Der chinesische Premierminister Xi Jinping trat am 8. Dezember eine dreitägige Reise nach Saudi-Arabien an, die er im Rahmen einer pompösen Zeremonie als Auftakt einer „neuen Ära“ in den saudisch-chinesischen Beziehungen bezeichnete. Xis Reise erregte weltweit ein großes mediales Aufsehen, da zahlreiche Menschen die Auffassung vertreten, China sei die neue Macht im Nahen Osten. Dieser Besuch findet vor dem Hintergrund der Spannungen mit den USA bezüglich der Taiwan-Krise statt, wobei auch zwischen Saudi-Arabiens De-facto-Führer Mohammed bin Salman und Präsident Joe Biden erhebliche Spannungen bestehen. Doch jenseits der Rhetorik und der Narrative ändert Xis Besuch nichts an der grundlegenden strategischen Realität Chinas im Nahen Osten, da die Beziehungen des Landes zu Saudi-Arabien und der gesamten Region weiterhin relativ bescheiden bleiben.
Saudi-Arabien und China stellten die Vertiefung ihrer Beziehungen mit einer Reihe von Abkommen unter Beweis. Sowohl das chinesische als auch das saudische Staatsoberhaupt unterzeichneten ein „umfassendes strategisches Partnerschaftsabkommen“, welches u. a. Vereinbarungen über Wasserstoff-Energie und eine bessere Koordinierung zwischen der Vision 2030 des Königreichs und Chinas Neue Seidenstraße vorsieht. Darüber hinaus wurde eine Vereinbarung über Huawei Technologies in Bezug auf Cloud Computing, Datenzentren und den Bau von High-Tech-Komplexen getroffen. In der fast 4.000 Worte umfassenden gemeinsamen Erklärung, die von der Nachrichtenagentur des Königreichs Saudi-Arabien („SPA“) veröffentlicht worden ist, wird die Einigung über eine Reihe weitreichender Anliegen zum Ausdruck gebracht. Darunter Energie, Sicherheit, das iranische Atomprogramm, die Krise im Jemen und der Krieg Russlands gegen die Ukraine.
Der Bedarf an Öl
In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg waren es die USA, die die globale Ordnung aufbauten, wohingegen die Sowjetunion mit ihnen um die globale Vorherrschaft konkurrierte. China hatte sich von großen Teilen der Welt, einschließlich des Nahen Ostens, abgekoppelt. Erst mit dem Niedergang der Sowjetunion und den Bemühungen um eine größere internationale Anerkennung auf Kosten des Kontrahenten in Taiwan, nahm die Volksrepublik Beziehungen zu einigen Ländern im Nahen Osten auf. Als China 1993 seinen Energiebedarf nicht mehr aus heimischer Produktion decken konnte, wandte es sich für Energieimporte an den Nahen Osten. So wurde dieser bereits 1995 zur wichtigsten Ölquelle für die Chinesen. Ihr rasantes Wachstum, ihre enorme Größe und ihre riesige Bevölkerung bedeuten, dass sie Versorgungslinien für Rohstoffe, Waren und vor allem Öl benötigen und dass genau an dieser Stelle der Nahe Osten ins Spiel kommt. Im Jahr 2021 verbrauchte China ca. 15.300 Barrel Öl pro Tag. Davon stammen weniger als 5.000 Barrel Öl pro Tag aus eigenen Quellen, sodass China im Jahr 2017 die USA als weltweit größten Ölimporteur ablöste. 45 Staaten decken den chinesischen Ölbedarf; fast die Hälfte dieses Öls stammt aus neun Ländern im Nahen Osten, wobei der größte Teil davon aus Saudi-Arabien bezogen wird. Der wichtigste Grund für die Präsenz Chinas im Nahen Osten ist die Energieversorgung. Auch in Zukunft wird der Nahe Osten der wichtigste Ölimporteur für das chinesische Reich sein. Darin liegt die strategische Bedeutung des Nahen Ostens und Saudi-Arabiens, Chinas größtem Öllieferanten.

