Geschichte Frankreichs Kolonialpolitik am Beispiel Algeriens (Teil 2)

Die Eroberung Algeriens im Jahr 1830 markiert den Anfangspunkt von Frankreichs zweitem Kolonialreich, nachdem es seine Kolonien auf dem amerikanischen Kontinent verloren hatte.

Die Eroberung Algeriens im Jahr 1830 markiert den Anfangspunkt von Frankreichs zweitem Kolonialreich, nachdem es seine Kolonien auf dem amerikanischen Kontinent verloren hatte. Deshalb war Algerien als Kolonie von besonderer Bedeutung. Frankreich war jedes erdenkliche Mittel recht, es dem Kalifat zu entreißen und nicht wieder aus den Händen zu geben. Die französische Kolonialpolitik in Algerien gehört zu den grausamsten und brutalsten der Geschichte und der Widerstand der algerischen Muslime war einer der erbittertsten. Der Widerstand der Muslime gegen die französische Kolonialherrschaft brach in über 130 Jahren nie ab, so dass Frankreich bis zuletzt alle erdenklichen Formen der physischen und psychischen Gewalt einsetzte, um den Widerstand zu brechen. Denn in der Sahara wurden große Erdölvorkommen entdeckt. Außerdem sollte sie als Testgebiet für die französische Atombombe dienen. Algerien war zudem Aushängeschild Frankreichs als Großmacht, die Afrika für sich beanspruchte. So eine Kolonie entlässt man nicht kampflos in die Unabhängigkeit. Frankreich setzte alles daran, seine Kolonie zu behalten, und führte einen der blutigsten Kolonialkriege des 20. Jahrhunderts gegen die Muslime. Im Jahr 1962 wurde Algerien schließlich in eine Scheinunabhängigkeit entlassen, während die politischen Fäden weiter in Frankreich gezogen wurden.

Es zieht sich wie ein roter Faden durch Frankreichs Geschichte, sich als Verteidiger von Recht und Freiheit aufzuspielen und im gleichen Atemzug die größten Menschenrechtsverbrechen zu begehen. Während Frankreich im Zweiten Weltkrieg zu den Alliierten gehörte und sich ebenfalls als Befreier feiern ließ, verübte es in Algerien zeitgleich ein großes Massaker. Jeder kennt den 8. Mai 1945 als den Tag der Kapitulation Hitler-Deutschlands und der Befreiung Europas von den Nazis, der jedes Jahr groß gefeiert wird. Aber es ist auch der Tag des grausamen Massakers von Sétif in Algerien, bei dem bis zu 45.000 Muslime niedergemetzelt wurden, weil sie demonstrierten und ihre Unabhängigkeit forderten. Denn während Europa im Freiheitsrausch war, sollten die Muslime in Algerien Knechte der Franzosen bleiben. Als in Sétif die Menschen ebenfalls auf den Straßen das Ende des Krieges feierten, da Tausende Algerier im Krieg gegen Deutschland mitgekämpft hatten, und ihre eigene Freiheit und Unabhängigkeit auf Spruchbändern forderten, ging die Polizei brutal gegen die Demonstranten vor. Es kam zu Ausschreitungen, woraufhin die Kolonialverwaltung das Militär anforderte und die französische Armee ein unvorstellbares Blutbad anrichtete, weil Frankreich jeden Drang nach Unabhängigkeit in seinen Anfängen unterdrücken wollte. Deshalb war die Reaktion auf die friedlichen Forderungen nach Freiheit auch so unverhältnismäßig. Französische Soldaten ließen sich von ortskundigen französischen Siedlern führen, zerrten willkürlich algerische Männer aus ihren Häusern, stellten sie in Reihen auf und erschossen sie mit ihren Maschinengewehren. Straßenzüge in Sétif sowie umliegende Dörfer wurden bombardiert und samt Bewohner völlig vernichtet. Diese Vernichtungsaktion ging bis zum 22. Mai. In Algerien gilt der 8. Mai seitdem als „Tag der Trauer“. Im Gedächtnis geblieben ist er aber als Tag der Befreiung mit Frankreich als Befreier.

