Interviews Interview mit einem Vertreter des Medienbüros von Hizb-ut-Tahrir im deutschsprachigen Raum zum hundertsten Jahrestag der Zerstörung des Kalifats – Teil 4

Bei dem folgenden Interview handelt es sich um den vierten Teil einer Interviewreihe anlässlich des hundertsten Jahrestages der Zerstörung des Kalifats.

Bei dem folgenden Interview handelt es sich um den vierten Teil einer Interviewreihe anlässlich des hundertsten Jahrestages der Zerstörung des Kalifats. Die Interviews sind Teil der globalen Kampagne von Hizb-ut-Tahrir, die ins Bewusstsein rufen soll, dass es sich bei dem Kalifat um ein vitales Interesse, ja um die Schicksalsfrage der Umma handelt. Die Kampagne soll einen Impuls aussenden und bei den Muslimen das Bestreben wecken, sich nach Kräften für die Wiedererrichtung des rechtgeleiteten Kalifats einzusetzen.

Kalifat.com: As-salamu aleykum wa rahmatullahi wa barakatuh! Herzlich willkommen lieber Bruder. Heute treffen wir uns zum letzten Gespräch unserer vierteiligen Interviewreihe, um im Rahmen der globalen Kampagne von Hizb-ut-Tahrir über das Kalifat zu diskutieren. Ich steige direkt mit der ersten Frage ein: Wie überführen wir die von dir skizzierten Ideen in staatliche Strukturen? Was ist der praktische Weg zum Kalifat?

Mediensprecher: Wa aleykum as-salam wa rahmatullahi wa barakatuh! Zunächst möchte ich hier noch einmal eindringlich auf unsere Grundprämisse hinweisen. Unser gesamtes Verhalten muss durch den islamischen Rechtsspruch gedeckt und auch geleitet sein. In einer Welt, in der die Gefahr groß ist, auf bestehende politische Strukturen und falsche Ideen zurückzugreifen, benötigen wir starke und integre Persönlichkeiten, die kompromisslos am islamischen Rechtsspruch festhalten. Weder lassen sie sich einschüchtern noch lassen sie sich durch falsche Versprechungen verführen und vertrauen voll und ganz auf Allah (swt). Die Persönlichkeiten von denen ich spreche, sind Muslime, die die Lösung im Islam und nur im Islam suchen.

Der Erhabene sagt:

﴿مِنَ الْمُؤْمِنِينَ رِجَالٌ صَدَقُوا مَا عَاهَدُوا اللَّهَ عَلَيْهِ ۖ فَمِنْهُمْ مَنْ قَضَى نَحْبَهُ وَمِنْهُمْ مَنْ يَنْتَظِرُ ۖ وَمَا بَدَّلُوا تَبْدِيلًا

Unter den Gläubigen gibt es Männer, die das wahr gemacht haben, wozu sie sich Allah gegenüber verpflichteten. Unter ihnen gibt es manche, die ihr Gelübde erfüllt haben; und unter ihnen gibt es manche, die noch ausharren. Und sie haben keinerlei Änderung vorgenommen.[33:23]

Nur Muslime, die ihr gesamtes Handeln, ihre Gebete, ihr Leben und ihren Tod Allah (swt) widmen, werden im Stande sein, dem Prophetenplan gerecht zu werden.

Allah (swt) sagt:

﴿قُلْ إِنَّ صَلاتِي وَنُسُكِي وَمَحْيَايَ وَمَمَاتِي لِلَّهِ رَبِّ الْعَالَمِينَ * لا شَرِيكَ لَهُ وَبِذَلِكَ أُمِرْتُ وَأَنَا أَوَّلُ الْمُسْلِمِينَ

Sprich: „Mein Gebet, meine Opfer, mein Leben und mein Tod gehören Allah, dem Herrn der Welten. Er hat niemanden neben Sich. Also ist mir geboten, und ich bin der Erste der Gottergebenen.“[6:162-163]

Kalifat.com: Was müssen die hier beschriebenen Gläubigen machen, um das Kalifat auf dem Wege des Prophetentums errichten zu können?