Chinas Neue Seidenstraße stellt den Versuch dar, Ressourcen und Märkte in ganz Eurasien durch den Aufbau einer zentralen kontinentalen Land- und See-Infrastruktur zu integrieren, die eine Verbindung zwischen China und Europa über Zentralasien und den Nahen Osten herstellen soll. Seit der Ankündigung der BRI-Initiative im Jahr 2013 hat es eine Reihe von Gipfeltreffen gegeben, die zu einer Vielzahl von Vereinbarungen über die Entwicklung von Hafenanlagen geführt haben, da sich der Nahe Osten entlang eines Wirtschaftskorridors der Chinesen erstreckt. Die Bedeutung des Nahen Ostens für die chinesische Wirtschaft wird aufgrund der Handelsrouten noch weiter zunehmen. Der Iran und Saudi-Arabien sind die beiden Staaten, die China dabei besonders ins Visier genommen hat. Saudi-Arabien ist ihr wichtigster Ölexporteur, wohingegen der Iran über enorme Energieressourcen verfügt und aus China Technologie, Investitionen und einige militärische Güter bezogen werden können. Beide Länder unterhalten jedoch enge Beziehungen zu den USA, die jeglichen politischen Zielen Chinas im Wege stehen werden. Gegenwärtig konzentriert sich der Iran auf seine Atomverhandlungen mit den Vereinigten Staaten und bemüht sich um eine Entspannungspolitik ihnen gegenüber. Und seit dem Auftreten von König Salman und Mohammed bin Salman steht Saudi-Arabien in Fragen der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik fest auf Seiten der USA, wobei es nicht den Anschein erweckt, dass sich dies in absehbarer Zeit ändern wird. Während sich die bilateralen Beziehungen im Energie- und Wirtschaftsbereich verfestigen und vertiefen, sind die diplomatischen und militärischen Beziehungen Chinas zu Saudi-Arabien oberflächlich und relativ bescheiden.
Unbequeme Heirat
Die gegenwärtigen Spannungen zwischen den USA und Saudi-Arabien wurden von zahlreichen Beobachtern als ein Bruch der Beziehungen zwischen den beiden langjährigen Partnern interpretiert. Die jüngst erfolgte Weigerung Saudi-Arabiens, die Ölproduktion zu erhöhen, wurde als Zeichen für einen unabhängigen Kurs des Königreichs gewertet. Die Spannungen bestehen jedoch tatsächlich zwischen der demokratischen Partei und Mohammed bin Salman selbst und nicht gegenüber Saudi-Arabien. Joe Biden machte in seiner Präsidentschaftskampagne deutlich, dass er von den persönlichen Beziehungen zwischen Präsident Trump und Mohammed bin Salman abrücken und ihn wegen des Mordes an Jamal Khashoggi in die Enge treiben wird. Als Biden sein Amt antrat, zeigte er Mohammed bin Salman die kalte Schulter und versuchte ihn zu isolieren.
