Ausland Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der beste Flüchtling im ganzen Land

Es ist offensichtlich, dass zwischen Flüchtlingen aus der Ukraine und Geflüchteten aus anderen, nichteuropäischen Herkunftsländern differenziert wird. Rechtliche Grundlage ist hierfür eine EU-Richtlinie, die schon seit Jahrzehnten existiert und erstmals bei ukrainischen Geflüchteten genutzt wird.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 hält in Artikel 1 fest, dass alle Menschen „frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ sind, und in Artikel 2, dass nicht unterschieden werden darf zwischen „Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen oder Geburt“. Und in Artikel 14 heißt es schließlich: „Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.“ Die Menschenrechte sind das, worüber sich der Westen als selbsterklärte zivilisierte Welt definiert und sein Handeln in der Öffentlichkeit rechtfertigt. Damit demonstriert er seine Überlegenheit gegenüber anderen. Doch wie sieht die Idee der Menschenrechte in der Praxis aus, wenn der Westen mit Menschen anderer Hautfarbe und Sprache und vor allem anderer Religion und politischer Anschauung konfrontiert wird, die in sein Territorium eindringen, um Schutz zu suchen?

Wer könnte an der Idee der Menschenrechte zweifeln, wenn er die Aufnahme ukrainischer Geflüchteter in Deutschland, Polen und anderen Ländern sieht? Ihnen wurden die Grenzen ohne jede Bedingung geöffnet. Mit Bussen, Zügen und in Flugzeugen wurden sie in Sicherheit gebracht, um ihnen lange, unmenschliche Fluchtwege zu ersparen. Ukrainer sollten keinen Schleusern in die Hände fallen, die ihre Notlage ausnutzen und ihnen ihr letztes Geld abnehmen. Ukrainer sollen in Würde vor dem Krieg fliehen können. Sie sind Menschen wie du und ich – denkt sich der Europäer. Deshalb war die Bereitschaft der Menschen groß, sie privat bei sich aufzunehmen und ihnen eine Unterkunft zu geben. Man wollte ihnen die Unterbringung in gewöhnlichen Flüchtlingsunterkünften möglichst ersparen.

Aber genau dieses beherzte Engagement gegenüber ukrainischen Geflüchteten hat zutage gebracht, dass die Menschenrechte eine Lüge sind, an der der Westen hartnäckig festhält. Denn es gibt auch Nichtukrainer unter den Geflüchteten, die z. B. als Studenten in der Ukraine lebten und wegen ihrer Hautfarbe an der Flucht gehindert wurden. Sie mussten sich nicht nur an der ukrainisch-polnischen Grenze in eigene Warteschlangen stellen, sondern wurden aus Zügen und Bussen geprügelt, um Platz zu schaffen für Ukrainer. Kein Schwarzer oder Araber sollte einem Ukrainer die Möglichkeit zur Flucht nehmen. Auch in Deutschland stehen ukrainische Geflüchtete und Geflüchtete mit ukrainischem Aufenthalt nicht auf einer Stufe. Nichtukrainer sollen in ihre Heimatländer abgeschoben werden, wenn diese sicher sind. Die Entscheidung, ob ihre Länder sichere Herkunftsländer sind oder nicht, setzt natürlich das übliche langwierige Asylverfahren mit allen daran geknüpften Einschränkungen für die betroffenen Geflüchteten voraus.

Gerade Polen hat schon in der Vergangenheit gezeigt, wie unmenschlich es mit syrischen und afghanischen Geflüchteten umgeht. Als Belarus im Herbst 2021 hauptsächlich syrische und afghanische Geflüchtete an die Grenze zu Polen bringen ließ, verstärkte Polen umgehend den Grenzschutz. Seitdem sitzen tausende Geflüchtete unter unmenschlichen Bedingungen mitten im Wald fest – Frauen, Kinder, alte Menschen und Männer. Dieses widersprüchliche Bild muss man sich bewusst machen: An der ukrainisch-polnischen Grenze werden Massen von ukrainischen Geflüchteten nach Polen gelassen. Polen nennt sie nicht „Flüchtlinge“, sondern „Freunde“ oder „Nachbarn“. Währenddessen ist die belarussisch-polnische Grenze hermetisch abgeriegelt und die syrischen, afghanischen oder irakischen Geflüchteten, d. h. die Muslime, sitzen im Niemandsland fest. Sie werden als Staatsfeinde wahrgenommen, obwohl beispielsweise die Syrer ebenso vor Putins Bomben fliehen wie die Ukrainer. Doch wer nimmt noch die Kriegsverbrechen Russlands in Syrien war, wenn der Fokus der Medien auf dem Ukrainekrieg liegt?

