Kommentar Konservatives Bündnis als Sackgasse

Einige Akteure der neuen Rechten erachten eine mögliche Zusammenarbeit mit den Muslimen als strategisch sinnvoll, um gemeinsam dem immer weiter außer Kontrolle geratenen Individualismus den Garaus zu machen. Doch wäre dies aus Sicht des Islams ein gangbarer Weg oder liegt die Lösung ganz wo anders?

Spätestens seit dem 11. September 2001 gehören Diskussionen über den Islam als neues Feindbild im konservativ-rechten Milieu zur politischen Routine. Das christliche Abendland oder die nationale Identität gegen den Islam zu verteidigen, ist einer der noch wenigen Standpunkte, auf die sich Rechte von bürgerlich bis radikal bislang ausnahmslos einigen konnten. Doch unter den konservativ-rechten Denkern scheint es auch in diesem Punkt inzwischen Meinungsunterschiede zu geben. Ist der Islam also doch nicht der Sargnagel der deutschen Kulturnation?

Der Politikwissenschaftler Frederic Höfer befasst sich in seinem aktuellen Buch Feindbild Islam als Sackgasse mit dieser Fragestellung und stellt fest, dass angesichts gegenwärtiger Entwicklungen seitens der politischen Rechten ein neuer bzw. realistischer Umgang mit dem Islam und den hierlebenden Muslimen stattfinden müsse. Höfer sieht die Rechte vor einer Weggabelung stehen; zwischen Konfrontation, Verdrängung oder Reconquista auf der einen und einer selbstbewussten, aber ausgleichenden Begegnung auf der anderen Seite. Wie eine Reihe neurechter Intellektueller vertritt auch er die Auffassung, dass der Islam nicht der politische Hauptgegner sei, sondern vielmehr der Liberalismus mit seinem individualistisch-hedonistischen Menschenbild. Vor allem mit Blick auf das Thema LGBTQ könne das Ziel nicht darin liegen, sich bedingungslos auf die Seite des Liberalismus zu schlagen, um den Islam mit liberalen Argumenten zu bekämpfen. Die Lösung müsste Höfer zufolge lauten, nach weltanschaulich-ideologischen Schnittmengen und Kooperationspotenzialen zwischen Konservativen jedweder Herkunft und Fasson Ausschau zu halten und sich für Annäherungen und Synthesebildungen zwischen traditional orientierten Gruppen zu öffnen. Die Fronstellung zum Islam beruhe dagegen auf widersprüchlichen und strategisch perspektivlosen Denkansätzen. Nicht zuletzt da aufgrund der demografischen Realität die muslimische Präsenz in jedem realistischen politischen Szenario in Deutschland ein bleibender Faktor sei. Zudem zeigen sich der Islam und die Muslime als äußerst Widerstandsfähig gegen die liberalen und antitraditionellen Trends in der hiesigen Gesellschaft. Dieser Aspekt sei vorrangig in der Auseinandersetzung rund um das Thema sogenannter Geschlechteridentitäten und der damit verbundenen Aushöhlung der traditionellen Familie deutlich zu erkennen. Denn die Muslime haben all diesen Zerfallsprozessen zum Trotz ihre intakten Familienstrukturen auch in der dritten Generation erhalten.

Ob Höfers Thesen im konservativ-rechten Lager tatsächlich mehrheitsfähig werden und ein wie auch immer gearteter Schulterschluss mit den Muslimen angestrebt wird, bleibt vorerst abzuwarten. Von mehreren Seiten wurde dies bereits kritisiert und zum Teil als politisch naiv abgetan. Obgleich ihm viele darin zustimmen, dass insbesondere bei der LGTBQ-Debatte es durchaus Schnittmengen gäbe, so wäre eine gemeinsame Front angesichts der diversen inhaltlichen Differenzen mit den Muslimen letztlich zwecklos. Unabhängig also davon, ob sich das konservativ-rechte Lager für Höfers Vorschlag begeistern lässt, offenbart diese Diskussion doch eines deutlich: die Unfähigkeit, aus dem eigenen geistig-ideellen Fundus einen alternativen Gesellschaftsentwurf zu entwickeln, der dem exzessiven Individualismus und dem damit einhergehenden Verfall der traditionellen Familie ernsthaft etwas entgegensetzen könnte. Aus Sicht des Islams zumindest kann die Alternative – sowohl aus ideologischen als auch strategischen Gründen – nicht in einem Bündnis mit der politischen Rechten bestehen. Vielmehr muss sich dieses Lager dem Islam weltanschaulich tatsächlich öffnen, um insbesondere der faktischen Auflösung des binären Geschlechtersystems mit all ihren Verwerfungen ein Ende zu bereiten.

Doch warum sollte es dem Islam gelingen, eine glaubhafte Alternative anbieten zu können, während die konservativ-rechten Kräfte mit ihren traditionellen Auffassungen damit kläglich gescheitert sind? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass auch das Denken der politischen Rechte seinen Ursprung in der geistesgeschichtlichen Entwicklung Europas hat, die im Kern den Menschen als ein freies und selbstbestimmendes Wesen begreift und ihm folglich die Souveränität in jeglichen Fragen zuspricht. Ungeachtet der Tatsache, zu welchen politischen Exzessen diese Überhöhung des Menschen in der jüngeren europäischen Geschichte führte, bildet dieses Menschenbild den theoretischen Unterbau sämtlicher gesellschaftspolitischer Konzepte – von ganz links bis ganz rechts. Somit nimmt das konservativ-rechte Lager keine autarke weltanschauliche Grundposition ein, die sie von den anderen politischen Ideen in Europa unterscheiden würde. Zwar zog der Konservatismus stets eine Trennlinie besonders zu linksliberalen Vorstellungen, indem es unter anderem eine natürliche soziale Hierarchie befürwortet, für die Bewahrung tradierter Werte einsteht und mit Veränderungen und Modernisierung behutsamer umgehen will. Dennoch schlagen jegliche Vorschläge ins Leere, welche die Auflösung des binären Geschlechtersystems aufzuhalten und das traditionelle Familienbild zu retten versuchen, da ihnen letztlich dasselbe Menschenbild zugrunde liegt wie auch dem Linksliberalismus.

