Als 2021 die Ergebnisse der alle zehn Jahre stattfindenden Volkszählung veröffentlicht wurden stellte sich heraus, dass die Bevölkerung Chinas so langsam wächst wie seit Jahrzehnten nicht mehr und die Zahl der Neugeborenen zudem seit 2019 um 20% zurückgegangen ist. Man rechnete eigentlich damit, dass China für mindestens ein weiteres Jahrzehnt keinen Bevölkerungsrückgang erleben würde. Doch die allmählich einsetzende Abnahme der Geburtenrate stellt eine große strategische Herausforderung für das Land dar, welches sich lange Zeit auf einen endlosen Nachschub an jungen Arbeitskräften verlassen konnte, um sein Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Die vom National Bureau veröffentlichten Zahlen beziffern die Bevölkerung des Landes auf 1,4118 Milliarden, was einem Rückgang um 850.000 Personen gegenüber 2021 entspricht. Das chinesische Bevölkerungswachstum ist bereits seit einem Jahrzehnt rückläufig und hat sich inzwischen sogar ins Negative gewendet. Dies geschieht nun zum ersten Mal seit Beginn der Aufzeichnungen nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Kommunistische Partei im Jahr 1953 ihre erste Volkszählung durchführte. Zwar ist die Geburtenrate seit einem Jahrzehnt rückläufig, doch hat sie nun den niedrigsten offiziellen Stand seit 1961 erreicht, als der „Große Sprung nach vorn“ eine weitreichende Hungersnot verursachte. Die einzige demografische Kennziffer Chinas, die zunimmt, ist die Anzahl an Menschen im Ruhestand. Die Bevölkerung altert rapide und verzeichnet 264 Millionen Rentner. China wird alt, ohne dass es zuvor je reich geworden ist.

China gab 2015 seine Ein-Kind-Politik auf, da diese nach drei Jahrzehnten zu einem enormen Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern und einer umgekehrten Bevölkerungspyramide geführt hatte, bei der ein schrumpfender Pool junger Arbeitskräfte eine immer größere Zahl von Rentnern stützen musste. Die 1979 beschlossene Ein-Kind-Politik sollte ursprünglich eine massive Überbevölkerung verhindern. Doch in Folge dieser Politik ist die Fruchtbarkeitsrate in China auf 1,15 Kinder pro Frau gesunken. Und das obwohl 2,1 Kinder pro Frau erforderlich sind, um eine stabile Bevölkerung aufrecht zu erhalten.

Die Auswirkungen der Ein-Kind-Politik sind inzwischen in ganz China deutlich zu spüren. Ein Bericht des Bildungsministeriums vom August 2018 bestätigte, dass im Jahr 2012 landesweit mehr als 13.600 Grundschulen geschlossen worden sind. Das Ministerium führte die weit verbreiteten Schließungen auf das sich dramatisch verändernde demografische Bild Chinas zurück und stellte zudem fest, dass die Anzahl der Schüler in Grund- und Sekundarschulen zwischen 2011 und 2012 von fast 150 Millionen auf 145 Millionen gesunken ist. Ferner wurde bestätigt, dass zwischen 2002 und 2012 die Zahl der an Grundschulen eingeschriebenen Schüler um fast 20% zurückging. In Anbetracht der hohen Bevölkerungszahl Chinas würde man meinen, dass eine Verlangsamung oder gar ein Schrumpfen der Bevölkerung eine positive Entwicklung darstellt. Doch für das Reich der Mitte kommt der Bevölkerungsrückgang zum falschen Zeitpunkt. Wenn das Land sein Wirtschaftswachstum fortsetzen will, muss ein viel größerer Teil seiner Bevölkerung urbanisiert werden, um den inländischen Konsum zu steigern. Die Chinesen werden einen Großteil ihrer Bevölkerung behausen, beschäftigen, versorgen und ausbilden müssen, wenn sie bis 2030 mehr Konsumenten schaffen wollen. Doch in den kommenden zehn Jahren werden über 25% der chinesischen Bevölkerung über 60 Jahre alt sein, während es heute nur etwa 13% sind. Bis dahin wird der Anteil der chinesischen Bevölkerung, der zu jung oder zu alt ist um zu arbeiten, von etwa 38% auf 46% steigen, wobei sich das Gleichgewicht der abhängigen Bevölkerung Chinas deutlich von den jungen weg und zu den alten Menschen hin verschiebt. Gleichzeitig wird die chinesische Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (20-59 Jahre) um bis zu 80 Millionen Menschen abnehmen. Die Verlagerung auf den Inlandskonsum wird eine drastische Steigerung der Arbeitsproduktivität erfordern, um Wachstumsraten zu erzielen, die auch nur annähernd dem derzeitigen Niveau entsprechen.

„China steht vor einer einzigartigen demografischen Herausforderung, die die dringlichste und schwerwiegendste der Welt ist“, erklärte Liang Jianzhang, Forschungsprofessor für angewandte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Peking und Experte für Demografie. Des Weiteren kommentierte er: „Dies ist eine tickende Zeitbombe.“ Die zunehmende Überalterung der chinesischen Bevölkerung wird das Sozialsystem und das unterfinanzierte Rentensystem des Landes unter immensen Druck setzen. Zudem hat die Nation nach wie vor mit einem enormen Überschuss an alleinstehenden Männern zu kämpfen, wodurch Probleme wie der Brautschmuggel entstanden sind.
Wie eine Reihe anderer Länder, die mit einem demografischen Rückgang konfrontiert sind, erwägt die Kommunistische Partei eine Anhebung des Rentenalters. In China liegt das Rentenalter für Frauen bei 50 und für Männer bei 60 Jahren. Der wichtigste staatliche Rentenfonds, der auf die Steuereinnahmen der Arbeitnehmer angewiesen ist, läuft Gefahr bis 2036 kein Geld mehr zur Verfügung zu haben.
Das riesige und endlose Angebot an Arbeitskräften war vier Jahrzehnte lang das Rückgrat des Wirtschaftswachstums des Landes. Während China versucht, sich von der billigen Massenproduktion auf eine hochwertige Produktion zu verlagern, die sich mehr auf Technologie als auf Arbeitskräfte stützt, ist das Land dennoch auf seine große Bevölkerung angewiesen, um einen Großteil seiner eigenen Produktion zu konsumieren. Mit dem Schrumpfen der erwerbsfähigen Bevölkerungsgruppe wird auch die Verbraucherbasis abnehmen, woraus sich auf lange Sicht wahrscheinlich eine der größten Herausforderungen für die Kommunistische Partei Chinas entwickeln wird.
Während die Nation gerne ihre Exporte, Flugzeugträger, smarten Städte, Hochgeschwindigkeitszüge und die Fortschritte in Fragen künstlicher Intelligenz als Zeichen ihres Supermachtstatus präsentiert, hat China in Wahrheit eine wachsende Liste interner Herausforderungen wie Taiwan, Hongkong, Xinjiang, sein Wirtschaftsmodell und nun auch den Bevölkerungsrückgang. All dies deutet darauf hin, dass Chinas Zukunft eher von seinen internen Problemen bestimmt wird als von dem, was das Land nach außen projiziert. Darüber hinaus wird Indien China im Juni als größte Nation der Welt ablösen.
Quelle: https://thegeopolity.com