Mediensprecher: Da die klassischen Gelehrten stets in einer islamischen Gesellschaft gelebt haben, mussten sie sich nicht mit der grundlegenden Veränderung der Gesellschaft und der dahingehenden Ableitung von Rechtssprüchen befassen. Daher müssen wir uns – bzw. die Gelehrten der heutigen Zeit – direkt mit den Quelltexten auseinandersetzen, die für unsere heutige Situation maßgeblich sind. Ich gebe hier zu bedenken, dass die Veränderung der Gesellschaft in der islamischen Geschichte ein bis dato singuläres Ereignis darstellt. Es waren der Gesandte (s) und seine Gefährten, welche die damalige Gesellschaft fundamental und revolutionär veränderten. Es ist dieser Weg, den es auch in der heutigen Zeit zu beschreiten gilt.

Allah (swt) sagt:

﴿لَقَدْ كَانَ لَكُمْ فِي رَسُولِ اللَّهِ أُسْوَةٌ حَسَنَةٌ لِمَنْ كَانَ يَرْجُو اللَّهَ وَالْيَوْمَ الْآخِرَ وَذَكَرَ اللَّهَ كَثِيرًا

Es ist euch im Gesandten Allahs ein schönes Vorbild gegeben worden für den, der auf Allah und den Jüngsten Tag hofft und Allahs oftmals gedenkt.[33:21]

Die Gläubigen haben also keine andere Wahl, außer sich an diesem Vorbild zu orientieren. Und ich möchte eines ganz deutlich sagen; selbst wenn es andere Wege gäbe, die theoretisch plausibel oder geeignet erscheinen, gilt die Rechtsregel „Die Grundlage in den Handlungen ist der islamische Rechtsspruch“. Allah (swt) sagt:

﴿وَمَا كَانَ لِمُؤْمِنٍ وَلَا مُؤْمِنَةٍ إِذَا قَضَى اللَّهُ وَرَسُولُهُ أَمْرًا أَنْ يَكُونَ لَهُمُ الْخِيَرَةُ مِنْ أَمْرِهِمْ ۗ وَمَنْ يَعْصِ اللَّهَ وَرَسُولَهُ فَقَدْ ضَلَّ ضَلَالًا مُبِينًا

Weder einem gläubigen Mann noch einer gläubigen Frau bleibt, wenn Allah und Sein Gesandter eine Sache entschieden haben, in ihrer Angelegenheit noch eine Wahl. Und wer sich Allah und Seinem Gesandten widersetzt, der ist deutlich in die Irre gegangen.[33.36]

Der erste Schritt besteht also darin, volles Vertrauen in die islamischen Rechtssprüche zu entwickeln und keinen Millimeter von ihnen abzuweichen. Allah (swt) wird uns nur zum Erfolg führen, wenn wir uns kompromisslos dem ergeben, was er für uns bestimmt hat.

Kalifat.com: Eine starke Persönlichkeit und das Vertrauen auf Allah (swt) vorausgesetzt – wie sieht nun der Weg des Gesandten (s) zur Veränderung der Gesellschaft aus, den wir befolgen müssen?

