Westliche Konzeptionen Meinungsformung (2) – Four Minute Man

Um eine Weltmacht zu führen, benötigt man ein Gesicht, das die Öffentlichkeit kennt, und Berater, die die Weltmacht aus dem Hintergrund lenken. Dies sind die Personen, die sich außerhalb des Lichtkegels bewegen.

Einer von diesen war der renommierte Journalist Walter Lippmann, der unter Präsident Wilson als Präsidentenberater fungierte und das so effektiv, dass er bis zu seinem Tod 1974 diese Rolle bei allen folgenden Präsidenten behalten durfte. Wilson hatte 1916 die Wahlen mit dem Versprechen einer strikten Neutralität im europäischen Krieg gewonnen. Dies entsprach dem isolationistischen Zeitgeist der amerikanischen Bevölkerung, die sich in keinen Krieg im fernen Europa ziehen lassen wollte. Dem Präsidenten war aber entgegen aller Beteuerungen sehr wohl daran gelegen, in den Krieg zu ziehen. Deshalb musste die Meinung der Bevölkerung in eine völlig entgegengesetzte Richtung gelenkt und geformt werden. Bereits eine Woche nach der Kriegserklärung an Deutschland wurde die sogenannte Creel Commission gegründet, welche auch unter dem Namen Commitee on Public Information bekannt wurde.

Diese Propaganda-Agentur stimmte die Bevölkerung psychologisch auf die Kriegsteilnahme der USA ein. Dabei bediente man sich Kanälen wie Zeitschriften, Filmen und Radio, um Nachrichten zu verbreiten. Ein relevanter Verbreitungskanal war ein Freiwilligen-Corps mit etwa 75.000 Mitgliedern, der sogenannte Four Minute Man, der im Dienste der neu gegründeten Propaganda-Agentur landesweit Reden hielt. Diese wurden überwiegend in den Kinos während der vierminütigen Pausen gehalten, die beim Wechsel der Filmrollen entstanden. Inhaltlich ging es hauptsächlich um die amerikanischen Erfolge im Ersten Weltkrieg und die Gefahr, die von den Deutschen ausging. In etwa 5.200 Gemeinden wurden 755.190 Four-Minute-Speeches gehalten und so über 11 Millionen Zuhörer erreicht. Zu den bekanntesten Rednern gehörte Charlie Chaplin. Am Ende kämpften amerikanische Truppen mit den Worten „Recht ist kostbarer als Frieden“ und der Unterstützung der Bevölkerung auf dem europäischen Schlachtfeld. Die Propaganda-Agentur setzte den Grundstein für die heutige Public-Relations-Industrie, nicht nur in den USA.

Neben der journalistischen Größe Lippmann war auch der PR-Spezialist Edward Bernays an der dargestellten Propaganda-Strategie maßgeblich beteiligt. Edward Bernays, ein Neffe Sigmund Freuds, ist heute nur wenigen bekannt, doch sein Einfluss auf das 20. Jahrhundert hätte größer nicht sein können. Fast im Alleingang erfand er die Methoden der heutigen Werbemaschinerie. Mit seiner Arbeit legte er den Grundstein für eine Konsumkultur, in der Menschen kaufen, was sie nicht wollen, und Bedürfnisse befriedigen, die sie vorher nie hatten. Bis dahin pries Werbung die Funktion und die Haltbarkeit von Produkten an. Bernays aber setzte auf die Gefühle, nicht den Verstand. Zurecht wird er heute als „Vater der Public Relations“ bezeichnet. Bernays war der „Vater der Meinungsformung“, die er schlicht „engineering of consent“ nannte. Einige Beispiele seines Wirkens sind wirklich erstaunlich. 1929 ließ er in New York City zur traditionellen Osterparade eine Gruppe von Frauen, die von Reportern umringt waren, Zigaretten zücken, die sie genüsslich in aller Öffentlichkeit rauchten. Damals war dies noch ein Skandal, denn bis dahin rauchten Frauen nur heimlich, denn die Zigarette in weiblichen Händen galt als nicht schicklich. In den USA war Rauchen für Frauen ohnehin per Gesetz verboten. Die Journalisten machten die Aktion mit dem Motto „Torches of Freedom“ – „Fackeln der Freiheit“ – am nächsten Tag zum landesweiten Aufmacher. Von nun an galt die rauchende Frau als emanzipiert und frei. Einen solchen Weg nahm Bernays auch, als er für einen Lebensmittelhersteller die Schinkenverkaufszahlen steigern wollte. Er erfand einfach das „American Breakfast“ mit Schinken und Ei. Hierfür ersann Bernays als Erster ein Expertenkomitee für PR-Zwecke. Mehrere bekannte Ärzte bezahlte er dafür, unter ihren Kollegen eine Umfrage durchzuführen, ob ein leichtes oder ein herzhaftes Frühstück gesünder sei. Wenig überraschend gewann das herzhafte Frühstück mit Schinken und Ei. Die Nachricht wurde kurzerhand in den Zeitungen verbreitet. Die gesundheitsbewussten Amerikaner folgten schließlich den Ratschlägen der Ärzte. „Bacon and Eggs“ wurde zum neuen Nationalfrühstück. Bernays Einsicht war so simpel wie wirkungsvoll: Menschen können über Meinungsführer gelenkt werden. Ein moderner Propagandist bediene nicht eine Mode, er schaffe neue Moden, so das Credo des Werbekünstlers. Dazu machte er sich die großen Geister und bekannten Gesichter der Gesellschaft zunutze – Schauspieler, Architekten, Ärzte und Wissenschaftler. Derart wurde Bernays zum Übervater der heutigen Spin-Doktoren, der politischen Berater, die sich um die Darstellung ihrer Auftraggeber in der Öffentlichkeit und den Medien kümmern. Die Macht der Meinungsmacher schien in Bernays Augen beinahe grenzenlos. „Wenn wir den Mechanismus und die Motive des Gruppen-Denkens verstehen, ist es jetzt möglich, die Massen ohne deren Wissen nach unserem Willen zu kontrollieren und zu steuern“, so Bernays. Sein Buch „Propaganda“ beginnt mit dem Kapitel „Organising Chaos“ und seinem Grundsatz: „Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in der demokratischen Gesellschaft. Wer die ungesehenen Gesellschaftsmechanismen manipuliert, bildet eine unsichtbare Regierung, welche die wahre Herrschermacht unseres Landes ist.“ Laut Bernays werde der Verstand geformt, Geschmäcker gebildet und Ideen größtenteils von Männern suggeriert, von denen die allgemeine Öffentlichkeit nie gehört habe.