Muslime sollten ihre Lektion aus den schwarzen Freiheitsbewegungen des 20. Jahrhunderts lernen, wenn sie das politische und mediale Narrativ über den Islam und die Muslime zu ändern beabsichtigen.
Die schwarzen Bürgerrechtsbewegungen bieten ebenso wie die Anti-Apartheidbestrebungen eine wichtige Lektion für alle die sich gegen Vorurteile und Diskriminierung einsetzen. Diese Beispiele demonstrieren eindrucksvoll die Macht der Berichterstattung, mittels derer Millionen für eine gemeinsame Sache vereinigt werden können. Die Welt lässt sich dadurch auf Wegen verändern, die kurze Zeit vorher noch unvorstellbar waren. Da sich die Muslime heutzutage einer immer stärker werdenden Islamophobie ausgesetzt sehen, ist es umso wichtiger von den Erfolgen dieser Bewegungen zu lernen.
Unter der Apartheid sind die schwarzen Menschen ausgeschlossen, in jedem Bereich des Lebens diskriminiert und den grundlegendsten Menschenrechten beraubt worden. Rückblickend erscheint es unmöglich abzustreiten, dass die Schwarzen in Amerika und Südafrika unterdrückt wurden und Anspruch darauf hatten, mehr Rechte einzufordern. Dies war nicht immer selbstverständlich. Für das Streben nach Rechten war es unabdingbar das rassistische Narrativ umzustoßen, und zwar nicht nur in den Augen der Welt, sondern auch in den Augen der Unterdrückten.
Apartheid und Rassentrennung sind die Erben derselben Rassentheorie, die ursprünglich Sklavenhandel und die Kolonialisierung Afrikas legitimiert hat. Eine Ideologie, die besagt, dass den „unzivilisierten schwarzen Untermenschen“ lediglich „Unterjochung und Versklavung“ gebührt. Das weiße Volk hatte diesem Narrativ nach ein natürliches, gottgegebenes Recht auf die Herrschaft über Afrika und seine Völker.
Selbst Menschen wie Malcolm X und Nelson Mandela mussten sich erst vom rassistischen Narrativ befreien. Beide dieser großen Führungspersönlichkeiten beschrieben in ihren Autobiografien, wie sie erst realisieren mussten, dass die Situation der schwarzen Bevölkerung keine normale Folge ihrer Minderwertigkeit war, sondern ein Unrecht, gegen das es sich zu erheben galt.
Mandela beschreibt seine Sichtweise als Junge: „Weiße erschienen mir so groß wie Götter und ich war mir darüber im Klaren, dass sie mit einer Mischung aus Respekt und Ehrfurcht zu behandeln sind.“ Er erklärt weiter: „Die Bildung, die ich bekam, war britisch. Sie ließ britische Vorstellungen, die britische Kultur und britische Institutionen überlegen erscheinen. So etwas wie afrikanische Kultur gab es nicht.“
Als Mandela in seinem letzten Schuljahr war, hörte er einen Dichter seines Stammes von der Großartigkeit des afrikanischen Volkes und der afrikanischen Kultur, sowie von ihrer Unterdrückung durch die Europäer sprechen. Mandela beschreibt seine und seines Freundes Reaktion darauf wie folgt: „Für mich war es wie ein Komet, der am Nachthimmel flog (…) Es ist schwierig, den Effekt, den das auf uns hatte, zu beschreiben. Es war als würde das Universum kopfstehen.“
Doch erst als er sich der Unabhängigkeitsbewegung anschloss und anfing aktiv zu werden, fühlte er, dass er endlich frei von den mentalen Ketten des Apartheidsnarrativs war.