Mediensprecher: Nachdem es dem Gesandten (s) nach Beginn der Offenbarung gelang, einige Individuen von der ʿaqīda zu überzeugen, begann er, seine Gefährten zu islamischen Persönlichkeiten zu formen. Um den Gesandten (s) bildete sich also ein Block, der bereits in dieser Phase auf die Auseinandersetzung mit der nichtislamischen Gesellschaft vorbereitet wurde. Allein durch die semantische Bedeutung des Glaubensbekenntnisses, der šahāda, erkannten sie den gesamtgesellschaftlichen Geltungsanspruch des Islam, da sie Allah (swt) nicht nur als Schöpfer, sondern auch als einzigen Souverän begriffen. Mit dieser Einstellung sind sie schließlich an die Mekkaner herangetreten und stellten die Legitimität der gesellschaftspolitischen Verhältnisse in Abrede. Die Götzendienerei, die Sitten und Traditionen, die Moralvorstellungen, das Stammesdenken, die politischen und ökonomischen Machtverhältnisse – all diese Dinge wurden von ihnen als dekadente und willkürliche Strukturen entlarvt; als Frevel gegenüber dem Schöpfer. Gleichzeitig haben sie den Menschen den Islam als alternative Weltanschauung und normative Ordnung nahegelegt, um in der Gesellschaft ein Umdenken zu bewirken. An dieser Stelle muss betont werden, dass der Gesandte (s) und die Gefährten diese Auseinandersetzung öffentlich austrugen. Sie haben also einen öffentlichen Diskurs angestoßen, der die gesamte Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttert hat! Insgesamt ging es also nicht darum, einzelne Individuen zu verändern, sondern um die kollektive Ordnung und darum, ihr eine völlig neue Gestalt zu verleihen. Nicht ohne Grund haben vor allem die Führungspersonen Mekkas äußerst feindselig reagiert. Als sie verstanden, dass Muḥammad (s) nicht einfach nur eine weitere Religion predigte, sondern einen gesamtgesellschaftlichen Geltungsanspruch formulierte, erklärten sie ihm regelrecht den Krieg – und dies, obwohl die Muslime keine Gewalt anwendeten. Anstatt den bewaffneten Kampf gegen die Mekkaner aufzunehmen, suchte der Gesandte (s) aktiv die Meinungsführer und Entscheidungsträger der arabischen Stämme auf, um sie von der Wahrheit des Islam zu überzeugen und sie dazu zu bewegen, ihn zu unterstützen. Dabei ging es nicht darum, die vorhandenen Stammesstrukturen zu nutzen und sich in eine bestehende Hierarchie einzufügen. Viel mehr verlangte der Gesandte (s) von ihnen, den Geltungsanspruch des Islam vollständig anzuerkennen und ihre Macht zu nutzen, um diesen auf staatspolitischer Ebene zu materialisieren. Konkret verlangte er also die bestehende Ordnung abzuschaffen und durch einen islamischen Staat – in dem der Gehorsam Allah (swt) und seinem Gesandten (s) gebührt – zu ersetzen. Weiter verlangte er von ihnen uneingeschränkte Loyalität und die Bereitschaft, diesen Staat mit ihrem Leben zu verteidigen. Dies wird aus der zweiten baiʿat al-ʿAqaba und den diesbezüglichen Überlieferungen deutlich. So schworen die Vertreter der medinensischen Stämme Aus und Ḫazrağ dem Gesandten (s) die Treue und gelobten, ihn gegen alle Feinde zu verteidigen, selbst wenn dies zum Verlust ihres Vermögens und zum Tode führen sollte. Auf dieser Grundlage – also der Loyalitätserklärung der Stämme sowie der affirmativen öffentlichen Meinung in Medina – vollzog der Gesandte (s) die hiğra und gründete den Islamischen Staat.

Mediensprecher: Gut, aber wie übertragen wir das in die heutige Zeit? Wir sind ja mit Gesellschaften konfrontiert, die nicht dem damaligen Mekka und Medina gleichen.

