Twitter sperrt den US-Präsidenten Donald Trump auf seiner Plattform, die EU möchte mit dem Digital Services Act Facebook stärker regulieren und selbst in China geriet Jack Ma, Gründer von AliBaba, unter Druck der Kommunistischen Partei. Entbrennt nun überall ein Machtkampf zwischen großen Technologiekonzernen und Regierungen oder ist er bereits in vollem Gange?
Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass Technologiekonzerne, die als ganz normale Unternehmen begonnen haben, so mächtig wurden, dass sie sich scheinbar mühelos über Regierungen hinwegsetzen und mit ihnen um Einfluss ringen? Schließlich begannen sowohl Bill Gates als auch Jeff Bezos und Elon Musk in einer Garage – lange also, bevor an irgendeine Art politischer Einflussnahme oder gesellschaftlicher Machtausübung zu denken war. Ein Musterbeispiel für den amerikanischen Traum mag manch einer meinen und doch ist auffällig, dass der große Unterschied zu herkömmlichen Unternehmen erst damit einsetzte, als sich die großen Technologiekonzerne beinahe der gesamten Konkurrenz entledigten und sich oligopolistische Strukturen herausbildeten.
So punktete beispielsweise Microsoft nicht etwa durch die hervorragende Qualität seiner Betriebssysteme, sondern führte eine extrem aggressive Geschäftspolitik, die es unkooperativen Wettbewerbern kaum ermöglichte, am Markt zu bestehen. Konkurrenten wurden durch massive Behinderung ihrer Eigenständigkeit dazu gezwungen, auf das Windows-Betriebssystem zurückzugreifen, denn bei der Softwareentwicklung ist es obligatorisch, bestimmte Schnittstellenspezifikationen der Betriebssysteme zu kennen, um Programme für diese entwickeln zu können. Microsoft hat diese Anforderungen vor Erscheinen neuer Windows-Versionen jedoch nur mit jenen Unternehmen geteilt, die sich dazu verpflichteten, keine Software für die Konkurrenz zu entwickeln. Zusätzlich werden Unternehmen fortwährend dazu genötigt auf die jeweils neueste Version von Microsoft umzustellen, indem bewusst Inkompatibilitäten zu ihren Softwareprodukten erzeugt werden. Bis zu einem Verbot des US-Justizministeriums im Jahre 2001 hat Microsoft zudem PC-Hersteller mit außergewöhnlich günstigen Konditionen an sich gebunden, um sie anschließend zu verpflichten, ihre Rechner nur mit einem vorinstallierten Windows-Betriebssystem zu verkaufen. Facebook hingegen kaufte einige seiner Konkurrenten einfach auf und verleibte sie sich ein, bis es zum mit Abstand größten Anbieter für Soziale Netzwerke avancierte. So wurde Instagram – als das Unternehmen erst zwei Jahre alt war und gerade einmal 12 Mitarbeiter beschäftigte – für eine Milliarde US-Dollar von Facebook gekauft und auch WhatsApp wurde Jahr 2014 für 19 Milliarden US-Dollar übernommen. Neben diesen Beispielen für Geschäftspraktiken einzelner Tech-Unternehmen kommt es jedoch auch dazu, dass Big Player zusammenkommen, um den gesamten Markt zu kontrollieren. So verfügt beispielsweise Android, das zu Google gehört, bei Smartphone-Betriebssystemen einen Marktanteil von 70%, während die restlichen 30% auf Apple fallen. 2018 einigten sich Tim Cook (CEO von Apple) und Sundar Pichai (CEO von Google) gegen eine jährliche Zahlung von 8-12 Milliarden US-Dollar darauf, Google auf allen Apple-Smartphones vorzuinstallieren, womit sie den Markt zu 100% abdecken. In E-Mails von Apple-Managern an Google hieß es: „Unsere Vision ist es gemeinsam, wie ein Unternehmen zu arbeiten“. Ein Paradebeispiel also für eine wettbewerbswidrige Kartellbildung.