„Die Kampagne befreite mich von jeglichen Zweifeln oder Minderwertigkeitsgefühlen, die ich innerlich vielleicht noch hegte. Ich befreite mich von dem Gefühl der Überwältigung durch die Macht und scheinbare Unantastbarkeit des weißen Mannes und seiner Institutionen. Ich konnte aufrecht laufen wie ein Mensch und jedem in die Augen sehen mit der Würde, die ich dadurch erlangte, dass ich mich nicht mehr von der Angst und Unterdrückung aufhalten lassen habe.“
Bei Malcolm X sehen wir eine noch dramatischere Entdeckung von Selbstrespekt und Würde. Malcolm beschreibt, wie er als junger Mann ein Opfer von Ignoranz und Selbsthass war, was so weit ging, dass er weiß aussehen wollte und schmerzhafte Chemikalien nutzte, um sich das Haar zu glätten. Sein Bruder war es, der ihm als erstes sagte: „Du weißt noch nicht einmal wer du bist.“ Dadurch realisierte er, dass ihm seine wahre Geschichte, Sprache, Kultur und Religion allesamt vom weißen Kolonialisten geraubt wurden, mitsamt seiner Freiheit. Er beschreibt diese Wahrheit als „wie ein blendendes Licht.“
Narrative
Ein Narrativ, wie das rassistische Narrativ, das Apartheid und Rassentrennung fördert, kann eine unsichtbare Bedrohung sein, die das ganze Machtkonstrukt zusammenhält. Deckt man diese Bedrohung auf, kann das gesamte System zu wackeln beginnen.
Narrative sind so mächtig, weil Geschichten so fundamental sind, dass Menschen sich daraus ihre Vorstellungen von der Welt ableiten. Geschichten verbinden verschiedene Gegebenheiten und Menschen auf eine bestimmte Art und Weise, wobei sie uns Helden und Schurken vorgeben, Probleme aufzeigen, die gelöst werden müssen, Happy Ends vorgeben, die es zu erstreben gilt und Werte vermitteln, nach denen wir leben sollen. Narrative sind ein unglaublich mächtiges Mittel um menschliche Handlungen zu lenken. Unsere Emotionen werden nicht durch kontextlose Fakten entfacht. Vielmehr bewegen Geschichten unsere Herzen und regen zum Handeln an.
Geschichten haben einen unglaublichen Effekt auf unsere Gedanken, der so weit reicht, dass Menschen erwiesenermaßen dazu neigen, Informationen auszublenden, die Narrativen in ihrem Kopf widersprechen. Laut Erkenntnissen der modernen Neurowissenschaften ist der Verstand des Menschen so strukturiert, dass er für Narrative empfänglich ist.
Die großen Führungspersönlichkeiten der Geschichte der Zivilrechtsbewegungen und der Anti-Apartheidbestrebungen verstanden die versteckte Macht des Narrativs und seine entscheidende Rolle im Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit. Steve Biko, die prominenteste Stimme des Black Consciousness Movement in der Zeit der Apartheid in Südafrika sagte:
„Die mächtigste Waffe in den Händen des Unterdrückers sind die Gedanken der Unterdrückten.“
Malcolm X beschrieb dies als „Onkel Tom-“ oder „Hausnegermentalität.“ Diese Art zu denken war ursprünglich die der Haussklaven – ausgewählte Diener, denen es viel besser ging als den schwarzen Massen, die in der Hitze auf den Plantagen leiden mussten: „Wenn du zu einem Hausneger gehen und sagen würdest: „Lass uns fliehen“ würde der Hausneger sagen: „Man, bist du verrückt? Wo soll ich ein besseres Haus als dieses finden? Wo soll ich bessere Kleidung als hier finden? Wo soll ich besseres Essen als hier finden?“ Und so nennen wir sie noch heute, denn wir haben immer noch einige Hausneger hier herumlaufen. Dieser moderne Hausneger liebt seinen Herrn.“
Malcolm war mit der Gabe gesegnet, die Situation der schwarzen Bevölkerung in scharfe Worte fassen zu können und mit ihnen die Täuschungen des rassistischen Narrativs zu durchbrechen. Er bereiste unermüdlich das ganze Land um Reden zu halten und Interviews zu geben. Er gab zu verstehen, dass die schwarzen Menschen nicht darum baten besser behandelt zu werden, sondern vielmehr ihre Rechte einforderten:
„Wenn du mir ein Messer neun Zentimeter tief in den Rücken stichst und es dann sechs Zentimeter herausziehst, ist das kein Fortschritt. Wenn du es ganz herausziehst ist es kein Fortschritt. Fortschritt ist die Wunde zu heilen, die der Stich verursacht hat. Und sie haben das Messer nicht herausgezogen, geschweige denn die Wunde behandelt. Sie würden noch nicht einmal zugeben, dass da ein Messer ist.“
„Wir erklären unser Recht ein menschliches Wesen zu sein, als solches respektiert zu werden, und die Rechte eines menschlichen Wesens in dieser Gesellschaft zu besitzen, auf dieser Erde, an diesem Tag, das werden wir durchsetzen – mit allen nötigen Mitteln.“
Black Power und Südafrika
Die Geschichte eines unterdrückten Volkes, das nach Rechten strebt wurde in Amerika und Südafrika von verschiedenen Führungspersönlichkeiten, Schreibern, Musikern, Künstlern und Aktivisten erzählt und wiedererzählt – bis sich Millionen daran beteiligten.