Kalifat.com: Natürlich können wir die Dinge nicht eins zu eins übereinanderlegen, vielmehr müssen wir in der Vorgehensweise des Gesandten (s) jene Aspekte erkennen, die einen überzeitlichen Charakter haben und auf Mechanismen abstellen, die in allen Gesellschaften identisch und von zentraler Bedeutung sind. Auch in der heutigen Zeit sind Gesellschaften durch weltanschauliche Ideen geprägt – also durch moralische, kulturelle und politische Vorstellungen, die im Normalfall den Unterbau für die normative Ordnung der jeweiligen Gesellschaft bilden. Auch gibt es in jeder Gesellschaft Machtstrukturen und Personen, die über die materielle Gewalt im Staat verfügen. Ob dies nun Stämme, Militärs oder besonders einflussreiche Persönlichkeiten sind, ist zweitranging, da sie alle über das qualitative Merkmal verfügen, durch ihre Positionierung die Machtverhältnisse entscheidend verändern zu können. Wenn wir nun auf die islamische Welt blicken, sehen wir, dass sich die Menschen in ihrer überwältigenden Mehrheit oder sogar in ihrer Gesamtheit zum Islam bekennen. Es geht primär also nicht darum, sie zur Annahme des Islam zu bewegen. Nichtsdestotrotz sind viele von westlichen Ideen affektiert und verfügen über kein klares Bewusstsein über die gesellschaftspolitische Dimension des Islam. Dieses kollektive Phänomen ist der kulturellen Hegemonie des Westens geschuldet – darüber hatten wir bereits gesprochen. Auch sehen wir nationalstaatliche Strukturen, die der islamischen Weltanschauung diametral entgegenstehen und durch korrupte Herrscher als Unterdrückungsinstrumente gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden. Um diesen Status Quo grundlegend zu verändern, gilt es, dem Vorbild des Gesandten (s) folgend, einen Block von Muslimen zu bilden, der sich intellektuell und charakterlich auf die öffentliche Auseinandersetzung vorbereitet. Schließlich wird dieser Block politisch aktiv und entlarvt die unislamische Natur der vorherrschenden Ideen und Strukturen, um diesen den gesellschaftlichen Rückhalt vollständig zu entziehen. Diese Auseinandersetzung – also die intellektuelle Auseinandersetzung und der politische Kampf – manifestiert sich in öffentlichkeitswirksamen Aktionen, die auf die nachhaltige Veränderung der öffentlichen Meinung abzielen. Gleichzeitig wird den Menschen der umfassende Charakter des Islam veranschaulicht, sodass sich in der Gesellschaft ein Bewusstsein, ja ein Begehren nach der vollständigen Implementierung der Scharia bildet. Dies ist Grundlage für die Machtübernahme der Umma und die Wiedererrichtung des Kalifats, da die vorherrschenden Ideen nun islamischer Natur sind und sich dies auch in der normativen Ordnung der Gesellschaft widerspiegeln muss. Es bildet sich ein immer stärker werdendes Spannungsfeld zwischen der islamischen Bevölkerung und den Herrschenden, das sich zum Beispiel durch revolutionäre Impulse und Aufstände entlädt. Da sich Teile des Machtapparates dem politischen Willen der Bevölkerung in der Regel nicht fügen, geht der Block bzw. die Partei dazu über, diejenigen zu überzeugen, die über ausreichend materielle Macht verfügen, um das jeweilige Regime durch eine gezielte Aktion zu stürzen. Dabei kann es sich, wie gesagt, um Stammesführer aber auch um Militärs oder andere Schlüsselpersonen handeln. Durch einen erfolgreichen Umsturz erlangt die Umma ihre politische Autorität und setzt durch die baiʿa einen Kalifen ein, der ihre Angelegenheiten durch die vollständige Implementierung der Scharia regelt und sich auf innen- sowie außenpolitischer Ebene bedingungslos für die Wahrung ihrer Interessen einsetzt. Dies ist der klare Weg; der Weg zum Kalifat, auf dem Hizb-ut-Tahrir voranschreitet und von dem die Partei mit der Erlaubnis Allahs (swt) niemals abweichen wird.

Kalifat.com: Die Partei strebt also nicht einfach eine Machtübernahme an, sondern arbeitet zunächst an den gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Gründung des Kalifats?

