Die Geschichte der Medizin beginnt nicht erst mit der Geschichte der Muslime, aber die medizinische Forschung und Entwicklung nach modernen Maßstäben geht zurück auf die Muslime. Die Medizin erblühte nicht zufällig in der islamischen Welt. Der Islam selbst hat ihre Entwicklung angestoßen und ist die Ursache dafür, dass die Muslime sich so intensiv auf dem Gebiet der Medizin betätigten und in der Blüte des Islam den Europäern etwa ein Jahrtausend voraus waren. Einer der Hauptgründe war die Überlieferung des Propheten (s.), dass Allah (t.) keine Krankheit aufkommen lässt, ohne dafür ein Heilmittel erschaffen zu haben. Die Gewissheit, dass Allah (t) für jede Krankheit ein Heilmittel erschaffen hat, spornte die Muslime schon sehr früh zur Forschung an und führte zur Einstellung, vor keiner Krankheit zu kapitulieren. Sie waren die Pioniere der Medizin. Von ihren wissenschaftlichen Studien und Erkenntnissen profitiert die gesamte Welt bis heute. So ist die moderne Medizin ohne die Leistung der Muslime nicht denkbar.
Die medizinischen Errungenschaften der Muslime sind nicht zu verwechseln mit dem, was man als Medizin des Propheten (s.) versteht. Die Medizin des Propheten (s.) hat sich als Bezeichnung für alle Überlieferungen des Propheten (s.) durchgesetzt, die sich auf medizinische Themen, auf Heilung und auf Gesundheit beziehen. Das Wissen, das den Muslimen aus diesen Überlieferungen vorlag, ist noch gar nicht so lange in der westlichen Welt bekannt, etwa das Wissen um die heilende Wirkung von Schwarzkümmel. Studien belegen inzwischen die vorbeugende und heilende Wirkung von Schwarzkümmel in Bezug auf die unterschiedlichsten Krankheiten. Darin bestätigt sich die Aussage des Propheten (s.), dass es im Schwarzkümmel mit Ausnahme vom Tod Heilung für jede Erkrankung gibt. Die Überlieferungen halten jeder medizinischen Studie stand, z. B. die zum miswāk. Sie zeigen auf, dass sich der Zweig des sogenannten Zahnbürstenbaums (Salvadora persica) durch die Kombination aus mechanischer Reinigung und pflanzlichen Wirkstoffen hervorragend für die Zahn- und Mundpflege eignet. Selbst zum Umgang mit Seuchen finden sich Aussagen des Propheten (s.), in denen es um Maßnahmen geht, damit Infizierte sich nicht mit Gesunden vermischen und die Seuche lokal begrenzt bleibt – heute aktueller denn je. Die Medizin geht aber weit über all das hinaus. Dies war den Muslimen bewusst, sonst hätten sie die medizinische Entwicklung nicht auf diese beispiellose Weise vorangetrieben und diese großartigen Erfolge verzeichnet. Die Medizin des Propheten (s.) gibt nicht das gesamte medizinische Spektrum wieder und ersetzt nicht die sogenannte Schulmedizin, die das Resultat von Studium und Forschung ist und deren Entwicklung weiter fortschreitet. Mit der Medizin des Propheten (s.) lassen sich keine Schlaganfälle, Herzinfarkte und dergleichen behandeln. Daher ist sie trotz ihrer Bedeutung kein Ersatz für die Medizin. Davon sind die Muslime auch nie ausgegangen.
Was hatte dazu geführt, dass die Muslime eine wissenschaftliche Vorreiterstellung einnahmen? In vorislamischer Zeit waren die Araber nicht dafür bekannt, dass sie auf dem Gebiet der Heilung besonders bewandert waren oder in irgendeiner anderen Weise hervorstachen. Was sie auszeichnete, war ihre Sprache, die sie besonders pflegten, und ihre Fähigkeit des Dichtens, worauf sie sehr viel Wert legten und stolz waren. Aber das hohe Niveau der arabischen Sprache spiegelte sich nicht im Verhalten der Menschen wider. Die Gesellschaft war geprägt von Stammeskriegen und Bräuchen, zu denen die Tötung der Mädchen zählte. Es war der Islam, der den Standpunkt der Menschen im Leben veränderte, ihnen die richtige Sichtweise vermittelte und ihr Niveau in allen Lebensbereichen anhob. Der Islam veränderte sie von Grund auf, auch was ihren Blick auf Krankheit und Heilung betraf. Krankheit wurde nicht mehr als Folge von Zauberei betrachtet, die man oftmals mit Zauberei zu heilen versuchte.
