(Übersetzt)
Zweifellos befindet sich die Welt im Chaos. Dieses Durcheinander offenbart sich auf allen Ebenen der Gesellschaft, so auch am Familiensystem und dessen offenkundigem Zusammenbruch. Als Therapeut, der mit Jugendlichen im Westen arbeitet, kann ich das Versagen der Gesellschaft im Allgemeinen nicht länger übersehen. In der Privatsphäre meines Sprechzimmers wird diese Entwicklung immer deutlicher.
Wie diverse Studien nachweisen konnten, sind es vor allem die zu Hause gemachten Erfahrungen, die darüber bestimmen, wie ein Kind die Welt wahrnimmt. Demzufolge spielt die Art und Weise, wie Eltern ihre Familie strukturieren, eine wichtige Rolle für das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen. Den entscheidenden Einfluss darauf hat insbesondere die Beziehung der Eltern zueinander. (H. Benson, Marriage Foundation)
Leider sind vom Zusammenbruch des Familiensystems und von allen daraus resultierenden negativen Auswirkungen alle betroffen, so auch jene Kinder, die aus einem muslimischen Haushalt stammen. Auch muslimische Jugendliche leiden inzwischen unter psychischen Problemen wie Angstzuständen, Stimmungs- und Essstörungen, Anpassungsschwierigkeiten und Selbstmordgedanken (Basit & Hamid, 2010). Hinzu kommt, dass psychische Erkrankungen und deren Behandlung in der muslimischen Gemeinschaft stigmatisiert werden. Berechtigterweise herrscht unter Muslimen ein kulturbedingtes Misstrauen gegenüber der westlichen Psychotherapie, da ihr Ansatz auf einer anderen Lebensauffassung beruht.
In der Praxis bedeutet dies, dass muslimische Jugendliche manchmal psychosoziale Betreuung in Anspruch nehmen, ohne dass ihre Familien davon wissen. Diese Jugendlichen sind nur ungern dazu bereit, ihre Angehörigen einzubeziehen, da sie oft das Gefühl haben, dass ihre Probleme tatsächlich mit ihrem eigenen familiären Hintergrund zusammenhängen würden. Aufgrund dessen ist es uns Therapeuten oft nur möglich, mit den Jugendlichen allein zu sprechen, da sie sich weigern, die Familie miteinzubeziehen. Mangels anderer Möglichkeiten bemühen wir uns daher, diesen Jugendlichen dabei zu helfen, gesündere Konzeptionen über sich selbst und die Welt um sie herum zu entwickeln. Wir versuchen ihnen Verhaltensweisen beizubringen, die ihnen helfen, schwierige Phasen zu überstehen, und ihnen Techniken anzubieten, mit denen sie das Gelernte anwenden können.
Wir sind uns darüber im Klaren, dass eine Stunde pro Woche kaum ausreichend ist, um ihre alltäglichen Probleme in der Familie, am Arbeitsplatz oder in der Schule zu behandeln. Noch hilfloser sind wir angesichts der vielen sozialen, moralischen und wirtschaftlichen Probleme, die einer gescheiterten Gesellschaft entspringen und diese Jugendlichen zusätzlich belasten. Tatsache ist, dass junge Menschen oft in einer Gesellschaft leben und aufwachsen, die vor allem darauf Wert legt, wie viel eine Person verdient, wie sie aussieht und was sie besitzt. Ob jemand einen guten und hilfsbereiten Charakter hat, spielt darin kaum eine Rolle. Eine solche Gesellschaft kreiert oberflächliche Lebensziele, die irrational und oftmals unerreichbar sind. Junge Menschen werden dazu angespornt, stets die Anerkennung anderer zu suchen, während sie über die sozialen Medien ständig mit makellosen Bildern bombardiert werden. Auf diese Weise wird der Jugend vorgeführt, wie das Leben „sein sollte“.
Als Therapeut hofft man, dass der Klient trotz aller Widrigkeiten die richtigen Entscheidungen trifft. Man betet, dass er einen engagierten und verständnisvollen Lehrer bekommt, einen guten und loyalen Freund trifft und sich einer Halaqa-Gruppe in der Moschee anschließt, um darin Halt zu finden. Vor allem wünscht man ihm, dass er ein fürsorgliches Familienmitglied findet, dem er sich anvertrauen kann, um die nötige Unterstützung zu erhalten.