Aber auch der Blick nach Deutschland zeigt, dass es Geflüchtete erster und zweiter Klasse gibt. Ukrainische Geflüchtete müssen sich nicht registrieren lassen, sie können sich ihren Aufenthaltsort selbst aussuchen und in einer Wohnung leben, sie erhalten sofort eine Arbeitserlaubnis und ihre Kinder können die Schule besuchen. Das alles bleibt Geflüchteten aus anderen Herkunftsländern verwehrt. Die normale Reaktion der Deutschen wäre, sich darüber aufzuregen, dass die Ukrainer ihnen ihre Arbeitsplätze und ihren Wohnraum wegnähmen. Aber diese altbekannte Reaktion bleibt aus, denn Medien und Politik halten sich zurück und machen keine Stimmung gegen ukrainische Geflüchtete. Das machen sie nur bei Flüchtlingen aus islamischen Ländern. Es ist diesmal keine Rede von Massenflucht, es gibt keine politische Diskussion über eine Obergrenze und es ist kein Jammern über die hohe Zahl von ukrainischen Geflüchteten zu hören.

Warum aber ist es rechtlich möglich, mit Geflüchteten aus der Ukraine so zu verfahren und Geflüchtete aus z. B. Syrien anders zu behandeln? Weshalb gibt es für Ukrainer eine Sonderbehandlung und einen direkten Weg ins gesellschaftliche Leben? Was die wenigsten wissen, ist, dass es seit dem Jugoslawienkrieg eine Richtlinie der EU gibt, die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie, die es erlaubt, dass Geflüchtete sofort einen Schutzstatus von bis zu drei Jahren erhalten sowie Zugang zu Krankenversicherung und zum Arbeitsmarkt, und zwar bedingungslos. Diese EU-Richtlinie kam noch nie zum Einsatz, obwohl es seit Existenz dieser Richtlinie Massen von Geflüchteten gab – auch durch Bomben Putins. Jetzt aber, da die Geflüchteten aus der Ukraine kommen, tritt diese Richtlinie erstmals in Kraft, um es den Geflüchteten zu erleichtern, im neuen Land Fuß zu fassen. Deshalb erhält ein Ukrainer in Deutschland direkt eine Aufenthaltserlaubnis von 2 Jahren. Ukrainer dürfen sofort arbeiten und einen Sprachkurs belegen, ihre Kinder haben Anspruch auf einen Kita- und Schulplatz und sie dürfen sich ihren Aufenthaltsort selbst aussuchen und eine Wohnung mieten. Ein syrischer Geflüchteter darf all das nicht. Er muss einen Asylantrag stellen und für sechs Monate in eine Landesunterkunft, die er nicht selbst wählen darf. Anspruch auf einen Sprachkurs haben syrische Geflüchtete in dieser Zeit nicht. Syrische Flüchtlingskinder können in dieser Zeit auch nicht in die Regelschule und bekommen allenfalls einen Ersatzunterricht in den Unterkünften, wo sie beengt leben. Das heißt, die EU-Richtlinie macht Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und allen anderen nichteuropäischen Ländern zu Flüchtlingen zweiter Klasse, die sogar aus ihren Wohnungen geworfen werden, um sie Ukrainern zur Verfügung zu stellen.

Wie glaubwürdig ist der Westen da noch mit seiner Idee von den Menschenrechten, wenn er zwischen Schutzbedürftigen so gravierend differenziert? Denn Unterschiede in den Kriegen gibt es nicht. Damit lässt sich die Ungleichbehandlung nicht erklären. Der Ukrainekrieg ist nicht schlimmer als der Syrien- oder der Afghanistankrieg. Also können es nur Hautfarbe und Religion sein, die zu der Ungleichbehandlung von Geflüchteten führen. Gerade Menschen, die schon seit Jahren in der Flüchtlingshilfe tätig sind, dämmert langsam, dass sie mit der Menschenrechtsidee einer Lüge aufgesessen sind. Aus ihren Reihen kommt inzwischen viel Kritik.