Konzeptionen Weder rechts noch links

Wenn es darum geht, einen islamischen Standpunkt einzunehmen, dann neigen Muslime häufig dazu, sich in das bestehende politische Spektrum einzuordnen.

Wenn es darum geht, einen islamischen Standpunkt einzunehmen, dann neigen Muslime häufig dazu, sich in das bestehende politische Spektrum einzuordnen. Je nachdem, welches Thema zur Debatte steht, nähern sie sich argumentativ entweder dem linken oder dem rechten Lager an.

Möchten Muslime beispielsweise gegen Diskriminierung ihre Stimme erheben, werden nicht selten linke bzw. postmoderne Denkfiguren übernommen. So fordern muslimische Frauen Toleranz ein, um trotz des Kopftuchs von der Gesellschaft akzeptiert und am Arbeitsmarkt nicht benachteiligt zu werden. Gleichzeitig wird von ihnen aber auch verlangt, sich in gleichem Maße für die Toleranz gegenüber weiteren gesellschaftlichen Gruppen einzusetzen, die ebenfalls diskriminiert würden. Geht es dabei um Homosexuelle, geraten Muslime schnell in eine missliche Lage; denn sie müssten sich in diesem Fall für eine sexuelle Orientierung stark machen, die unter islamischen Gesichtspunkten inakzeptabel ist.

Zwar fühlt sich die muslimische Gemeinschaft nicht bewusst einem dieser politischen Lager zugehörig, dennoch führt die unreflektierte Übernahme von Begriffen und Argumentationsmustern dazu, dass sie von Politik und Medien in einem dieser Lager verortet wird. Besonders deutlich und zugleich absurd wird dies, wenn Gemeinsamkeiten zwischen dem Islam und konservativen bzw. rechten Strömungen ausfindig gemacht werden. In der Regel wird darauf verwiesen, dass auch Muslime für die sogenannten traditionellen Werte einstehen und sogar in außenpolitischen Fragen dieselben Feinbilder bedienen. So meint der Historiker Volker Weiß, dass den politischen Islam und die Rechten im Grunde genommen gemeinsame gesellschaftspolitische Vorstellungen einen. Dazu gehörten die Geschlechterrollen, das traditionelle Familienmodell sowie die Vorstellungen von Respekt und Autorität. Zudem sei wie auch bei rechten Strömungen eine amerikafeindliche und antisemitische Haltung zu erkennen. Selbst auf wissenschaftlicher Ebene wird von renommierten Politologen wie Claus Leggewie behauptet, dass der Islamismus letztlich eine Spielart des Rechtsextremismus sei.

Dass immer wieder versucht wird, die politischen Meinungen der muslimischen Gemeinschaft dem Links-Rechts-Koordinatensystem zuzuordnen, lässt sich im Wesentlichen darauf zurückführen, dass noch immer eine Vielzahl von Muslimen von einem verengten Religionsbegriff ausgehen. Sie tun sich nach wie vor schwer damit, den Islam als weltanschauliche Basis zu verstehen, aus der heraus sie auch politische Standpunkte ableiten sollen. Auf diese Weise wird der Islam nicht als ein ganzheitlicher Lebensentwurf begriffen, der auch einen gesellschaftspolitischen Gestaltungsanspruch erhebt. Ein derartiges Fehlverständnis führt gewissermaßen zu jenem Verortungsproblem, welches die Standpunkte der Muslime anfällig für das sogenannte Links-Rechts-Schema macht. Ebenso führt dies zu einem unsensiblen Umgang mit linken oder rechten Denkfiguren und im Zweifel zu einer unreflektierten Übernahme derselben, was in aller Regel ernstzunehmende politische Folgen nach sich zieht. Ein Beispiel dafür, wie rechte Konzepte in die Argumentation der Muslime einfließen, lässt sich anhand folgender Frage darlegen.