Mediensprecher: Richtig. Wir sind nicht der Auffassung, dass die Gründung des Kalifats eine reine Machtfrage darstellt, denn um ein tatsächlich nachhaltiges System aufzubauen, muss sich die Bevölkerung mit diesem System identifizieren und das Kalifat als ihren Staat begreifen. Es geht also nicht darum, einen Staat für die eigene oder sonst irgendeine Gruppe zu gründen. Es geht um den Islamischen Staat – einen Staat, mit dem sich alle Muslime identifizieren können, unabhängig davon, welcher Gruppierung, Strömung oder Rechtsschule sie angehören. Hizb-ut-Tahrir verfolgt in diesem Sinne also keine top-down-Strategie. Auch sind wir nicht der gefährlichen Utopie verfallen, das in einem solchen Staat alle Muslime in ihrem Denken und Handeln gleichgeschaltet werden können oder sollten. Viel mehr geht es um einen ordnungspolitischen Rahmen, der dem gemeinsamen Nenner aller Muslime entspricht. Dies spiegelt sich auch in unserer gegenwärtigen Kommunikation wider, die eben nicht auf konfessionelle Bruchlinien fokussiert, sondern ein allgemeines Bewusstsein und die öffentliche Meinung als Voraussetzung für die praktische Implementierung der Scharia generieren soll. Es geht uns also nicht darum, jedes Individuum zu einem Experten im islamischen Recht auszubilden. Auch muss sich nicht jeder mit sämtlichen Zweigfragen der ʿaqīda und den diesbezüglichen Denkschulen auskennen. Eine daʿwa, die darauf abzielt, alle Muslime zu einem Teil der eigenen Denkschule zu machen, geht in der Regel mit unzähligen Wiederlegungen und Debatten einher, die nicht die Einheit der Muslime fördern, sondern bestehende Gräben oftmals weiter vertiefen. Uns geht es nicht um eine solch utopische Einheit, um die Gleichschaltung aller Muslime; uns geht es um die politische Einheit der Umma! Und um diese in staatliche Strukturen überführen zu können, müssen wir auf unsere Gemeinsamkeiten fokussieren und den tatsächlichen Feind erkennen – die kulturelle und politische Hegemonie des Westens. Diese gilt es gemeinsam zu überwinden und schließlich eine politische Struktur aufzubauen, in der sich alle Muslime und selbst Nichtmuslime aufgehoben und gerecht behandelt fühlen.

Kalifat.com: Gehen wir mal davon aus, dass es gelingt, ein solches Kalifat zu gründen. Würde dieses nicht umgehend von anderen Staaten attackiert werden? Hätte eine solche Struktur – die ja mit den Regeln der internationalen Staatengemeinschaft bricht – überhaupt eine realistische Überlebenschance?

