Konzeptionen Das Rassenkonzept der Aufklärung (Teil 3)

Das Rassendenken der Gegenwart ist unbestreitbar ein Erbe der Aufklärung. Der große Aufklärungsphilosoph Immanuel Kant teilte die Menschheit in vernunftbegabte und vernunftunbegabte Menschen ein.

Das Rassendenken der Gegenwart ist unbestreitbar ein Erbe der Aufklärung. Der große Aufklärungsphilosoph Immanuel Kant teilte die Menschheit in vernunftbegabte und vernunftunbegabte Menschen ein. Diese Einteilung orientiert sich nicht an den geistigen Fähigkeiten von Menschen, sondern resultiert aus den körperlichen Unterschieden der verschiedenen Völker, denen er Eigenschaften zuschrieb. Zentral ist bei ihm die Hautfarbe, auf deren Grundlage er vier Grundrassen konstruiert und wissenschaftlich zu belegen versucht: die weiße, die schwarze, die gelbe und die kupferrote Rasse. Weiße Nordeuropäer stehen in der Hierarchie der Menschenrassen an erster Stelle und erhalten positive Eigenschaften zugeschrieben, während vor allem die Schwarzen weit unten angesiedelt und mit negativen Merkmalen gebrandmarkt sind, wie etwa Dummheit und Faulheit. Sie seien außerdem von unterwürfiger Natur – somit ein Grund für die Vorherrschaft der Weißen.

Das auf Kants Rassenkonzept basierende Rassendenken ist bis heute weltweit verbreitet. In den USA wurde die Rassentrennung zwischen Schwarzen und Weißen erst 1964 gesetzlich aufgehoben, was aber nicht bedeutet, dass damit das Rassendenken endete. Vier Jahre nach der Abschaffung der Rassentrennung wurde der afroamerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King ermordet, weil er sich für die Rechte der Afroamerikaner einsetzte. Und noch heute existieren in den USA Gruppierungen, die die Idee von der Vorherrschaft der Weißen nicht aufgeben wollen, etwa der gefürchtete Ku Klux Klan, der weiterhin aktiv ist. Der Rassismus ist insgesamt ein großes Problem in den USA und unterscheidet sich kaum vom Rassismus des 18. Jahrhunderts. Sobald es durch Proteste Schwarzer gegen Diskriminierung und Unterdrückung in den USA zu Unruhen kommt, ist von Rassenunruhen die Rede, als gäbe es tatsächlich die Rasse der Weißen und die der Schwarzen. Um gegen die gravierende Diskriminierung zu protestieren, knien einige Spieler der National Football League seit der Saison 2016 anstatt zu stehen, während die Nationalhymne der USA gespielt wird. Dieses Verhalten löste eine Welle der Empörung aus und wurde als Respektlosigkeit gegenüber den USA ausgelegt, statt den vorhandenen Rassismus zu hinterfragen, der selbst vor Personen wie Michelle Obama, der Frau des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, keinen Halt macht, die als „Affe auf Absätzen“ bezeichnet wurde. Obwohl die Rassentrennung vor über 50 Jahren in den USA gesetzlich abgeschafft wurde, zeigen Statistiken, dass Schwarze in vielen Bereichen noch immer diskriminiert werden. Schwarze unterliegen einem größeren Risiko, von der Polizei kontrolliert und verhaftet zu werden. Wirtschaftlich und sozial geht es Afroamerikanern insgesamt schlechter als den Weißen. In Südafrika endete die Apartheid sogar erst 1994. Der Schwarze galt und gilt noch immer als Untermensch, so, wie ihn die Aufklärer in der Hierarchie der Menschenrassen einordneten. Ganz im Zeichen des Rassenkonzepts der Aufklärung äußerte sich 2016 auch der AfD-Politiker Alexander Gauland über den dunkelhäutigen Fußballspieler Jérôme Boateng, als er sagte: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ Diese Äußerung bezieht sich ausschließlich auf die Hautfarbe Boatengs.