Worüber definieren sich die hierlebenden Muslime, wenn sie als politischer Akteur auftreten wollen? Über ihre islamisch-weltanschauliche oder über ihre nationale Identität? Diese Frage ist elementar, da ihre Antwort darüber entscheidet, wie sich die muslimische Gemeinschaft politisch positioniert und im öffentlichen Diskurs wahrgenommen wird. Identifizieren sich Muslime in erster Linie über ihre nationale Zugehörigkeit, findet die Abgrenzung zu anderen Muslimen konsequenterweise auf dieser Grundlage statt. Zwar können türkisch- und arabischstämmige Muslime als nationale Minderheiten ähnliche Interessen verfolgen; dennoch sind diese niemals identisch. Vor allem können auf dieser Basis keine islamischen Interessen formuliert werden, wenn der gemeinsame Nenner der nationale bzw. ethnische Hintergrund ist. Wäre unter diesen Voraussetzungen das Kopftuch ein vitales Interesse in der türkischen oder arabischen Community, wenn unter ihnen sowohl religiöse als auch säkulare Auffassungen existieren?

Andererseits muss an dieser Stelle auch deutlich gemacht werden, dass zwischen dem Islam und rechten bzw. konservativen Strömungen in gewisser Hinsicht ähnliche Vorstellungen existieren können, wie zum Beispiel die Wertschätzung und Aufrechterhaltung intakter Familienstrukturen oder die ablehnende Haltung gegenüber postmodernen Identitätsvorstellungen. Doch derartige „Überschneidungen“ lassen sich ebenfalls in der christlichen Tradition wiederfinden, was mit Sicherheit niemanden zu der Aussage bewegen würde, der Islam sei lediglich eine Spielart des Christentums. Entscheidend hierbei ist, dass trotz möglicher Gemeinsamkeiten die politische Rechte ihre Vorstellungen von Staat und Gesellschaft auf einer völlig anderen Prämisse aufbaut als der Islam. So operiert die Rechte bekanntermaßen mit einem Volksbegriff, der auf ethnische, geographische und kulturhistorische Merkmale abstellt. Sie bilden das Fundament, auf dem ein politisches Gemeinwesen in Form des säkularen Nationalstaats gründen soll – mit all seinen extremen Auswüchsen. Gleichzeitig ziehen die besagten Merkmale die erforderlichen Grenzlinien zu jenen Völkern bzw. Nationen mit einem fremden ethnischen Hintergrund, was bis heute zu einer Reihe von Konflikten im Umgang mit nationalen Minderheiten führt.

Der Islam hingegen betrachtet den Menschen unter einem anderen Gesichtspunkt. Weder ethnische noch geographische Merkmale spielen bei der Bewertung des Menschen eine Rolle. Genauso wenig besitzt die gemeinsame Geschichte eines Volkes eine Relevanz, aus der sich eine politische Identität herausbilden lässt. Der Grund hierfür liegt in der Tatsache, dass der Mensch sich diese phänotypischen Merkmale nicht selbst angeeignet und demzufolge keinen Einfluss auf ihre Existenz hat. Sie gehören vielmehr zu den schöpferischen Aspekten, die im Menschen determiniert sind. Was aus Sicht des Islam Menschen miteinander verbindet oder trennt sind die Ideen, die sich der Mensch über die Welt und das Leben bewusst aneignet. Sie sind die Basis für die Schaffung einer politischen Identität und bilden gleichzeitig das Abgrenzungsmerkmal zu jenen Völkern oder Gesellschaften, die über ein anderes Welt- bzw. Menschenbild verfügen.

Vor diesem Hintergrund sollte klar sein, dass es keine tatsächlichen Berührungspunkte mit rechten oder linken Positionen geben kann, da der weltanschauliche Ausgangspunkt im Islam ein völlig anderer ist. Um jedoch zu verhindern, dass die politischen Meinungen der Muslime in das Links-Rechts-Schema verortet werden, muss die muslimische Gemeinschaft daran arbeiten, ihre Standpunkte ausschließlich auf Basis der islamischen Quellen zu entwickeln. Auf diese Weise werden ihre islamischen Standpunkte auch als solche identifizierbar, sodass der öffentliche Diskurs nicht nur von linken und rechten, sondern auch von islamischen Positionen bestimmt sein wird.