darauf 2,5 % zakāt an.
Also: 400×2,5/100 = 10 Euro zakāt.
4. Wenn du monatliche Geldeingänge hast, die dein Gesamtvermögen erhöhen (z. B. +300 Euro jeden Monat), so wären in der Tat für jeden dieser Mehrbeträge die zakāt zu entrichten, sobald dieser Mehrbetrag ein Jahr lang bei dir gelegen ist. D. h., du hättest laufend jeden Monat neue zakāt-Fälligkeitstermine für den Mehrbetrag, den du ein Jahr lang besessen hast. In unserem Beispiel wären das also: 300 Euro x 2,5/100 = 7,5 Euro zakāt, die jeden Monat zu entrichten wären.
Damit man sich diese komplizierte Rechnung erspart, einmal im Jahr die zakāt entrichtet und keine Sorgen hat, ist es am besten, zu einem fixen Termin jedes Jahr, den man nicht vergisst (z. B. 1. Ramadan, fiṭr-Fest oder Opferfest), auf das Gesamtvermögen, das man hat – egal wie kurz es bei einem gelegen ist -, die zakāt zu entrichten. Dann ist man sicher, dass man bereits im Vorhinein seine gesamte zakāt-Schuld bei Allah beglichen hat.
Beispiel: Am 1. Ramadan 1438 hattest du 500 Euro. Ein Jahr später, am 1. Ramadan 1439, ist dein Vermögen auf 1500 Euro gewachsen.
Nun entrichtest du auf die gesamten 1500 Euro zakāt, also: 1500 x 2,5/100 = 37,5 Euro.
Jetzt hast du Ruhe bis zum nächsten Ramadan 1440 n. H. und brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen, dass du Allah noch zakāt schuldest.
5. Die Frage von den gleichen bzw. verschiedenen Vermögensquellen, die du ansprichst, ist bei Herdentieren und heute vor allem bei Handelswaren-zakāt relevant.
Wie oben dargelegt, hat jeder Mehrbetrag an Vermögen, den du aus irgendeiner Quelle beziehst, eigentlich seinen eigenen zakāt-Fälligkeitstermin.
Nicht so, wenn sich das Mehrvermögen – wie z. B. bei Handelsware, Tierherden und was dem entspricht – aus dem Ursprungsvermögen selbst generiert hat.
Beispiel: Wenn ein Händler Handelsware im Wert von z. B. 20.000 Euro besitzt. Nach einem hiğrī-Jahr ist sein Warenvolumen durch gute Geschäfte gewachsen und beträgt nun 40.000 Euro. Der zakāt-Betrag, der nun fällig ist, ist der auf die gesamten 40.000 Euro, obwohl er den Großteil davon noch kein Jahr lang besessen hat. Aber da die Quelle des Vermögens ein und dieselbe ist und sich die 40.000 aus den ursprünglich 20.000 generiert haben, wird die zakāt auf die gesamten 40.000 Euro sofort fällig, nachdem auf die ursprünglichen 20.000 ein Jahr vergangen ist.
Wir hoffen, dass die Angelegenheit klargeworden ist.