Selbst die jüdische Philosophin Hannah Arendt, die Diskriminierung am eigenen Leib erfahren hatte und 1933 emigrierte, hatte das Rassenkonzept Kants verinnerlicht. Sie war strikt dagegen, dass schwarze und weiße Schüler gemeinsam unterrichtet werden, und setzte sich in den USA gegen die Aufhebung der Rassentrennung an Schulen ein. In „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ von 1951 schreibt sie: „Der biblische Mythos von der Entstehung des Menschengeschlechts wurde auf eine sehr ernste Probe gestellt, als Europäer in Afrika und Australien zum ersten Male mit Menschen konfrontiert waren, die von sich aus ganz offenbar weder das, was wir menschliche Vernunft, noch was wir menschliche Empfindungen nennen, besaßen, die keinerlei Kultur, auch nicht eine primitive Kultur, hervorgebracht hatten, ja, kaum im Rahmen feststehender Volksgebräuche lebten und deren politische Organisation Formen, die wir auch aus dem tierischen Gemeinschaftsleben kennen, kaum überschritten. […] Hier, unter dem Zwang des Zusammenlebens mit schwarzen Stämmen, verlor die Idee der Menschheit und des gemeinsamen Ursprungs des Menschengeschlechts, wie die christlich-jüdische Tradition des Abendlandes sie lehrt, zum ersten Mal ihre zwingende Überzeugungskraft, und der Wunsch nach systematischer Ausrottung ganzer Rassen setzte sich umso stärker fest.“ Die Äußerung Arendts gibt jenen Rassismus wieder, den Kant begründet hat. Sie spricht Afrikanern und den Ureinwohnern Australiens nicht nur menschliche Vernunft ab, sondern zeigt Verständnis für den „Wunsch nach systematischer Ausrottung ganzer Rassen“. Hannah Arendt gehört zu genau jenen Intellektuellen, die man trotz ihres offensichtlichen Rassismus nicht hinterfragen, sondern lieber feiern möchte.

Wie sieht es aber nun mit dem Rassismus gegen Muslime aus? Hat dieser Rassismus seine Wurzeln ebenfalls in der Aufklärung? Das Rassenkonzept lässt sich schwer auf die Muslime anwenden, weil man keine gemeinsamen körperlichen Merkmale hat, um sie als Rasse zusammenfassen zu können. Die Verbindung der Muslime erfolgt über ihre gemeinsame Überzeugung, nicht über ihre Volkszugehörigkeit. Gerade der Islam hat den Rassismus aufgehoben und eine Verbindung zwischen den Menschen hergestellt, die mit ihrer Herkunft in keinem Zusammenhang steht, sondern rational begründet ist und deshalb dauerhaft ist. Für Rassisten stellt das ein Problem dar, denn der Islam ist ihnen fremd und die Muslime werden als feindlich eingestuft. Der Begriff Rasse ist in Bezug auf die Muslime aber unbrauchbar. Deshalb kam der „Kampf der Kulturen“ ins Spiel, wie ihn der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel Huntington einführte. Der Rassismus gegen Muslime ist ein Kulturrassismus, der aber nach dem gleichen Muster funktioniert wie der klassische Rassismus. Den Muslimen werden negative Eigenschaften zugeschrieben, die jedoch nicht mit ihren körperlichen Merkmalen verknüpft werden, sondern mit ihrem Glauben, etwa wenn Sarrazin behauptet, dass Muslime dumm seien. Dieser antimuslimische Rassismus zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten und ist nicht nur auf so offensichtliche Rassisten beschränkt wie Sarrazin oder AfD-Politiker. Assoziationen wie Kopftuch und Unterdrückung, muslimischer Mann und Frauenfeindlichkeit, muslimische Frau und Zwangsheirat oder muslimischer Bartträger und Terrorist sind rassistische Normalität in Deutschland. Der antimuslimische Rassismus äußert sich auch darin, dass der Fokus grundsätzlich auf die Muslime gerichtet ist und sie als Minderheit permanent Thema in Politik und Medien sind. Die Aufmerksamkeit der Mehrheitsgesellschaft wird bewusst auf die Muslime gelenkt, um hervorzuheben, dass die Muslime sich vom Rest der Gesellschaft unterscheiden und nicht dazugehören.

