Edward Bernays, der als Vater der Public Relations gilt, und sein ideologischer Freund, der Journalist und Präsidentenberater Walter Lippman, waren Pioniere in der gewaltfreien Herstellung von Konsens. So war es laut Lippmann eine „Revolution in der Kunst der Demokratie“, dass mithilfe der Propaganda der Creel-Kommission von 1917 die amerikanische Bevölkerung gewillt war, sich von einem Einzug in den europäischen Krieg überzeugen zu lassen, obwohl sie ihn nur kurz zuvor abgelehnt hatten. Augenscheinlich kann die Öffentlichkeit ganz ohne Gewaltanwendung auf Ereignisse eingestimmt werden, die sie ohne Beeinflussung ablehnen würde. So, wie man mithilfe von Werbung dazu gebracht wird, ein Produkt zu kaufen, an das man zuvor nicht gedacht hat.
Lippmann sah in dieser Errungenschaft auch eine Notwendigkeit, denn das Interesse des Gemeinwesens entziehe sich der öffentlichen Meinung völlig und dürfe nur von einer „spezialisierten Klasse“, den sogenannten verantwortlichen Männern, getragen werden. Seiner Meinung nach teile sich eine intakte Demokratie in zwei Klassen auf. Die eine Klasse bestehe aus den „Spezialisten“, die aktiv mit den Angelegenheiten des Allgemeinwohls betraut werden, d. h., sie analysieren die Lage und treffen die Entscheidungen in den politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Systemen. Diese Klasse mache nur einen ganz kleinen Prozentsatz der Gesamtbevölkerung aus. Ihr gegenüber stehe die Klasse der „Handlungsobjekte der Spezialisten“. Sie seien die „verwirrte Herde“, so Lippmann, vor deren „Getrampel und Gelärm“ die „Spezialisten“ geschützt werden müssen. In seinen Essays zur Demokratie fordert er immer wieder, dass nur die „spezialisierte Klasse“ für die „Herausbildung einer gesunden öffentlichen Meinung“ Sorge tragen dürfe, weil die Öffentlichkeit lediglich aus „unwissenden und zudringlichen Außenseitern“ bestehe. Lippmann vertrat eine Demokratietheorie, die bis heute Gültigkeit hat. Vor diesem Hintergrund erscheint das Zitat des ehemaligen Präsidenten der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker, der gleichzeitig ehemaliger Premierminister von Luxemburg war, gar nicht mehr so außergewöhnlich: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt“.
Die „verwirrte Herde“ hat also in einer funktionierenden Demokratie lediglich die Befugnis, die „Spezialisten“ zu wählen und den Rest der Zeit mit Grasen zu verbringen. Durch die Medien, das Erziehungssystem und die Alltagskultur wird der nötige „Konsens“ hergestellt und die Herde in jede Richtung gelenkt, die dem Schäfer gerade recht ist. Der Politologe Niebuhr rechtfertigt dies mit der Vorstellung, dass rationales Denken eine nicht gerade weit verbreitete Eigenschaft sei. Harold Lasswell, Politologe und Kommunikationstheoretiker, betont in der „Encyclopaedia of the Social Sciences“, dass man sich nicht einem „demokratischen Dogmatismus“ hingeben und auch nicht davon ausgehen sollte, „die Menschen könnten je ihre eigenen Interessen selbst am besten beurteilen“. Deshalb müsse die intelligente Elite die „Ignoranz und Dummheit der Massen“ erkennen. Hier wird ganz deutlich: Der Unterschied zwischen der Demokratie in einem vermeintlich freien liberalen Staat und der Demokratie in einer Diktatur liegt lediglich in den Mitteln, mit denen der „Konsens“ hergestellt wird. In einer Gesellschaft, die sich frei nennt, wird die „verwirrte Herde“ mit der Angst vor dem Wolf in Schach gehalten und mit Überfluss an Futter gezähmt. In einer Diktatur reicht ein Elektrozaun, den jedes Schaf, welches sich auch nur in Richtung des Zauns bewegt, zu spüren bekommt.