Ausland Bricht das iranische Regime zusammen?

Zwar ist das klerikale Regime seit der Revolution von 1979 an der Macht, doch aufgrund jahrzehntelanger Korruption, Inkompetenz und der rückläufigen Demografie und Wirtschaft ist es heute schwächer denn je.

Am 4. Oktober 2022 verhöhnten Studenten in der südlich gelegenen Stadt Shiraz einen Basidsch-Offizier mit ihren Zwischenrufen. Während seiner Ansprache schwenkten die Teenager ihre Kopftücher und riefen: „Hau ab, Basidsch“. Damit gingen die Proteste im Iran in die dritte Woche, nachdem Mahsa Amini am 13. September von der iranischen Sittenpolizei verhaftet wurde, weil sie gegen die Kleiderordnung des Landes verstoßen hatte. Die dadurch ausgelösten Proteste sind die heftigsten, mit denen sich das klerikale Regime seit langem konfrontiert sieht. Vergleichbar heftige Proteste gab es zuletzt vor den COVID-19-Lockdowns, als die Menschen wegen der wirtschaftlichen Lage des Landes aufbegehrten. Damals starben etwa 1.500 Menschen bei den Demonstrationen. Ein Sturz des Regimes scheint unwahrscheinlich, doch ist es genauso unwahrscheinlich, dass es in seiner jetzigen Form überleben kann.

Als der Schah 1979 gestürzt wurde, verbreitete das klerikale Regime die Darstellung, es habe eine islamische Revolution stattgefunden, die anti-amerikanisch gewesen sei. Ruhollah Chomeini hätte das Land mit seinen Ambitionen, den Iran zu einer regionalen Macht aufsteigen zu lassen, zusammengehalten. Doch obgleich die Revolution als islamische Revolution angesehen wurde, waren die beteiligten Gruppen überwiegend nicht-islamisch und umfassten Kommunisten, Akademiker, Linke, Gewerkschaften und viele andere, die keine islamische Revolution anstrebten. Nachdem Chomeini die Macht ergriffen hatte, verschwendete er kaum einen Gedanken an den Islam. Vielmehr konzentrierte er sich darauf, alle potenziellen Bedrohungen für das neue Regime zu beseitigen. So richtete er sich kurz darauf gegen all jene Gruppen, die ihm zur Macht verholfen hatten. Chomeini war so paranoid, dass er die Islamische Revolutionsgarde (IRGC) gründete, da er dem Militär nicht traute. Das klerikale Regime errichte zahlreiche Pfeiler und staatliche Institutionen, um seine Macht zu wahren. Zudem schuf es einen politischen Rahmen, der es ihm ermöglichte, den Iran und seine Politik seither zu beherrschen. An der Spitze dieses Systems steht der oberste Führer als mächtigste Person – ein Posten, der bisher nur von zwei Personen bekleidet worden ist. Der erste von ihnen war Ajatollah Chomeini, der die „Islamische Republik Iran“ gründete und das Amt von 1979 bis zu seinem Tod im Jahr 1989 innehatte. Auf ihn folgte der ehemalige Präsident zweier Amtszeiten und sein engster Vertrauter Ajatollah Ali Chamenei, der seit drei Jahrzehnten das Amt des Obersten Führers bekleidet und auch heute noch an der Macht ist. Die Wahl des Obersten Führers erfolgt dabei nicht durch eine öffentliche Abstimmung, sondern durch die sogenannte Expertenversammlung, die sich aus einer Gruppe hoher Geistlicher zusammensetzt. Er verfügt über weitreichende Machtbefugnisse und ernennt die Führung der mächtigsten politischen Institutionen des Landes, einschließlich des staatlichen Rundfunks, des Generalstabs, des Chefs der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) und des Wächterrats.

Wie schon die Pahlavi-Dynastie zuvor hat auch das klerikale Regime ein zentralisiertes System eingeführt, da nur 50-60% der iranischen Bevölkerung persischer Herkunft sind. Der Iran ist in eine Vielzahl ethnischer Gruppen aufgeteilt, wobei das klerikale Regime wie schon zuvor einen Sicherheitsstaat aufrechterhält. Dieser dient nicht nur dem Zweck, das Regime aufrechtzuerhalten, sondern auch der Kontrolle großer Minderheiten die eine Bedrohung darstellen könnten. Im Nordwesten des Irans sind sowohl Kurden als auch Aserbaidschaner ansässig, die sich selbst nicht als Perser betrachten. Die Aserbaidschaner unterhalten in der Provinz Ardabil separatistische Bewegungen mit dem Bestreben, sich Aserbaidschan anzuschließen. Der Tod der Kurdin Mahsa Amini führte dazu, dass in dieser Region die größten Proteste gegen das Regime stattfanden. Sowohl die Kurden als auch die Aseris werden seit langem von der Regierung missachtet und schlecht behandelt, da sie ihnen nicht trauen. Im Südwesten befindet sich Irans strategisch wichtigste Region Khuzestan mit ihren Energieressourcen. In dieser Provinz leben seit langem Araber welche sich daran stören, dass die Region einst Ahvaz hieß und später vom Regime in Chuzestan umbenannt wurde, um sie zu persianisieren. Zudem hat das Regime lange Zeit den Energiereichtum der Region abgeschöpft und ein riesiges Chaos in Form von Armut und Arbeitslosigkeit in der Region hinterlassen. Entlang der östlichen Grenzen Irans existieren ebenfalls seit geraumer Zeit Probleme. So wie an der afghanischen Grenze und in der Provinz Sistan und Belutschistan, die überwiegend sunnitisch ist und schon immer instabil war, da die Menschen dort stets mit Armut zu kämpfen hatten, während das Regime alle dort Ansässigen als verdächtige Gemeinschaft einstufte. Der Iran ist ein riesiges Land mit bewohnbaren Ebenen und Bergen, umgeben von ländlichen und städtischen Regionen. Diese sind wiederum von großen Minderheiten umgeben, die in ihrer Gesamtheit der Größe der persischen Bevölkerung entsprechen.