Auch wenn Muslime nicht als Rasse bezeichnet werden können, erfahren sie Rassismus in seiner ganzen Bandbreite. Die Muslime wurden vom weißen Herrenmenschen genauso entmündigt wie jene Menschen, die Aufklärer wie Kant als minderwertige Rassen brandmarkten. Blickt man in die islamische Welt, so erkennt man, wie tief verwurzelt der Kolonialismus in den islamischen Ländern ist. Die westliche Fremdherrschaft wird dort durch die Marionettenherrscher kaschiert. Nicht ein einziges Staatsoberhaupt in der islamischen Welt regiert autonom und ohne die Leitlinien seiner Kolonialherren, die überall Diktatoren installiert haben und stützen, um eine Selbstherrschaft der Muslime zu verhindern. Der Arabische Frühling in den islamischen Ländern, bei welchem die Menschen versucht hatten, sich ihrer Diktatoren zu entledigen, wurde von westlichen Staaten sabotiert, die ihren Einfluss in der Region gefährdet sahen. Westliche Staaten setzten alle politischen und militärischen Hebel in Bewegung, um zu verhindern, dass die Muslime die kolonialen Ketten sprengen. Die Muslime werden immer wieder mit dem Argument unterdrückt, sie seien für eine Selbstherrschaft nicht bereit – für freie Wahlen seien sie noch nicht reif –, womit man ihnen verwehrt, ihr Regierungssystem und ihren Regenten selbst zu wählen. Ihnen wird politische Unmündigkeit unterstellt. Als 1991 in Algerien die ersten freien Wahlen stattfanden und die Islamische Heilsfront FIS als Sieger hervorging, unterstützte die Kolonialmacht Frankreich die algerische Militärführung, um die FIS zu zerschlagen, obwohl Frankreich offiziell seine Nichteinmischung bekundete. Dass sich die Muslime in Algerien mehrheitlich für die FIS entschieden hatten, wurde dahingehend gedeutet, dass sie für die Demokratie noch nicht reif gewesen seien. Der Kolonialismus als Methode des Kapitalismus macht sich diesen antimuslimischen Rassismus zunutze, damit die Kolonialmächte ihren Einfluss in der islamischen Welt aufrechterhalten und die Muslime weiter ausbeuten können. Während die Menschen im Westen für sich selbst eine Diktatur nie akzeptieren würden, erwarten sie, dass die Muslime die ihnen vorgesetzten Diktatoren stillschweigend dulden, und begründen dies mit einer Unreife der Muslime für die Demokratie. In Wahrheit geht es ihnen aber nur um die Vorherrschaft in der islamischen Welt und den uneingeschränkten Zugriff auf die dortigen Ressourcen.

Der Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit Muslimen findet nicht auf Augenhöhe statt. Ein anschauliches Beispiel für den antimuslimischen Rassismus ist der Fall des muslimischen CSU-Mitglieds Sener Sahin, der sich in Wallerstein als Kandidat zur Bürgermeisterwahl aufstellen lassen wollte. Der CSU-Ortsverband lehnte dies jedoch wegen des islamischen Glaubens Sahins mit dem Argument „Wir sind auf dem Dorf, und wir sind noch nicht so weit“ ab. Der Protest richtete sich explizit gegen die Religionszugehörigkeit des Bürgermeisterkandidaten. Dass man in Bayern anschließend darüber diskutierte, wie es grundsätzlich um die Möglichkeit muslimischer Bürgermeister steht, verdeutlicht, dass das Rassenkonzept der Aufklärung nie aufgegeben wurde und weiterhin präsent ist im Bewusstsein der Menschen.

Der Rassismus wird immer Teil einer Gesellschaft bleiben, die sich der Aufklärung verpflichtet hat und ihr Denken und Handeln darauf stützt. Die Menschen können sich von dem Rassenkonzept Kants nicht lösen, da dieser ihr Denken am stärksten prägte. Der Rassismus ist ein fester Bestandteil ihrer Ideengeschichte. Das rassistische Denken verschwindet nie, sondern äußert sich das eine Mal stärker, das andere Mal schwächer. Es bleibt aber immer vorhanden. Gegenwärtig stellen wir fest, dass der Rassismus an Stärke gewinnt und überhandnimmt. Erst kürzlich wurde auf das Bürgerbüro des schwarzen SPD-Abgeordneten Karamba Diaby geschossen, der zudem Morddrohungen erhielt. Der Rassismus richtet sich sogar gegen die eigene „Rasse“, etwa durch Morddrohungen gegen Politiker oder sogar durch deren Ermordung, wenn sie sich für Flüchtlinge einsetzen. Rechtspopulisten sind am Ende nicht Ursache, sondern nur Symptom des Rassismus, der auf Kant zurückgeht. Ein Verbot rechter Gruppierungen wie Combat 18 löst das Rassismusproblem nicht einmal ansatzweise, weil dadurch nicht das Rassenkonzept bekämpft wird. Damit sollen lediglich die besonders extremen Vertreter rassistischer Ideen in Schach gehalten werden. Am Rassismus des sogenannten Durchschnittsbürgers ändert das aber nichts. Wie sollte auch ein Rechtspopulist wie Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die Verbreitung rechter Ideen eindämmen, wo er doch selbst das Rassenkonzept verinnerlicht hat und danach handelt?

Teil 1: Das Rassenkonzept der Aufklärung (Teil 1)

Teil 2: Das Rassenkonzept der Aufklärung (Teil 2)