Geschichte Die Indische Philosophie und Ihr Einfluss auf den Islam – Teil II

Es war gerade diese Konzeption des Dualismus, die dem Brahmanismus entspringt und die Muslime stark in ihrer Denk- und Handlungsweise beeinflusste. Die rapide Ausbreitung des Sufismus in der islamischen Ummah war eine der folgenschwersten Auswirkungen dieser östlichen Philosophie.

Es war gerade diese Konzeption des Dualismus, die dem Brahmanismus entspringt und die Muslime stark in ihrer Denk- und Handlungsweise beeinflusste. Die rapide Ausbreitung des Sufismus in der islamischen Ummah war eine der folgenschwersten Auswirkungen dieser östlichen Philosophie.


Der Sufismus begann als ein Aufruf an die Muslime, sich selbst von den weltlichen Belangen, wie politische und finanzielle Themen und Genüsse, zu trennen und sich ausschließlich auf das Jenseits zu konzentrieren. Seither hat sich der Sufismus von einem Aufruf an die Menschen, sich vom Irdischen abzuwenden, zu einer umfassenden Philosophie mit einer spezifischen Idee und Denkweise entwickelt; mit einer eigenen Literatur und Dichtkunst. Die Idee des Sufismus wurde in ihrem Gebrauch durch klare Symbole und Stile der Kommunikation differenziert, die niemand außer den Sufis selbst verstehen konnte. Zum Beispiel behaupteten die Sufis, dass jede Aya und jeder Hadith zwei Bedeutungen hätten: eine, die von den gewöhnlichen Menschen verstanden wird (die oberflächliche Bedeutung) und auf der anderen Seite die Batini-Bedeutung (versteckte Bedeutung), welche nur die Sufis selbst verstehen könnten. Sie rechtfertigten diese Haltung auf der Grundlage, dass sich ihnen alles enthüllt habe, als ein Resultat gewisser Praktiken und Taten der Ergebenheit, z.B. die Selbstgeißelung, welche sie durchgeführt hätten. Die Verwandtschaft dieser Denkweise mit der Idee des Nirvana lässt sich unschwer erkennen, da auch die Sufis der Ansicht waren, dass das Resultat ihrer Hervorhebung der Spiritualität die Offenbarung geheimen Wissens zur Folge habe. Im Folgenden sind einige Beispiele von angeblich versteckten Aussagen in Ayat angeführt:


„Er hat den beiden Gewässern, die einander begegnen, freien Lauf gelassen. Zwischen ihnen steht eine Scheidewand, so dass sie nicht ineinander übergreifen“ (Sura 55, Aya 19-20)


Ibn Arabi, ein prominenter Sufi, behauptete bezüglich dieser Qur’an-Verse: „Die zwei Meere (Süßwassermeer und das Salzwassermeer) beziehen sich jeweils auf den materiellen Körper und die Seele, und sie treffen sich in der menschlichen Existenz. Die Barriere spielt auf den animalischen Aspekt des Menschen an, welcher verhindert, dass einer der beiden Komponenten (der materielle Körper und die Seele) die andere überwindet.“


„Wahrlich, das erste Haus, das für die Menschen gegründet wurde, ist das in Bakka – ein gesegnetes und eine Leitung für die Welten“ (Sura 3, Aya 96)


Dem sufistischen Verständnis zufolge ist die offensichtliche Bedeutung des Hauses die Kaaba, während die versteckte Bedeutung der Prophet Muhammad (s.a.s.) ist.
Der Sufismus hat später viele weitere Ideen der indischen Philosophie adaptiert, genannt sei hier beispielsweise die Inkarnation (die Vergegenständlichung bzw. Menschwerdung Gottes). Auch diese Idee findet ihren Ursprung im Brahmanismus, der besagt, dass der oberste Gott, Brahma, alles durchdringt und in allen Teilen des Universums enthalten ist. So schrieb Ibn Arabi in einem seiner Werke: „Gott hat bei der Erschaffung Adams seine beiden Hände nur deshalb vereint, um ihn zu erhöhen (…) Und diese Schöpfung und Ehrung ist nichts anderes als die Wesenheit der Vereinigung der zwei Erscheinungsformen, nämlich der Erscheinungsform der Welt und der Erscheinungsform Gottes.“
Die Welt, mitunter der Mensch, ist ihm zufolge nach dem Ebenbild des Allbarmherzigen geschaffen, weil die gesamte Welt aus der „Ausatmung des Allbarmherzigen“ entstanden sei. Ferner besitze der Mensch den göttlichen Geist, was auf die missbräuchliche Fehlinterpretation folgender Aya zurückzuführen ist:


