Ausland Die Geopolitik der Rohingya-Krise

Die Rohingya-Krise ging 2021 in ihr fünftes Jahr über und noch immer scheint kein Ende in Sicht. Mangelndes Engagement, fehlende Bereitschaft und sporadische Tötungen in den Flüchtlingslagern sowie ausländische Interessen stellen nach wie vor große Hindernisse für die Lösung dieser Krise dar.

Die Unterdrückung der Rohingya-Muslime durch Myanmar ist historisch belegt. In den späten 1970er Jahren wurden im Rakhaing-Staat Militäroperationen zur Vertreibung der „Ausländer“ (ein von der Militärjunta Myanmars stets gebilligter Begriff für die Rohingya) eingeleitet, die zu den ersten Flüchtlingsproblemen der Rohingya führten. Das im Jahr 1982 verabschiedete Staatsbürgerschaftsgesetz verschlechterte nach der Rückführung der Rohingya deren Lage noch weiter. Nach den Wahlen von 1991 startete das Militär eine weitere Operation gegen die Muslime. Später führte ein erbitterter buddhistischer Nationalismus, der durch sektiererische Gewalt angetrieben wurde, zur Vertreibung weiterer Rohingya im Jahr 2012. Doch die Militäroperation der Tatmadaw Ende 2016 und Mitte 2017 übertraf alle früheren Grausamkeiten und führte dazu, dass rund 800.000 Rohingya-Muslime vertrieben und zu Flüchtlingen im benachbarten Bangladesch wurden.

Während der Krise im Jahr 2017 bildeten Bangladesch und Myanmar eine gemeinsame Arbeitsgruppe für die Rückführung von Flüchtlingen. Im November 2017 einigten sich beide Parteien auf eine Rückführung von Rohingya-Muslimen in den Rakhaing-Staat. Der Verifizierungsprozess führte jedoch dazu, dass das Rückführungsprogramm nicht funktionierte. Später deckte Reuters ein geheimes Abkommen zwischen den Vereinten Nationen und Myanmar über die Rückführung von Flüchtlingen auf, welches im Mai 2018 geschlossen wurde. In diesem Abkommen lassen sich keine ausdrücklichen Garantien für die Staatsbürgerschaft und die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit der Flüchtlinge finden.

Einsicht in die Denkweise der Tatmadaw

Die Rohingya-Muslime sind das jüngste Opfer der Geopolitik. Sie befinden sich inmitten der diskriminierenden Innenpolitik Myanmars, ethnischer Verwerfungen und der Interessen von Großmächten wie China und den Vereinigten Staaten von Amerika. Seit dem Beginn seiner Unabhängigkeit ist Myanmar ein zersplittertes Land mit 135 ethnischen Gruppen. Es gibt 21 große bewaffnete ethnische Gruppen, von denen einige große Milizen unterhalten und Gebiete von der Größe Belgiens kontrollieren – ein direktes Ergebnis der „Teile und Herrsche“-Strategie aus der Kolonialzeit. Die Militärjunta Myanmars sah ihre größte Herausforderung darin, durch die Kontrolle der unruhigen Bergregionen das Land zu vereinen. Die Mehrheit der Bevölkerung Myanmars bilden die Birmanen (Bamar). Alle anderen ethnischen Gruppen machen gemeinsam beinahe 30 % der Bevölkerung aus. Sollte also eine ethnische Gruppe stark genug werden, würde sie eine Bedrohung für Naypyidaw darstellen. Die Junta-Regierung sah die Lösung für dieses potenzielle Problem in der eigenen Abschottung und weiterhin darin, die verschiedenen ethnischen Gruppen gegeneinander auszuspielen.

Buddhistischer Nationalismus

Der buddhistische Nationalismus hat eine wichtige Rolle bei den Bemühungen der Junta um die Vereinigung der Nation gespielt. 90 % der Bevölkerung Myanmars, einschließlich mehrerer großen ethnischen Gruppen, sind Buddhisten. Der Buddhismus befindet sich in einem historischen Konflikt mit den Muslimen in bengalischen Gebieten. Obwohl die natürliche Geburtsstätte des Buddhismus auf dem indischen Subkontinent lag, zogen die nachfolgenden indischen Hindu-Könige gegen die Buddhisten in einen Krieg, der beinahe zur Auslöschung des Buddhismus führte. Aus diesem Grund ist der Buddhismus im Rakhaing-Staat in Myanmar und in Südostasien kontinuierlich präsent geblieben. Rakhaing ist zum Brennpunkt der Auseinandersetzungen zwischen Arakanesen und Rohingya geworden. Die geographische Nähe des Staates zu Bangladesch ist der Grund für die höhere Konzentration von Muslimen in Myanmar. Die Tatsache, dass die Rohingya fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung des Rakhaing-Staates ausmachen, stellt für die ethnischen Arakanesen ein Problem dar. Sie sind nämlich der Auffassung, dass die Anerkennung der Rohingya zu einem Schwinden ihrer politischen Macht führen wird. Der Rakhaing-Staat liegt an der Westküste Myanmars und verfügt über das größte Offshore-Erdgasfeld des Landes. Rakhaing ist außerdem ein wichtiger Teil der Neuen Seidenstraße Chinas, weil darin eine große Pipeline in die chinesische Provinz Yunnan ihren Anfang nimmt und sich dort eine riesige Sonderwirtschaftszone befindet.

