Ausland Krieg der Generäle

Der Sudan rückt erst jetzt in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit, obwohl die (politische) Lage dort bereits vor Jahren anfing zu brodeln.

Die Ereignisse im Sudan geraten immer mehr außer Kontrolle, während sich die Spannungen seit Wochen weiter zuspitzen. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) besteht in einem Labor, das in den anhaltenden Konflikt im Sudan verwickelt ist, ein „[…] hohes Risiko einer biologischen Gefährdung […]“. Die Kämpfe zweier rivalisierender Fraktionen um die militärische Vormachtstellung im Land führten bereits zur Evakuierung westlicher Diplomaten. Während ein Großteil der Welt erst jetzt auf das afrikanische Land aufmerksam geworden ist, befindet sich die dortige Lage schon seit Jahren am Siedepunkt.

Nach jahrzehntelanger Herrschaft hatte Umar al-Baschir den Sudan in den Ruin getrieben. Nach der Abspaltung des Südsudan im Jahr 2011 gingen 75% der Ölvorkommen der ehemaligen Nation an den neuen Binnenstaat, was eine Wirtschaftskrise zur Folge hatte, welche die gesamtwirtschaftliche Lage des Sudan noch weiter verschlechterte. Dies führte 2019 schließlich zu einer Reihe von Demonstrationen in mehreren sudanesischen Städten. Steigende Lebenshaltungskosten und schlechte wirtschaftliche Bedingungen auf allen Ebenen der Gesellschaft führten dazu, dass die Forderung nach wirtschaftlichen Rechten gleichsam mit der Forderung zur Beseitigung des Regimes einherging. Als die Proteste zunahmen und sich verschlimmerten, unterlag das gesamte Land im April 2019 faktisch einer Ausgangssperre. Das Militär griff ein, entmachtete Umar al-Baschir und setzte einen militärischen Übergangsrat („Transitional Military Council“, TMC) ein. Nachdem der damalige Verteidigungsminister und kurzfristiges Staatsoberhaupt Awad ibn Auf einige Tage später zurückgetreten war, übernahmen Generalleutnant Abdel-Fattah Burhan und General Mohammed Hamdan Daglo von den paramilitärischen Streitkräften – den Rapid Support Forces (RSF) – die Herrschaft über das Land.

Im August 2019 unterzeichneten die Militäroffiziere mit einigen Anführern der Protestgruppen, die sich „Kräfte der Freiheit und des Wandels“ (FFC) nannten, ein Verfassungsdokument zur Schaffung eines souveränen Rates bestehend aus fünf Mitgliedern des Militärs, fünf Zivilisten und einer unabhängigen Person. Die Übergangszeit sollte 39 Monate anhalten, wobei der souveräne Rat 21 Monate lang vom Militär und 18 Monate lang von den sog. Kräften der Freiheit und des Wandelns geführt werden sollte. Im Anschluss an die Übergangszeit sollten Wahlen stattfinden und die Gründung eines gesetzgebenden Rates erfolgen. Allerdings schrieb das Abkommen vor, dass das Militär das Vorrecht zur Ernennung eines Verteidigungs- als auch eines Innenministers erhält. Das Militär hat von Anfang an dafür gesorgt, dass sich an der grundlegenden Struktur des Sudans nur sehr wenig ändert und hat außerdem die Opposition dazu bringen können, das bestehende politische Gerüst beizubehalten. Die Tatsache, dass die Führer der Kräfte der Freiheit und des Wandels dem zustimmten, bedeutete, dass sie jeden echten Wandel aufgegeben hatten. Ein weiterer interessanter Aspekt war zudem die militärische Führung rund um Umar al-Baschir, denn diese gehörten zu den fünf Mitgliedern der militärischen Seite des Souveränen Rates.

Ein Beweis dafür, dass das Militär die Macht nicht aufgeben wollte, war die Tatsache, dass sie die Macht im Mai 2021 an die zivile Seite des Rates hätten übergeben sollen. Stattdessen ließ das Militär eine Abänderung vornehmen, in dem sie mit einer Unzahl von Rebellengruppen, die sich gegen die Zentralregierung auflehnten, das Abkommen von Juba unterzeichneten. Das Militär verlängerte seine Herrschaft über den Souveränen Rat auf insgesamt 53 Monate! Als diese neue Übergangszeit im Oktober 2021 die Machtübergabe an die zivile Seite vorsah, übernahm das Militär durch einen Putsch die Kontrolle über die Regierung. Der zivile Premierminister Abdalla Hamdok wurde unter Hausarrest gestellt. Infolgedessen nahmen die Proteste wieder zu und breiteten sich erneut über das gesamte Land aus. Slogans wie „Militär, zurück in die Kasernen“ fanden immer mehr Anklang.