Eine wesentliche Rolle spielte außerdem die vollständige Umsetzung des Islam im Kalifat, was vielen gar nicht bewusst ist. Das Kalifat stellte die idealen Rahmenbedingungen für die Wissenschaft und den medizinischen Fortschritt dar. Man kann sogar sagen, dass es ohne den islamischen Staat nie zu einer solchen Blüte der Medizin gekommen wäre. Krankenhäuser waren nämlich ein entscheidender Faktor für den Auftrieb der Medizin und diese wurden vom Staat betrieben. Die Kalifen förderten die Wissenschaft im Allgemeinen und die Medizin im Besonderen. Die Mediziner standen unter dem Schutz der Kalifen, die Wert auf die besten und bekanntesten Ärzte legten. Jeder Kalif wollte seine Vorgänger auf dem Gebiet der Medizin übertreffen. Das erste Krankenhaus entstand bereits im Jahr 706 unter der Regierungszeit von al-Walīd I., wo Leprakranke behandelt wurden. Daraufhin entstanden zahlreiche Krankenhäuser im ganzen Kalifat. Der Kalif Hārūn ar-Rašīd, der zwischen 786 und 809 regierte, gründete das erste Krankenhaus in Bagdad. Im Jahr 1160 gab es bereits 60 Krankenhäuser in Bagdad. Der Bau von Krankenhäusern spielte für die Kalifen eine große Rolle und wurde mit großer Sorgfalt vorgenommen. Beispielsweise beauftragte der Kalif al-Muktafī, der zwischen 902 und 908 regierte, den berühmten Mediziner Abū Bakr Muḥmmad ibn Zakarīyā ar-Rāzī damit, einen optimalen Standort für ein Krankenhaus zu finden. Ar-Rāzī, den man im Westen auch als Rhazes kennt, ließ in verschiedenen Teilen Bagdads frische Fleischstücke aufhängen, die er nach einigen Tagen prüfte. Der Verwesungsgrad sollte Auskunft über die Reinheit der Luft geben und so wurde jener Ort gewählt, an dem die Verwesung am langsamsten vorangeschritten war. Die Gründung von Krankenhäusern war, wie man an diesen wenigen Beispielen sehen kann, eine Selbstverständlichkeit im Kalifat. Im Vergleich dazu gab es die ersten Krankenhäuser in Europa etwa ein Jahrtausend später, nämlich im 18. Jahrhundert.
Dass das erste Krankenhaus ausgerechnet im Kalifat erbaut wurde, ist kein Zufall. Denn der Islam legt dem Kalifen die Verantwortung für das Wohl der Menschen in die Hand und fordert von ihm eine umfassende Betreuung der Angelegenheiten seiner Bürger. Zu diesen Angelegenheiten zählt natürlich auch die Gesundheit und die medizinische Versorgung. Nach islamischem Verständnis darf ein Krankenhaus kein am Gewinn orientiertes Unternehmen sein, das seine Patienten in privat und gesetzlich versichert unterteilt und ihnen profitable Operationen andreht. Eine Krankenversicherung darf keine Voraussetzung für eine medizinische Behandlung sein und gar nicht erst eingeführt werden. Die medizinische Versorgung steht im islamischen Staat allen Bürgern, ob reich oder arm, kostenlos zu, und zwar unabhängig von der Religionszugehörigkeit oder dem sozialen Status. Selbst die Ärmsten konnten von den besten Ärzten behandelt werden, während man heute nur als Privatversicherter Anspruch auf eine Chefarztbehandlung hat.
Wie ernst die Kalifen die richtige medizinische Behandlung der Bürger nahmen, zeigt sich am Beispiel des Kalifen al-Muqtadir, der im Jahr 931 erfuhr, dass ein Patient nach einem Arztfehler gestorben war. Er ordnete daraufhin an, all jene zu prüfen, die sich als Arzt betätigen wollten. Al-Muqtadir beauftragte seinen eigenen Leibarzt Sinān ibn Ṯābit bin Qurra damit, die Prüfungen durchzuführen. Das war der Anfang der Approbation für Ärzte. Der Staat wachte darüber, dass keine Quacksalber am Werk waren. Die Befähigung als Arzt war besonders wichtig. Ar-Rāzī beispielsweise setzte voraus, dass ein Arzt sowohl mit den alten als auch mit den neuen Werken der Medizin vertraut sein musste und dass er zudem in einem Krankenhaus praktiziert haben musste. Approbationsausschüsse entstanden, die von dem sogenannten muḥtasib geleitet wurden. Ein muḥtasib übt im Kalifat ein Amt aus, das in nichtislamischen Systemen keine Entsprechung hat. Er überwacht die Einhaltung der Rechte der Allgemeinheit und fällt seine Urteile und Entscheidungen vor Ort, wenn gegen ein solches Recht verstoßen wurde. Seine Entscheidungen sind sofort rechtsgültig. Der muḥtasib kontrollierte die Gewichte und Maßeinheiten auf den Märkten und war auch für die Kontrolle der Apotheken, die es damals schon gab, zuständig. Apotheken gehörten zu den Krankenhäusern. Schon in der Regierungszeit von al-Maʾmūn, der zwischen 813 und 833 regierte, wurden Apotheker und die Qualität ihrer Medikamente von einem muḥtasib kontrolliert. Um eine Lizenz zu erhalten, mussten Apotheker sogar eine Prüfung ablegen. Das Kalifat hatte die Grundlage für eine seriöse Arztausbildung gelegt und die Medizin in die richtigen Bahnen gelenkt. Es gab in der restlichen Welt nichts Vergleichbares. Wer im Mittelalter in Europa reich war, leistete sich einen Arzt aus dem Kalifat.