Mediensprecher: Darauf antworte ich mit einer Gegenfrage. Konnte die Umma in den letzten 100 Jahren besiegt werden? Wurden die Umma und der Islam vernichtet? Selbst ohne Staat leistet die Umma Widerstand – und das sowohl auf intellektueller als auch auf materieller Ebene. Nachdem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Ideen wie der Säkularismus, Nationalismus, Liberalismus und der Sozialismus um sich gegriffen haben, ist die Umma in den darauffolgenden Jahrzehnten sukzessive zu ihrer islamischen Identität und Lebensweise zurückgekehrt. Obwohl sie auf politischer, medialer, schulischer und universitärer Ebene mit fremden Anschauungen und Ideen regelrecht überflutet wurde, hat sich in vielen Regionen ein islamisches Bewusstsein entwickelt. Ich erinnere mich an eine recht aktuelle Veröffentlichung des Pew Research Centers. Darin kamen die Meinungsforscher zu dem Ergebnis, dass sich in Jordanien 71%, in Ägypten 74%, in Marokko 83%, in den Palästinensergebieten 89% und im Irak sogar 91% der Befragten für die Einführung der Scharia aussprechen. In Teilen Zentralafrikas und Südostasiens sind die Zahlen ebenso beeindruckend und in Pakistan und in Afghanistan unterstützen 84% bzw. 99% die Implementierung der Scharia! Die Strahlkraft des Westens und seiner säkularen Anschauungen ist also massiv zurückgegangen. Weiterhin ist durch den arabischen Frühling deutlich geworden, wie sehr sich die Bevölkerung von den gegenwärtigen Staatsstrukturen entfremdet hat und diesen sogar feindlich gegenübersteht. Trotz des Scheiterns hat sich an dieser Feindschaft nichts geändert, schließlich werden die Muslime tagtäglich immer noch Zeuge der massiven Korruption und des umfassenden Politikversagens dieser Nationalstaaten. Und um auf deine Frage zurückzukommen; selbst auf militärischer Ebene hat die Umma eine schier unglaubliche Widerstandsfähigkeit gezeigt. Nicht ohne Grund wird in Washington die Forderung nach einer Beendigung der sogenannten forever wars in der islamischen Welt immer lauter – und das parteiübergreifend. Du siehst, die Umma verfügt über immense Kräfte und konnte übermächtigen Gegnern selbst ohne Staat, ohne Armee und ohne politische Führung trotzen. Wie sieht es erst aus, wenn wir über eine Struktur verfügen, die unsere Potenziale wirklich bündelt und diese durch gezielte Politiken einsetzt?

Kalifat.com: Interessanter Gedanke. Könntest du ein solches Szenario ein wenig skizzieren?