„Wenn Ich ihn nun vollkommen geformt und ihm Meinen Geist eingehaucht habe, dann werft euch vor ihm nieder“ (Sura 15, Aya 29)


Das ist das Innere des Menschen, das Ibn Arabi immer wieder als das Göttliche im Menschen bezeichnet, indem er beispielsweise sagt: „(…) Gott hat ihn nach seinem Ebenbild erschaffen oder vielmehr ist er identisch mit seiner Identität und seiner realen Wesenheit.“


Diese Aussagen zeugen davon, inwieweit einige Muslime vom Gedankengut der indischen Philosophie beeinflusst wurden. Erwähnenswert ist, dass die meisten sufitischen Strömungen zunächst nicht in der arabischen Region Verbreitung fanden, sondern eher in der östlichen Region des damaligen Kalifats. Dies war ein natürliches Resultat der engen Nachbarschaft dieser Regionen zu den Zentren der indischen und persischen Philosophie. Ebenso hat die Entstehung des safawidischen Reiches dazu beigetragen, dass die Muslime in Indien und Asien von den Muslimen im Irak, in Groß-Syrien, Ägypten und anderen Territorien westlich von Persien isoliert wurden. Dieser Staat diente als eine starke intellektuelle Barriere, welche die zwei Hälften der islamischen Welt voneinander trennte.
Folglich hat der Sufismus vor allem einen enormen Einfluss auf die Ideen der Muslime in Indien und Zentralasien ausgeübt. Sahrourdi und Ghazali förderten die Propagierung dieser Ideen durch ihre regelmäßigen Reisen in die verschiedensten Gegenden der islamischen Welt. Im Zentrum der islamischen Welt jedoch, das aus dem Irak, Groß-Syrien, Ägypten und der arabischen Halbinsel bestand, wurde den Sufis starker Wiederstand geleistet.
Die Situation blieb relativ unverändert, bis Völker wie die Mongolen und die seldschukischen Türken von Zentralasien in diese Regionen eingewandert sind. Ihr Gedankengut fand Verbreitung, sodass im 11. Jahrhundert nach der Hijrah der größte Teil der islamischen Welt unter dem Einfluss sufitischer Ideen stand.

Die Muslime wurden also in ihrem Islamverständnis durch den im Laufe der Zeit wachsenden Einfluss des sufistischen Gedankenguts in der islamischen Welt, der seine Wurzeln in der indischen Philosophie hat, unmittelbar beeinflusst. Die Übernahme der Idee des Dualismus war einer der größten Schwächungen und Rückschläge für die Ummah, denn sie führte dazu, dass von nun an zwischen Spirituellem und Materiellem getrennt wurde und der Spiritualität der Vorzug gegeben wurde. Dies, obwohl der Islam die einzige Lebensordnung auf der Welt ist, bei der die spirituelle und materielle Komponente miteinander harmonisch verschmelzen.

Die Muslime betrachteten den Islam von nun an nicht mehr intellektuell, politisch und rechtlich – dem Stellenwert des Islam als umfassende Lebensordnung gebührend -, sondern erachteten ihn als etwas rein Spirituelles; als eine Religion, welche lediglich die Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf regelt und sich nur auf die Belange des Jenseits beschränkt. So sollte man sich nun den weltlichen Dingen gegenüber enthaltsam zeigen und nur nach dem Jenseits streben, welches man durch Selbstkasteiung und körperliche Geißelung erreiche. Somit kehrte eine bedeutende Mehrheit der Muslime den Freuden des Lebens und dem weltlichen Dasein den Rücken. Die Folge dessen war, dass viele dieser Muslime dem islamischen Staat nicht mehr aktiv zur Seite standen und im Alltagsleben passiv blieben. Sie vernachlässigten durch das dualistische Verständnis den materiellen und politischen Aspekt des Islams im Laufe der Zeit zunehmend. Somit fehlten dem Islamischen Staat viele Kräfte aus der Ummah, die sie in den Dienst der Dawa und der Politik hätten stellen können, anstatt sie an die körperliche Selbstgeißelung zu vergeuden. Der Sufismus hat somit den Denkprozess in der islamischen Ummah durch die Verbreitung von Passivität, Unachtsamkeit, Unwissenheit und oberflächlichem Denken unter den Muslimen blockiert. Falsche Verständnisse wie etwa die vermeintliche Abhängigkeit von anderen Personen (z. B. Anhänger von Sufi-Orden gegenüber ihren Sufi-Oberhäuptern) und die Heiligsprechung von Personen bzw. der Personenkult sind nur einige der fatalen Auswüchse des Sufismus, die in ihrer Summe zur Stagnation des Denkens in der Ummah führten.