Kommentar Alternative für Deutschland?

Geraten hierzulande Traditionen wie Familie oder Identität ins Wanken, rief dies stets konservative und rechte Kräfte auf den Plan. Doch das postmoderne Denken greift immer weiter um sich und möchte in Sachen Ehe und Familie auch die letzten Gewissheiten Vergangenheit werden lassen. Kann sich das konservativ-rechte Lager diesem Prozess entgegenstellen und gleichzeitig eine überzeugende Alternative anbieten?

Eines der zentralen Anliegen konservativ-rechter Strömungen ist bekanntermaßen der Erhalt der Familie als Keimzelle der Gesellschaft. Daher spielen Geschlechterpolitiken in diesem Lager seit jeher eine wesentliche Rolle. Doch die traditionellen Familienstrukturen stehen zunehmend unter Beschuss und werden vom linksliberalen Mainstream nicht mehr als einzige Familienform akzeptiert. Sie sollen durch neue Leitbilder, wie der Regenbogenfamilie etwa, ergänzt werden.

Doch das Aufbrechen der traditionellen Familie führte unweigerlich dazu, dass das Geschlecht selbst zu einem ausbaufähigen Identitätskonstrukt wurde. Das sich selbst transzendierende Individuum gibt sich nicht mehr damit zufrieden, lediglich die Geschlechterunterschiede zwischen Mann und Frau zu überwinden oder die heterosexuelle Norm zur Disposition zu stellen. Mittlerweile ist es dazu übergangen, die Binarität der Geschlechter abzuschaffen. Die Folgen werden verheerend sein und sind bereits jetzt auf unterschiedlichen Ebenen deutlich zu spüren. Mit der faktischen Auflösung des binären Geschlechtersystems verschärft sich beispielsweise das demografische Dilemma, in dem sich auch Deutschland derzeit befindet. Damit wird nicht nur der Fachkräftemangel zu einem ernstzunehmenden Problem; vielmehr steht die eigene liberal-säkulare Lebensweise auf dem Spiel. Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die berechtigte Frage, ob bzw. was das konservativ-rechte Parteienspektrum dem konkret entgegensetzen kann. Schließlich sieht es sich dem eigenen Selbstverständnis zufolge als jene gesellschaftliche Kraft, die eben diese Traditionsbestände wie Familie oder Identität erhalten und bewahren soll.

Exemplarisch hierfür können die Reaktionen auf das geplante Selbstbestimmungsgesetz herangezogen werden, das jedem Bürger ermöglichen soll, seinen Geschlechtseintrag beim Standesamt qua Sprechakt ändern zu können. Offiziell äußerten sich bislang große Teile der CDU/CSU-Fraktion als auch der AfD kritisch gegen das Vorhaben der Ampelregierung. Bei genauerer Betrachtung jedoch fällt auf, dass die Kritik sich hauptsächlich auf bestimmte Aspekte in der Umsetzung bezieht, ohne das dahinterstehende Geschlechterbild fundamental in Frage zu stellen. So wies die CSU-Politikerin Dorothee Bär in einem Gastbeitrag für die FAZ zwar darauf hin, dass Selbstbestimmung und hier vor allem die geschlechtliche Identität nicht mit grenzenloser Beliebigkeit gleichzusetzen sei. Es müsse vielmehr verhindert werden, dass mit einem derartigen Gesetz der Einfluss der Eltern auf ihre Kinder juristisch ausgehebelt wird. Dennoch müsse der Staat die besonderen Lebenssituationen von transgeschlechtlichen Menschen berücksichtigen. In einem gemeinsamen Brief an die Unionsfraktion äußerten die Fachpolitiker aus CDU und CSU ähnliche Bedenken. Nichtsdestotrotz sei man offen für eine pragmatische Anpassung des Verfahrens zur Änderung des Namens beziehungsweise des Personenstands von transgeschlechtlichen Menschen, um dem Eindruck diskriminierender Regeln entgegenzutreten.

Die Kritik der AfD dagegen schlägt im Vergleich zur Union einen weitaus schärferen Ton an und erteilte dem geplanten Gesetz von vornherein eine Absage. Für den familienpolitischen Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion Martin Reichardt habe das Recht zur Änderung des Geschlechtseintrags nichts mit echter Selbstbestimmung zu tun. In einer offiziellen Stellungnahme unterstreicht Reichardt die Position seiner Partei wie folgt: Die AfD-Fraktion lehnt das ganze Gesetz entschieden ab, verweist auf mögliche schwere Folgen für das körperliche und seelische Wohlbefinden, insbesondere der Kinder und Jugendlichen, wie auch für Frauen beispielsweise in Saunen oder öffentlichen Toiletten. Das Gesetz hat den Namen Selbstbestimmung nicht verdient und täuscht über seinen wahren Kern.

