Konzeptionen Muslime zwischen links und rechts

Beim Problem der Identität geht es vor allem um die Frage, wer die Bedingungen der Debatte festlegt.

Beim Problem der Identität geht es vor allem um die Frage, wer die Bedingungen der Debatte festlegt. Die Muslime befinden sich inmitten einer Kluft zwischen einer konservativen Ideologie auf der einen Seite und einer liberalen und linken Ideologie auf der anderen. Dabei ist diese Kluft kein neues Phänomen, sondern besteht bereits seit langem. Neben anderen Themen spielen der Islam und die Muslime eine wichtige Rolle in der laufenden Debatte. Beim derzeitigen Debattenverlauf werden die Muslime allerdings daran gehindert, die Bedingungen der Debatte zu bestimmen. Die Muslime werden zum Objekt der Debatte und nie zu ihrem eigentlichen Thema.

﴿مُذَبْذَبِينَ بَيْنَ ذَلِكَ لَا إِلَى هَؤُلَاءِ وَلَا إِلَى هَؤُلَاءِ

Unentschlossen schwanken sie zwischen diesen und jenen und gelangen weder zu diesen noch zu jenen.[4:143]

Was ist nun der Grund für dieses Zögern und was ergibt sich daraus für die Muslime? Worin liegt unser strategischer Vorteil in solchen „Links-Rechts-Allianzen“? In diesem Beitrag möchte ich erörtern, warum unsere Ausrichtung nach links oder rechts letzten Endes auf einen grausamen Optimismus hinausläuft. So erklärte Lauren Berlant treffend, dass eine optimistische Anhänglichkeit grausam ist, wenn das Objekt des Begehrens selbst ein Hindernis für die Erfüllung der Wünsche darstellt, die den Menschen zu ihm geführt haben. Sie ist insofern grausam, weil das muslimische Selbst damit weder verwirklicht noch gestärkt werden kann, wenn es im Streben nach diesem illusorischen Optimismus verlorengeht.

In einer Zeit, die vom Aufstieg des Populismus und des Rechtsextremismus beherrscht wird, kommt bei den Muslimen ein neuer Trend auf. Sie haben die Hoffnung, dass die Linke und ihre neuen Verbündeten, die Liberalen, ihnen zu Hilfe eilen werden, um die Islamophobie eines feindlich gesinnten konservativen Lagers abzuwehren. Der altruistische Liberale oder der Linke erscheint dabei als Retter – wie ein „weißer Prophet der Moderne“ – und wird als Waffenbruder wahrgenommen. Im Gegenzug haben die Muslime das Bedürfnis, sich für die vermeintliche „Unterstützung“ zu revanchieren und wollen sich solidarisch zeigen. Daher hegen und pflegen wir die Empfindlichkeiten unserer neu gefundenen linken und liberalen Verbündeten. Infolgedessen wird Islamophobie mit Homophobie assoziiert, als würde es sich dabei um zwei gleichermaßen geschmacklose Formen desselben Hasses handeln. Beispiele für diese unbedachte Solidarität gibt es zuhauf. So streben einige Muslime eine konforme Darstellung des Islam in den Mainstream-Medien an, indem sie bestimmte islamische Normen (z. B. den Hidschab) mit liberalen Werten (z. B. der Selbstbestimmung) in Einklang bringen. Diese Solidarität wird jedoch mit einem hohen Preis bezahlt. Denn das liberale und das konservative Lager haben sich in stammesähnliche Gesinnungsbastionen verwandelt, die sich erbittert bekämpfen. Dabei hat jedes Lager seine eigenen vorgefertigten Themen, die so dargestellt werden, als seien sie untrennbar miteinander verbunden (z. B. die Befürwortung der Abtreibung auf der einen Seite und der Glaube an die Maskenpflicht auf der anderen). Jason Brennan erklärt: „Wenn Sie eine Auswirkung des Tribalismus sehen wollen, betrachten Sie, wie Überzeugungen zu bestimmten politischen Themen dazu neigen, sich zu gruppieren, obwohl diese Themen nichts miteinander zu tun haben.“ (Brennan 2016, 41) Existentialisten wie Søren Kierkegaard bezeichnen dies als einen Prozess der „Nivellierung“. Dabei verliert der Einzelne seine Authentizität, weil er dazu angehalten wird, sich einem „gemeinsamen Standard, meist dem kleinsten gemeinsamen Nenner,“ anzupassen.