Mediensprecher: Schauen wir exemplarisch auf die heutige Türkei. Ein Land mit 82 Millionen Einwohnern, mit einem Durchschnittsalter von 31 Jahren und einer Armee von über 600.000 Soldaten mit NATO-Standard. Das bedeutet zwar nicht, dass die türkische Armee über dieselbe Ausrüstung und Schlagkraft wie die US-Armee verfügt, durch ihre gegenwärtige NATO-Mitgliedschaft ist sie jedoch mit den Strukturen und Strategien der modernen Kriegsführung vertraut. Diese ist durch das dynamische Zusammenspiel von Logistik, Kommunikation, Aufklärung und Taktik der Boden-, Luft- und Seestreitkräfte geprägt. Kurzum, die türkischen Streitkräfte kennen sowohl die Funktionsweise als auch die Stärken und Schwächen der westlichen und derzeit mächtigsten Militärallianz. Auch sprechen wir über ein Land mit einer funktionierenden Infrastruktur, eigener Produktion in zahlreichen Schlüsselindustrien und einer geostrategischen Lage, die es beinahe automatisch zu einer Regionalmacht werden lässt. Stell dir vor, dass dieses Potenzial tatsächlich im Sinne der Muslime eingesetzt und eine entschlossene und zugleich geschickte Außenpolitik betrieben würde. Will mir jemand erzählen, dass ein dort entstehendes Kalifat innerhalb kürzester Zeit vernichtet werden könnte? Noch einmal, wir reden hier nicht von versprengten Milizen in Afghanistan oder dem Irak, sondern über einen ideologisch geführten Staat, der alle zur Verfügung stehenden geistigen und materiellen Ressourcen für die Erreichung seiner strategischen Ziele einsetzen wird. Ein Staat, der sich eben nicht der gegenwärtigen internationalen Architektur beugt und sich nicht durch bestehende Vertragswerke und Bündnisstrukturen vereinnahmen lässt – so wie es momentan leider der Fall ist. Aber auch andere islamische Länder verfügen über das Potenzial, um dort ein autark agierendes Kalifat gründen zu können. Ich denke dabei an das gebündelte Potenzial einiger arabische Länder oder das nukleare Pakistan, das mit einem direkten Zugriff nach Afghanistan und Zentralasien über eine entscheidende strategische Tiefe verfügen würde. Auch sollten wir nicht vergessen, welche Dynamik sich in einem neu entstehenden und ideologisch motivierten Staat entwickeln kann. Natürlich wird das Kalifat in seinen Gründungsjahren nicht sofort die Supermacht USA ablösen können. Darum geht es in dieser Phase aber auch nicht. Zunächst gilt die Maxime, die eigene Struktur zu erhalten und die eigenen Kräfte zu konsolidieren. Auch beim ersten islamischen Staat ging es dem Gesandten (s) und seinen Gefährten zunächst darum, Medina gegen äußere Bedrohungen zu verteidigen. Nachdem dies gelungen war, entwickelte sich schnell eine expansive Außenpolitik, durch die innerhalb kürzester Zeit die gesamte arabische Halbinsel in das Herrschaftsgebiet integriert werden konnte. Dem Kalifat gelang es sogar, die einstmaligen Supermächte – also das oströmische Reich und Persien – zu eröffnen und schon unter den Umayyaden reichte das Herrschaftsgebiet des Islam von Spanien bis an die Grenzen Chinas! Und bevor an dieser Stelle eingewendet wird, dass ein solcher Aufstieg in der heutigen Zeit nicht mehr möglich sei, verweise ich auf die Beispiele Russlands und Chinas. Nachdem das Zarenreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein abgehängter Feudalstaat war, stieg er unter dem Eindruck des Kommunismus innerhalb von drei Dekaden zu einer Supermacht auf, die mit den Vereinigten Staaten um die Weltherrschaft konkurrierte. Auch das heutige China hat einen rasanten Aufstieg hingelegt, der bis dato von niemandem aufgehalten werden konnte. Du erinnerst dich an unser letztes Gespräch, in dem wir von dem geistigen Aufstieg gesprochen haben, der in der Konsequenz auch einen materiellen Aufstieg nach sich zieht. Über die ideologische Motivation und den politischen Willen, autark zu agieren; und über die synergetischen Effekte, die entstehen, wenn es zu einer Synthese von weltanschaulichem Denken und politischem Handeln kommt. Eine ähnliche Entwicklung wird auch das Kalifat durchleben, mit dem entscheidenden Unterschied, dass unser System als die von Allah (swt) offenbarte Ordnung effizienter, dynamischer und stärker als der Kapitalismus und Kommunismus sein wird. Davon sind wir fest überzeugt und vertrauen auf die Unterstützung Allahs (swt).

﴿يَاأَيُّهَا الَّذِينَ آمَنُوا إِنْ تَنْصُرُوا اللَّهَ يَنْصُرْكُمْ وَيُثَبِّتْ أَقْدَامَكُمْ

Ihr, die ihr glaubt, wenn ihr Allahs (Sache) helft, wird Er euch helfen und euren Füßen festen Halt geben.[47:7]

Kalifat.com: Vielen Dank, lieber Bruder. Das waren sehr viele und wichtige Informationen, die wir in unseren Gesprächen zusammengetragen haben. Möchtest du zum Abschluss der Interviewreihe noch etwas hinzufügen?

Mediensprecher: Wenn diese Informationen nicht den Weg in das Bewusstsein der Menschen finden, werden wir den Zustand der Umma nicht verändern können. Ich erinnere noch einmal an die Worte Allahs (swt):

﴿إِنَّ اللَّهَ لَا يُغَيِّرُ مَا بِقَوْمٍ حَتَّى يُغَيِّرُوا مَا بِأَنْفُسِهِمْ

Allah ändert den Zustand eines Volkes nicht, ehe sie ändern, was in ihnen ist.[13:11]

Das bedeutet, dass sich diese Verständnisse in einer realen politischen Arbeit manifestieren und den öffentlichen Diskurs dominieren müssen. Und wenn ich „müssen“ sage, dann spreche ich hier von einer Pflicht, der sich kein gläubiger Mann und keine gläubige Frau entziehen darf. Daher rufe ich alle Muslime auf, diesen Weg zu beschreiten und Hizb-ut-Tahrir bei der Wiedererrichtung des Kalifats tatkräftig zu unterstützen.

