Ausland Zeig mir deine Freunde und ich sag‘ dir wer du bist

Das deutsche Volk ist es gewöhnt, dass sich die Regierung der Bundesrepublik stets auf der Seite des Rechts, der Moral und der Menschlichkeit befindet.
Passend zu diesem Narrativ verurteilte die Bundeskanzlerin im Jahr 2011 die brutalen Übergriffe von Gaddafis Schergen auf die libysche Bevölkerung und war „sehr, sehr“ erschrocken von den Drohgebärden des libyschen Diktators.

Das deutsche Volk ist es gewöhnt, dass sich die Regierung der Bundesrepublik stets auf der Seite des Rechts, der Moral und der Menschlichkeit befindet.Passend zu diesem Narrativ verurteilte die Bundeskanzlerin im Jahr 2011 die brutalen Übergriffe von Gaddafis Schergen auf die libysche Bevölkerung und war „sehr, sehr“ erschrocken von den Drohgebärden des libyschen Diktators.


[1] Auf der Homepage der Bundesregierung hieß es mitfühlend, dass „ Deutschland und die internationale Gemeinschaft […] mit vielfältiger Hilfe an der Seite des libyschen Volkes“ stehe. Des Weiteren wurde das Volk darüber informiert, dass die BRD sage und schreibe 39 verletzte libysche Freiheitskämpfer in Bundeswehrkrankenhäusern in altruistisch vorbildlicher Manier medizinisch versorge.


[2] Selbst der sonst so feminin anmutende Außenminister ereiferte sich über das Schicksal der Libyer und sprach von empörenden Vorgängen, die keinesfalls hinnehmbar seien. Auch bei dem Rücktritt des ägyptischen Diktators Husni Mubarak handelte es sich zweifelsohne um einen „Tag großer Freude“, ja geradezu erleichtert und glücklich seien die Herrschaften im Bundeskanzleramt gewesen.


[3] Auch in Tunesien, dem Jemen und ganz aktuell in Syrien stehe die Bundesrepublik selbstverständlich auf der Seite des Volkes und der Gerechtigkeit.Dieses edle Selbstverständnis sei keineswegs überraschend, habe Deutschland doch aus seiner nicht gerade ruhmreichen Geschichte gelernt. Nie wieder, so der Tenor der deutschen Eliten nach 1945, werde man auf Seiten der Verbrecher stehen. Hinzu kommt, dass speziell Angela Merkel ein hohes Maß an moralischer und persönlicher Glaubwürdigkeit zugesprochen werden müsse, da sie ja selbst jahrzehntelang unter dem brutalen Regime der SED leben musste.Eine schöne Geschichte, beschreibt sie doch eine fast sagenhafte Entwicklung der deutschen Nation, einer Nation, geläutert von selbst angezettelten Weltkriegen und Völkermorden, geläutert durch die eigenen Verbrechen und das eigne Schicksal. Es ist eine Geschichte, die vom Triumph der Vernunft über die Schrecken eines Adolf Hitlers erzählt, es ist die Geschichte der Evolution Deutschlands von einem blutrünstigen Monster hin zu einem Staat der Gerechtigkeit. Eine Geschichte, die so unrealistisch ist, dass wahrscheinlich sogar Hieronymus von Münchhausen es ablehnen würde, so etwas in die Welt zu setzen.Dem deutschen Volk sollte bewusst sein, dass es sich hierbei um nichts weiter als Luftschlösser handelt, die lediglich von absolut naiven Individuen oder Nutznießern des Systems verbreitet werden. Denn die eigentlichen Maximen der deutschen Außenpolitik sind alles andere als menschenfreundlich, es sei denn, knallharte und nutzenorientierte Realpolitik könne als solche bezeichnet werden.So lobte Judy Dempsey, die Chefredakteurin von „Strategic Europe“, die Kanzlerin bezeichnenderweise für eine relativ bedeutungslose Geste gegenüber dem Dalai Lama und ähnlichen „Leistungen“, nur um kurz darauf feststellen zu müssen, dass „[w]enn es darum geht, den Zugriff auf seltene Erden und andere Rohstoffe zu sichern, […] die Interessen der deutschen Industrie Vorrang vor Fragen des politischen Geschmacks“ haben.

[4]Besonders interessant ist in diesem Kontext die Beziehung zwischen der Bundesrepublik und dem ganz und gar nicht demokratischen und menschenfreundlichen Usbekistan. Denn bei dem usbekischen Staatspräsidenten Karimov handelt es sich nicht etwa um einen etwas autoritären Herrscher, der nichtsdestotrotz dem Gemeinwohl dient, sondern um einen der brutalsten Diktatoren der Welt. Um dies zu erkennen bedarf es nicht einmal einer Analyse seiner gesamten 21-jährigen Regierungszeit. Allein die Jahre 2005/06 und die Ereignisse in Andischan lesen sich wie eine einzige Aneinanderreihung von Massakern, Verhaftungen und Folterungen.


