Bald scheint es so weit zu sein. Jeder Bürger soll in Deutschland die Möglichkeit haben, sein Geschlecht als auch seinen Vornamen unbürokratisch beim Standesamt ändern zu lassen – bereits im Alter von 14 Jahren. Das sieht das geplante Selbstbestimmungsgesetz vor, dessen Entwurf noch vor der Sommerpause dem Kabinett vorgelegt wird, bevor es zum Bundestag und Bundesrat weitergeht. Das Papier ist mittlerweile auch an die Öffentlichkeit gelangt und sorgt erwartungsgemäß für Diskussionsstoff.
Für die Ampelkoalition hingegen ist das geplante Gesetz längst überfällig. Schließlich gehe es darum, das überholte Transsexuellen-Gesetz nach über 40 Jahren endlich abzuschaffen. In der Begründung zum Gesetzentwurf heißt es, dass dem Transsexuellen-Gesetz ein medizinisch veraltetes, pathologisierendes Verständnis von Transgeschlechtlichkeit zugrunde liege. Künftig soll für eine Änderung des Geschlechtseintrags niemand mehr ein Gerichtsverfahren durchlaufen müssen oder ärztliche Bescheinigungen und psychologische Gutachten benötigen. Stattdessen soll die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit auch die Wahl nach dem richtigen Geschlecht umfassen. Irreversibel ist im Vergleich zur Geschlechtsumwandlung die Änderung des Geschlechtseintrags beim Standesamt jedoch nicht. Denn die Verfasser des Selbstbestimmungsgesetzes haben in weiser Voraussicht darauf hingewiesen, dass die Geschlechtsänderung nach 12 Monaten rückgängig gemacht respektive erneut geändert werden kann. Damit trägt sie der Vielfalt an Geschlechteridentitäten und ihrem fluiden Charakter in der hiesigen Gesellschaft Rechnung. Auf diese Weise wird die unkomplizierte Änderung des Geschlechtseintrags zu einem reinen Verwaltungsakt verharmlost.
Grund zur Sorge gäbe es allerdings keine. Schließlich würde sich mit dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz auf praktischer Ebene nicht viel ändern. Denn das Geschlecht als auch den Vornamen konnten Betroffene auch unter dem Transsexuellen-Gesetz ändern – wenn auch mit den genannten Bedingungen. Gleichzeitig sieht das neue Gesetz durchaus Einschränkungen vor, wie die Sonderregelung im Verteidigungsfall. Danach könnten Männer trotz ihres geänderten Geschlechtseintrags im Falle einer Einberufung sich dem Wehrdienst nicht entziehen. Doch unabhängig von den rechtlichen Detailfragen muss die soziopolitische Dimension dieses Vorhabens begriffen werden. Das geplante Selbstbestimmungsgesetz sendet nämlich an die Gesellschaft eine unmissverständlich klare Botschaft aus; der individuellen Freiheit werden hinsichtlich der Sexualität offenbar keinerlei Grenzen mehr gesetzt – frei nach dem Motto, nach oben ist noch genug Luft. Die gesellschaftlichen Auswirkungen indes werden verheerend sein und sind bereits jetzt zu beobachten. Denn die Grundperspektive auf das Geschlecht als soziale Ordnungskategorie und die daraus resultierenden Beziehungen zwischen Männern und Frauen machen im Westen seit Jahrzehnten einen fundamentalen Wandel durch und erleben derzeit ihren vorläufigen Tiefpunkt. Die sogenannte Pluralisierung der Lebensformen führt dazu, dass das traditionelle Eheverständnis – welches auch im Westen viele Jahrhunderte lang gesellschaftlicher Konsens war – derart erschüttert wird, dass es nicht mehr als exklusiver Bund zwischen Mann und Frau verstanden werden könne. Vielmehr müsse auch die Ehe sich der Idee der sexuellen Selbstbestimmung unterordnen und für gleichgeschlechtliche Paare genauso offen sein. Zugleich stellt die Eheschließung für den Geschlechtsverkehr weder eine juristische noch eine moralische Voraussetzung dar. Der Trauschein ist somit überflüssig geworden und das freie Individuum kann sexuelle Kontakte problemlos unterhalten, ohne sich dafür rechtfertigen oder soziale Ablehnung befürchten zu müssen. Möglich wurde dieser Paradigmenwechsel dadurch, dass die westlichen Gesellschaften eine folgenschwere Revision der Ziele der Ehe vollzogen, womit sich auch die Auffassung von Sexualität grundlegend änderte. Das sexuelle Verlangen wurde auf diese Weise von seinem eigentlichen Zweck – dem Fortbestand der menschlichen Art – vollständig entkoppelt und zum Selbstzweck erhoben. Die Fortpflanzung bzw. die Erhaltung der menschlichen Art ist damit in den Hintergrund gerückt. Das einzig entscheidende ist das sexuelle Vergnügen, welches beispielsweise der Mann nicht zwangsläufig mit einer Frau und schon gar nicht im Rahmen der Ehe haben muss. Die liberal-säkulare Gesellschaft verleiht dem Menschen demzufolge die Freiheit, seine sexuellen Bedürfnisse auf beliebige Art und Weise zu befriedigen: innerhalb oder außerhalb der Ehe, mit oder ohne Seitensprung, homo-, hetero- oder bisexuell, als Masochist, Sadist oder Sodomist, als Prostituierte oder Freier – ganz so, wie es dem Individuum gerade in den Kopf kommt. Und da der Freiheitsgedanke ein Fass ohne Boden ist und mit der Zeit in immer tiefere Abgründe fällt, kann das selbstbestimmte Individuum mittlerweile auch zwischen den geschlechtlichen Varianzen wählen.