Der Erhabene sagt:

﴿يَاأَيُّهَا الَّذِينَ آمَنُوا اسْتَجِيبُوا لِلَّهِ وَلِلرَّسُولِ إِذَا دَعَاكُمْ لِمَا يُحْيِيكُمْ

Ihr, die ihr glaubt, leistet Allah und dem Gesandten Folge, wenn er euch zu dem aufruft, was euch Leben spendet.[8:24]

Erst, wenn wir uns durch unsere Opferbereitschaft und unsere Taten würdig erweisen, wird Allah (swt) der Umma den Sieg zuteilwerden lassen. Erst dann wird die Umma wieder einen Tag erleben, an dem Trauer und Leid durch Freude und Stolz ersetzt werden.

Der Erhabene sagt:

﴿وَيَوْمَئِذٍ يَفْرَحُ الْمُؤْمِنُونَ بِنَصْرِ اللَّهِ ۚ يَنْصُرُ مَنْ يَشَاءُ ۖ وَهُوَ الْعَزِيزُ الرَّحِيمُ

Und an jenem Tage werden sich die Gläubigen freuen, über den Sieg Allahs. Er beschert den Sieg, wem Er will; und Er ist der Allmächtige, der Barmherzige.[30:4-5]

Dieser Tag wird kommen, der Tag, an dem die Verheißung des Gesandten (s) wahr wird. So sagte er (s):

«تكونُ النُّـبُوَّةُ فيكمْ ما شاءَ اللّهُ أن تكون، ثمّ يرْفعُها اللّهُ إذا شاءَ أن يرْفَعَها،ثـُـمّ تكونُ خِلافةً على مِنهاج النبوَّة، فتكونُ ما شاءَ اللّهُ أنْ تكون، ثـُمّ يرْفعُها إذا شاءَ أنْ يرفعَها. ثـُمّ تكونُ مُلْكاً عاضّاً، فتكونُ ما شاءَ الله أنْ تكونَ، ثـُمّ يرفعُها إذا شاءَ الله أنْ يرفعَها. ثـُـمّ تكونُ مُلْكاً جَبريَّةً، فتكونُ ما شاءَ الله أنْ تكونَ، ثـُـمّ يرفعُها إذا شاءَ أنْ يرفعَها. ثـُـمّ تكونُ خِـلافـةً على مِنهـاج النُّـبُوَّة، ثم سكت»

„Das Prophetentum wird unter euch weilen, solange Allah es weilen lässt. Dann wird Allah es aufheben, wenn Er es aufheben will. Sodann wird ein Kalifat gemäß dem Plan des Prophetentums entstehen. Es wird weilen, solange Allah es weilen lässt. Dann wird Allah es aufheben, wenn Er es aufheben will. Sodann wird eine bevorrechtete Herrschaft folgen. Sie wird weilen, solange Allah sie weilen lässt. Dann wird Allah sie aufheben, wenn Er sie aufheben will. Sodann wird eine Gewaltherrschaft folgen. Sie wird weilen, solange Allah sie weilen lässt. Dann wird Allah sie aufheben, wenn er sie aufheben will. Sodann folgt ein Kalifat gemäß dem Plan des Prophetentums.“ Dann schwieg er.[Aḥmad]

Jeder Gläubige sollte sich die Frage stellen, auf welcher Seite der Geschichte er stehen und wie er vor seinen Schöpfer treten möchte. Auf der Seite derjenigen, die sich passiv verhalten haben und keine Verantwortung übernehmen wollten, oder auf der Seite derjenigen, die stets das Rechte geboten und das Unrecht angeprangert haben und für die kein Opfer zu groß war, um der Sache Allahs (swt) zum Sieg zu verhelfen.