Westliche Konzeptionen Entwicklungshilfe ist ein Instrument des Kolonialismus (1)

Alle Staaten, die Entwicklungshilfe leisten, sind kapitalistische Staaten. Selbstlose Entwicklungshilfe, die nur den Entwicklungsländern zugutekommt, existiert im kapitalistischen System nicht, weil sie dem Handlungsmaßstab von Profit und Nutzen widerspricht. Deshalb ist die Entwicklungshilfe, die die reichen Industriestaaten leisten, ebenfalls diesem Handlungsmaßstab unterworfen. Hierbei verteilt sich der Nutzen der Entwicklungshilfe nicht zu gleichen Teilen auf die Geberländer und die Entwicklungsländer, sondern kommt ausschließlich den Geberländern zugute.

Es gibt die Erste und die Dritte Welt. Letztere setzt sich zusammen aus den sogenannten Entwicklungsländern. In den Entwicklungsländern herrschen Armut und Hunger aufgrund eines niedrigen Pro-Kopf-Einkommens und schlechter Nahrungsmittelversorgung, eine schlechte Gesundheitsversorgung, mangelhafte Bildungsmöglichkeiten, hohe Arbeitslosigkeit und eine ungleiche Verteilung von Vermögen und Gütern. Es sind Länder, die, gemessen an den westlichen Industriestaaten, einen geringen Entwicklungsstand aufweisen und somit als unterentwickelt gelten. Aber warum ist das Pro-Kopf-Einkommen niedrig und sind die Nahrungsmittel- und Gesundheitsversorgung sowie die Bildungsmöglichkeiten so schlecht?

Die Entwicklungsländer haben sich nicht selbst diesen Namen gegeben und sie haben ihre Situation auch nicht selbst verschuldet. Beides geht auf die westlichen Industriestaaten zurück, die überhaupt erst durch den jahrhundertelangen Kolonialismus zu reichen Industriestaaten aufsteigen konnten und dabei eine Dritte Welt hervorgebracht haben, die bis heute den Preis des westlichen Wohlstands zahlt. Folglich ist es kein Zufall, dass ausgerechnet jene Länder zu den Entwicklungsländern zählen, die kolonialisiert wurden und dann hauptsächlich in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts ihre vermeintliche Unabhängigkeit erhielten. Das Jahr 1960 gilt als das „Jahr Afrikas“. Doch die scheinbare Dekolonialisierung bedeutete nicht das Ende der Ausbeutung, sondern nur den Übergang in eine neue verborgene Form des Kolonialismus. Denn die Ausbeutung wurde von den westlichen Staaten weiterhin betrieben und sogar als Entwicklungshilfe bezeichnet. Inzwischen sprechen sie sogar von „Entwicklungszusammenarbeit“.

Die westlichen Industriestaaten, die noch immer Kolonialmächte sind, haben nämlich ein System und Strukturen aufgebaut, um die Entwicklungsländer weiterhin an sich zu ketten und zu schröpfen. Dazu gehört beispielsweise die Vergabe von Krediten durch den IWF und die Weltbank oder aber durch andere Fonds und Entwicklungsbanken. Die Länder werden nie in der Lage sein, diese Kredite zurückzuzahlen und schuldenfrei zu werden. Hierbei sind nicht die ursprünglichen Kredite das Problem, sondern die Zinsen, die die Staatsschulden in die Höhe treiben. Dadurch entstehen eine dauerhafte Abhängigkeit und ein Druckmittel. Kredite gibt es nur gegen Auflagen und das Erfüllen von Bedingungen. Die Entwicklungsländer befinden sich in einer Schuldenfalle, aus der sie nie herauskommen werden. In Wahrheit hält Entwicklungshilfe in Form von Krediten, Subventionen, Zuschüssen, Öffentlicher Entwicklungszusammenarbeit – im Englischen Official Development Assistance (ODA) genannt – und öffentlich-private Partnerschaften jenen Kolonialismus aufrecht, den man für überwunden glaubte. Vor allem öffentlich-private Partnerschaften (Public Private Partnership: PPP) saugen die Entwicklungsländer extrem aus. Man hat nämlich kein echtes Interesse daran, den Zustand eines Entwicklungslandes so zu verbessern, dass es nicht mehr auf die Hilfe anderer Staaten angewiesen ist. Das Abhängigkeitsverhältnis will man also gar nicht aufgeben, sondern vertiefen.

Wenn man an Entwicklungsländer denkt, ist Afrika die erste Assoziation, die man hat. Vor allem den afrikanischen Kontinent verbinden wir mit Armut, Hunger und Unterernährung. Diese Vorstellung steht aber im Widerspruch zu der Tatsache, dass Afrika ein reicher Kontinent ist. Doch die Menschen profitieren nicht von diesem Reichtum, weil der Westen die Rohstoffe Afrikas begehrt und einen Weg gefunden hat, wie er sich schamlos an den Reichtümern bedienen kann. Das Problem der Entwicklungsländer besteht folglich nicht darin, dass keine Bodenschätze oder fruchtbarer Boden vorhanden wären. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Doch die westlichen Industriestaaten hindern die Menschen daran, die natürlichen Reichtümer ihres Kontinents zu nutzen, da sie diese wie selbstverständlich für sich beanspruchen. Würden die westlichen Industriestaaten ihre kapitalistischen Tentakel von Afrika lösen, könnten sich die afrikanischen Länder entwickeln und wirtschaftlich wachsen. Aber ein wesentlicher Hinderungsgrund ist eben die Entwicklungshilfe.