Mit dem Algerienkrieg wollte Frankreich den Unabhängigkeitskampf endgültig niederschlagen und das Begehren nach Freiheit auslöschen. Das Kalifat existierte seit bereits dreißig Jahren nicht mehr, nachdem es die Kolonialmächte zerstört hatten, als mit dem Algerienkrieg, der 1954 ausbrach, das blutige Finale einsetzte. Auch im Algerienkrieg, der acht Jahre dauerte, zeigte das „zivilisierte“ Frankreich sein barbarisches Kolonialgesicht, das es bis heute trägt, wie man an dem amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron erkennen kann. Der ehemalige französische Präsident François Mitterrand, der während des Algerienkrieges Innenminister war, äußerte sich zum Widerstand der Algerier wie folgt: „Es gibt nur eine Verhandlung, das ist der Krieg!“ Um zu gewährleisten, dass der Kampf gegen die Muslime durch keine menschenrechtlichen Schranken behindert wird, erklärte Frankreich den Algerienkrieg einfach zu einem innerfranzösischen Konflikt. Es hatte Algerien bereits 1848 zu einem Teil des französischen Staates gemacht und in drei Departements eingeteilt. Damit umging Frankreich die Genfer Konvention zum Schutz von Zivilisten im Krieg. Der Algerienkrieg entpuppte sich schnell als Krieg gegen die Zivilbevölkerung, auch wenn es die Nationale Befreiungsfront FLN war, die den bewaffneten Kampf gegen die französische Kolonialmacht führte und zerschlagen werden sollte. Frankreich sah in jedem Zivilisten einen Unterstützer der „Aufständischen“ und ging brutal gegen die Muslime vor. Die Methoden des französischen Militärs, die im Algerienkrieg eingesetzt wurden, kennt man auch unter der Bezeichnung „Französische Doktrin“. Darunter fallen insbesondere Massenverhaftungen, systematische Folter und das Beseitigen Verdächtiger durch ihre illegale Tötung. Es handelt sich um das gefürchtete Verschwindenlassen von Personen als Methode der psychologischen Kriegsführung, um den psychischen Druck auf Angehörige zu erhöhen, weil man ihnen dadurch nicht nur einen Menschen nahm, sondern auch die Trauer um ihn verwehrte und sie im Ungewissen über dessen Schicksal ließ. Diese Methode kopierten auch die USA und wendeten sie beispielsweise im Vietnamkrieg an. Die „Französische Doktrin“ ist abgestimmt auf den Krieg gegen eine Zivilbevölkerung, wenn der Widerstand aus ihren Reihen kommt, kein Staat als Gegner vorhanden ist und herkömmliche militärische Methoden zwecklos sind.

Die Barbarei Frankreichs im Algerienkrieg vollzog sich sogar auf europäischem Boden mitten in Paris. Frankreich war inzwischen jede Zivilisiertheit und jedes Menschenrecht egal, wenn es nur seine Kolonie behalten und die Unabhängigkeit Algeriens verhindern konnte. Als am 17. Oktober 1961 Tausende Algerier friedlich für ihre Unabhängigkeit demonstrierten, erhielt die Pariser Polizei den Befehl, brutal gegen die Demonstranten vorzugehen. Auch an diesem Tag kam es zu einem Massaker, bei dem Muslime erschossen, erschlagen oder in die Seine geworfen und ertränkt wurden. Man kennt dieses Blutbad als Massaker von Paris, von dem nicht einmal die französische Presse berichtete. Es sollte keine Debatte über dieses Ereignis in der Öffentlichkeit aufkommen.

Frankreich beging im Laufe seiner Kolonialgeschichte ebenso schwerwiegende Verbrechen wie die Nazis – auch Internierungslager für Muslime gehörten dazu –, doch diese menschenverachtenden Gräuel werden der Welt bewusst vorenthalten und die Zahl der muslimischen Opfer durch die französische Kolonialpolitik heruntergespielt.

Die Kolonialgeschichte Algeriens und der Algerienkrieg als Teil dieser Kolonialgeschichte sind kein fester Bestandteil des Geschichtsunterrichts, damit die Geschichte sich nicht wiederholt, wie man es von der Verfolgung der Juden kennt. Man tut vielmehr so, als hätte es all das nie gegeben, denn sonst könnte die Öffentlichkeit das Unrecht realisieren und Sympathie und Mitgefühl für die Muslime empfinden. Wie könnte Frankreich die Muslime als Feindbild missbrauchen, wenn es in Frankreich eine Erinnerungspolitik an die blutige französische Kolonialpolitik gäbe? Kolonialmächte wie Frankreich profitieren von der historischen Unwissenheit und dem Desinteresse an dem Schicksal der Muslime, da sie international nicht zur Verantwortung gezogen werden und den Spieß sogar umdrehen. Nur eine Kolonialmacht maßt sich an, für die Ermordung eines Lehrers durch einen Einzeltäter alle Muslime zu Mittätern zu erklären und mit Konsequenzen zu drohen, während sie allein im Algerienkrieg 1,5 Millionen Muslime massakriert hatte. Dieser Krieg gibt nur 8 Jahre der 130-jährigen Kolonialgeschichte und der Verbrechen Frankreichs an den Muslimen wieder. Und Algerien ist nicht das einzige islamische Land, das französische Kolonie war.