Geschichte Die Balfour-Deklaration (1) – Ein Brief, der Palästina zum Verhängnis wurde

Der 02. November gilt sowohl für die jüdische als auch für die muslimische Welt als ein bedeutsamer Tag und dies aus den unterschiedlichsten Gründen. Der „Balfour-Tag“, welcher von Ersteren gefeiert und von Letzteren geächtet wird, markiert den Jahrestag des vielleicht berüchtigtsten Briefes der Geschichte.

Am 02. November 1917 verfasste der britische Außenminister Arthur Balfour seine historischen Worte, die er an Lionel Walter Rothschild schrieb. Dabei handelte es sich nicht um einen informellen Austausch von Höflichkeiten zwischen zwei Individuen. Viel eher ging es um eine sorgfältig ausgearbeitete Erklärung von Seiten der nationalen Politik, die dem Vertreter eines sich im Wartestand befindenden „Staates“ übergeben wurde. Die in der Tat auf diese Weise inmitten der Weltbühne ausgetragene Außenpolitik, wurde schlussendlich in diesem anrüchigen Brief festgehalten.

Um die Bedeutung des Briefes vollständig zu erfassen – was dieser über die britische Politik in der dortigen Region verrät und wie dieser mit den bis heute andauernden Problemen zusammenhängt – müssen wir zunächst etwas über den Hintergrund des Briefes und die jüngere Geschichte dieser Zeit in Erfahrung bringen.

Die politische Lage Großbritanniens

Im Jahr 1917 befand sich Großbritannien natürlich noch mitten im Ersten Weltkrieg, dessen Ausgang noch lange nicht feststand. Zeitgleich hatte es seinen eigenen imperialen Ambitionen nachzukommen: Während es zum einen den Kriegsaufwand im Auge behielt, suchte es zum anderen nach Möglichkeiten, wie es sich die Beute eines möglichen Sieges auf Kosten der vermeintlichen „Alliierten“, wie Frankreich, sichern konnte. Vor diesem Hintergrund wurde die britische Politik hinsichtlich Palästinas in erster Linie von folgenden Faktoren beeinflusst:

1. Es wurde die Ansicht vertreten, dass der Feldzug am besten mit den Zionisten an der Seite unterstützt werden würde, und dass es eine gute Taktik wäre, die Juden Amerikas und Russlands für den Kriegseinsatz gegen Deutschland zu gewinnen. In einer Sitzung des Kriegskabinetts am 31. Oktober 1917 erklärte Balfour, dass „die überwiegende Mehrheit der Juden in Russland und Amerika, ja in der ganzen Welt, jetzt dem Zionismus positiv gegenüberzustehen scheint. Wenn wir eine Erklärung abgeben könnten, die ein solches Ideal befürwortet, wären wir in der Lage, sowohl in Russland als auch in Amerika eine äußerst nützliche Propaganda zu betreiben“.

2. Es war bekannt, dass Deutschland selbst das zionistische Gebilde mit Unterstützungsversprechen umwarb, was den Bedarf an einer klaren und öffentlichen Absichtserklärung erhöhte. Balfour selbst erklärte in einer Sitzung des Kriegskabinetts am 4. Oktober 1917, dass „die deutsche Regierung große Anstrengungen unternahm, um die Sympathie der zionistischen Bewegung für sich zu gewinnen“.

3. An Palästina grenzt Ägypten an. Das wiederum bedeutet, dass die Kontrolle über den Suezkanal für Großbritannien von höchster strategischer Bedeutung war. Eine Vormachtstellung Frankreichs oder Russlands in Palästina brächte diese Beiden zu nahe an ein lebenswichtiges britisches Interesse, so dass dies um jeden Preis verhindert werden musste.