Im Dezember 2022 unterzeichnete das Militär ein neues Rahmenabkommen für den Übergang zu einer zivilen Regierung. Das Abkommen, welches in weiten Teilen bereits in früheren Abkommen enthalten war, verpflichtet das Militär eine neue zivile Regierung – einschließlich eines zivilen Premierministers – zu ernennen. Nach der Aufstellung einer Übergangsregierung würde dann ein neuer zweijähriger Übergangsprozess beginnen, der ebenfalls mit Wahlen seinen Abschluss finden würde. Jedoch enthielt das Abkommen kein Datum für die Schlussvereinbarung und das, obwohl viele der umstrittensten Punkte für künftige Verhandlungen zurückgestellt worden sind. Die Unterzeichnung eines endgültigen Abkommens war letztendlich für den 6. April 2023 vorgesehen. Dabei kam es in der Hauptstadt und der Region Darfur zu Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Fraktionen der landeseigenen Militärregierung. Fast 500 Tote und mehr als 3.000 Verletzte sind seit diesen Gewaltausbrüchen zu beklagen. Die Kämpfe begannen mit Angriffen von Seiten der Rapid Support Forces (RSF) auf wichtige Einrichtungen der Regierung. Luftangriffe, großkalibrige Kriegsgeräte und schwere Geschützfeuer wurden aus dem ganzen Sudan gemeldet, so auch aus der Hauptstadt Khartum. Sowohl RSF-Führer Mohamed Hamdan Dagalo als auch Militärgeneral Abdel Fattah al-Burhan erhoben hierbei den Anspruch auf die Kontrolle wichtiger Regierungsstandorte.

Als zum wiederholten Male ein Stichtag für den Regierungsübergang bevorstand, fand das Militär einen Weg, die Machtübergabe an eine zivile Regierung zu verhindern. Das Argument welches sie hierfür aufbrachten war, dass es jetzt einen gewaltsamen Konflikt zwischen der Armee und der RSF gibt. In der Folge haben viele diesen scheinbaren Konflikt zwischen Hamden und Burhan in Frage gestellt. Kholood Khair, ein in Khartum ansässiger Analyst, erklärte gegenüber Middle East Eye: „[…] dass die Spannungen zwischen Burhan und Hemeti (Mohamed Hamdan Dagalo) echt sind, aber dass die beiden Militärführer diese Spannungen zeitgleich auch als Waffe einzusetzen wüssten, um Zugeständnisse seitens der Zivilisten zu erhalten […]. Weiterhin heißt es in seiner Erklärung: „Sie lassen die Konflikte eskalieren, stocken ihre Waffen und Truppen auf, um den Druck einer möglichen Konfrontation zu nutzen, damit sie darauffolgend Zugeständnisse von pro-demokratischen Akteuren, insbesondere der FFC-CC erhalten. Dann lassen sie die Spannungen abklingen, halten aber weiterhin an den Zugeständnissen fest, und behalten sowohl die Truppen als auch die Waffen.“ Der Sekretär für Außenbeziehungen der Kommunistischen Partei Sudans, Saleh Mahmoud, sagte: „Beide Kräfte, die Armee und die RSF, haben ein gemeinsames Interesse daran, dass der bewaffnete Konflikt ausufere. Denn dies wäre ein Grund, die Macht nicht an zivile Kräfte übergeben zu müssen.“ Marwan Bishara von Al Jazeera sagte: „Viele der Putsche in den 1950er und 1960er Jahren – von Syrien bis zum Sudan, über Ägypten, den Irak, den Jemen und Libyen – wurden von jungen Offizieren mit hochgesteckten Visionen und großen Hoffnungen angeführt; um einen furchtbaren Status quo durch eine bessere, wohlhabendere Zukunft zu ersetzen, die frei von Demütigung und Niederlage ist. Doch den Putschen der jüngeren Vergangenheit, wie in Algerien 1992, Ägypten 2013 und Sudan 2021, fehlte es an Visionen und Ambitionen, die über die bloße Verhinderung eines politischen Wandels und die Wiederherstellung des beängstigenden Status quo ante hinausgingen, der militärische Macht und Privilegien begünstigte.“

Obwohl die Differenzen zwischen dem Militär und der RSF unbestreitbar sind, sind sie sich in einem Punkt einig: Sie wollen den Protestgruppen nicht die Macht überlassen. Sowohl die Armee, als auch die RSF haben ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen zu wahren. Die Armee besitzt Land und viele Unternehmen in verschiedenen Wirtschaftszweigen, während die RSF Minen und Vermögenswerte zu schützen hat. Es ist unwahrscheinlich, dass die Anführer der Protestgruppen in der Lage sein werden, das Militär zu vertreiben, da sie immer wieder Vereinbarungen mit dem Militär treffen, an die sie sich nachweislich nicht halten. Ergo ist davon auszugehen, dass die Instabilität im Sudan kurz- bis mittelfristig anhalten wird.

Quelle: https://thegeopolity.com