Unzählige Individuen leisteten ihren Beitrag auf vielen verschiedenen Wegen, wobei alle eine gemeinsame Geschichte verband – eine Geschichte, die so berühmt wurde, dass sie auch ohne Worte erzählt werden konnte, durch eine einfache Geste des Widerstands. Als 1968 der olympische Goldmedaillengewinner auf das Podium stieg und seine Faust zur „Black Power-Geste“ ballte, verstanden die Zuschauer das Narrativ.
„Wenn ich gewinne bin ich Amerikaner und kein schwarzer Amerikaner. Doch wenn ich etwas Schlechtes tat, dann würden sie sagen ich sei ein Neger. Wir sind schwarz und wir sind stolz darauf, schwarz zu sein. Das schwarze Amerika wird verstehen, was wir heute Nacht getan haben.“ (Tommy Smith, Goldmedaillengewinner)
Durch die Sicht des rassistischen Narrativs wurden die Athleten in den amerikanischen Medien als spaltende Unruhestifter dargestellt. Trotzdem war das Narrativ durch die schwarzen Bürgerrechtsbewegungen unglaublich machtvoll, denn es war die universelle Geschichte eines Volkes, das für seine Recht einstand, eine Geschichte mit dem Potenzial, von jedem verstanden und unterstützt zu werden, unabhängig von Rasse oder Nationalität. Bilder von der Siegerehrung und Medaillenverleihung der Olympischen Sommerspiele 1968 zeigen eins deutlich: ein weißer australischer Athlet trägt, ebenso wie zwei schwarze Athleten, eine Plakette mit der Aufschrift: „Olympic Project for Human Rights“. Damit zeigt auch dieser Solidarität für den Protest der Schwarzen.
Das Bild der „Black Power-Geste“ bei den Olympischen Spielen 1968 erreichte nicht nur Kultstatus, sondern auch Millionen von Menschen auf der ganzen Welt. Die Südafrikaner, die die Apartheid bekämpften, verstanden auch wie wichtig es war, ihre Geschichte der ganzen Welt zu erzählen. Der Afrikanische Nationalkongress (ANC) – jene Organisation im Mittelpunkt der Anti-Apartheidbestrebungen – schickte Oliver Tambo, einen von Mandelas engsten Freunden und Kollegen, ins Ausland, um ihre Geschichte zu verbreiten.
Von seiner Basis in London aus half Tambo, den Einfluss des ANC auf 27 Länder auszuweiten. Er bereiste die Welt und sprach über die Unterdrückung seines Volkes und ihre rechtmäßigen Forderungen. Diese Anstrengungen zum weltweiten Verkünden ihrer Geschichte der Freiheitsbestrebungen sind es letztendlich gewesen, die eine weltweite Solidaritätsbewegung nach sich gezogen haben, was dazu führte, dass Regierungen auf der ganzen Welt gezwungen waren, das Apartheidregime zu isolieren.