Die daraus resultierenden Verwerfungen sind vielfältig und stellen auf lange Sicht für das soziokulturelle Gefüge eine ernstzunehmende Bedrohung dar. Dazu gehört zweifellos das vieldiskutierte Problem rund um den demografischen Wandel. Die Gefahr liegt hierbei nicht so sehr in einem Bevölkerungsschwund, wie noch Anfang der 1990er prognostiziert wurde – als zahlreiche Experten davon ausgingen, Deutschland entwickle sich in naher Zukunft zu einer Rentnerrepublik. Angesichts der Migrations- und Flüchtlingsströme konnte dieses Szenario fürs erste abgewendet werden, so dass auch im Jahre 2023 über 80 Millionen Menschen in diesem Land leben. Zentraler Kritikpunkt insbesondere seitens konservativer und rechter Politiker ist vielmehr die Zusammensetzung der Bevölkerung. Zum einen stehen immer weniger Kinder immer mehr Alten gegenüber, was sich unter anderem massiv auf das hiesige Rentensystem auswirkt und den als so fortschrittlich betrachteten Generationenvertrag ad absurdum führt – falls sich dieser Trend weiter fortsetzt. Zur gleichen Zeit sieht sich der Arbeitsmarkt seit längerem mit dem Fachkräftemangel konfrontiert, dem mittels einer klugen Einwanderungspolitik entgegengesteuert werden soll. An diesem Punkt setzt die Kritik an; denn es sind immer weniger die Deutschen, die das Schrumpfen der eigenen Bevölkerung verhindern werden können, sondern Migranten! In Großstädten wie Berlin sticht dieser Aspekt besonders ins Auge. Exemplarisch hierfür lassen sich zahlreiche Grundschulen anführen, in denen die Mehrheit der eingeschulten Kinder inzwischen einen Migrationshintergrund besitzen oder im Zuge der letzten Flüchtlingsströme nach Deutschland kamen.
Der Gedanke, dass sich auf diesem Wege die kulturelle Prägung Deutschlands im Begriff ist aufzulösen, erscheint angesichts dieser Ausführungen nicht unplausibel. Vor allen Dingen sollte aber der Zusammenhang zwischen dem demografischen Wandel und der oben beschriebenen Aufgabe der binären Geschlechterordnung deutlich sein. Denn unabhängig davon, welche der konstruierten Geschlechteridentitäten gesellschaftliche Akzeptanz erfahren soll, haben sie doch alle eines gemeinsam: ihre Lebensentwürfe sind nicht auf die Fortpflanzung bzw. die Erhaltung der menschlichen Art ausgerichtet. Daher verfehlen auch finanzielle Anreize in Form von höheren Kindergeldbeiträgen oder Steuererleichterungen ebenso wie attraktivere Arbeitszeitmodelle ihre Wirkung. Denn der exzessive Individualismus korrespondiert nicht mit diesen Maßnahmen und beschäftigt den Menschen vielmehr mit der Frage, ob er sich noch im richtigen Körper befindet.
Mit dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz gibt die sogenannte offene Gesellschaft dem Individuum nun einen weiteren Grund an die Hand, sich um den eigenen Nachwuchs nicht weiter scheren zu müssen und stattdessen an der eigenen Geschlechtsentfaltung zu feilen. Doch auch die kritischen Stimmen aus dem konservativen und rechten politischen Spektrum bieten keine überzeugende und tragfähige Alternative. Zumindest was die Union und weite Teile der AfD angeht, dreht sich ihre Kritik eher um die Umsetzung des Gesetzes, als das dahinterstehende Geschlechterbild fundamental in Zweifel zu ziehen.