Darüber hinaus verkennen wir, dass diese muslimisch-linken und muslimisch-liberalen Bündnisse kein echter Ausdruck gegenseitiger Solidarität sind, sondern eher ein faustischer Handel. Der Muslim wird nur dann als Muslim willkommen geheißen, wenn sein Engagement für den Islam dem liberalen Diskurs folgt. Und für die Linke ist der Islam nur insofern willkommen, als er auf eine Kultur oder Identitätspolitik reduziert wird. Nur einen derart verkümmerten Islam ist die Linke bereit zu akzeptieren. Indem wir die Sprache unseres liberalen „Erlösers“ benutzen, wird das Kopftuch zum Symbol individueller Freiheit. Es wirkt, als hätte das muslimische Subjekt inzwischen beschlossen, die gewaltvollen Ursprünge der liberalen Ordnung zu vergessen. Auch die ausgrenzenden Dogmen der Linken scheinen plötzlich aus der Erinnerung verschwunden zu sein. Durch die Auslöschung der Geschichte – selbst der jüngeren Geschichte – ist sich der Muslim jener Tatsachen nicht mehr bewusst. So hat er vergessen, dass der liberale Retter in Wirklichkeit eine größere Mitschuld an den kulturellen und wirtschaftlichen Genoziden in der muslimischen Welt trägt als sein konservativer Rivale. Im Drehbuch der Moderne – einer Geschichte von Erlösung und Tragödie – ist der Muslim dem unilinearen Fortschritt der Geschichte unterworfen. So steuert er auf das „Ende der Geschichte“ zu, wobei Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verschmelzen. In dem Stück, das bereits geschrieben wurde, ist sogar die Zukunft der muslimischen Welt dem Kolonialismus – vor allem dem geistigen – unterworfen. Um jener Rolle gerecht zu werden, die den Muslimen zugedacht wurde, müssen sie die vormoderne Zugehörigkeit zu einem nicht säkularisierten Islam aufgeben und sich den Rationalismus des Westens zu eigen machen.

Im modifizierten postmodernen Drehbuch – welches etwas weniger dramatisch geschrieben wurde – steht uns ein existenzieller Fatalismus bevor. Darin hört der Muslim auf, als Muslim zu existieren, weil endgültig festgestellt wird, dass der Islam lediglich ein soziales Konstrukt ist. Da jedoch nur die Gebote der Postmoderne fortan Gültigkeit besitzen sollen, erwartet alles andere dasselbe traurige Schicksal der ideologischen Auslöschung. Der Muslim erweist sich wieder einmal als hilflos, denn er wird in einer bestimmten Geschichtsbetrachtung gefesselt und zum Gefangenen ihrer Konstruktionen, in der die Ungewissheit zur einzigen Doktrin erhoben wurde. Schließlich ist unter dem wachsamen Auge der Postmoderne alles ungewiss, außer dem unbestimmbaren Lauf und der Anarchie der Geschichte. Das einzige Absolute ist die Maxime, dass alles relativ und ungewiss ist. Im letzten Kapitel dieses Stücks wird schließlich auch der muslimische Akteur doch noch mündig. Dies gelingt ihm, indem er sich von dem Prinzip verabschiedet, nur solchen Wahrheiten verpflichtet zu sein, die vermeintlich als absolut und essentialistisch gelten. Dadurch tritt schließlich auch der Muslim in eine postmoderne Welt ein. Und während die Moderne die muslimische Welt mit einer zumindest halbwegs konsistenten Doktrin herausforderte, verführt die Postmoderne den Muslim mit ihrer Sophisterei und ihrer „postideologischen“ Verlockung. Dabei gibt die postmoderne Welt ihre eigenen latenten metaphysischen Verpflichtungen, die sich aus der verbreiteten spirituellen Leere ergeben, weder zu noch setzt sie sich mit ihnen auseinander. Trotz der Gegensätze zwischen den modernen und postmodernen Ausprägungen des Liberalismus und der Linken stimmen sie in einem Punkt überein. Ihr gemeinsamer Nenner besteht darin, dass beide Strömungen von dem paternalistischen Wunsch getrieben werden, ihr eigenes Narrativ auf den unaufgeklärten Muslim zu projizieren.