Das klerikale Regime sah sich während seiner vier Jahrzehnte währenden Herrschaft immer wieder mit Aufständen und Protesten konfrontiert. Was wir heute im Iran erleben, ist eigentlich nur die jüngste Form dieser Entwicklung. Der prominente iranische Soziologe Mohammad Fazeli von der Universität in Teheran erklärte, die Proteste seien nicht einfach das Ergebnis der jüngsten Ereignisse, sondern das Ergebnis von mehr als 40 Jahren schlechter Regierungsführung. Fazeli wies darauf hin, dass es viele ungelöste Probleme gebe, die sich in den letzten vier Jahrzehnten angesammelt hätten, ohne dass die Regierung versucht habe sie zu lösen. So führte er aus: „Wenn Präsident Raisi sagt, er werde den Tod von Mahsa Amini untersuchen, können die Menschen ihm nicht vertrauen, weil ähnliche Fälle in der Vergangenheit ungeklärt blieben.“ Mittlerweile hat die fehlende Hoffnung auf die Zukunft nach mehreren Jahrzehnten hoher Inflation, einem Wirtschaftswachstum nahe Null, dem Niedergang des Verwaltungssystems und vielen anderen Faktoren zu einer Wut auf das iranische Regime geführt. Viele Iraner schrecken nicht mehr davor zurück zu protestieren und sich gegen die gescheiterte Herrschaft der Kleriker auszusprechen.

Zahlreiche Menschen haben sich gegen das klerikale Regime aufgelehnt, weil es nach vier Jahrzehnten die Wirtschaft ruiniert hat, die Menschen verarmen lässt und sie weiterhin unterdrückt. Das iranische BIP ist um innerhalb von etwa zehn Jahren um 70% gesunken, von 599 Milliarden US-Dollar im Jahr 2012 auf heute 191 Milliarden US-Dollar! Der Lebensstandard im Iran hat heute den tiefsten Stand seit mehr als einem Jahrhundert erreicht. Die Preise schießen weiter in die Höhe, sodass lebenswichtige Güter wie Lebensmittel und Medikamente für die meisten Iraner unerschwinglich sind.

In der Geschichte hat sich der Wandel im Iran auf zwei Arten vollzogen. Entweder marschierte eine ausländische Macht in den Iran ein oder aber eine ausländische Macht unterstützte eine Gruppierung innerhalb des Irans: Dies war der Fall, als sowohl Russland als auch Großbritannien zu Beginn des Ersten und Zweiten Weltkriegs in den Iran einmarschierten, um die Energieressourcen des Iran für ihre Kriegsanstrengungen zu nutzen. Im Jahr 1979 schlossen sich die Perser, die Minderheiten und Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten zusammen, um den Schah zu stürzen. Auch heute benötigen die Minderheiten im Iran eine große Unterstützung durch die Perser, wenn sie das Regime stürzen wollen. Zwar führt die Oppositionsbewegung derzeit große Proteste durch, so ist sie jedoch zersplittert, da es keinen zentralen Anführer gibt und die ländlichen Gebiete, die die Grundlage für die Unterstützung der Kleriker bilden, nicht mobilisiert hat. Dies ist allerdings zu einem großen Teil auf die Zwangsmaßnahmen des Regimes zurückzuführen. Die Armee und die IRGC sind intakt geblieben, was ein deutliches Zeichen dafür ist, dass die Proteste nicht die gewünschte Wirkung erzielt haben. Der Iran wandelt sich allmählich von einem theokratischen Staat, der von den Klerikern beherrscht wird, zu einem Staat, der von der Iranischen Revolutionsgarde dominiert wird und sich dabei selbst als Hüter der Revolution von 1979 versteht. Angesichts der schwindenden Glaubwürdigkeit der Kleriker ist es unwahrscheinlich, dass der IRGC nach dem Tod Chameneis einen Obersten Führer braucht, um an der Macht zu bleiben. Selbst ein Oberster Führer mit eingeschränkten Befugnissen – also rein symbolischer Natur – wäre denkbar. Eine autokratische Regierung unter der Führung eines militärischen Führers könnte sehr wohl die Zukunft des Iran darstellen. Ähnlich wie im Iran zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Oberst Reza Khan im Jahr 1921 Premierminister wurde, dieser schließlich 1925 Ahmad Schah stürzte und somit die Pahlavi-Dynastie gründete.

Quelle: thegeopolity.com