Wer sich heute noch als Pazifist der alten Schule outet, gilt als Putinfreund und Kriegstreiber. Der Grünenpolitiker Hofreiter saß am 7. April 2022 bei Markus Lanz und offenbarte sich nach seinem Ukrainebesuch als waschechter Militärexperte. Mit einer Leichtigkeit konnte er die Panzernamen samt militärischer Funktion runterrasseln. Ganz so wie ein stolzer Schuljunge, der sich damit brüstet alle Automarken und deren PS-Zahl zu kennen. Für Menschen, die Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnen, hat der Politiker, der einst die Große Koalition wegen der vielen Waffenexporte lautstark kritisierte, nichts übrig. Ein moderner Pazifist, der den Krieg verkürzen will, schickt Waffen. Diese glasklare Paradoxie ist kein neues Phänomen, denn Jahre zuvor verlief die Abkehr von alten Grundsätzen ähnlich.
Im Oktober 2014 veröffentlichte DIE LINKE in der sozialistischen Tageszeitung Neues Deutschland einen Aufruf mit dem Titel „Kobane retten!“. Vor dem Hintergrund von Mord und Folter in Kobane sei „eine militärische Unterstützung und Kooperation der Kurden in und um Kobane unumgänglich“ „Die kurdischen Selbstverteidigungskräfte benötigen dringende Unterstützung im Kampf gegen die IS-Terrormiliz […].“ Der Inhalt ist nicht so überraschend wie der Autor, der hier die unumgängliche militärische Unterstützung fordert. Als die UN vor einem drohenden Völkermord in Mali warnte, lehnten die gleichen Politiker unter dem Motto „Bundeswehr raus aus Mali“ einen Einsatz der Bundeswehr ab. Genauso entschieden wehrte man sich zunächst gegen einen Einsatz in Syrien. Aber irgendwann sagte man „Adieu Pazifismus“, was so gar nichts mehr zu tun hatte mit „Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“. Die Vertreter der LINKEN waren nicht die einzigen Pazifisten, deren Herzschlag plötzlich im Einklang mit dem Schlag der Kriegstrommeln schlug. Niemand geringerer als der Papst selbst verlautbarte in aller Offenheit: „Es ist legitim, den ungerechten Aggressor zu stoppen.“ Dem „Bösen“, wie er sagte, müsse die Stirn geboten werden. So kategorisch, wie er für einen Krieg gegen das Böse namens ISIS einstand, so kategorisch lehnte er nur wenige Monate zuvor in einem Brief an Washington eine Intervention in Syrien ab, als das „Böse“ noch Baschar hieß.
Selbst erklärte Pazifisten, wie der inzwischen verstorbene Rupert Neudeck von Cap Anamur, kehrte sich von seinen Idealen ab und marschierte im Gleichschritt mit. Im Rahmen eines Interviews im Heute Journal (August 2014) betonte er, dass er Gewalt im Prinzip ablehne, aber nicht bereit sei, Menschen sterben zu lassen „nur wegen der Reinheit seiner Philosophie“. Hier zeigt sich ein mustergültiges Paradoxienmanagement. Man sei zwar gegen Gewalt, aber zu humanistisch, um zuzusehen, wie die erklärten Verbrecher morden, foltern, vergewaltigen etc. Es entsteht ein gesamtgesellschaftlicher Konsens für eine Militäroperation, die dem eigentlichen Meinungsbild widerspricht. Aber wie entsteht so ein Übereinkommen? Wie entsteht eine Metamorphose aus Pazifismus in Kriegshysterie?
Um dies zu verstehen, muss man weit zurückblicken und sich zwei Personen aus der Vergangenheit in die Gegenwart rufen, die so einen Konsens heute möglich machen. Einer davon ist Walter Lippmann, der einer der einflussreichsten Theoretiker der liberalen Demokratie war. Er lenkte bis zu seinem Tod 1974 die Weltmacht aus dem Hintergrund. Der amerikanische Journalist war als Präsidentenberater aller Präsidenten tätig, beginnend mit Wilson, und hatte entscheidenden Einfluss auf die amerikanische Außenpolitik. Unter Präsident Wilson war Lippmann maßgeblich daran mitbeteiligt, die Meinung der amerikanischen Öffentlichkeit in jede erdenkliche Richtung zu lenken. Der Präsident hatte die Wahlen 1916 mit dem einfachen Slogan „Frieden ohne Sieg“ und dem Versprechen einer strikten Neutralität im europäischen Krieg gewonnen. Sein Gegenspieler aus der republikanischen Ecke hingegen rief zur Mobilmachung und militärischen Intervention auf. Wilson gewann die Wahlen, da seine Wahlstrategie an die damalige isolationistische Stimmung der amerikanischen Gesellschaft angepasst war. Der Großteil der Amerikaner lehnte es entschieden ab, sich in einen Krieg in Europa hineinziehen zu lassen. Dies war Wilson oder vielmehr seinem Berater sehr wohl bewusst, aber ihnen war wiederum sehr daran gelegen, nach Europa aufzurücken. Sie mussten es also schaffen, den Willen der Mehrheit in eine völlig entgegengesetzte Richtung zu lenken.
Eine Woche nach der Kriegserklärung an Deutschland am 13. April 1917 wurde die sogenannte Creel-Commission auf die Beine gestellt, welche auch unter dem Namen Committee of Public Information (Komitee für Öffentlichkeitsarbeit) bekannt wurde. Diese Propaganda-Agentur sollte die Bevölkerung psychologisch auf die Kriegsteilnahme der USA einstimmen. Die Kommission benötigte lediglich ein halbes Jahr, um die US-Bevölkerung in Kriegshysterie zu versetzen. Mit Hilfe aus Hollywood wurde das Bild des deutschen Monsters geschaffen, um damit die Bürger in Angst und Schrecken zu versetzen. Mit Filmen wie „Die Klauen der Hunnen“, „Der preußische Hundesohn“ und „Der Kaiser, die Bestie von Berlin“ sollte sich ein eindeutiges Bild „des monströsen Deutschen“ in den Köpfen amerikanischer Bürger manifestieren. Zudem wurden die Einwohner durch Schriften vor deutschen Spionen gewarnt und dazu das Gerücht gestreut, deutsche Soldaten würden belgische Kinder zerstückeln. Die breite Masse der US-Bürger griff von nun an nicht mehr zum Tamburin. Die Propaganda der Kommission war ein voller Erfolg. Es bildeten sich sogar diverse patriotische Organisationen, die Telefone abhörten und Briefe öffneten, um die „Spione und Verräter“ aufzustöbern. Jeder, der die Wilson-Regierung kritisierte oder eine Kriegsbeteiligung ablehnte, machte sich verdächtig. Es ging sogar so weit, dass viele deutschstämmige Amerikaner ihre Arbeit verloren oder in aller Öffentlichkeit gedemütigt wurden. Schlussendlich schickte Wilson amerikanische Truppen mit den Worten „Recht ist kostbarer als Frieden“ auf das europäische Schlachtfeld.