1967 wurde Nigeria von einem blutigen Bürgerkrieg erschüttert, bei dem es, wie so oft, um Öl ging. Im Hintergrund dieses Krieges schwelten Herrschaftskonflikte zwischen der muslimischen Führungsschicht aus Nordnigeria, die die Zentralregierung dominierte, und der christlichen Führungsschicht aus der Südostregion Biafra, in deren Boden ein Erdölvorkommen neu entdeckt wurde. Nach dieser Entdeckung erklärte Biafra die Unabhängigkeit von Nigeria, was den Konflikt herbeiführte. In genau jenem sogenannten Biafra-Krieg waren diverse PR-Agenturen aktiv. Für die biafranische Regierung waren die Genfer Werbeagentur Markpress des US-Amerikaners H. William Bernhardt und die amerikanische PR-Agentur Ruder Finn aktiv. Demgegenüber stand die nigerianische Regierung, für die etwa vier britische PR-Agenturen engagiert wurden. Dass sich britische und US-Agenturen gegenüberstanden, war kein Zufall. Der Biafra-Krieg war ein Stellvertreterkrieg genau dieser beiden Regierungen. Es war erneut ein Krieg, der aus dem kolonialen Erbe entstand und den handfeste nachkoloniale Interessen anheizten.
In der Dissertation „Die Propagandastrategie Biafras im nigerianischen Bürgerkrieg“ analysiert Gernot Zieser die Rolle von PR-Agenturen, Kirchen und Bürgerinitiativen für die öffentliche Meinungsbildung. Ziesers Befunde sind in dem Zusammenhang eindeutig. Die Provinzregierung in Biafra hatte die Werbeagenturen damit beauftragt, gegenüber der US-amerikanischen und europäischen Öffentlichkeit ihre Interessen wahrzunehmen. Für die Manipulation insbesondere des europäischen Pressemarktes wurde die Agentur Markpress im Februar 1968 beauftragt. In regelmäßigen Presseaussendungen an die europäische Presse hatte die Agentur in zwei Phasen mit zwei unterschiedlichen Themenkreisen „agenda setting“ betrieben und so die Themenschwerpunkte festgesetzt. In einer ersten Phase bis Ende 1968 war das wesentliche Stichwort „Völkermord“. Dann wurde dieser Stereotyp von der Formel „Hunger“ abgelöst. Wie Zieser in einem akribischen Vergleich zwischen den Presseaussendungen von Markpress und den Biafra-Berichten in der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) nachweisen konnte, übernahm die FAZ die markanten Stichworte von Markpress. Dies war deshalb so augenscheinlich, weil es von Markpress entworfene Begriffe gab, die in der FAZ vorher nur am Rande erwähnt wurden oder gar keine Erwähnung fanden. Gleichzeitig kam es zu zahlreichen Aktivitäten der katholischen Kirche und zur Bildung von sogenannten Biafra-Komitees, die seit dem Frühjahr 1968 in vielen westlichen Ländern in Erscheinung traten. In den USA gab es beispielsweise die von einer PR-Agentur gegründete NGO „Biafran Students Association“, die gegen Honorar vor dem UNO-Hauptquartier politische Demonstrationen für die Unabhängigkeit Biafras organisierte. In Deutschland tat sich die Hamburger »Aktion Biafra-Hilfe« hervor, aus der später die »Gesellschaft für bedrohte Völker« (GfbV) hervorging. Gerade sie war es, die im Zusammenhang mit dem Biafra-Krieg Signalwörter wie Völkermord, Massenvernichtung, Massengräber, Rassenwahn, Liquidierung, Vertreibung, Konzentrationslager und Auschwitz einsetzte und Vergleiche zwischen den unterlegenen Biafranern und den Juden unter der faschistischen NS-Herrschaft zog.
Durch die PR-Manipulation von oben, verbunden mit einer scheinbar spontanen Empörung von unten, entwickelte sich ein in sich geschlossenes Kommunikationssystem. Dessen Verstärkerwirkung konnte sich zu jener Zeit kaum jemand entziehen. Dadurch wurde die Kriegsberichterstattung im Sinne der Regierung von Biafra ganz eindeutig beeinflusst und verändert. Das neu entdeckte Öl und die Interessen des Shell-Konzerns wurden in dem Zusammenhang in der gesamten Berichterstattung komplett ausgeklammert. Stattdessen versorgte Markpress die Presse mit immer schlimmeren Gräuelmeldungen wie die völlig verstörende Nachricht, Nigerianer hätten in einem Biafra-Krankenhaus zwölf Kinder am Spieß gebraten und verspeist, tollwütige Tiere auf Menschen gehetzt und die Lebensmittel vergiftet. Der „Stern“ veröffentlichte eine Titelgeschichte über die „verhungernden Kinder von Biafra“, „Der Spiegel“ sprach auf seinem Cover von einem „Todesurteil für ein Volk“. Die Hungersnot erwies sich als praktisches Thema und es wurde im zweiten Schritt ein verheerendes „Hungergespenst“ an die Wand gemalt. Nun schaffte es der Biafra-Krieg auf nahezu alle Titelseiten. Aber Biafra blieb nicht lange in den Schlagzeilen, denn die Medien wandten sich einem geopolitisch wichtigeren Thema zu – am 21. August 1968 waren die Warschauer-Pakt-Staaten in der Tschechoslowakei einmarschiert.
Jim Harff, der frühere Direktor der Agentur Ruder Finn, die für Biafra arbeitete, betonte immer wieder, dass kein moderner Krieg ohne PR-Agentur noch durchführbar sei. Er antwortet einmal in einem Interview, wie er einen Auftrag angeht, mit den Worten: „Das ist ganz einfach. Unser Arbeitsgerät besteht im Wesentlichen aus einer Kartei, einem Computer und einem Fax. Die Kartei enthält die Namen von einigen Hundert Journalisten, Politikern, Repräsentanten, humanitären Organisationen und Universitätsorganisationen“. Die PR-Branche ist die einzige Branche weltweit, die von der Finanzkrise unberührt blieb und jährlich um 20 % wächst. In den USA gibt es doppelt so viele Mitarbeiter in der Branche, wie es Journalisten im Land gibt. Insbesondere in den USA sind Politik und Werbegesellschaften personell eng verzahnt. Regierungsvertreter, Senatoren und Abgeordnete sitzen im Vorstand von PR-Agenturen und sind honorierte Lobbyisten. Umgekehrt wurden Manager der bekanntesten Werbegesellschaften in den Staatsdienst geholt. Die Produktmanagerin von Uncle Ben`s Rice beispielsweise arbeitete später unter der Regierung Bush jun. für Uncle Sam.
Es ist also nur ratsam, bei der eigenen Meinungsbildung als verständiger Konsument von Medien immer wieder die Presse bedacht zu durchforsten. Jeder sollte versuchen, alte Informationen wieder in den Lichtkegel zu rücken und sie mit der Gegenwart abzugleichen. Denn nur der kindliche Verstand agiert im Hier und Jetzt ohne ein Verständnis von gestern und morgen. Die PR-Branche verlässt sich darauf, dass man vergisst, und platziert immer wieder Informationen, die nur im Heute einen Effekt haben.