„Mein Herr, ich werde Ihre Ansichten bis an das Ende meines Lebens mit allen Mitteln bekämpfen, aber ich werde immer mein Leben dafür einsetzen, dass Sie diese Ansichten jederzeit äußern können.“ So oder so ähnlich soll sich der einflussreichste Aufklärungsphilosoph Voltaire in Bezug auf die Meinungsfreiheit geäußert haben. Der Voltaire zugeschriebene Ausspruch ist ein beliebtes Zitat, wenn es um das Thema Meinungsfreiheit geht, aber er wird, wenn es sich um die Meinung von Muslimen handelt, in sein Gegenteil verkehrt. Die Meinung von Muslimen wird politisch bekämpft und es werden permanent Strategien erarbeitet, damit sie ihre islamischen Ansichten nicht äußern können, ohne gleichzeitig in Verdacht zu geraten, dass man damit selbst der Meinungsfreiheit widerspricht, die man eigentlich verteidigen möchte. Genau das versucht Frankreich, das seine Idee vom Laizismus für universell erklärt und niemandem erlaubt, eine Meinung zu vertreten, die eine Ablehnung dieser Idee beinhaltet. Frankreich fühlt sich allein dadurch bedroht, dass Muslime die Trennung von Staat und Religion für falsch halten, auch wenn niemand vorhat oder dazu aufruft, den Laizismus in Frankreich abzuschaffen.
Die eigene Unfähigkeit, andere Meinungen zu akzeptieren, wird dadurch kaschiert, dass man eine Situation schafft, in der man demonstrieren kann, dass der andere die Meinungsfreiheit missachtet und gefährdet. Die „Charlie Hebdo“-Karikaturen haben sich zu einem Instrument gegen Muslime entwickelt. Durch deren regelmäßige Veröffentlichung sollen Muslime dazu gebracht werden, dagegen zu protestieren, um dann sagen zu können, die Muslime seien eine Gefahr für die Meinungsfreiheit. Die Karikaturen, die einen heiligen Charakter angenommen haben und mit laizistischem Fanatismus verteidigt werden, dienen inzwischen ausschließlich diesem Zweck. In Frankreich dürfen Muslime ihre Meinung, dass sie gegen die Karikaturen und ihre Veröffentlichung sind, nicht äußern, ohne beschuldigt zu werden, terroristische Ambitionen zu haben.
Frankreich ist im Begriff, die Meinung von Muslimen mit einem neuen islamfeindlichen Gesetz zu guillotinieren. Längst geht es nicht mehr um Begriffe wie Islamismus, um den Kampf gegen die Muslime zu rechtfertigen. Der Begriff Islamismus wurde ganz bewusst weggelassen. Man suggeriert den Muslimen nicht mehr, dass man nur die „Bösen“ und „Gewaltbereiten“ unter ihnen bekämpfen wolle. Das neue Islamgesetz, das mit der Ermordung Samuel Patys oder den Anschlägen in Nizza nichts zu tun hat und längst geplant war, richtet sich gegen alle Muslime und soll sie in der Ausübung ihres Glaubens und der Äußerung ihrer Meinung einschüchtern, indem man ihnen deutlich macht, dass man sie alle im Fokus hat.
Frankreich beweist damit einmal mehr, dass Laizismus nicht die Trennung von Staat und Religion bedeutet, sondern die Unterdrückung religiöser Minderheiten durch den Staat. Die meisten bedenken nicht, dass auch ein laizistischer Staat totalitär sein kann, und meinen, der Laizismus sei über jeden Zweifel erhaben. Als beispielsweise Mustafa Kemal Atatürk die Türkische Republik ausrief und den Laizismus einführte, tat er dies als Diktator und setzte den Laizismus mit reiner Terrorherrschaft gegen die muslimische Bevölkerung durch. Dieser Aspekt wird gerne übersehen, weil es beim Laizismus hauptsächlich um die Unterdrückung des Islam geht. Unter dem Deckmantel des Laizismus macht Frankreich schon sehr lange Propaganda gegen die Muslime und hält ein islamfeindliches Klima aufrecht. Die hochgepriesene Neutralität des Staates gegenüber den Religionen existiert in Bezug auf den Islam nicht. Bereits das Kopftuchverbot aus dem Jahr 2004 wurde mit dem Argument der Verteidigung des Laizismus eingeführt.