Diese Faktoren machten die Errichtung einer von Großbritannien kontrollierten jüdischen Heimstätte – die von dem zionistischen Gebilde verwaltet werden sollte – zu einer strategischen Priorität, die als absolut im nationalen Interesse liegend angesehen wurde. Es ist erwähnenswert, dass weder ein plötzlicher Anfall von Sympathie für das Leid der Juden, noch eine massenhafte Bekehrung zur zionistischen Sache die britische Politik in irgendeiner Weise beeinflusst haben dürfte. Wie viele europäische Länder hatte auch Großbritannien eine antisemitische Vergangenheit, und es gab wenig innere Bereitschaft, insbesondere in dieser Kriegszeit, irgendetwas zum Wohle des jüdischen Volkes zu opfern. Großbritannien handelte damals wie heute ausschließlich aus politischem und wirtschaftlichem Eigeninteresse, um das zu sichern, was es als seine nationalen Interessen ansah.

Zur Wahrung dieser Interessen schloss Großbritannien unter Ausschluss der Öffentlichkeit drei Vereinbarungen mit internationalen „Partnern“; Die Vereinbarungen unterschieden sich hierbei entweder geringfügig voneinander oder standen zueinander völlig im Widerspruch. Die erste Vereinbarung wurde 1915 mit dem „Scherifen von Mekka“ Ḥusain bin ʿAlī geschlossen. Diese lässt sich anhand einer Reihe von Briefen zwischen ihm und Sir Henry McMahon dokumentieren. Diese werden heute als Hussein-McMahon-Korrespondenz bezeichnet. McMahon stimmte dabei im Namen der britischen Regierung und in seiner Funktion als Hochkommissar für Ägypten zu, dass „England die Unabhängigkeit der arabischen Länder anerkennt, die im Norden durch den 37. Breitengrad – und somit durch Mersin, Adana, Birecik, Urfa, Mardin, Midyat, Cizre und Amediye – begrenzt werden, bis hin zur Grenze Persiens; im Osten von der Grenze Persiens bis hin zum Golf von Basra; im Süden durch den Indischen Ozean“. Im Wesentlichen wurden Ḥusain bin ʿAlī  die arabischen Länder versprochen, als Gegenleistung für eine Rebellion gegen die Osmanen.

Die zweite Vereinbarung war das inzwischen berüchtigte Sykes-Picot-Abkommen, welches im Mai 1916 unterzeichnet wurde. Gegenstand dieser Vereinbarung war die Aufteilung der eroberten Gebiete auf Großbritannien, Frankreich und Russland, wobei Palästina (dem Abkommen zufolge) zwischen Großbritannien und Frankreich aufgeteilt werden sollte.

Die letzte Vereinbarung war die zwischen Großbritannien und dem zionistischen Gebilde. Diese wurde in der Balfour-Deklaration festgehalten welche im Jahr 1922 durch den Völkerbund im britischen Mandat formalisiert werden sollte.

Die drei genannten Vereinbarungen decken das wahre Wesen Großbritanniens auf, welches ebenso hinterhältig wie heuchlerisch ist und stets auf den eigenen Vorteil bedacht sogar bereit war, seine Kriegsverbündeten zu verraten. Es versprach das Land Palästina den verräterischen arabischen Herrschern, obwohl es zu jenem Zeitpunkt weder ein Anrecht noch die Kontrolle hatte über Palästina hatte. Großbritannien hatte natürlich im Sinn, sich die Unterstützung dieser Verräter gegen das Osmanische Kalifat zu sichern. Zur selben Zeit willigte Großbritannien ein, Palästina mit Frankreich teilen zu wollen, um einen Verbündeten zufriedenzustellen, auf den es zu diesem Zeitpunkt, zumindest bis zum Ende des Krieges, angewiesen war. Währenddessen liefen die Verhandlungen mit dem zionistischen Gebilde, mit dem wahren Bestreben, eine dauerhafte Stellung in einem strategisch wichtigen Land einzunehmen; und das mit Hilfe eines Partners von dem es sich erhoffte, dass er ihr gegenüber völlig abhängig und unterwürfig sein würde.