Obwohl also das Selbstbestimmungsgesetz aus Sicht der CDU/CSU und der AfD äußerst problematisch erscheint bzw. abzulehnen ist, bleiben sie mit ihrer Kritik insgesamt an der Oberfläche hängen. In den offiziellen Äußerungen sind zudem keinerlei Ansätze zu erkennen, die den Kern des Problems treffen und eine überzeugende Alternative bieten würden. Vielmehr ist zu beobachten, dass insbesondere die beiden Unionsparteien ihre konservativen Vorstellungen der Freiheit auf persönliche Selbstentfaltung unterordnen. Als der Bundestag beispielsweise 2017 das Gesetz zur Homo-Ehe verabschiedete, lehnte zwar ein großer Teil der CDU/CSU-Fraktion den Gesetzesentwurf ab. Am Ende jedoch stimmten ein Viertel der Unionsabgeordneten zu und betonten, dass die verschiedenen Standpunkte innerhalb der Fraktion keineswegs bedeuten sollen, dass Menschen hinsichtlich ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden dürfen. Der Beleg dafür sei das seit 2001 geltende Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft, welches zum ersten Mal in Deutschland gleichgeschlechtliche Paare rechtlich anerkannt hatte und von der Union mitgetragen wurde.

Doch auch das neurechte Lager samt seiner Ideengeber liefert ebenso wenig einen überzeugenden Gegenentwurf. Zwar erklären prominente Vordenker wie Karlheinz Weißmann oder Alain de Benoist den Liberalismus zu ihrem politischen Hauptfeind und unterziehen ihn in diversen Streitschriften und Vorträgen einer rigorosen Kritik. Allerdings bleibt es letztlich bei dieser Kritik, so scharf sie diese stellenweise auch formulieren mögen. So unterstellt Alain de Benoist in seinem aktuellen Buch Gegen den Liberalismus der liberalen Ideologie eine starke Tendenz zur Entgrenzung. Bekämpft wird aus seiner Sicht alles, was dem einzelnen jenseits der Marktlogik Zugehörigkeit und Identität verleiht: Familie, Volk, Glaube, Abstammung. Ziel des Liberalismus sei es, dass endgültig befreite Individuum ohne Bindung, ohne Halt darauf einzustellen, sich auf dem Markt seine neue Identität zusammenzuflicken. Gleichwohl bleibt er dem Leser ein klar umrissenes politisches Konzept schuldig, das den Liberalismus ernsthaft herausfordern könnte.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, weshalb das konservativ-rechte Lager in der Debatte um Geschlechterrollen und Familienbilder vor dem linksliberalen Mainstream offensichtlich kapituliert – trotz ihrer zum Teil scharfzüngigen Kritik. Die Antwort darauf lässt sich in der politischen Ideengeschichte Europas finden. Sowohl die Rechte als auch die Linke mit ihren zahlreichen Spielarten sind aus den historischen Umwälzungsprozessen der Aufklärung entstanden und leiten demzufolge ihre politischen Grundpositionen aus demselben Kerngedanken her. Ob sich das daraus resultierende Menschen- und Gesellschaftsbild in einer parlamentarischen Demokratie oder in einem Führerstaat manifestiert ist unterm Strich zweitrangig. Denn in beiden Fällen stellt der Mensch als autonomes und selbstbestimmtes Wesen den philosophisch-politischen Referenzrahmen dar und bestimmt folglich über die normative Ordnung. Jegliche Lösungsansätze für soziopolitische Problemstellungen werden bzw. lassen sich infolgedessen ausschließlich aus diesen Grundannahmen ableiten. Die Forderung, das traditionelle Familienmodell zu erhalten, ist folglich nur schwer zu erfüllen, solange diesem Wert und den ihm entspringenden Normen der transzendente – sprich göttliche Bezug fehlt, der diesem Wert die erforderliche Validität und Verbindlichkeit verleiht.

Unter diesen Voraussetzungen wird es dem konservativ-rechten Lager als vermeintlich letzte Bastion zur Bewahrung traditioneller Werte nicht gelingen, sich gegenüber linksliberalen Politiken erfolgreich zu behaupten und mit einem autarken gesellschaftspolitischen Entwurf aufzuwarten. Wohl aus dieser Ernüchterung heraus halten es einige neurechte Akteure sogar für denkbar, in ihrem Kampf gegen den Liberalismus den Schulterschluss mit dem Islam und den Muslimen zu suchen. Zumindest sehen sie den Islam nicht als ihren politischen Hauptgegner. Aus ihrer Sicht erweist er sich bisher als ausgesprochen resistent gegen den zersetzenden Antitraditionalismus des Westens.

Ob sich dieser Ansatz im neurechten Lager tatsächlich durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Unter islamischen Gesichtspunkten jedoch erscheint eine solch taktische Annäherung nicht denkbar. Vielmehr müsste sich das konservativ-rechte Lager weltanschaulich dem Islam und seinen Lösungsansätzen tatsächlich öffnen, um der postmodernen Zersetzungsmaschinerie ein Ende zu setzen.