Durch die zunehmende Monopolisierung und der damit einhergehenden Marktmacht wuchs auch die (sicherheits-)politische Bedeutung der Tech-Unternehmen. Spätestens seit den Enthüllungen durch Wikileaks, ist klar, dass amerikanische Technologiekonzerne in großem Stil mit den Nachrichtendiensten zusammenarbeiten. So hat die NSA beispielsweise nicht nur Zugriff auf Millionen von Nutzerdaten, sondern war bereits an der Entwicklung diverser Produkte, wie zum Beispiel dem E-Mail-Dienst Microsoft Outlook beteiligt. Auch die Furcht europäischer Staaten vor einer Verflechtung von Technologiekonzernen in sicherheitsrelevante Infrastrukturen ist bereits bittere Realität. Denn während aktuelle Debatten vorrangig auf die potenzielle Gefahr eines von Huawei bereitgestellten 5G-Netzes fokussieren, besitzen amerikanische Tech-Unternehmen bereits seit Jahrzehnten Zugriff auf verschiedene europäische IT-Infrastrukturen. Diverse Versuche der EU, sich von Microsoft loszulösen, scheiterten, sodass die EU-Kommission unverblümt einräumte, sie befinde sich in effektiver Gefangenschaft bei Microsoft. Die Nutzung fremder Technologie in kritischen Infrastrukturen birgt jedenfalls immer ein Sicherheitsrisiko, da hierdurch externe Akteure einen Fuß in der Tür haben und zumindest potentiell politisch Einfluss ausüben können.
Insbesondere mit Blick auf die Nutzung von amerikanischen Betriebssystemen haben sich europäische Staaten längst in Abhängigkeit begeben. Obwohl der europäische Marktanteil von Windows an Betriebssystemen von 95% im Jahr 2009 auf 75% im Jahr 2021 gesunken ist, stellt dies noch immer eine marktbeherrschende Stellung dar. Besonders kritisch ist dies, da spätestens seit Windows XP klar ist, dass US-Geheimdienste aktiv an der Entwicklung aller Windows-Betriebssysteme beteiligt sind. Noch immer nutzen beinahe sämtliche Verwaltungsapparate in Europa Microsoft. Hierbei geht es jedoch nicht nur um übliche Büroanwendungen, wie Excel oder Word, sondern auch um spezielle Software für Finanzämter, Steuerbehörden, Ministerien, Militär und weiterer systemrelevanter Einrichtungen. Alleine die Tatsache, dass der Windows-Quellcode nicht einsehbar ist, auch nicht für staatliche Akteure, birgt bereits ein immenses Sicherheitsrisiko, da somit immer die Gefahr einer Hintertür im Quellcode besteht, durch die sensible Daten abgezapft werden können oder Raum für Cyberangriffe bleibt. Auch die Offenlegung des Quellcodes im Rahmen sogenannter Open-Source-Lizenzen bedeutet keine restlose Risikofreiheit, da es auch bei Open-Source-Projekten möglich ist, den Quellcode so kompliziert zu gestalten, dass Hintertüren nicht ohne weiteres erkannt werden können.
Dies führt naturgemäß dazu, dass Staaten versuchen, die Technologiekonzerne durch regulatorische Maßnahmen einzuhegen, um die Kontrolle über sie zu behalten bzw. wiederzuerlangen. Seit Jahren tobt beispielsweise ein Rechtsstreit zwischen der EU und Google, bei dem es darum geht, dass der Konzern die eigenen Produkte auf seinen Geräten bevorzugt. So ist der Google Chrome Browser immer als Standardbrowser auf Smartphones vorinstalliert. Allein in den Jahren 2017, 2018 und 2019 hat die EU Google zu Strafen in Höhe von 2,4 Milliarden Euro, 4,3 Milliarden Euro und 1,49 Milliarden Euro verurteilt. Sicherlich spielt dabei auch eine Rolle, dass die EU den Einfluss eines amerikanischen Unternehmens zurückdrängen wollte, doch selbst in den USA geraten amerikanische Tech-Unternehmen immer wieder ins Visier der Behörden. Aktuell läuft beispielsweise gegen Google ein Kartellverfahren in den USA.