Entwicklungshilfe soll, wie der Name schon sagt, die Entwicklung eines Landes fördern, das diese Hilfe empfängt. Obwohl es schon lange Entwicklungshilfe gibt, konnte bisher aber dahingehend kein Effekt festgestellt werden. Ein direkter Zusammenhang zwischen Entwicklungshilfe auf der einen Seite und Wirtschaftswachstum und Reduzierung der Armut auf der anderen Seite ist nicht vorhanden. Wie viel Geld hat der afrikanische Kontinent seit den Fünfziger- und Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts bis heute an Entwicklungshilfe erhalten und wie viel Erfolg hat es gebracht? Man kann sogar sagen, dass es Afrika nach jahrzehntelanger Entwicklungshilfe deutlich schlechter geht. Das liegt durchaus im Interesse der westlichen Industriestaaten, denn würde die Entwicklungshilfe halten, was sie verspricht, hätten die Industriestaaten ein ernsthaftes Problem. Ein entwickeltes und unabhängiges Afrika wäre nicht mehr so leicht auszubeuten.

In Wahrheit helfen die Geberländer mit ihrer Entwicklungshilfe nur sich selbst. Ihre Entwicklungshilfe orientiert sich nicht am Bedarf der Länder, die als entwicklungshilfebedürftig eingestuft werden, sondern nur am eigenen Interesse. Das Beispiel Syriens verdeutlicht es. Seit dem Beginn des Krieges in Syrien war die Zahl der Flüchtlinge sehr hoch, was aber zunächst niemanden interessierte. Doch in dem Augenblick, als die Menschen begannen, nach Europa zu fliehen, stockte Deutschland die Entwicklungshilfe auf, um die Flüchtlinge von Deutschland fernzuhalten. Ziel der Entwicklungshilfe ist hier also keineswegs, die Entwicklung eines Entwicklungslandes zu unterstützen. Deutschland verbuchte sogar die Ausgaben der Flüchtlingshilfe in Deutschland als Entwicklungshilfe, wie z. B. die Kosten für Notunterkünfte. Das ist laut Ausschuss für Entwicklungshilfe der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) durchaus legitim. Man muss aber kein Experte sein, um zu erkennen, dass Flüchtlingshilfe in Deutschland keine Entwicklungshilfe für die Herkunftsländer darstellt. Mit dem, was Deutschland hier als Entwicklungshilfe deklariert, werden ausschließlich deutsche Interessen verwirklicht.

Zwischen dem, was das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) als Entwicklungszusammenarbeit definiert, und der Realität von Entwicklungshilfe liegen Welten. So kann man auf der Homepage des BMZ lesen: „Entwicklungszusammenarbeit (EZ) hat die Aufgabe, den Menschen die Freiheit zu geben, ohne materielle Not selbstbestimmt und eigenverantwortlich ihr Leben zu gestalten und ihren Kindern eine gute Zukunft zu ermöglichen. Sie leistet Beiträge zur nachhaltigen Verbesserung der weltweiten wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und politischen Verhältnisse. Sie bekämpft die Armut und fördert Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Entwicklungszusammenarbeit trägt zur Prävention von Krisen und gewalttätigen Konflikten bei. Sie fördert eine sozial gerechte, ökologisch tragfähige und damit nachhaltige Gestaltung der Globalisierung.“ Inzwischen sprechen die Geberländer nicht mehr von Entwicklungshilfe, sondern von Entwicklungszusammenarbeit und suggerieren damit, Entwicklungsländer als gleichberechtigte Partner auf Augenhöhe zu behandeln. Vom BMZ heißt es: „Die deutsche Regierung betrachtet die Länder und Organisationen, mit denen sie entwicklungspolitisch zusammenarbeitet, nicht als Empfänger von Hilfsleistungen, sondern als gleichberechtigte Partner. Die Ziele der Zusammenarbeit werden gemeinsam festgelegt, die Maßnahmen werden gemeinsam geplant und verwirklicht und auch die Verantwortung für Erfolge und Misserfolge wird gemeinsam getragen.“ Aber der eigentlich entscheidende Satz des BMZ, der die wahren Absichten offenlegt, lautet: „Darüber hinaus profitieren Deutschland und die anderen Geberstaaten auch selbst von Entwicklungszusammenarbeit.“ Genau darum geht es: von der Entwicklungszusammenarbeit zu profitieren. Und nur darum geht es den sogenannten Geberländern. Das ganze Gerede von Bekämpfung der Armut und Hunger, Verbesserung der Lebensbedingungen, Selbstbestimmung und dergleichen soll die wahren Motive der Geberländer vertuschen, die im Profit liegen.