Zunächst hieß der Gesetzestext „Gesetz gegen Separatismus“. Mit dem Gesetz unterstellt die französische Regierung den Muslimen, jenseits von Recht und Ordnung in einer Parallelgesellschaft zu leben und sich nicht an französische Gesetze zu halten. In Wahrheit geht es aber um die islamische Lebensweise. Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin sieht einen gefährlichen Separatismus bereits darin, dass es in Supermärkten eigene Abteilungen für Halal-Lebensmittel gibt. Es ist ein Gesetz, dass explizit auf Muslime zugeschnitten ist, die Gesellschaft in Muslime und Nichtmuslime spaltet und Muslime zu Menschen zweiter Klasse abstempelt. Damit suggeriert man, dass Muslime im Gegensatz zum „normalen Franzosen“ einer speziellen gesetzlichen Behandlung bedürfen. Der unbescholtene Nichtmuslim steht dem verdächtigen Muslim gegenüber. Um diesen Vorwurf zu entkräften, nannte man das Gesetz um in „Gesetz zur Stärkung republikanischer Prinzipien“. Es richte sich gegen alle Tendenzen, die die Werte der Republik gefährden würden. Doch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron weist immer wieder darauf hin, dass es gerade der „radikale“ Islam sei, der die Werte der Republik bedrohe. Macron vermittelt mit seinen islamfeindlichen Äußerungen und dem Islamgesetz den Eindruck, als sei die Französische Republik akut bedroht durch „radikale“ Muslime, die sich in ihren „Ghettos“ – als wäre die Ghettoisierung nicht die Schuld des Staates – gegen die Republik verschwören würden, um die Kontrolle zu übernehmen. Stadtviertel mit hohem muslimischen Anteil werden als Enklaven von Islamisten dargestellt und eine bevorstehende Eroberung von Frankreich durch Muslime suggeriert. Macron spricht sogar von „republikanischer Rückeroberung“ von Vierteln, als handle es sich um eine Reconquista.
Darauf haben die Rechten nur gewartet und es überrascht nicht, dass das geplante Gesetz zur Diskriminierung der Muslime in Frankreich auch in Deutschland von der AfD beklatscht wurde. Macron versucht sich unter anderem durch eine radikale islamfeindliche Politik bei den Rechten beliebt zu machen und sichert sich damit für die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2022 die Stimmen der Rechten. Er muss mit Marine Le Pen mithalten können und das geht am besten, wenn er die Angst gegen Muslime schürt und Härte ihnen gegenüber demonstriert. Auf diese Weise macht er sich für die Rechten wählbar.
Die französische Regierung mag vielleicht abstreiten, dass sie den Islam im Visier hat, aber das Islamgesetz – auch wenn der Gesetzesentwurf angeblich kein Islamgesetz sein soll – dient der verstärkten Kontrolle von Muslimen. Konkret heißt das, dass sie überwacht werden. Für Muslime wird Frankreich also zum Überwachungsstaat. Moscheen und islamische Vereine werden kontrolliert, ihre Finanzierung wird eingeschränkt, Imame sollen nur noch in Frankreich ausgebildet werden, Muslime sollen ihre Kinder nicht mehr zuhause unterrichten dürfen, obwohl in Frankreich Heimunterricht erlaubt ist, usw. Das Gesetz wirft viele Fragen auf. Was heißt es beispielsweise, wenn islamische Vereine sich in Zukunft zum „Respekt republikanischer Werte“ verpflichten müssen? Der Staat kann diese schwammige Formulierung willkürlich gegen die Muslime einsetzen und alles Mögliche darunter fassen und islamische Vereine jederzeit verbieten. Für Außenstehende sieht es aus, als würden sich die Muslime in Vereinen organisieren oder aber ihre Kinder aus der Schule nehmen und zuhause unterrichten, um die Republik zu stürzen. Gerade für den Heimunterricht können die unterschiedlichsten Gründe vorliegen, etwa die Entscheidung, dass die eigenen Kinder nicht zu früh mit dem Sexualkundeunterricht konfrontiert werden oder aber mit der Evolutionstheorie, was auch bei christlichen Eltern der Fall ist. Es kann auch sein, dass Kinder aus der Schule genommen werden, weil sie gemobbt werden. Warum unterstellt man den muslimischen Eltern, dass sie ihre Kinder zuhause unterrichten möchten, um sie zu Bombenlegern zu erziehen? Es sind durchweg repressive Maßnahmen die auf kein friedliches Miteinander abzielen, sondern den Hass auf Muslime und das Misstrauen gegen sie schüren.