Ausland Die neue europäische Inquisition

Der französische Präsident Emmanuel Macron verkündete mit geradezu religiösem Eifer eine neue „Charta der republikanischen Werte“, der sich die Muslime Frankreichs unterwerfen müssten.

Der französische Präsident Emmanuel Macron verkündete mit geradezu religiösem Eifer eine neue „Charta der republikanischen Werte“, der sich die Muslime Frankreichs unterwerfen müssten. Angesichts der daraus resultierenden Welle der Gewalt in Frankreich, hat der Präsident den Islam für Frankreichs Probleme verantwortlich gemacht und befiehlt nun den Muslimen, seiner Definition des Islam zu folgen.

Genau hierin liegt das Dilemma Europas, denn entgegen der Behauptungen von Seiten seiner Anhänger, ist der liberale Säkularismus tatsächlich eine Religion. Obwohl diese die wichtigsten existenziellen Fragen nicht beantworten kann, definiert sie für seine Gläubigen dennoch eine spezifische Weltanschauung, die im Gegensatz zu allen anderen Ansichten steht. Zentraler Bestandteil dieser Weltanschauung ist der Glaube, dass Gesetzgebungen und Regeln, die dem menschlichen Verstand entspringen, jenen überlegener sind, die uns unser Schöpfer vorschreibt. Aus diesem Grund führt der liberale Säkularismus alle weltlichen Gesetzgebungen und Regeln für das Verhalten des Menschen auf einen bloßen Appell an Moral und Ethik zurück.

Wie der Katholizismus (sein westlicher Vorgänger) hat der liberale Säkularismus eine gewisse Neigung zur gewaltsamen Bekehrung zu seinem Glauben. Die Inquisitionen des europäischen Katholizismus und tatsächlich auch des Protestantismus duldeten keinen Dissens und erlaubten auch nicht die Existenz eines anderen als von der Obrigkeit vorgeschriebenen Glaubens.

Ob Katharismus, Protestantismus oder Islam, die europäischen Obrigkeiten haben lange danach gestrebt, den Glauben ihrer Bürger mit Gefängnis, Folter, wirtschaftlicher Marginalisierung und Vertreibung zu kontrollieren. Um ihre Kampagnen gegen das zu führen, was sie als Ketzerei ihres Glaubens betrachteten, bevorzugten sie diese Mittel.

Katholische Monarchen von Spanien bis nach Italien verlangten von allen, die ihrer Herrschaft unterworfen waren, dass sie ihrem früheren Glauben abschwören und sich unter Androhung von Hinrichtung oder Schlimmerem katholisch taufen lassen.

Beginnend mit der Stadt Granada, wurden nach einer kurzen Zeitspanne relativer Ruhe letztendlich alle 600.000 auf der Iberischen Halbinsel verbliebenen Muslime nach dem Ende der Reconquista der spanischen Monarchien entweder gewaltsam zum Christentum konvertiert, getötet oder per königlichem Erlass vertrieben. So wurde die Präsenz des Islam auf der Iberischen Halbinsel effektiv ausgelöscht.

Die erzwungene Konvertierung reichte nie aus, um die von den europäischen Autoritäten geforderte Homogenität zu erreichen. Auf der Suche nach dem kleinsten Hinweis, dass die Konvertierung zum katholischen Glauben nicht aufrichtig war, durchleuchtete die Inquisition jede Einzelheit des privaten und öffentlichen Lebens der zur Konvertierung Gezwungenen. Konnten die Inquisitoren nicht von dieser Aufrichtigkeit überzeugt werden, führte dies oft zu qualvollen Strafen und zum Tod.

Obwohl Individuen oft das Ziel dieser Inquisitionen waren, muss bedacht werden, dass es nie die Absicht war, das Individuum zu bestrafen oder zu reformieren. Vielmehr wurde beabsichtigt, eine ganze Gemeinschaft zu terrorisieren. Das „Directorium Inquisitorum“ (ein Standardhandbuch für Inquisitoren) beschreibt hierzu: „Die Bestrafung erfolgt nicht primär und per se zur Besserung und zum Wohle der bestraften Person, sondern zum Wohle der Öffentlichkeit, damit andere in Schrecken versetzt und abgehalten werden von den Übeln, die sie begehen würden.“

Man könnte meinen, dass sich das aufgeklärte Europa von der Vorstellung von erzwungener Homogenität und Konvertierung zu einer staatlich sanktionierten Religion verabschiedet hätte, aber die Entwicklungen in Österreich, Frankreich und vielen anderen europäischen Ländern deuten auf das Gegenteil hin. Genau wie ihre katholischen Vorgänger scheint Uniformität im Glauben eine Voraussetzung für ihre säkularen Nachfolger zu sein, wobei die Vorstellung einer politischen Rolle für den Islam aus vielerlei der genannten Gründe als häretisch gilt.

In Österreich wurde mit dem Islamgesetz von 2015 effektiv eine staatlich sanktionierte Version des Islam geschaffen, die keine Vorstellung davon hat, dass der Islam ein politisches, soziales und wirtschaftliches System bieten kann, welches der Menschheit eine Alternative zu den Launen der liberalen, säkularen und kapitalistischen Regierungsführung bietet.

Der französische Staat hält sich selbst für einen Vorreiter im Kampf gegen die „Häresie“ des politischen Islams. Von staatlich unter Schutz gestellten Beleidigungen gegen den Propheten Muḥammad (s), bis hin zu einem Erlass und Ultimatum des französischen Präsidenten, der die Imame dazu auffordert, eine „Charta der republikanischen Werte“ zu unterzeichnen, deren wichtigster Glaubensinhalt ist, dass der Islam keine politische Kraft darstellt.

Der französische Staat versucht tatsächlich, der muslimischen Bevölkerung in Frankreich eine säkulare, liberale und staatlich sanktionierte Version des Islam aufzuzwingen.

So wie die Inquisition versuchte, eine Gemeinschaft mit grundloser Brutalität zur Konformität zu zwingen, versucht der französische Staat Gemeinschaften zu terrorisieren, indem diejenigen mit dem drakonischen Gesetz zur Auflösung von Verbänden bestraft werden, die sich weigern, der offiziellen Linie nachzugeben.

Genauso wie die Inquisition die Einzelheiten des Privatlebens derjenigen durchleuchtete, die zur Konversion gezwungen wurden, werden die in der Schule geäußerten Meinungen von Kindern genutzt, um die privaten Gedanken ihrer Eltern zu beurteilen. Sanktionen wie Geldstrafen und die Trennung der Familienbande zwischen Kindern und ihren Eltern, werden über diejenigen verhängt, die als ketzerisch gegenüber säkularen Überzeugungen und Werten gelten. Ähnlich wie ihr katholischer Vorgänger beruht die moderne, säkulare, liberale Inquisition gegen den Islam auf der gleichen Unfähigkeit, die den Katholizismus einst befiel: Die Unfähigkeit, sich intellektuell mit der Erhabenheit des islamischen Glaubens auseinanderzusetzen. Der Rückgriff auf drakonische Maßnahmen ist die einzige Rettung, die ein intellektuell schwacher Glaube erlangen kann.