Der Islam dagegen grenzt sich kategorisch von den europäischen und damit auch von konservativ-rechten Ideen ab und sieht den Menschen als Geschöpf Gottes, der sich dem Willen seines Schöpfers in allen Lebenslagen zu fügen hat. Demnach liegt dem Islam ein gänzlich anderes Souveränitätsverständnis zugrunde, als dies in der säkularen Sicht auf den Menschen der Fall ist. Dieser fundamentale, jedoch zentrale Unterschied hat zur Folge, dass die von Gott bestimmten Normen und Prinzipien für die Menschen nicht nur unabhängig von Ort und Zeit die notwendige Verbindlichkeit besitzen, sondern aufgrund der absoluten Attribute Gottes ebenso die erforderliche Validität aufweisen. Der Muslim ist demnach nicht nur davon überzeugt, dass die göttlichen Normen allgemeingültig und verbindlich sind. In gleicher Weise besteht für ihn kein Zweifel daran, dass es auch die einzig richtigen Problemlösungen sind, um die verschiedenen gesellschaftspolitischen Herausforderungen nachhaltig und dauerhaft bewältigen zu können. Daraus wird deutlich, dass im Unterschied zum konservativ-rechten Denken der weltanschauliche Ankerpunkt im Islam ein völlig anderer ist. Dies wirkt sich auf alle Lebensfragen aus und damit auch auf die islamische Vorstellung von Ehe und Familie. So machen die zahlreichen Offenbarungstexte deutlich, dass Gott den Menschen als Mann und Frau erschuf und weitere Geschlechter nicht existieren. Daraus resultiert unter anderem, dass der Sexualtrieb – der in jedem Menschen vorhanden ist – ausschließlich zwischen Mann und Frau im Rahmen legitimer Rechtsverhältnisse wie der Ehe befriedigt werden darf. Denn der Grund, weshalb der Schöpfer den Menschen mit dem Sexualtrieb ausgestattet hat, liegt darin, durch die Fortpflanzung die Erhaltung der menschlichen Art zu sichern. Folglich sind andere Formen der sexuellen Beziehung unzulässig, die den Geschlechtsverkehr als solches zweckentfremden. Zwar spricht der Islam dem Menschen die sexuelle Lust nicht ab und hat sie zu einem legalen Genuss erhoben, gleichzeitig legt er aber die eigentliche Funktion des Sexualtriebs dar. Ebenso hat der Schöpfer es ausdrücklich verboten, dass das jeweilig andere Geschlecht in welche Weise auch immer imitiert wird.

Im Gegensatz dazu entwickelte sich in den westlichen Gesellschaften bedingt durch das liberale Menschenbild ein völlig anderes Verständnis von Ehe und Familie. Indem das Individuum sich sukzessiv aus allen traditionellen Strukturen und Bindungen herauslöste, konnte es infolgedessen auch und gerade in Fragen der Sexualität frei wählen; Geschlechtsverkehr innerhalb oder außerhalb der Ehe, hetero-, homo- oder bisexuell, das alles ist nicht nur zu einer individuellen, selbstbezogenen Angelegenheit geworden, sondern gesellschaftlich inzwischen als jeweils legitimer Lebensentwurf vollständig anerkannt. Damit wurde aber der Sexualtrieb und mit ihm der Geschlechtsverkehr von seinem eigentlichen Zweck entkoppelt und gewissermaßen zu einer Freizeitbeschäftigung erklärt, die über das unmittelbare Vergnügen hinaus keine weitere Bedeutung hat. Dass dieser Wandlungsprozess den Trauschein ein für alle Mal obsolet machte, lässt sich im Hinblick auf die weitaus tiefgreifenderen Folgen als eher kleineres Übel deuten. Denn wenn Sexualität einmal so verstanden wird, dann muss zum Beispiel der Mann sein sexuelles Verlangen auch nicht mehr zwangsläufig durch eine Frau befriedigen. Und da die menschliche Selbstbestimmung ein Fass ohne Boden ist, braucht es den konservativ denkenden Menschen nicht weiter verwundern, wenn unter diesen Voraussetzungen die hiesige Gesellschaft dazu übergangen ist, das Geschlecht als solches zur Diskussion zu stellen.

Will das konservativ-rechte Lager sich dieser Entgrenzung des Menschen ernsthaft entgegenstellen, dann kommt es nicht umhin, sein aus der Aufklärung hergeleitetes Menschenbild fundamental zu hinterfragen. Es kann sich noch so oft als Anker der Stabilität sehen und die Bewahrung eines wie auch immer verstandenen traditionellen Wertesystems einfordern; solange diesen Werten der transzendente respektive göttliche Bezug fehlt, bleiben sie dem menschlichen Willen unterworfen und sind damit stets wandelbar. Genauso wenig werden taktische Bündnisse zwischen Konservativen jedweder Herkunft diesen postmodernen Zersetzungsprozess aufhalten können. Lediglich der Islam mit seinem umfassenden Menschen- und Gesellschaftsbild kann verhindern, dass die Familie als Grundbaustein einer jeden Gesellschaft, zu einem Relikt der Vergangenheit verkommt.