Das Problem liegt nicht nur in den Überzeugungen, sondern vor allem in der Haltung, die diesen Überzeugungen zugrunde liegt. Diese Haltung lässt sich am besten als vorsätzliche Ignoranz bezeichnen. Mit Ignoranz ist hier nicht die Abwesenheit von Wissen gemeint. Sie bezieht sich vielmehr auf die Art des Wissens, das man sich aneignet, indem das „Wissen über das, was ist“ sich in ein „Wissen über das, was ich will“ verwandelt. Und was der vorsätzlich ignorante Mensch will, ist eben, sich anzupassen. Aus seiner Sicht zieht das (nicht säkularisierte) muslimische Subjekt es vor, „in der Illusion zu leben, seine Beziehung zur Welt nicht verhandeln zu müssen“. (König 2020, 4) Diese vorsätzliche Ignoranz widersetzt sich der belastenden Tatsache, dass wir die Freiheit haben, neue politische Realitäten zu schaffen, anstatt in einer Welt zu leben, die nicht von uns selbst geschaffen wurde. Die Unwissenheit als solche stellt somit unsere (althergebrachten) Überzeugungen in den Vordergrund, weil wir an der bereits bekannten Welt festhalten wollen. Für die Muslime wäre das Ergebnis sowohl eine Entfremdung von sich selbst als auch von der Welt. Ali Shariati definiert Entfremdung sogar als Assimilation, als das Verhalten eines Menschen, der absichtlich oder unabsichtlich beginnt, die Verhaltensweisen eines anderen zu imitieren. […] Zwanghaft und ohne Vorbehalt verleugnet er sich selbst, um seine Identität zu verändern. Das auf diese Weise indoktrinierte muslimische Selbst erwägt nicht die Möglichkeit, dass es sich bei dieser Entscheidung nur um eine Option handelt und unsere Fähigkeit zur Freiheit auch eine andere Alternative offenbaren könnte.

Auf der anderen Seite ist die Faktizität unserer Freiheit aus islamischer Sicht nicht bedingungslos. So heißt das arabische Wort für „Freiheit“ iḫtiyār. Dieses Wort unterscheidet sich allerdings von der bedingungslosen Konnotation des Begriffs Freiheit dadurch, dass iḫtiyār sich aus dem Wurzelwort ḫāra (ḫayra) ergibt, was „gut“ bedeutet. Demnach beschreibt das Wort iḫtiyār die kognitive Fähigkeit, das Gute oder das Beste aus zwei Alternativen zu wählen. Indem das Selbst das Gute wählt, wird es sich selbst gerecht, da es diese Freiheit ausübt (Attas 1995, 33-34). Darüber hinaus ist der Mangel an Auswahlmöglichkeiten nicht nur bedauerlich, sondern gewissermaßen auch ironisch. Immerhin geht der Wunsch, sich der Linken oder der Rechten anzuschließen, auch mit dem Erwerb von Macht und/oder Repräsentation einher. Macht kann jedoch nicht dadurch angestrebt werden, dass sich das Selbst preisgibt, sondern durch die Fähigkeit, Geschichte zu gestalten, ohne dabei das Selbst aufzugeben. (Han 2018, 42).

Es existiert ein schmaler Grat zwischen Engagement und Unterordnung. Ersteres erfordert ein Mindestmaß an Ebenbürtigkeit zwischen den beiden sich engagierenden Lagern. Eine derartige Ebenbürtigkeit kann nur durch ideologische Kohärenz und die Artikulation konkurrierender Visionen erreicht werden. Andernfalls werden wir auch weiterhin in einem Zustand der Krise verweilen, in dem unser Diskurs lediglich dazu dient, eine Welt zu legitimieren, die nicht von uns selbst geschaffen wurde. Die Krise gipfelt sodann in einem Akt der Selbstunterwerfung unter konzeptionelle Hierarchien und Narrative, die vom muslimischen Selbst Besitz ergreifen und es schließlich negieren. Das erste Narrativ postuliert den Triumph liberaler Werte, während das zweite, postmoderne Narrativ den Islam auf einen kulturellen Aspekt reduziert. Macht, oder besser gesagt, Repräsentation, kann nicht ohne ein Bewusstsein dessen erreicht werden, was das Selbst ausmacht. Es ist nämlich diese integrierte Ausstattung eines Menschen, seine Hingabe, die das Selbst vom „Anderen“ abgrenzt. Dann, und nur dann, können wir in den historischen Prozess eintreten und uns mit der Linken und der Rechten als Subjekte und nicht als Objekte auseinandersetzen. Macht erfordert eine Vision, ein Projekt des Selbst und ein klares Erkennen der Möglichkeiten, die sich bieten.

Quellen:

Al–Attas, Syed Muhammad Naquib. Prolegomena to the Metaphysics of Islam. Penerbit UTM Press, 2014.

Han, Byung-Chul. What is Power? John Wiley & Sons, 2018.

König, Pascal D. “Truth versus ignorance in democratic politics: An existentialist perspective on the democratic promise of political freedom.” Contemporary Political Theory 20.3 (2021): 614-635.

Quelle: https://criticalmuslimstudies.co.uk