Allah (t) wählte für die Offenbarung des Koran die arabische Sprache. Er sagt:
﴿وَهَذَا لِسَانٌ عَرَبِيٌّ مُبِينٌ﴾
[…] und dies ist eine klare arabische Sprache.[16:103]
Die arabische Sprache ist daher ein untrennbares Merkmal des Koran, das ihn als Offenbarung bestätigt. Denn das Wunder, das seinen göttlichen Ursprung beweist, ist an die Originalsprache der Offenbarung geknüpft. So ist in dieser Sprache die Herausforderung an die Menschheit ergangen, etwas Gleiches hervorzubringen. Zwar ist das Scheitern der Menschheit bei dieser Herausforderung und ihr Versagen, etwas Gleiches hervorzubringen, für einen Nichtaraber erkennbar und gilt auch für ihn als zwingender Beweis für den göttlichen Ursprung des Koran, doch kann die Schönheit seines Stils und die Bedeutungskraft seiner Formulierung nur in der Originalsprache wahrgenommen werden. Denn die unnachahmliche Verschmelzung von Reim und Prosa und die Perfektion in der Rhetorik, die jeden in Erstaunen versetzen, der über die erforderlichen Kenntnisse des Arabischen verfügt, lassen sich nicht in andere Sprachen übertragen. So ist das Wunder des Koran nicht übersetzbar und verschwindet bei Übertragungen der Bedeutung der Verse in andere Sprachen. Auch kann man auf Basis einer Übersetzung nicht die Echtheit des Koran beweisen oder Gesetze ableiten.
Für Übersetzungen gilt grundsätzlich, dass sie niemals das Original vollständig wiedergeben können. In der Literatur ist dieses Problem schon lange bekannt. Der Literaturtheoretiker Johann Gottfried Herder beispielsweise hatte schon im 18. Jahrhundert darauf hingewiesen, dass eine Übersetzung niemals gleichgesetzt werden dürfe mit dem Original und Literatur immer in ihrer Originalsprache gelesen werden müsse. Ein Übersetzer kann sich noch so viel Mühe geben, er wird niemals an das Original herankommen können, weil die Unterschiedlichkeit der Sprachen immer ein Hindernis darstellt, und zwar unabhängig vom Talent des Übersetzers. Wenn man die Originalsprache eines Werkes nicht kann, neigt man schnell dazu, Original und Übersetzung gleichzusetzen, weil man keine Ahnung hat, welche Differenzen zwischen dem Originaltext und der Übersetzung bestehen. Ein Deutscher unterscheidet nicht zwischen der deutschen Übersetzung Shakespeares und dem englischen Original. Wenn er Shakespeare auf Deutsch liest, meint er, Shakespeare gelesen zu haben, was genau genommen nicht stimmt. Denn es sind nicht wirklich die Verse Shakespeares, die man in der Übersetzung liest. Hingegen ließe ein Deutscher eine arabische Übersetzung Goethes niemals als Original durchgehen. Er würde nicht behaupten, dass es keinen Unterschied mache, ob man Goethe auf Deutsch oder auf Arabisch lese. Was für die Literatur gilt, gilt natürlich umso mehr für den Koran. Eine Übersetzung des Koran ist niemals gleichzusetzen mit dem Koran. Deshalb existiert kein Koran in deutscher Sprache, sondern immer nur eine Übersetzung des Koran ins Deutsche oder in eine andere Sprache. Sobald es sich um eine Übersetzung handelt, ist es kein Koran. Deshalb sollte man Formulierungen wie „der deutsche Koran“ besser vermeiden.
Eine Übersetzung kann eine Stütze für das Verständnis des Koran sein, wenn man die arabische Sprache gar nicht oder nur unzureichend beherrscht, aber sie ist unzulässig für die Gesetzesableitung und für die Anbetung. Das Lesen einer Übersetzung des Koran gilt nicht als Koranrezitation, weil man hierbei nicht Seine Worte nachspricht, auf die es bei der Rezitation ankommt. Allah (t) hat die Worte einer Übersetzung niemals ausgesprochen oder offenbart. Es lassen sich nicht einmal die Rezitationsregeln auf eine Übersetzung anwenden. Das Gebet ist ungültig, wenn man die Koranverse nicht in arabischer Sprache aufsagt. Selbst wenn ein Muslim kein Arabisch kann, ist er im Gebet verpflichtet, die arabischen Koranverse aufzusagen, ohne dass es hierfür eine Ausnahme gäbe. Jeder Muslim muss sich dahingehend bemühen und die Verse im Rahmen seiner Möglichkeiten auf Arabisch aufsagen.