Wie wichtig wird doch plötzlich ein funktionierendes Familienleben, wenn man mit dieser Art von Problemen konfrontiert ist! Kann man die Probleme dieser Jugendlichen wirklich lösen, ohne ihre Familienstrukturen einzubeziehen? Ist es nicht ein Muss, ein unterstützendes Umfeld vorzufinden, auf das ein betroffener Jugendlicher zurückgreifen kann, wenn er psychische Probleme erleidet, anstatt ihn in einer ohnehin schon toxischen Gesellschaft sich selbst zu überlassen?!
Konfrontiert mit dieser Realität musste ich an den Zustand der Umma in ihrer Gesamtheit denken. Dabei stellte sich mir die Frage: Wie sollte man einem jungen Menschen nur helfen können, ohne das ihn umgebende Lebenssystem, seine Familie, mit einzubeziehen? Gerade das Familiensystem mit all seinen verschiedenen Komponenten ist doch jene Stütze, die diese Jugendlichen so dringend benötigen. Es sind gerade die Eltern, Geschwister und Großeltern, Tanten und Onkel, Nichten und Neffen, Cousins und Cousinen, die einem desorientierten Jugendlichen Sicherheit und Halt, Geborgenheit und Ratschläge (positive Verstärkung), Gesellschaft und Gespräche bieten können. Die Eltern müssen auf die Sorgen und Nöte ihrer Kinder aufmerksam gemacht werden und gemeinsam versuchen, Wege zu finden, ihnen zu helfen. Es mag durchaus sein, dass viele unserer Familien schwierige und manchmal toxische Züge angenommen haben. Aber im Grunde haben doch alle Familien mit Herausforderungen zu kämpfen. Dennoch hat jede Familie auch ihre Stärken, und alle Familien haben Bereiche mit Wachstumspotenzial.
Dagegen stellt die islamische Lebensordnung, die heute an der Lösung unserer Probleme nicht mitwirken darf, den wahren Rettungsanker für unsere Gesellschaft dar. Denn das islamische Regierungssystem, das Kalifat, ist der Offenbarung unseres Schöpfers (swt) entnommen und daher in der Lage, alle menschlichen Probleme auf die beste Weise zu lösen. Dieses System basiert auf einer umfassenden Lebensordnung, die Harmonie, Wohlstand, Sicherheit und Gerechtigkeit für alle gewährleistet. So hat Allah (t) in Seiner unendlichen Weisheit optimale Lösungen für alle Probleme des Lebens bereitgestellt. Der Schlüssel, um diese Lösungen in die Tat umzusetzen, besteht in der Errichtung des Kalifats, eines Staates, der auf der Methode des Propheten (s) basiert. Nur dieser Staat wird alle Überzeugungen, Werte, Prinzipien, Gesetze und Systeme des Islam in unseren islamischen Ländern umsetzen können.
Ohne die Umsetzung dieses Systems gleichen wir einem halbstarken Teenager, der verständlicherweise unfähig ist, die großen Probleme des Lebens aus eigener Kraft zu bewältigen. Solange es uns nicht gelingt, unser islamisches System vollumfänglich anzuwenden, bleiben auch die meisten unserer Probleme ungelöst.
﴿فَإِمَّا يَأْتِيَنَّكُمْ مِنِّي هُدًى فَمَنِ اتَّبَعَ هُدَايَ فَلَا يَضِلُّ وَلَا يَشْقَى وَمَنْ أَعْرَضَ عَنْ ذِكْرِي فَإِنَّ لَهُ مَعِيشَةً ضَنْكًا وَنَحْشُرُهُ يَوْمَ الْقِيَامَةِ أَعْمَى﴾
Doch wenn dann von Mir Rechtleitung zu euch kommt, dann wird derjenige, der Meiner Rechtleitung folgt, nicht irregehen und nicht unglücklich sein. Wer sich aber von Meiner Ermahnung abwendet, der wird ein beengtes Leben führen, und am Tag der Auferstehung werden Wir ihn blind (zu den anderen) versammeln.[20:123-124]