Geschichte Der Markstein islamischer Geschichte

Im Mai dieses Jahres feierte die Bundesrepublik Deutschland ihr sechzigjähriges Bestehen. Der Tag der Gründung ist auf den 23. Mai 1949 festgelegt, denn an diesem Tag trat das Grundgesetz in Kraft.

Im Mai dieses Jahres feierte die Bundesrepublik Deutschland ihr sechzigjähriges Bestehen. Der Tag der Gründung ist auf den 23. Mai 1949 festgelegt, denn an diesem Tag trat das Grundgesetz in Kraft.
Deutschland betont mit Stolz, wie das Land nach dem Zweiten Weltkrieg aus Trümmern und Ruinen aufgebaut wurde. Diese Leistung Deutschlands wurde durch die USA, die ein Interesse am Wiederaufbau Deutschlands hatten, und den Marshallplan unterstützt. Die Bundesrepublik konnte folglich durch die Gunst der USA ihr so genanntes Wirtschaftswunder forcieren und zu dem Staat werden, der sie heute ist.
Nicht zu erinnern scheinen sich die Muslime an die Gründung ihres Staates, der nahezu anderthalb Jahrtausende bestanden hat und ohne die Unterstützung und das Wohlwollen fremder Mächte entstehen musste. Genau das Gegenteil war der Fall, denn der Stamm der Quraisch hatte versucht, die Entstehung des islamischen Staates mit allen Mitteln abzuwenden. So hatten die Quraisch versucht, den Propheten (s) und Abu Bakr (r) auf ihrer Hidschra nach Medina abzufangen und ihre Ankunft dort zu verhindern. Und auch nach dem Eintreffen Muhammads (s) in Medina setzten sie ihre Angriffe fort und versuchten den noch jungen islamischen Staat zu zerstören und die Muslime zu vernichten. Die Gründung des islamischen Staates ist folglich nicht mit der Gründung anderer Staaten zu vergleichen.


Das historisch und islamisch bedeutende Ereignis der Ankunft des Propheten (s) in Medina und damit die Gründung des islamischen Staates versetzt die Muslime jedoch nicht in Feierstimmung, wie es beispielsweise die Geburt des Propheten (s) tut, obwohl beide Ereignisse sich dem Datum nach überschneiden. Sowohl die Ankunft Muhammads (s) in Medina als auch seine Geburt sowie sein Todestag fallen auf einen Montag im islamischen Monat Rabi‘ ul-Awwal. Es wird berichtet, dass es sich in allen drei Fällen um den 12. Rabi‘ ul-Awwal handelt, wobei diese genaue Angabe im Falle der Geburt Muhammads nicht gesichert ist. Trotz dieser Überschneidung wird von vielen Muslimen lediglich der Geburtstag des Propheten (s), der so genannte Mawlid, gefeiert. Die Ankunft Muhammads (s) in Medina und die daran geknüpfte Implementierung der islamischen Gesetze sowie der Beginn der islamischen Gesellschaft finden hingegen keinen feierlichen Rahmen und keine jährliche Würdigung. Während die verschiedenen Nationen ihre Staaten feiern, fehlt den meisten Muslimen das Bewusstsein für ihren Staat, der im Gegensatz zu allen anderen Staaten eine einmalige Staatsform darstellt.


Muhammad (s) ist die Gnade und Barmherzigkeit, die Allah (t) den Menschen erwiesen hat, um sie vor ihrem Verderben zu retten. So heißt es in einem von Abu Huraira überlieferten Hadith: Der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagte:

Das Gleichnis von mir und meiner Gemeinschaft ist das Gleichnis eines Mannes, der ein Feuer gezündet hat, in das sich die Motten und Tierchen stürzen. Ich bin der, der euch vom Feuer zurückhält, ihr aber besteht darauf, euch hineinzustürzen.[Muslim]

Kam ein jüdischer oder christlicher Beerdigungszug am Propheten (s) vorbei, wandte er sein Gesicht ab. Nach seinem Verhalten gefragt, antwortete er (s): „Eine Seele, die mir ins Feuer entglitt.“ Anstelle von Genugtuung, dass die Ungläubigen ihrer gerechten Strafe zugeführt werden, zeigte der Prophet (s) Bedauern, weil sie sich nicht rechtleiten ließen. Die Absicht Muhammads (s) war es, alle Menschen, auch die Juden und Christen, vor dem Feuer zu retten und ins Paradies zu führen.