Das Verständnis des Koran ist nicht zu trennen von der arabischen Sprache, die eine Einheit mit der Bedeutung der Verse bildet. Wenn man Sprache und Bedeutung trennt, dann geht auch ein Teil der Bedeutung verloren, weil jede Übersetzung einen Bedeutungsverlust und auch eine Bedeutungsänderung mit sich bringt. Bei der āya:
﴿رَبُّ الْمَشْرِقِ وَالْمَغْرِبِ﴾
Heißt es zum Beispiel in der Übersetzung: Der Herr des Ostens und des Westens![73:9]
Für das Verständnis dieses Verses mag es vielleicht noch keine große Rolle spielen, ob man den arabischen Koranvers oder nur die Übersetzung liest, aber für den folgenden Vers durchaus:
﴿رَبُّ الْمَشْرِقَيْنِ وَرَبُّ الْمَغْرِبَيْنِ﴾
Der Herr der beiden Osten und der Herr der beiden Westen![55:17]
Und in einem weiteren Vers heißt es:
﴿بِرَبِّ الْمَشَارِقِ وَالْمَغَارِبِ﴾
[…] bei dem Herrn der Osten und der Westen![70:40]
Geht man allein von der Übersetzung aus, dann ist ein Verständnis dieser Verse nicht möglich, weil man nur einen einzigen Osten und einen einzigen Westen kennt und es nicht zwei oder mehrere Osten oder Westen geben kann. Man könnte sogar meinen, die beiden letzten Verse widersprächen der Realität, weil jeder Kompass nur einen Osten und einen Westen aufweist.
Das arabische Wort für Osten ist mašriq und für Westen maġrib. In den arabischen Wörtern steckt der Bezug zu Sonnenaufgang und -untergang, der in der Übersetzung verloren geht. Denn im Arabischen ist šurūq al-šams der Sonnenaufgang, der festlegt, wo Osten ist, und ġurūb al-šams der Sonnenuntergang, von dem abhängt, wo der Westen liegt. Wenn es nun heißt „Der Herr des Ostens (mašriq) und des Westens (maġrib)!“, so versteht man aufgrund der arabischen Begriffe, dass in diesem Vers die Himmelsrichtungen gemeint sind, die sich aus Sonnenaufgang und -untergang ergeben. Nimmt man nur die deutschen Begriffe Osten und Westen, dann ist Osten die Himmelsrichtung, die in Richtung der Erdrotation verläuft, während Westen die Himmelsrichtung ist, die entgegen der Erdrotationsrichtung verläuft. Der Bezug zu Sonnenaufgang und Sonnenuntergang ist folglich nicht vorhanden. Für das Verständnis des Verses „Der Herr der beiden Osten (mašriqain) und der Herr der beiden Westen (maġribain)!“ ist die Übersetzung unzureichend und suggeriert sogar, dass hier ein Widerspruch zur Realität bestehe. Nur der arabische Originaltext erlaubt eine richtige Interpretation. So interpretieren die Gelehrten den Vers dahingehend, dass der Aufgangspunkt der Sonne im Sommer ein anderer ist als im Winter. Gleiches gilt für den Sonnenuntergang, so dass man von zwei „Osten“ und zwei „Westen“ sprechen kann. Der Vers „[…] bei dem Herrn der Osten (mašāriq) und der Westen (maġārib)!“ weist sogar darauf hin, dass es viele Osten und Westen gibt. Damit ist gemeint, dass viele Sonnenaufgangs- und Sonnenuntergangspunkte existieren. Heute wissen wir, dass die Erde eine Kugel ist, die sich sowohl um sich selbst als auch um die Sonne dreht, und dass es viele Aufgangs- und Untergangspunkte der Sonne gibt. Daher ändern sich beispielsweise die Gebetszeiten. Mit zunehmendem Erkenntnisfortschritt werden diese Verse sogar noch verständlicher. So wissen wir z. B., dass die Sonne an einem Ort untergeht und zeitgleich an einem anderen Ort aufgeht, weil die Erde eine Kugel ist. Doch unabhängig vom Fortschritt menschlicher Erkenntnis steht und fällt die richtige Interpretation mit dem Bezug zu Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, der nur aus dem arabischen Originaltext hervorgeht.
Jeder Buchstabe hat im Koran eine Bedeutung. Man kann keinen Buchstaben weglassen, ohne die Bedeutung zu verändern, denn Allah (t) verwendet an keiner Stelle im Koran ein überflüssiges Wort oder einen unnötigen Buchstaben. Der Koran weist nicht einmal Synonyme auf, denn wenn Allah (t) zwei Begriffe verwendet, die auf den ersten Blick gleich erscheinen und von ähnlicher Bedeutung sind, dann will Er (t) damit auch Unterschiedliches ausdrücken. Die Begriffe sind also nicht untereinander austauschbar. Wortwahl und Rhetorik sind ganz präzise auf das zugeschnitten, was ausgedrückt werden soll. Hier stößt jede Übersetzung an ihre Grenzen, denn sie kann nur eine ungefähre Bedeutung wiedergeben, jedoch kann sie nicht Buchstaben oder Wörter eins zu eins übernehmen.