Ambitionen der zionistischen Politik

Der Zionismus war eine Bewegung, die die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina anstrebte. Sie wurde von der Zionistischen Weltorganisation (WZO) unter dem Vorsitz von Chaim Weizmann angeführt, der 1904 die Nachfolge Theodor Herzls, dem Gründervater des Zionismus, antrat. Die Bewegung war zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem in London aktiv. Die Grundlage der zionistischen Doktrin bildete die Überzeugung, dass alle Juden Palästina „zurückerobern“ sollten und dass jenes Land unter die Autorität des jüdischen Volkes fallen sollte. Sie rechtfertigten diesen Anspruch, indem sie die zentrale Stellung Jerusalems für die Juden aus der traditionellen jüdischen Mythologie aufgriffen. Auf diese Weise stärkte der Zionismus durch die Vorstellung eines jüdischen Staates in Palästina weltweit das jüdische Zugehörigkeitsgefühl. Es ist ersichtlich, dass der Zionismus eine politische Bewegung mit einem politischen Motiv war und keineswegs eine Religion. Trotz dieser Tatsache wurden einige Ideen der Bewegung mit dem Judentum begründet.

Im Übrigen wurde der Zionismus von den jüdischen Gemeinden nur selten angenommen. Die britischen Juden zum Beispiel hatten über Generationen hinweg für ihre Akzeptanz gekämpft und begannen sich in die britische Gesellschaft zu integrieren. Sie kämpften jahrzehntelang darum, akzeptiert zu werden und erst mit Benjamin Disraeli gelang den Juden der Einzug ins Parlament, um so Machtpositionen einnehmen zu können. Der Zionismus mit seiner Behauptung, dass die Juden ein eigenständiges Volk seien, entwickelte sich für diese Menschen, die um ihren Platz in der britischen Gesellschaft gekämpft hatten, zu einer Aversion. Kritisch anzumerken ist jedoch, dass der Zionismus innerhalb der jüdischen Elite stark verbreitet war. So entstand der Eindruck, dass es sich um eine mächtige Bewegung handelte, die Einfluss auf der ganzen Welt hatte.

Durch die in Balfours Schreiben zugesagte Unterstützung für die Ziele der Zionistische Föderation wurde der Zionismus zu einem offiziellen Anliegen der britischen Außenpolitik. Dies war die erste öffentliche Befürwortung des Zionismus durch einen Staat, wodurch dieser Randbewegung der Zugang zur politischen Weltbühne ermöglicht wurde.

Der Wortlaut des Schreibens

Das Schreiben selbst wurde mit großer Sorgfalt und unter Einhaltung strenger Auflagen durch das Auswärtige Amt ausgearbeitet. Sowohl die getroffene Wortwahl als auch die angesprochene Zielgruppe geben hierbei einen aufschlussreichen Einblick.

Der Text lautet wie folgt:

„Die Regierung seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und wird sich nach besten Kräften bemühen, die Verwirklichung dieses Zieles zu ermöglichen, mit der Maßgabe, dass nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nicht-jüdischen Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und den politischen Status der Juden in anderen Ländern in Frage stellen könnte.“

Nachstehend einige wichtige Punkte:

Mit der Deklaration wurde ein neues Konzept eingeführt, nämlich das Konzept von einer „nationalen Heimstätte des jüdischen Volkes“. Hinsichtlich der Formulierung „nationale Heimstätte“ hatte es im Völkerrecht bislang keinen Präzedenzfall gegeben. Zudem wurde der Ausdruck auch absichtlich vage gehalten. Der Ausdruck selbst ließ nämlich nicht ersichtlich werden, ob von einem jüdischen Staat oder lediglich von einer Massenumsiedlung der Juden in ein neues Land die Rede ist. Den Briten gelang es somit zweigleisig zu fahren. Zum einen konnten sie den besorgten arabischen Führern gegenüber, die glaubten, das Land sei ihnen versprochen, letztere Interpretation geltend machen, während sie mit ihren zionistischen Partnern im Verborgenen das langfristige Ziel der Erlangung der Souveränität in Angriff nehmen konnten. Der Wunsch nach einem jüdischen Staat war ein offenes Geheimnis, welches von hochrangigen Politikern häufig thematisiert wurde. Am deutlichsten geht dies vermutlich aus einer Kabinettssitzung aus dem Jahr 1922 hervor, in der Churchill in Bezug auf eine Frage zur Bedeutung des Begriffs „nationale Heimstätte“ folgende Worte entrichtete: „Wenn sie im Laufe der Jahre die Mehrheit im Lande darstellen, würden sie es natürlicherweise übernehmen…“.