[5] Während der Unruhen wurden unzählige Zivilisten auf bestialische Art und Weise abgeschlachtet und überlebende „Unruhestifter“ in die berühmtberüchtigten Kerker Usbekistans geworfen. Letztere können problemlos mit den Foltergefängnissen Syriens mithalten und so wird der ein oder andere „Staatsfeind“ schon mal bei lebendigem Leibe gekocht.


[6] Im Rahmen dieser Entwicklungen, genauer gesagt im Jahre 2005, verabschiedete die Europäische Union schließlich Sanktionen gegen das Regime, darunter ein EU-Waffenembargo. Dieses überlebte gerade einmal vier Jahre, wobei es die Bundesrepublik samt eiserner Kanzlerin war, die sich an „vorderster Front“ für die Aufhebung des Embargos stark gemacht hat. Natürlich geschah dies nicht einfach so, begründete die deutsche Regierung den Sinneswandel doch damit, dass in Usbekistan weitreichende Fortschritte bezüglich der Menschenrechte erzielt worden seien. Dies hätte sich darin geäußert, dass zahlreiche zu langen Haftstrafen verurteilte Demonstranten vorzeitig entlassen worden seien, sowie in der Abschaffung der Todesstrafe. Als ob diese Begründungen nicht schon lächerlich genug gewesen wären, setzte die Bundesregierung dann noch einen drauf, indem sie verlauten ließ, dass der Dialog ja ohnehin den Sanktionen vorzuziehen sei. „Das ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer und Überlebenden der blutigen Niederschlagung der Demonstration in Andischan“, so die Zentralasien-Expertin von Amnesty International Imke Dierßen.


[7] So schockierend es für den ein oder anderen auch sein mag, in Usbekistan geht es weder der EU, noch der Bundesrepublik Deutschland primär um die Förderung von Menschenrechten oder sonstige ritterliche Heldentaten. Der wahre Grund für die Aufhebung des EU-Waffenembargos bestehe laut Dempsey darin, „dass Deutschland und andere NATO-Staaten für ihre Militäroperationen in Afghanistan auf Nachschublinien angewiesen sind, die über usbekisches Territorium verlaufen.“ Auch die Diskrepanz zwischen der Rhetorik westlicher Staaten und ihrer eigentlichen Politik scheint der Kolumnistin bekannt zu sein, so komme es nicht selten vor, dass „europäische Politiker regelmäßig schöne Reden über Demokratie und Menschenrechte schwingen, aber gleichzeitig Geschäfte mit Diktatoren machen, vor allem mit den Regierungschefs rohstoffreicher Länder.“Falls an dieser Stelle eingewendet werden sollte, dass es sich bei den Verbindungen zum usbekischen Regime um ein notwendiges Übel handele, welches das realpolitische Geschäft nun mal mit sich bringe, aber die Bundesrepublik in der Regel dennoch versuche, sich ethisch korrekt zu verhalten, so sei an die im März 2012 veröffentlichten Berichte des „Stockholm International Peace Research Institute“ (SIPRI) erinnert. Letztere belegen die nicht gerade friedensstiftenden Aktivitäten europäischer Regierungen und Firmen. „Europäische Regierungen liefern seit langem Waffen an Bösewichte“, dafür gebe es „zahlreiche Beispiele – trotz der hochtrabenden, prinzipientreuen Reden über die genaue Überwachung von Rüstungsverkäufen“, so der der Direktor von SIPRI, Bates Gill. Noch interessanter ist, dass 29 % aller Verkäufe auf das Konto von 30 europäischen Herstellern gehen, wobei die meisten davon britische, französische und deutsche Unternehmen sind. Im Jahre 2010 waren sich westliche Regierungen anscheinend noch nicht im Klaren darüber, was der geisteskranke „Colonel“ Gaddafi mit diesen Waffen anfangen würde. Offensichtlich zog das Reichskanzleramt damals noch den Dialog den Sanktionen vor, schließlich hatte sich die Kanzlerin zu jenem Zeitpunkt ja auch noch nicht über die Bosheit des libyschen Diktators erschrecken müssen. Denn genau an ihn und seinesgleichen gingen allein im besagten Jahr Waffen im Wert von 8,3 Milliarden Euro.Auch der aktuell noch andauernde Afghanistankrieg, welcher im Herbst 2001 von den USA und seinen Verbündeten begonnen wurde, passt bei genauer Betrachtung nicht in das Selbstverständnis der selbstlosen deutschen Nation, die sich ja so sehr für Gerechtigkeit und Menschenrechte einsetze. Von Anfang an kooperierte die Bundesregierung mit gefürchteten Warlords wie dem Führer der Nordallianz Raschid Dostum.
Die Söldnertruppe Dostums ist nicht nur für ihre Trinkfestigkeit und Massenvergewaltigungen afghanischer Frauen bekannt, denn „General“ Dostum qualifiziert sich auch durch Massaker an der Ethnie der Paschtunen für eine Zusammenarbeit mit der deutschen Bundesregierung. In der frühen Phase des Krieges soll er in seiner Rolle als Verteidiger der Freiheit und westlicher Werte bis zu 1500 gefangene Taliban in Containern eingesperrt und kläglich verdurstet haben lassen. Der Bundeswehrsoldat und ehemalige Nachrichtenoffizier Marc Lindemann sagte völlig unverblümt, dass Dostum nach den eigenen moralischen Vorstellungen eigentlich vor Gericht gebracht werden müsste. Dazu werde es jedoch nicht kommen, denn wenn es gelänge „einen Machthaber wie Dostum unter westlicher Kontrolle zu halten und ihm die Sicherheit eines vorher verabredeten Gebiets zu übertragen, könnte man dort Stabilität erreichen, ohne eigene Truppen einsetzen zu müssen.“