Manche Verspassagen im Koran klingen sehr ähnlich und unterscheiden sich nur durch einen einzigen Buchstaben, der einen wesentlichen Unterschied in der Bedeutung ausmacht. Im Koran heißt es zum Beispiel: „waṣbir ʿalā mā aṣābaka inna ḏālika min ʿazmi l-umūr“.
﴿وَاصْبِرْ عَلَى مَا أَصَابَكَ إِنَّ ذَلِكَ مِنْ عَزْمِ الْأُمُورِ﴾
[31:17]
Auch heißt es: „wa lamanṣabara wa ġafara inna ḏālika lamin ʿazmi l-umūr“.
﴿وَلَمَنْ صَبَرَ وَغَفَرَ إِنَّ ذَلِكَ لَمِنْ عَزْمِ الْأُمُورِ﴾
[42:43]
Im ersten Vers sagt Allah (t) „min“ und im zweiten Vers „lamin“. Der Unterschied besteht in dem Buchstaben „la“. Stellt man dem arabischen Originaltext die Übersetzung gegenüber, geht dieses Detail und damit auch der Bedeutungsunterschied verloren. In einer der vielen Übersetzungen, die es gibt, werden diese Verspassagen wie folgt ins Deutsche übertragen: „[…] und ertrage geduldig, was dich auch treffen mag. Das ist wahrlich eine Stärke in allen Dingen“ und „Und wahrlich, wer geduldig ist und vergibt – das ist gewiss eine Tugend der Entschlossenheit in allen Dingen“. Man fragt sich natürlich, warum Allah (t) das eine Mal „min“ gebraucht und das andere Mal „lamin“, weil man weiß, dass Er (t) niemals grundlos ein bestimmtes Wort oder einen bestimmten Buchstaben verwendet und es Ihm (t) nicht darum geht, Wiederholungen zu vermeiden, wie wir Menschen das für gewöhnlich tun. Um der Frage nachzugehen, warum dieser minimale Unterschied im Ausdruck besteht, ist die Übersetzung völlig unbrauchbar. Beide Verse sprechen die Standhaftigkeit bzw. Geduld (ṣabr) an. Doch im ersten Fall geht es um jenen ṣabr, den der Mensch aufbringen soll, wenn ihn etwas trifft, das von Allah (t) kommt, ohne dass eine andere Person involviert ist. Der Zustand desjenigen, der Geduld aufbringen soll, ist nicht mit Zorn gegen andere verbunden, der unterdrückt werden müsste, damit er sich nicht in Form von Vergeltung gegen jemanden entlädt. Im zweiten Fall bezieht sich die Forderung nach ṣabr auf einen Zustand, der sehr wohl mit Zorn vermischt ist und große Selbstbeherrschung erfordert, weil mindestens eine Person beteiligt ist, unter der man leidet und gegen die sich die Wut richten könnte, indem man Rache nimmt. Denn der Vers erwähnt das Vergeben (ġafara). Der Ausdruck „lamin“ betont, dass es enorme Überwindung kostet, keine Vergeltung zu üben, sondern geduldig zu sein und zu vergeben. Es sind folglich zwei unterschiedliche Formen von ṣabr. Das heißt, die beiden Verspassagen sind mit Ausnahme des Buchstabens „lām“ identisch. Dieser eine Buchstabe weist darauf hin, dass ein Bedeutungsunterschied im ṣabr besteht und im Grad der Selbstbeherrschung. Diese präzise Ausdrucksweise ist in keine andere Sprache übersetzbar.
Anhand dieser einfachen Beispiele wird ersichtlich, dass die arabische Sprache eine Voraussetzung ist für das Verständnis des Koran. Ihre Kenntnis ist unverzichtbar, und zwar nicht nur, um das Wunder des Koran anhand seiner Sprache selbst auskosten zu können, sondern um nach dem Koran handeln zu können. Denn das, was diese Beispiele veranschaulichen, durchzieht den gesamten Koran. Jeder Satz, jedes Wort und jeder Buchstabe hat von Allah (t) seinen festen Platz im Koran erhalten. Fehlt auch nur ein einziger Buchstabe, verliert das Buch seinen Status als Koran und muss aufgrund der Abweichung vernichtet werden. Daraus ergibt sich, dass die Sprache des Koran nicht angetastet werden darf. Das Arabische ist nicht irgendeine Sprache. Es ist die Sprache, in der Allah (t) zu den Menschen spricht.