Ein wesentlicher Teil des Entwurfsprozesses konzentrierte sich auf die Terminologie, die sich auf die Juden als Rasse bezog. Nach einigen Überlegungen wurden allerdings alle Verweise auf den Begriff Rasse gestrichen. Aus dem Dialog ging jedoch hervor, dass die britischen Beamten eine Terminologie verwenden wollten, die alle Juden auf der Welt als eine Rasse hervorhob, d. h. als eine Rasse, die als eine geschlossene Einheit für die Sache des Zionismus inspiriert werden konnte. Im endgültigen Entwurf wurde das „jüdische Volk“ weiterhin eindeutig identifiziert und erwähnt. Dies hingegen steht in völligem Widerspruch zu der Art und Weise, wie der Text auf die bestehende Bevölkerung aus Muslimen und Christen Bezug nimmt; hier wird nämlich der Sammelbegriff „bestehende nicht-jüdische Gemeinschaften in Palästina“ verwendet. Nicht direkt zu benennen, wer diese Gemeinschaften sind, ist an sich schon erniedrigend und entmenschlichend – ein Trend, der in den kommenden Jahrzehnten durch die Zionisten geprägt werden sollte. Doch das Dokument geht noch einen Schritt weiter:  Die Bezugnahme auf andere Bevölkerungsgruppen geschieht nur auf indirektem Wege, nämlich, indem stets erneut auf die jüdische Gemeinschaft verwiesen wird. So werden die in Palästina ansässigen Muslime und Christen durchweg als „Nichtjuden“ bezeichnet. Darüber hinaus sollte hiermit bestärkt werden, dass nun die Juden in Palästina die Zügel in der Hand haben.

In der Erklärung werden außerdem nur die bürgerlichen und religiösen Rechte der „Nichtjuden“ zur Sprache gebracht, wohingegen ihnen ihre politischen Rechte aberkannt werden. Das heißt, dass die dort ansässigen muslimischen und christlichen Bevölkerungsgruppen all ihrer politischen Rechte beraubt wurden. Wenn nun berücksichtigt wird, dass die Muslime zu diesem Zeitpunkt etwa 91% der dortigen Bevölkerung ausmachten, kann dies nur als Beihilfe zur Massenversklavung des palästinensischen Volkes interpretiert werden. Sie würden demnach zwar keine politische Macht besitzen, hätten aber die Zusicherung ihrer Herrscher, dass sie gut behandelt werden würden – solange sie keine Probleme verursachen.

Im Schreiben kommt im Originalwortlaut der Begriff „best endeavours“ vor, ein anerkannter juristischer Fachausdruck, der im britischen Recht für die größtmögliche Anstrengung steht, die unternommen werden kann. Die Verwendung dieses Begriffs bestätigt, dass die britische Politik gewillt war, dieses Vorhaben – d.h. die Errichtung „einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“ – nach besten Kräften zu unterstützen. Großbritannien erklärte sich also erwiesenermaßen bereit, im Rahmen seiner Möglichkeiten alles zu tun, um dieses Ziel zu erreichen – eine kühne Behauptung. Letztendlich bedeutete dies nichts anderes, als das ein Volk einem zweiten Volk das Land eines dritten Volkes versprach.

Schließlich war die Übersendung des Briefes an Lord Rothschild ein klares Signal für die Zustimmung Großbritanniens in Hinblick auf die politischen Ziele der Zionisten. Lord Rothschild war eng mit dem Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation, Chaim Weizmann, verbündet und galt als Vermittler zwischen der WZO und Großbritannien. Der endgültige Entwurf des Schreibens wurde am 02. November 1917 veröffentlicht. Arthur Balfour sandte den Brief an Lord Rothschild, in dem er die Unterstützung Großbritanniens bei der Errichtung einer „jüdischen Heimstätte in Palästina“ erklärte.