Mohammed bin Salman reagierte darauf, indem er die Kandidaturen der Republikanischen Partei unterstützte, in der er die größten Hoffnungen für sein Überleben sieht. Bruce Riedel, ein Senior Partner der Brookings Institution erklärte gegenüber The Intercept: „Die Saudis arbeiten daran, dass Trump wiedergewählt wird und dass die MAGA-Republikaner die Zwischenwahlen gewinnen. Höhere Ölpreise werden die Demokraten untergraben.“ Jonah Shepp vom New York Magazine betonte: „Natürlich ist der wahre Grund, warum die Republikaner so ruhig über den Verrat der Saudis sprechen der, dass sie politisch massiv davon profitieren werden. An sich ist ein leichter Anstieg der Gaspreise nicht unbedingt ein entscheidender Faktor für die Zwischenwahlen, aber bei so vielen engen Rennen in wichtigen Wahlkreisen sind das schlechte Nachrichten für die Regierungspartei.“
Die größte Herausforderung für China im Nahen Osten ist die Präsenz der USA. Nach dem Zweiten Weltkrieg traten die Vereinigten Staaten von Amerika in einen intensiven Machtkampf mit Großbritannien ein, um das britische Königreich aus dem Nahen Osten zu vertreiben. Sie nutzten Militärputsche und die Bedrohung durch die kommunistische Expansion um in der Region Fuß zu fassen. Sie gaben Saudi-Arabien und Israel Sicherheitsgarantien, um eine militärische Präsenz in der Region aufzubauen. In den 1970er Jahren vertieften sie die Beziehungen zum Iran und zu Ägypten durch Wirtschaftshilfen und Militärgeschäfte. Die USA gewähren einer Reihe von Staaten in der Region Sicherheitsgarantien und unterstützen so die autokratischen Regime im Gegenzug für deren Loyalität. Die US-amerikanische Präsenz umfasst selbst politische Pläne für regionale Fragen wie die Zweistaatenlösung. Darüber hinaus sind sie erfahren in der Aufrechterhaltung einer Militärpräsenz so weit entfernt vom US-Kontinent und in der Durchführung komplexer militärischer Operationen und der Aufrechterhaltung von Militärstützpunkten in Übersee.
Bevorstehende Herausforderungen
Das chinesische Reich ist keineswegs daran interessiert, lokale Streitigkeiten durch den Einsatz von Gewalt zu schlichten. Tatsächlich war Chinas militärisches Engagement in der Region bisher sogar eher bescheiden. Die Einrichtung eines Marinestützpunktes in Dschibuti ist das offenkundigste Zeichen für die regionale Präsenz Pekings. Zudem hat die Volksrepublik UN-Friedenstruppen im Libanon und einige Militärberater in Syrien stationiert. So scheint China im Moment mit der Fortsetzung des Handels unter dem regionalen Sicherheitsschirm der USA durchaus zufrieden zu sein. Peking hat die Förderung von Handel und Investitionen seit jeher bevorzugt.
Dementsprechend hat Chinas wirtschaftliches Engagement im Nahen Osten in den letzten zehn Jahren zwar zugenommen, sein militärisches und sicherheitspolitisches Engagement ist jedoch weiterhin marginal. Chinas wachsende Interessen und das zunehmende Engagement im Nahen Osten verdeutlichen die bisherigen Erfolge der Volksrepublik. Doch im Moment fehlt es den Chinesen an den nötigen Kapazitäten, um diese Erfolge auch zu nutzen. Dies wirkt sich wiederum auf die Bereitschaft Pekings aus, sich in der Region zu engagieren. Chinas Strategie in Bezug auf den Nahen Osten lässt sich am besten als die eines wachsamen Drachens charakterisieren: Einerseits ist der Staat bestrebt, sich wirtschaftlich in der Region zu engagieren und mit allen Staaten des Nahen Ostens auf gutem Fuß zu stehen. Andererseits ist die Volksrepublik sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, ihr Engagement zu vertiefen. Insbesondere in Hinblick darauf, die diplomatischen und sicherheitspolitischen Aktivitäten über das erforderliche Mindestmaß hinaus zu stärken, um Geld zu verdienen und den Energiefluss zu sichern. Das Resultat dieses Vorgehens ist, dass Chinas Vorstoß in den Nahen Osten weder eine politische, noch eine militärische Dimension aufweist und auf wirtschaftliche und energiepolitische Erwägungen beschränkt bleibt.
Der Besuch Xi Jinpings in Saudi-Arabien beweist, dass China im Nahen Osten an Bedeutung gewinnt und zu einem wirtschaftlichen Schwergewicht herangewachsen ist, doch nach wie vor ein diplomatisches Leichtgewicht ist und auf absehbare Zeit auch ein militärisches Federgewicht in der Region bleiben wird.
Quelle: thegeopolity.com