Der Vertrag von ʿUmar ibn al-Ḫaṭṭāb ist ein Schutzvertrag zwischen dem Führer der Gläubigen (amīr al-muʾminīn) und der Bevölkerung von Jerusalem (al-Quds), nachdem das Heilige Land 15 Jahre nach der Hiǧra (637 n. Chr.) unter der Befehlsgewalt Abū ʿUbaydas eröffnet wurde. Ohne nennenswerten Widerstand und als Zeichen der Zustimmung und Akzeptanz bestand der oströmische Patriarch Sophronius darauf, die Schlüssel der Stadt ausschließlich dem Kalifen persönlich zu übergeben. Es ist der Vertrag eines wahren, ehrlichen, treuen Führers, der kein anderes Ziel hatte, als das Wohlgefallen seines Herrn zu erlangen und Seine Gesetzgebung unter allen Menschen zu verbreiten. Der Vertrag ist ein Beispiel für die praktische Anwendung der islamischen Lebensordnung und bringt nicht etwa eine persönliche tolerante Einstellung ʿUmars zu Nichtmuslimen zum Ausdruck. Vielmehr hält ʿUmar sich strikt an die Vorgaben des Islam.
Der Vertrag zwischen dem Kalifen und der Bevölkerung von Jerusalemns hatte folgenden Inhalt:
Im Namen Allahs, des Barmherzigen, des Allerbarmers
Dies ist eine Zusicherung des Friedens und des Schutzes, die der Diener Allahs ʿUmar, Führer der Gläubigen, dem Volk von Īlyāʾ (Jerusalem) gibt. Er gewährleistet ihnen den Schutz für ihr Leben, ihr Eigentum, ihre Kirchen und ihre Kreuze sowie für die Kranken und Gesunden und ihre gesamte religiöse Gemeinschaft.
Ihre Kirchen dürfen weder ganz noch teilweise besetzt, zerstört oder weggenommen werden. Keines ihrer Kreuze und nichts von ihrem Eigentum darf beschlagnahmt werden. Keiner von ihnen darf zu seinem Glauben gezwungen noch darf jemand von ihnen verletzt werden. Und kein Jude darf mit ihnen in Īlyāʾ wohnen.
Die Menschen Īlyāʾs sollen die ğizya zahlen, wie es die Einwohner der Städte tun. Sie sollen alle Römer und Diebe vertreiben.
Wer von ihnen das Land verlässt, dem wird Sicherheit für sein Leben und seinen Besitz gewährt, bis er einen sicheren Hafen erreicht. Und wer von ihnen bleibt, soll ebenfalls sicher sein, in diesem Fall zahlt er so viel an ğizya, wie die Leute von Īlyāʾ. Sollte irgendjemand aus dem Volk von Īlyāʾ mitsamt seinen Besitztümern mit den Römern wegziehen und seine Kirchen und Kreuze räumen wollen, der soll in seinem Leben und Vermögen sicher sein, bis er einen sicheren Hafen erreicht hat. Wer auch immer sich entscheidet zu bleiben, der kann dies tun, und er hat dieselbe ğizya wie die Menschen von Īlyāʾ zu entrichten. Wer mit den Römern leben möchte, kann es tun, und wer zu seiner Verwandtschaft zurückkehren möchte, kann dies ebenfalls tun. Nichts darf ihnen genommen werden, bis ihre Ernte geerntet ist. Wenn sie die ihnen obliegende ğizya zahlen, dann steht der Inhalt dieses Schreiben unter dem Versprechen Allahs, und liegt in der Verantwortung seines Propheten, der Kalifen und der Gläubigen.
Zeugen hierfür sind Ḫālid ibn al-Walīd, ʿAbd ar-Raḥmān ibn ʿAuf, ʿAmr ibn al-ʿĀṣ und Muʿāwiya ibn Abī Sufyān. Hergestellt und ausgeführt im Jahre 15 nach der Hiǧra.
Zweifelsfrei stellt das Handeln der Kalifen keine islamische Rechtsquelle dar, gleichwohl bietet der Schutzvertrag von ʿUmar ibn al-Ḫaṭṭāb ein hervorragendes Beispiel für die staatliche Umsetzung der islamischen Gesetzgebung in Bezug auf das Miteinander aller Gemeinschaften. Der islamische Staat ist kein imperialistischer Staat. Weder erobert noch unterdrückt er. Er eröffnet neue Gebiete für den Islam und gewährleistet seinen Bürgern, sowohl der Mehrheitsbevölkerung als auch den Minderheiten – Muslimen wie Nichtmuslimen –, den Schutz ihres Lebens, ihrer Besitztümer und ihrer religiösen Angelegenheiten, wie aus folgendem Hadith ersichtlich wird:
«عَلَى أَنْ لاَ تُهْدَمَ لَهُمْ بَيْعَةٌ وَلاَ يُخْرَجُ لَهُمْ قَسٌّ وَلاَ يُفْتَنُوا عَنْ دِينِهِمْ مَا لَمْ يُحْدِثُوا حَدَثًا أَوْ يَأْكُلُوا الرِّبَا»
Auf dass ihnen keine Kirche zerstört, kein Priester vertrieben und keiner von ihnen seines Glaubens entrissen werde. Dies gilt, solange sie nichts Unbilliges hervorbringen und keinen Zins verzehren.[Abū Dāwūd, as-Sunan]
Der Islam verfolgt keine Assimilations- oder Vernichtungspolitik gegenüber seinen Schutzbefohlenen (ḏimmī). Herbert George Wells, ein englischer Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, berichtet über die Gerechtigkeit des Kalifats: Sie begründeten große Traditionen gerechter Toleranz. Sie inspirieren Menschen mit einem Geist der Großzügigkeit und Toleranz und sind menschenfreundlich und praktisch. Sie schufen eine humane Gemeinschaft, in der es selten war, Grausamkeit und soziale Ungerechtigkeit zu sehen, anders als jede Gemeinschaft, die vor ihr kam.
Die Gesetzgebung des Islam umfasst sowohl den Muslim, als auch den im Kalifat lebenden Nichtmuslim. Allah verpflichtet die Muslime zur Gleichstellung aller im Kalifat lebenden Bürger, bei der Regierungsausübung, der Rechtsprechung und der Betreuung der Angelegenheiten, ungeachtet ihrer Religion, Rasse oder Hautfarbe. So steht dem nichtmuslimischen Staatsbürger an Redlichkeit zu, was dem Muslim zusteht.
Der Erhabene sagt:
﴿وَإِنْ حَكَمْتَ فَاحْكُمْ بَيْنَهُمْ بِالْقِسْطِ إِنَّ اللَّهَ يُحِبُّ الْمُقْسِطِينَ﴾
Und wenn du richtest, so richte unter ihnen in Gerechtigkeit. Gewiss, Allah liebt die Gerechten.[5:42]
Keine andere Lebensordnung ist in der Lage, das Miteinander aller Gemeinschaften eines Staates in dieser Weise zu regeln. Es ist das Regierungssystem Allahs, das sich der Angelegenheiten der Menschen annimmt, auf ihre Bedürfnisse eingeht und all ihre Probleme löst.