Eine Gemeinschaftsaufgabe
Mūsā (as) erkannte den Umfang jener Aufgabe, die vor ihm lag, und flehte Allah (t) sofort an, ihm einen Helfer und Verbündeten zu gewähren.
﴿وَٱجْعَل لِّى وَزِيرًۭا مِّنْ أَهْلِى ٢٩ هَـٰرُونَ أَخِى ٣٠ ٱشْدُدْ بِهِۦٓ أَزْرِى ٣١ وَأَشْرِكْهُ فِىٓ أَمْرِى ٣٢ كَىْ نُسَبِّحَكَ كَثِيرًۭا ٣٣ وَنَذْكُرَكَ كَثِيرًا ٣٤ إِنَّكَ كُنتَ بِنَا بَصِيرًۭا ٣٥﴾
Und bestimme mir einen Beistand aus meiner Familie, meinen Bruder Hārūn! Festige durch ihn meine Stärke, und lasse ihn an meiner Aufgabe teilhaben, damit wir Dich häufig lobpreisen, und Deiner viel gedenken. Gewiss, Du siehst uns wohl.[20:29-35]
Bereits an diesem Bittgebet wird die immense Weisheit und Demut von Mūsā (as) deutlich. Nachdem er vom Herrn der Schöpfung zu einer so ehrenvollen Aufgabe berufen wurde, hätte Mūsā (as) von Stolz und Hochmut ergriffen werden und sich für eine unaufhaltsame „One Man Show“ halten können. Er hätte über den Ruhm und die Ehre, die mit einer solch edlen Mission einhergehen, nachsinnen und seinen neuen Status genießen können. Stattdessen bestand Mūsās Motivation einzig und allein darin, das Wohlgefallen Allahs (swt) zu erlangen. Darum widmete er sich seiner Aufgabe – nämlich der Befreiung seines Volkes – mit größter Hingabe.
Genau diese Haltung müssen wir einnehmen, wenn wir die Umma aus ihrer heutigen Misere befreien wollen. In dieser individualistischen Gesellschaft, die negative Charaktereigenschaften wie Hochmut und Stolz feiert und das Streben nach materiellem Erfolg für das höchste Gut erklärt, kann die Arbeit in einer Gruppe durchaus zu einer belastenden Prüfung für unser nafs werden. Daher ist es umso wichtiger, sich stets bewusst zu sein, dass die Verwirklichung einer derart gewaltigen Aufgabe nur im Kollektiv möglich ist. Würde es sich nämlich um eine Angelegenheit handeln, der ein einzelner Mensch gewachsen ist, wäre der Gesandte Allahs (s) der fähigste und würdigste gewesen, sie zu erfüllen. Doch gerade an seinem Beispiel sehen wir, dass er (s) nicht allein gearbeitet hat – und im Gesandten Allahs (s) ist uns das beste Vorbild gegeben worden!
Unser Prophet Muḥammad (s) arbeitete eng mit seinen Gefährten (r) zusammen und organisierte sie als eine Gruppe. Dadurch waren er und seine Anhänger in der Lage, den falschen Ideen und Praktiken in der mekkanischen Gesellschaft die Stirn zu bieten. Sie studierten gemeinsam, beteten Seite an Seite und gingen in ihrer daʿwa organisiert vor. Um seine Gruppe zu stärken, bat der Gesandte (s) Allah (t) sogar im duʿāʾ darum, einflussreiche Personen wie ʿUmar ibn al-Ḫaṭṭāb (r) den Islam annehmen zu lassen.
Die gemeinschaftliche Anstrengung hat Allah (swt) untrennbar mit dem Gebieten des Rechten und dem Anprangern des Unrechts verknüpft, als Er (t) im Koran befahl:
﴿وَلْتَكُن مِّنكُمْ أُمَّةٌۭ يَدْعُونَ إِلَى ٱلْخَيْرِ وَيَأْمُرُونَ بِٱلْمَعْرُوفِ وَيَنْهَوْنَ عَنِ ٱلْمُنكَرِ ۚ وَأُو۟لَـٰٓئِكَ هُمُ ٱلْمُفْلِحُونَ﴾
Möge aus euch eine Gemeinschaft entstehen, die zum Guten aufruft, das Rechte gebietet und das Unrecht anprangert; und dies sind die Erfolgreichen.[3:104]
Wenn wir uns an dieser Stelle noch einmal das schöne Bittgebet von Mūsā (as) in Erinnerung rufen, erschließt sich uns etwas von der Weisheit, die diesem Befehl Allahs innewohnt. Immerhin fördert die gemeinschaftliche Arbeit die Brüderlichkeit und bündelt unser aller Kräfte, wodurch die Last dieser überwältigenden Aufgabe erleichtert wird. Letzten Endes besteht der Zweck all unserer Anstrengungen nur darin, den Namen Allahs (t) zu lobpreisen, Sein (swt) Wort zum Höchsten zu machen und eine Gesellschaft hervorzubringen, die Seiner (t) gedenkt.