Die Geburt des Propheten (s) ist der Beginn dieser Gnade. Aber die Erinnerung an seine Geburt muss zur gleichen Zeit mit seiner Ankunft in Medina verknüpft werden. Denn erst in Medina konnte sich diese Gnade mit der Implementierung der islamischen Gesetze entfalten. Darüber hinaus muss die Erinnerung an die Geburt mit dem Todestag des Propheten (s) assoziiert werden, denn der Tod Muhammads (s) markiert den Beginn des Kalifats, durch das die Gnade des Islam zu den Völkern gelangen konnte. Anders ausgedrückt, ist der 12. Rabic ul-Awwal der Tag der Geburt des Propheten (s), der Geburt des islamischen Staates und der Geburt des Kalifats.


Wie wichtig das Kalifat im Vergleich zum traurigen Ereignis des Todes des Propheten (s) war, zeigt sich anhand der Reaktion der Sahaba (Gefährten des Propheten). Trotz ihrer tiefen Trauer um Muhammad (s) stellten sie seine Beerdigung zurück – obwohl eine schnelle Beerdigung zur Würde des Toten zählt und es sich zudem um den Propheten (s) handelte – und befassten sich mit der Aufstellung eines Kalifen, mit der sie drei Tage beschäftigt waren. Keiner der Sahaba erhob irgendeinen Einwand gegen dieses Vorgehen.
Die Frage, ob es sich nur um einen Zufall handelt, dass Geburt, Hidschra und Tod des Propheten (s) auf die gleiche Zeit fallen, ist damit zu beantworten, dass Allah (t) Derjenige ist, Der Geburt und Tod festlegt. Auch der Zeitpunkt der Hidschra stellte keine subjektive Entscheidung Muhammads (s) dar, sondern erfolgte auf den Befehl Allahs (t) hin. Während die anderen Muslime nach und nach Mekka in Richtung Medina verließen und sie die Entscheidung hierzu selbst trafen, wartete der Prophet (s) auf den Befehl Allahs (t). Als Abu Bakr (r) ihn zum Aufbruch drängte, konnte Muhammad (s) ihn nur zum Warten auffordern, bis die Anweisung Allahs (s) erfolgte, nach Medina aufzubrechen.


Bei genauer Betrachtung verblasst die Geburt des Propheten (s) gegen die Bedeutung der beiden anderen Ereignisse am 12. Rabic ul-Awwal. Den Sahaba war die Priorität der Ankunft Muhammads (s) in Medina bewusst. So legten sie den Beginn der islamischen Zeitrechnung mit der Hidschra fest und nicht mit der Geburt des Propheten (s) oder seinem Tod. Der Ausgangspunkt ihrer Überlegung war die Frage nach den wichtigsten Ereignissen ihrer eigenen Geschichte. Der zweite Kalif cUmar ibn-ul Khattab (r) ließ die Muslime während seiner Kalifenzeit zwischen zwei bedeutenden Begebenheiten wählen: die Entsendung Muhammads (s) und die Hidschra. Die Geburt stand nicht zur Wahl, was bedeutet, dass die Sahaba darin keinen Meilenstein in der Geschichte des Islam sahen.


Angesichts dessen wird die Wiedererrichtung des Kalifats zu einem Ereignis mit historischer Dimension werden, und zwar nicht nur für die Muslime. Sie wird von ähnlicher Relevanz sein wie die Ankunft des Propheten (s) in Medina, dem wohl bedeutendsten Moment in der islamischen Geschichtsschreibung seit der Entsendung Muhammads (s).