Die zahlreichen Krankenhäuser im Kalifat waren nicht nur die Vorläufer moderner Krankenhäuser, sondern auch aus heutiger Sicht als modern einzustufen, sieht man vom technischen Fortschritt ab. Aus alten Reiseberichten jener Zeit erhalten wir eine Vorstellung davon, wie modern die Krankenhäuser im Kalifat waren, die an heutige Kliniken und deren Standards erinnern. Die Krankenhäuser waren damals schon, bedingt durch die verschiedenen Krankheiten, in Stationen unterteilt und trennten ansteckende Patienten von anderen Kranken. Sie besaßen sogar eine chirurgische Station sowie Apotheken und wurden von Ärzten geleitet. Krankenhäuser waren im Kalifat nicht nur ein Ort, um Menschen zu heilen, sondern auch eine Ausbildungsstätte, wo Mediziner ihr Handwerk lernten. Das heißt, in den Krankenhäusern, die auch Bibliotheken besaßen, wurde neben der Behandlung von Patienten Medizin gelehrt. Dort gab es zahlreiche Möglichkeiten für die medizinische Forschung. Die Krankenhäuser befanden sich außerdem oftmals in der Nähe von Universitäten. Die Existenz von Krankenhäusern im Kalifat war mit ein Grund, weshalb gerade dort die Medizin auf einem so hohen Niveau und Wissensstand war. Die Medizin deckte so gut wie alle Felder ab, die man heute kennt.
Die Krankenhäuser im islamischen Staat waren bekannt für den Komfort und den guten Umgang mit Patienten, so dass die Menschen die Krankenhäuser gerne aufsuchten, da sie rundum versorgt waren und zum Teil sogar bei ihrer Entlassung Geld bekamen, um sich erholen zu können, statt sofort arbeiten zu müssen. Es gibt eine bekannte Geschichte von ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, der berichtete, dass einige Patienten im Nūrī-Krankenhaus in Damaskus Schmerzen simulierten, weil die Verpflegung im Krankenhaus so gut war. Doch erst am vierten Tag schickte sie der Arzt, der sie durchschaut hatte, mit dem ironisch gemeinten Kommentar nach Hause, dass die vorgegebene islamische Gastfreundschaft drei Tage dauere und sie daher gehen müssten.
Es versetzt einen in Erstaunen, wie viel die muslimischen und auch nichtmuslimischen Mediziner im Kalifat auf dem Gebiet der Medizin schon erforscht hatten und behandeln konnten. Damals wurden die Menschen regelmäßig von Seuchen heimgesucht, ob es die Pest, die Pocken oder aber die Masern waren. Sie untersuchten und verfassten Abhandlungen darüber, etwa ar-Rāzī, der im Vergleich zu anderen ganz klar zwischen Pocken und Masern differenzierte und die Krankheiten genau beschrieb. Seine Beschreibungen entsprechen dem heutigen Kenntnisstand. Schon damals rieten die Mediziner dazu, Ansammlungen von Menschen fernzubleiben, um Ansteckungen zu vermeiden. Die Corona-Pandemie hätte mit Sicherheit auch sie an ihre Grenzen gebracht, aber sie hätten sich nicht davon abhalten lassen, die Krankheit bis ins Kleinste zu erforschen, um ein Heilmittel zu finden.
Die Muslime ließen den Rest der Welt weit hinter sich und standen auf wissenschaftlichem Gebiet unserer Zeit näher als dem europäischen Mittelalter. Ibn al-ʿAbbās az-Zahrāwī, der zwischen 936 und 1013 lebte, war nicht nur Arzt, sondern ein genialer Chirurg, der Operationsinstrumente entwickelte. Er führte professionelle Operationen durch, die in Europa erst ein Jahrtausend später möglich waren. In Europa ging man noch zum Barbier, während man im Kalifat schon professionelle Chirurgie betrieb. Az-Zahrāwī konnte Nierensteine chirurgisch entfernen, führte orthopädische Operationen durch, entwickelte Operationstechniken und hielt seine unzähligen medizinischen Erkenntnisse in zahlreichen Büchern fest. Auf dem Gebiet der Chirurgie war vieles möglich, weil die Muslime die Anästhesie kannten und diese mit einem mit Narkosemitteln getränkten Schwamm durchführten. All die medizinischen Errungenschaften der Muslime aufzulisten, ist ein fast unmögliches Unterfangen. Denn es handelt sich um eine Geschichte von fast 1400 Jahren, in denen die Mediziner bereits in den Anfängen des Kalifats aktiv forschten und zu bedeutenden medizinischen Erkenntnissen gelangten. Festzuhalten ist jedoch ein weiteres Mal, dass die Blüte der Medizin bei den Muslimen nicht losgelöst vom Islam und dem Kalifat betrachtet werden kann.