Heute steht vor dem Londoner Parlament eine Statue von Mandela, die seine Rolle als von allen respektierten Helden untermauert. Noch vor wenigen Jahren, vor dem Sieg des Afrikanischen Nationalkongress durch die ersten Wahlen in Südafrika, an denen Schwarze teilnehmen durften, und aus denen Nelson Mandela als erster schwarzer Präsident hervorging, wurde in jenem Parlament in London folgendes gesagt:
„Der Afrikanische Nationalkongress ist die klassische Terrororganisation (…) Jeder der denkt, dass sie die Regierung in Südafrika übernehmen können, lebt im Wolkenkuckucksheim.“ (in einem Märchenland, Anm. d. Autors). (Margaret Thatcher, 1987)
„Wie lange will sich die Ministerpräsidentin noch von diesem schwarzen Terroristen auf der Nase herumtanzen lassen.“ (Terry Dicks über Mandela, ehemaliger Ministerpräsident Großbritanniens)
„Nelson Mandela sollte erschossen werden.“ (Teddy Taylor)
Ein islamisches Narrativ
In den 1980er Jahren wurde Nelson Mandela im Westen gemeinhin als Terrorist angesehen. Heutzutage werden die Muslime als Terroristen angesehen. Die Geschichte, die häufig über die Muslime erzählt wird, ist, dass sie ein aggressives Volk sind, das der Welt eine unterdrückerische Religion aufzwingen will. Tatsächlich aber ist die Geschichte der Muslime die Geschichte eines Volkes, das seit Jahrzehnten kolonialisiert, gedemütigt und terrorisiert wird.
So sagte schon Malcolm X: „Wenn du nicht aufpasst, lassen dich die Zeitungen den Unterdrückten hassen und den Unterdrücker lieben.“
Hinsichtlich der Muslime hat sich ein negatives Narrativ durchgesetzt. Im besten Fall hören wir nur vereinzelt einige kleine aus dem Zusammenhang gerissene Fragmente der wahren Geschichte der muslimischen umma. Ein islamisches Narrativ fehlt. Weil andere uns definieren, kontrollieren sie auch unser politisches Schicksal.
Was aber ist dieses fehlende islamische Narrativ? Kurz gesagt, es ist das Narrativ unserer muslimischen Brüder und Schwestern, die heute in so vielen Ländern überall auf der Welt leiden. Es ist das Narrativ unserer großartigen Geschichte als ein Volk und unserer heiligen Pflicht gegen Ungerechtigkeit aufzustehen und unsere umma von diesen zu befreien und sodann zu alter Größe zu finden – den Fußstapfen unseres Propheten Mohammed (s) folgend.
﴿وَمَا أَرْسَلْنَاكَ إِلَّا رَحْمَةً لِّلْعَالَمِينَ﴾
Und Wir haben dich nur als Barmherzigkeit für die Weltenbewohner entsandt.[21:107]
Wir sollten nicht vergessen, dass das Leid der schwarzen Bevölkerung in Südafrika und Amerika schon viele Jahre im Gange war als die modernen Freiheitsbewegungen entstanden. Erst als ein Narrativ das politische Bewusstsein der Massen weckte und sich immer weiter verbreitete, so dass die Bestrebungen der Menschen sich vereinten, begann der wahre Kampf um ihre Freiheit vom Kolonialismus.
Die schwarzen Bürgerrechtsbewegungen und die Anti-Apartheidbestrebungen sind die besten Beispiele für die Macht eines Narrativs, das Millionen gewöhnlicher Menschen wachrüttelte und sie politisch für ihre Rechte und die Rechte anderer kämpfen ließ.
Wir sollten nie vergessen, dass Bestrebungen gegen jede Form der Unterdrückung ein Teil der Geschichte unserer umma sind. Die schwarzen Bürgerrechtsbewegungen wurden von Nachfahren der versklavten afrikanischen Muslime gegründet. Viele von ihnen sind gemeinsam mit Malcolm X zum Islam zurückgekehrt. Außerdem spielten, was selten Erwähnung findet, viele südafrikanische Muslime eine Schlüsselrolle im Sieg gegen die Apartheid.
Diese Geschichten sind Teil der Geschichte unserer umma, an die wir uns mit Stolz erinnern sollten. Doch sie sind kein abgeschlossenes Kapitel unserer Vergangenheit, sondern vielmehr eine eindringliche Lektion für uns in unserer aktuellen Notlage.