Islamrechtliche F&A Antwort auf eine Frage zu den kleinen und großen Sünden

Von den Muslimen werden nach dem Willen Allahs, des Erhabenen, jene ins Höllenfeuer eintreten, deren große Sünden (al-kabāʾir) und schlechte Taten (as-saiyiʾāt) die kleinen Sünden (aṣ-ṣaġāʾir) und guten Taten (al-ḥasanāt) überwiegen. Was ist mit den kleinen Sünden gemeint? Und warum wurden sie nebst den guten Taten erwähnt, obwohl es sich hierbei um kleine Sünden handelt?

Im Namen Allahs, des Erbarmungsvollen, des Barmherzigen

Aus der Serie der Antworten von Scheich ʿAṭāʾ ibn Ḫalīl Abū ar-Rašta
des amīrs von Hizb-ut-Tahrir,

auf die Fragen der Besucher seiner Facebook-Seite / Rubrik fiqhī.

Antwort auf eine Frage zu den kleinen und großen Sünden

Frage:

As-salāmu ʿalaikum wa raḥmatullāhi wa barakātuh

Unser ehrenwerter Scheich, ich habe eine Frage zu der Aussage aus dem Buch „Die islamische Persönlichkeit Teil 1“, so steht auf Seite 46 (Deutsche Ausgabe S. 65): Von den Muslimen werden nach dem Willen Allahs, des Erhabenen, jene ins Höllenfeuer eintreten, deren große Sünden (al-kabāʾir) und schlechte Taten (as-saiyiʾāt) die kleinen Sünden (aṣ-ṣaġāʾir) und guten Taten (al-ḥasanāt) überwiegen. Was ist mit den kleinen Sünden gemeint? Und warum wurden sie nebst den guten Taten erwähnt, obwohl es sich hierbei um kleine Sünden handelt? Anzumerken ist, dass ich kein Parteimitglied bin, weil die Partei in unserer Region nicht tätig ist.

Antwort:

Wa ʿalaikum as-salām wa raḥmatullāhi wa barakātuh

Die kleinen Sünden (ṣaġāʾir) sind jene, die eine leichte Strafe nach sich ziehen, und die großen Sünden (kabāʾir) sind solche, die zu einer schweren Bestrafung führen. Dazu das folgende Beispiel:

Lügen ist bekanntlich verboten (ḥarām). Wenn man nun zum eigenen Kind sagt: „Komm her, ich gebe dir etwas in meiner Hand!“, es dann kommt, man aber nichts in Händen hat, um es ihm zu geben, dann hat man gelogen. Dies ist eine Sünde (maʿṣiya). Doch ist ihre Auswirkung (aṯar) gering, daher zählt sie zu den kleinen Sünden (ṣaġāʾir). Aḥmad berichtet von Abū Huraira (r), dass der Gesandte Allahs (s) sprach:

مَنْ قَالَ لِصَبِيٍّ: تَعَالَ هَاكَ، ثُمَّ لَمْ يُعْطِهِ فَهِيَ كَذْبَةٌ

Wer auch immer zu einem Kind „Komm her, hier hast du etwas!“, sagt und ihm daraufhin nichts gibt, so ist es eine Lüge.

Wird man hingegen von einem Heerführer beauftragt, den Feind hinter dem Berg auszukundschaften, man dann zurückkehrt und ihm sagt, dass kein Feind hinter dem Berg vorhanden sei, obwohl sich dieser tatsächlich dort befindet, dann hat man ebenfalls gelogen und eine Sünde begangen. Ihre Auswirkung ist aber in diesem Falle verheerend, die Sünde gewaltig und die Strafe schwerwiegend. Daher wird sie zu den großen Sünden (kabāʾir) gezählt usw.

Was nun die Frage betrifft, warum die kleinen Sünden auf der Seite der guten Taten (ḥasanāt) erwähnt worden sind, so ist dies nicht geschehen, weil sie in dieselbe Waagschale gehören, sondern weil es sich um einen arabischen Rhetorikstil handelt, nämlich den Stil der gegenüberstellenden Entsprechung (uslūb al-muqābala). Dabei werden zwei Kategorien erwähnt, auf die zwei weitere folgen, sodass die dritterwähnte Kategorie der ersten und die vierterwähnte der zweiten entspricht und dieser gegenübersteht. Der Erhabene sagt zum Beispiel:

﴿وَإِنَّا أَوْ إِيَّاكُمْ لَعَلَى هُدًى أَوْ فِي ضَلَالٍ مُبِينٍ

Wahrlich, entweder wir (innā) oder ihr (iyyākum) sind rechtgeleitet (laʿalā hudan) oder in einem deutlichen Irrtum (fī dalālin mubīn).[34:24]

Der erste Satzteil wa innā (wir) entspricht hier dem dritten Satzteil laʿalā hudan (sind rechtgeleitet), währendder zweite Satzteil iyyākum (ihr) dem vierten Satzteil fī dalālin mubīn (in einem deutlichen Irrtum) entspricht. Gemäß diesem rhetorischen Stilmittel besagt der Vers also nicht, dass die ersten beiden Kategorien„wir“ und„ihr“ sich ähnlich seien und zusammengehörten und die beiden letzten Kategorien „sind rechtgeleitet“ und „in einem deutlichen Irrtum“ sich ebenso ähnlich seien und zusammengehörten. Vielmehr besagt der Vers, dass die erste Kategorie der dritten und die zweite der vierten entspricht. Somit hat der obige Satz deren große Sünden (kabāʾir) und schlechte Taten (saiyiʾāt) die kleinen Sünden (ṣaġāʾir) und guten Taten (ḥasanāt) überwiegen gemäß dem Stil der gegenüberstellenden Entsprechung (uslūb al-muqābala) folgende Bedeutung: „Von den Muslimen werden nach dem Willen Allahs, des Erhabenen, jene ins Feuer eintreten, deren große Sünden die kleinen Sünden überwiegen, und deren schlechte Taten die guten Taten überwiegen.“ Die kleinen Sünden und guten Taten stehen daher keinesfalls in Ähnlichkeit zusammen. Um dies zu bekräftigen, wurde die Präposition ʿalā gleichzweimal verwendet, einmal vor den kleinen Sünden: ʿalā ṣaġāʾirihim, und ein weiteres Mal vor den guten Taten: wa ʿalā ḥasanātihim, um zu verdeutlichen, dass es sich um zwei unterschiedliche Kategorien handelt. Man gab sich also nicht damit zufrieden, die beiden Kategorien bloß mit der Konjunktion „und“ (wa) zu trennen, sodass es ʿalā ṣaġāʾirihim wa ḥasanātihim heißen würde, sondern fügte noch die Präposition ʿalā hinzu und sagte: ʿalā ṣaġāʾirihim wa ʿalā ḥasanātihim, um jedes Missverständnis zu auszuschließen.

Und nun noch zum letzten Satz in deiner Frage: „Anzumerken ist, dass ich kein Parteimitglied bin, weil die Partei in unserer Region nicht tätig ist.“ Wenn du dieses Gute, zu dem wir aufrufen, tragen möchtest, so können wir dir dabei behilflich sein…

Abschließend möchte ich dir den Friedensgruß ausrichten und für dein Wohlergehen ein Bittgebet sprechen.

Euer Bruder ʿAṭāʾ ibn Ḫalīl Abū ar-Rašta
07. Ḏū al-Qaʿda 1435 n. H.
09.02.2014