Geschichte Künstliche Nationen

Die europäischen Kolonialmächte setzten alles daran, das Kalifat zu zerstören. Nachdem sie allerdings erkannt hatten, welch unvorstellbare Stärke die geeinte Umma besaß, wichen ihre schamlosen Invasionen allmählich einer listigeren Vorgehensweise.

Die europäischen Kolonialmächte setzten alles daran, das Kalifat zu zerstören. Nachdem sie allerdings erkannt hatten, welch unvorstellbare Stärke die geeinte Umma besaß, wichen ihre schamlosen Invasionen allmählich einer listigeren Vorgehensweise. Denn obwohl sie einige Schlachten für sich entscheiden konnten, waren ihre Erfolge meist nur von kurzer Dauer. Beispielsweise hatte es Frankreich 1798 geschafft, in Ägypten einzufallen und das Land zu besetzen. Anschließend marschierte das französische Militär sogar nach Palästina und wollte die ganze Levante (aš-Šām) einnehmen, um den Islamischen Staat lahmzulegen. Bei diesem Versuch wurde es jedoch von den Muslimen vernichtend geschlagen und musste infolgedessen sogar Ägypten räumen.

Ihren militärischen Angriffen auf die islamischen Länder fügten die Kolonialisten noch die Hetze gegen den Islam und die Muslime hinzu – was sie auch heute noch tun. Indem sie bei den Muslimen patriotische Gefühle weckten und für den Unabhängigkeitskampf trommelten, konnten sie willige Helfer für ihre teuflischen Pläne finden. Sie schlossen sogar Bündnisse mit einigen muslimischen Fürsten, wie ʿAbd al-ʿAzīz ibn Muḥammad ibn Saʿūd und dessen Sohn Saʿūd I., die den Kolonialisten gegenüber loyal waren. Aufgrund ihrer Beeinflussung durch den Gelehrten Muḥammad ibn ʿAbd al-Wahhāb wurden die Anhänger dieser Bewegung als „Wahhabiten“ bekannt. Damit diese Aufständischen wirkungsvoll rebellieren und gegen den Islamischen Staat kämpfen konnten, wurden sie von den Briten mit Waffen versorgt. Dank westlicher Unterstützung gelang es den Wahhabiten bereits 1788, Kuwait zu überfallen und sogar Bagdad zu belagern. Im Jahr 1803 besetzten sie Mekka und im darauffolgenden Jahr Medina. Nachdem sie diese beiden Heiligen Stätten erobert hatten, zogen die Wahhabiten Richtung Jerusalem. Zwar konnte diese abtrünnige Bewegung 1818 vorerst gestoppt werden, ihre direkte Zusammenarbeit mit den Kolonialisten trug jedoch erheblich dazu bei, den westlichen Plan zur Spaltung der Muslime umzusetzen und den Islamischen Staat schließlich zu zerstören.

Obwohl sie hinterlistige Allianzen mit Verrätern des Islamischen Staates eingingen, waren die Kolonialmächte und ihre Agenten zunächst nicht in der Lage, das Osmanische Kalifat entscheidend zu schwächen. Das lag vor allem an der schieren Anzahl der Muslime und, was noch ausschlaggebender war, an ihrer Stärke im Islam. Schließlich mussten auch die Kolonialisten einsehen, dass die wahre Macht des Kalifats in der islamischen ʿaqīda (Überzeugungsfundament) lag, die damals noch tief in der muslimischen Umma verankert war. Daher entwickelten sie neuartige Strategien, um das Denken der Muslime zu schwächen, und propagierten fortan unislamische Konzeptionen wie etwa die Idee des Nationalismus oder des Säkularismus. Diese toxischen Mittel sollten ihnen dazu dienen, die islamische Gesellschaft auf subtile Weise zu entwurzeln und das Kalifat von innen her auszuhöhlen. Deshalb machten sie sich daran, die Muslime entlang von Regionen zu spalten, um interne Konflikte, Unruhen und Bürgerkriege innerhalb des Kalifats auszulösen. Einer der ersten politischen Schritte der Kolonialisten bestand darin, ein Komitee ins Leben zu rufen, das im Jahr 1842 die Aufgabe erhielt, eine vorgeblich wissenschaftliche Vereinigung in Beirut zu bilden. Mithilfe der unscheinbar wirkenden „Gesellschaft für Wissenschaften und Künste“, die bereits 1847 gegründet wurde, kamen sie der Verwirklichung ihres perfiden Planes einen bedeutenden Schritt näher. Im Jahr 1875 folgte sodann die Gründung des „Geheimbundes“, der von Beirut aus die Idee des arabischen Nationalismus verbreitete und erfolgreich darin war, Hass zwischen den verschiedenen Ethnien des Islamischen Staates zu schüren. Die westlichen Intrigen waren insbesondere darauf ausgerichtet, Araber und Türken gegeneinander aufzuhetzen. Ähnliche Zentren zur Destabilisierung des Kalifats wurden zudem in Berlin, Saloniki und Istanbul eingerichtet.

Auch Paris war eine bedeutende Keimzelle für den andauernden Kampf gegen den Islam. Ende des 19. Jahrhunderts wurde dort eine Zeitung namens „Mechveret“ herausgegeben. Die darin enthaltenen Ideen zielten darauf ab, eine Schwächung der muslimischen Mentalität herbeizuführen, wobei dies unter dem Deckmantel der Modernisierung erfolgen sollte. Von einer Gruppe junger Türken, die sich später als „Jungtürken“ bezeichneten und eine Säkularisierung der Muslime anstrebten, wurde diese Zeitung nach Istanbul geschmuggelt.

Dank britischer Unterstützung konnten die Jungtürken ihren Einfluss ausbauen, eine politische Partei gründen und sogar die muslimische Armee unterwandern. Ihren militärischen Einfluss setzte diese säkulare Bewegung erfolgreich ein, um 1908 einen Staatsstreich in Istanbul durchzuführen und die Macht vom Osmanischen Kalifen zu übernehmen.

Einschneidende Ereignisse wie diese versetzten der Einheit der Muslime schwere Schläge, was dazu führte, dass die Implementierung westlich geprägter Gesetze und Verfassungen überhaupt möglich wurde. Mit direkter Unterstützung und Rückendeckung durch die Briten gelang es den Jungtürken, ihre eigene Machtposition zu festigten und neue Gesetze einzuführen. Dabei imitierten sie säkulare Trends aus dem Westen und leiteten einen großen politischen Paradigmenwechsel ein: Die islamische Verfassung des Osmanischen Kalifats durfte in der Gesetzgebung keine Rolle mehr spielen. Dieser langjährige Prozess mündete schließlich am 3. März 1924 in der Aufhebung des Kalifats, wodurch das Erbe des Propheten (s) als politisches System zu existieren aufhörte.

Auch ein Jahrhundert später arbeiten die kolonialistischen Nationen unermüdlich gegen den Islam – mittlerweile jedoch unter der Führung der USA. Tag und Nacht planen und intrigieren sie, um die islamischen Länder in interne Konflikte und Bürgerkriege zu verwickeln. Wo immer es ihnen gelingt, treiben sie Keile zwischen die Muslime, um sie zu spalten und ihre Wiedervereinigung zu vereiteln. Die westlichen Kolonialmächte haben es sich zur Aufgabe gemacht, die muslimische Umma daran zu hindern, ihr politisches Bedürfnis wahrzunehmen und die Lebensordnung des Islam umzusetzen. Denn nichts wäre für die kolonialen Machenschaften des Westens gefährlicher als die Wiedererrichtung des Rechtgeleiteten Kalifats nach dem Plan des Prophetentums.