Mūsās Kampf gegen den Pharao fußte auf eben diesen Säulen, was ihn zu einem äußerst wirksamen Musterbeispiel zur Bekämpfung von Tyrannei macht. So gelang es Mūsā (as), diesen erbitterten Kampf für sich zu entscheiden und den berüchtigtsten Tyrannen, den diese Welt je gesehen hat, zu bezwingen. Der Höhepunkt dieses historischen Duells ereignete sich in der eingangs erwähnten Szene, als die Gläubigen am Rande der Verzweiflung waren. Mūsā (as) und seine Anhänger hatten das Ufer des Roten Meeres erreicht und standen kurz davor, vom Feind eingeholt zu werden. Die Gläubigen waren in eine ausweglose Situation geraten – so schien es ihnen. Beim Versuch, das Meer zu überqueren, wären sie ertrunken, und umzukehren hätte bedeutet, der Armee des Pharao direkt in die Arme zu laufen. Erst in dieser schier aussichtslosen Lage sollte Allah (t) Seinen gläubigen Dienern zu Hilfe eilen und ihnen den versprochenen Sieg bescheren. Dies ist die Sunna Allahs (t)!
﴿أَمْ حَسِبْتُمْ أَن تَدْخُلُوا۟ ٱلْجَنَّةَ وَلَمَّا يَأْتِكُم مَّثَلُ ٱلَّذِينَ خَلَوْا۟ مِن قَبْلِكُم ۖ مَّسَّتْهُمُ ٱلْبَأْسَآءُ وَٱلضَّرَّآءُ وَزُلْزِلُوا۟ حَتَّىٰ يَقُولَ ٱلرَّسُولُ وَٱلَّذِينَ ءَامَنُوا۟ مَعَهُۥ مَتَىٰ نَصْرُ ٱللَّهِ ۗ أَلَآ إِنَّ نَصْرَ ٱللَّهِ قَرِيبٌۭ﴾
Wähnt ihr denn, ins Paradies einzutreten, ehe Ähnliches über euch gekommen ist, wie über diejenigen, die vor euch dahingingen? Unglück und Drangsal erfasste sie, und sie sind so erschüttert worden, bis dass der Gesandte und die Gläubigen mit ihm riefen: „Wann kommt denn die Hilfe Allahs?“ Wahrlich, die Hilfe Allahs ist nahe![2:214]
Für Allah (swt) war es ein Leichtes, das Rote Meer zu teilen, um den Gläubigen eine sichere Passage ans andere Ufer zu ermöglichen und den Pharao mitsamt seiner gewaltigen Armee auf einen Schlag zu vernichten. Daraufhin gewährte Allah (t) dem zuvor unterdrückten Volk Israels die versprochene Macht und Herrschaft.
﴿ وَنُرِيدُ أَن نَّمُنَّ عَلَى ٱلَّذِينَ ٱسْتُضْعِفُوا۟ فِى ٱلْأَرْضِ وَنَجْعَلَهُمْ أَئِمَّةًۭ وَنَجْعَلَهُمُ ٱلْوَٰرِثِينَ ٥ وَنُمَكِّنَ لَهُمْ فِى ٱلْأَرْضِ وَنُرِىَ فِرْعَوْنَ وَهَـٰمَـٰنَ وَجُنُودَهُمَا مِنْهُم مَّا كَانُوا۟ يَحْذَرُونَ ٦﴾
Wir aber wollten denjenigen, die im Land unterdrückt wurden, Gnade erweisen und sie zu Vorbildern machen und zu Erben einsetzen, und ihnen die Oberhand im Lande geben und den Pharao und Haman und deren Heerscharen durch sie das erfahren lassen, was sie befürchtet hatten.[28:5-6]
Genauso wie Allah (t) Sein Versprechen wahr machte und die Anhänger Mūsās (as) als Erben auf Erden einsetzte, hat Er (t) im Koran auch verheißen, dass Er (t) der Umma von Muḥammad (s) die gleiche Ehre gewähren wird:
﴿هُوَ ٱلَّذِىٓ أَرْسَلَ رَسُولَهُۥ بِٱلْهُدَىٰ وَدِينِ ٱلْحَقِّ لِيُظْهِرَهُۥ عَلَى ٱلدِّينِ كُلِّهِۦ ۚ وَكَفَىٰ بِٱللَّهِ شَهِيدًۭا﴾
Er ist es, Der Seinen Gesandten mit der Rechtleitung und der wahren Glaubensordnung entsandt hat, auf dass Er sie über jede andere Glaubensordnung obsiegen lasse. Und Allah ist als Zeuge genug.[48:28]
Während wir am zehnten Tag des Muḥarram (yaum ʿĀšūrāʾ) fasten, hoffen wir auf Allahs Barmherzigkeit und Vergebung. An diesem besonderen Tag gedenken wir des Triumphs über die Tyrannei und bitten den Allmächtigen, auch unserer Umma den versprochenen Sieg zu bescheren. Dabei rufen wir uns die schier ausweglose Situation Mūsās (as) am Ufer des Roten Meeres in Erinnerung, um niemals zu vergessen, dass Allah (t) Allmächtig ist und Seine gläubigen Diener niemals im Stich lassen wird. Unabhängig davon, wie aussichtslos die globale Lage zeitweise auch erscheinen mag – Er (swt) ist an-Naṣīr: Derjenige, Der den Beistand gewährt. Nichtsdestotrotz müssen auch wir unseren Teil dazu beitragen, um den versprochenen Sieg vom Herrn der Welten zu erhalten. Darum müssen wir auch jene Methode, die für den Sieg erforderlich ist, nämlich die Methode des Propheten Muḥammad (s), studieren, verstehen und anwenden.