Der Konflikt zwischen China und den USA

China betrachtet das Grenzgebiet zu Myanmar als strategischen Puffer für seine abgelegene Provinz Yunnan und als alternative Versorgungsroute zum Indischen Ozean, um die Abhängigkeit von der verwundbaren Straße von Malakka zu verringern. Das Pipeline-Projekt und die Sonderwirtschaftszone der Neuen Seidenstraße sind die besten Beispiele für das chinesische Interesse an Myanmar. In der Vergangenheit hat China sowohl die ethnischen Widerstandsgruppen Myanmars als auch Naypyidaw unterstützt und beide gegeneinander ausgespielt. Nachdem die Militärjunta fünf Jahrzehnte lang ununterbrochen regiert hatte, wurde das Land im Jahr 2011 durch demokratische Wahlen für die Welt geöffnet. Anschließend verlor China seinen einstigen Einfluss auf Naypyidaw. Darüber hinaus wandte sich auch das Militär dem Westen und Indien zu, um seine Abhängigkeit von China zu reduzieren. Als die internationale Gemeinschaft nach der Flüchtlingskrise 2017 Menschenrechtsforderungen gegen die Militärjunta erhob, gewann China seinen Einfluss in Myanmar wieder zurück. Auch die Rolle Chinas als Vermittler zwischen Bangladesch und Myanmar ist unverkennbar.

Morde im Flüchtlingslager

Der vielleicht problematischste Faktor für die Rückführung der Rohingya sind die zahlreichen Morde in den Flüchtlingslagern in Bangladesch. Im September 2021 wurde der prominente Rohingya-Anführer Mohibullah in einem Massenlager in Cox’s Bazar erschossen, einer Stadt in Bangladesch. Mohibullah, der einst das Weiße Haus besuchte und Trump persönlich traf, war ein Verfechter der Menschenrechte und der Rückführung der Rohingya. US-Außenminister Anthony Blinken zeigte sich „zutiefst betrübt und beunruhigt“ wegen des Mordes an Mohibullah, dessen Beziehung zu den USA nicht zu übersehen war. Im Oktober 2021 kam es in einem Rohingya-Lager zu einer Schießerei und Messerstecherei, bei der sieben Menschen getötet wurden. Der grausame Vorfall ereignete sich unmittelbar nach der Ermordung Mohibullahs. Als Reaktion darauf erklärte der Außenminister von Bangladesch, Dr. AK Abdul Momen: „In den Rohingya-Lagern kommt es gezielt zu gewalttätigen Aktivitäten, einschließlich Morden, um eine Rückführung zu verhindern. Solche Vorfälle sind ein Grund zur Panik.“ Seit 2017 wurden etwa 50 Rohingya-Führer und -Aktivisten ermordet.

ARSA: Phantom der Junta?

Die Arakan Rohingya Solidarity Army (ARSA) ist die einzige aufständische Gruppierung der Rohingya. Nach Angaben der International Crisis Group (ICG) wurde die ARSA von in Saudi-Arabien lebenden Rohingya geführt. Laut der ICG ist der Anführer von ARSA Ata Ullah, der in Pakistan geboren und in Saudi-Arabien aufgewachsen ist. ARSA zufolge kämpfen sie im Namen der Rohingya, denen die grundlegendsten Rechte, einschließlich der Staatsbürgerschaft, verweigert werden. Doch ihre Operationen sind zweifelhaft. Eine bekannte bangladeschische Tageszeitung veröffentlichte nach der Ermordung Mohibullahs einen investigativen Artikel über die ARSA. Basierend auf verschiedenen Angaben von Seiten der Rohingya-Gemeinschaften geht aus dem Bericht hervor, dass die ARSA im Auftrag der Tatmadaw operiert. Der Eingriff ARSAs in die bereits äußerst komplexe Situation in Myanmar war ebenfalls dramatisch. Einen Tag nach der Veröffentlichung eines Berichts des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan im Jahr 2017 über die schlechte Behandlung der Rohingya durch die Regierung Myanmars, startete die ARSA koordinierte Angriffe auf militärische Außenposten Myanmars, bei denen Dutzende von Soldaten getötet wurden. Das darauffolgende Vorgehen des myanmarischen Militärs löste anschließend den jüngsten Exodus der Rohingya aus. Obwohl die ARSA nur leicht bewaffnet ist und auch nur aus einigen hundert Mitgliedern besteht, war die Reaktion des myanmarischen Militärs auf die ARSA im Vergleich zu ihrem Vorgehen gegen die United Wa State Army (eine bewaffnete Gruppierung der Wa) geradezu erdrückend. Und das trotz der Tatsache, dass diese über eine 30.000 Mann starke Armee verfügt und nahe der chinesischen und thailändischen Grenze gegen das myanmarische Militär kämpft.

Die Rohingyas befinden sich in einem Teufelskreis der Geopolitik, an dem sowohl regionale und internationale Mächte als auch interne Akteure beteiligt sind. Der jüngste Staatsstreich in Myanmar, durch den die demokratische Führerin Suu Kyi abgesetzt wurde, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Militärführung das Land erneut in die Isolation treibt. Auf diese Weise werden die Gespräche über die Rückführung ins Abseits gedrängt.