[8] Selbstverständlich wird die Mehrheit des deutschen Volkes diese Sätze niemals zu hören bekommen; stattdessen wird die naive Mehrheitsgesellschaft mit Floskeln über Frieden, wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit mit dem afghanischen Volk abgespeist. So hieß es in einer Regierungserklärung aus dem Jahre 2009, dass das Ziel Deutschlands darin bestehe, diesem „leidgeprüften Land“ zu einer besseren und friedlicheren Zukunft zu verhelfen.

[9] Übersetzt bedeutet dies: Wir werden das Land überfallen, den Widerstand gegen die westliche Kolonialpolitik blutig niederschlagen und willfährige Diktatoren à la Karzai installieren.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass weder zahlreiche Korruptionsvorwürfe, noch familiäre Verbindungen zu Drogendealern

[10] oder die Kooperation mit Kriegsverbrechern und Warlords

[11] einer Zusammenarbeit zwischen Hamid Karzai und der Bundesrepublik im Wege stehen konnten. So wird der besagte Staatspräsident als wichtiger Partner betrachtet und selbiger sogar im Zusammenhang mit Fortschritten in der Korruptionsbekämpfung erwähnt. In den Augen des Bundesentwicklungsministers Dirk Niebel sei die Regierung Karzais „auf einem besseren Weg als erwartet“ und das Verhalten der Beteiligten hätte „Vorbildcharakter“.


[12] Selbstverständlich ist sich der ehemalige FDP-Vorsitzende darüber bewusst, worum es der Bundesrepublik in Afghanistan wirklich geht und so wünsche er sich, dass deutsche Unternehmen „auch gerne im Rohstoffbereich“ größeres Engagement zeigen würden, denn es sei ja legitim auch eigene Interessen zu verfolgen.


[13] Wäre Dirk Niebel etwas mutiger gewesen, hätte er den Sachverhalt auch folgendermaßen ausdrücken können: „Ob die anderen Völker in Wohlstand leben oder ob sie verrecken vor Hunger, das interessiert mich nur insoweit, als wir sie als Sklaven für unsere Wirtschaft brauchen, etwas anderes interessiert mich nicht. Ob durch den Krieg 10.000 afghanische Unschuldige umkommen oder nicht ist reine Nebensache, ein Kollateralschaden. Mich interessiert nur, ob die Rohstoffe für Deutschland erschlossen werden.“


[14]Es ist an der Zeit, dass das deutsche Volk die Augen öffnet und der Wahrheit ins Gesicht blickt, denn es zeugt nicht von der so oft beschworenen moralischen Überlegenheit, tagtäglich über die Verbrechen der eigenen Großeltern entsetzt den Kopf zu schütteln, während die eigene Generation der Mittäterschaft, Unterstützung und Anstiftung unzähliger Verbrechen schuldig ist. Wir erinnern das deutsche Volk gerne daran, dass Schutzbehauptungen wie „man hätte ja von nichts gewusst“, oder „das waren nur die anderen“ in Deutschland vor nicht allzu langer Zeit auch nicht akzeptiert wurden.