Dass es zu Auseinandersetzungen zwischen großen Tech-Unternehmen und Regierungen kommt ist aber keineswegs eine neue Entwicklung. Dabei geht es in der Regel jedoch nicht um die Zerschlagung der Unternehmen, sondern eher um die Kontrolle ebendieser. Neben der Einhegung des gesellschaftspolitischen Einflusses geht es überdies darum, die Tech-Unternehmen und ihre Kapazitäten als Instrumente für die eigene Innen-, Außen- und Sicherheitspolitik nutzbar zu machen. Schon in den Neunzigern stand beispielsweise Bill Gates in den USA vor Gericht und wurde dazu verurteilt, Microsoft aufzulösen und in zwei Unternehmen zu unterteilen, um hierdurch das Quasi-Monopol zu zerschlagen. Doch Bill Gates legte Berufung ein und mit dem Amtsantritt von George W. Bush kam ein wohlgesinnter Präsident ins Oval Office, der prompt den Justizminister austauschte und Microsoft lediglich dazu verpflichtete, für fünf Jahre der Konkurrenz Zugang zu ihren Schnittstellen zu gewähren. Darüber hinaus kam es zu der bereits erwähnten Kooperation zwischen der NSA und Microsoft, das sich auf diese Weise zu einem außen- und sicherheitspolitischen Werkzeug der USA entwickelte.
Der Machtkampf zwischen großen Tech-Unternehmen und Staaten ist also schon seit vielen Jahren in vollem Gange, ist in seiner Natur jedoch weitaus ambivalenter und vielschichtiger als gemeinhin angenommen. Nichtsdestotrotz stellt sich die Grundsatzfrage, wie sich Staat und Gesellschaft vor der drohenden Abhängigkeit großer Technologiekonzerne schützen können.
China lieferte auf diese Frage eine simple Antwort, als es im Jahre 2014 Google und seine Dienste kurzerhand verbot und den Zugang zum chinesischen Markt verwehrte. Doch nicht nur autokratische Staaten greifen zu solch drastischen Mitteln. So setzten die USA im Jahre 2019 Huawei auf die schwarze Liste und schränkten auf diese Weise die Zusammenarbeit von US-Unternehmen mit dem chinesischen Tech-Konzern massiv ein. Wie bereits erwähnt, stellen nicht nur ausländische Tech-Unternehmen eine Gefahr für heimische Märkte und die politischen Machtverhältnisse dar, sondern auch landeseigene Konzerne. Schlussendlich sitzen die Regierungen souveräner Staaten jedoch am längeren Hebel, denn sie können den Unternehmen Regularien auferlegen, an die sich letztere im Interesse ihres eigenen Fortbestands halten müssen. Auch Technologiekonzerne sind letztlich herkömmliche Unternehmen, die vorrangig wirtschaftliche Interessen verfolgen und diesen oberste Priorität einräumen.
Vor dem Hintergrund der hier skizzierten Entwicklungen muss die Umma ein Bewusstsein für die immense Bedeutung der Digitalisierung und der Tech-Konzerne entwickeln. Um das künftige Kalifat vor ausländischer Einflussnahme zu schützen und die eigene ökonomische und geopolitische Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten, gilt es, aus eigener Kraft entsprechende Strukturen und Fähigkeiten aufzubauen und diese sowohl defensiv als auch offensiv einzusetzen. Besonders digitale Infrastrukturen bergen Sicherheitsrisiken, die oft erst nach Jahren erkannt werden. Heute ist mehr denn je ersichtlich, dass eine aus eigener Kraft aufgebaute sichere IT-Infrastruktur eine neu entstandene Dimension politischer Macht darstellt. Denn schon seit Jahren tobt nicht nur ein Tauziehen zwischen einzelnen Regierungen und Tech-Unternehmen, sondern ein internationaler Cyberkrieg, an dem praktisch alle relevanten Staaten der Welt beteiligt sind.
(A. Z.)