Kommentar Das Osmanische Reich: Von der Weltmacht zur Sehenswürdigkeit

Das Kalifat fand unter den Osmanen eine große Ausdehnung. Unter dem Kalifen Suleiman I. beispielsweise stießen die Muslime in Osteuropa vor. Sie brachten Belgrad und die Insel Rhodos unter ihre Herrschaft, führten Feldzüge gegen Ungarn, dessen größter Teil den Muslimen zufiel, und belagerten 1529 erstmals Wien.

Das Kalifat fand unter den Osmanen eine große Ausdehnung. Unter dem Kalifen Suleiman I. beispielsweise stießen die Muslime in Osteuropa vor. Sie brachten Belgrad und die Insel Rhodos unter ihre Herrschaft, führten Feldzüge gegen Ungarn, dessen größter Teil den Muslimen zufiel, und belagerten 1529 erstmals Wien.
Die Regierungszeit Suleimans I. gilt als Höhepunkt der Macht des Osmanischen Reiches. Es kam aber auch schon zuvor zu wichtigen Ereignissen wie zur Eröffnung Konstantinopels im Jahr 1453, die bereits vom Propheten (s) angekündigt wurde. Angesichts dieser Erfolge und dieser militärischen Stärke ist es schwer vorstellbar, dass der Osmanische Staat zerstört werden konnte, war er doch über Jahrhunderte die Weltmacht.
Erst der Osmanische Staat als Weltmacht brachte das verfeindete christliche Europa dazu, die eigenen Konflikte und Kriege beizulegen und sich auf den islamischen Staat als Hauptfeind zu konzentrieren. Der Westfälische Frieden im Jahr 1648 spiegelt die Macht des Osmanischen Staates wider. Denn mit dem Friedensvertrag beendeten die europäischen Staaten den Dreißigjährigen Krieg unter anderem auch, um dem überlegenen osmanischen Staat entgegentreten zu können. Einem einzelnen europäischen Staat, der in Religionskriege verwickelt war, war dies nicht möglich. Deshalb musste zunächst eine Friedensbasis in Europa geschaffen werden. Europa musste aber noch nahezu drei Jahrhunderte warten, bis der islamische Staat tatsächlich zerstört war.
Die territoriale Ausdehnung des Osmanischen Reiches führte dazu, dass die islamischen Gesetze auf die verschiedensten Völker mit unterschiedlichem Glauben Anwendung fanden, ohne diese jedoch zu unterdrücken oder einer Zwangsbekehrung zu unterziehen, wie es die Christen mit Andersgläubigen zu tun pflegten. Der vom Islam vorgegebene Toleranzspielraum ermöglichte beispielsweise den Christen in Konstantinopel, auch nach der Eröffnung durch die Muslime in der Stadt zu bleiben und ihre religiösen Angelegenheiten selbst zu verwalten. Griechen und Juden wurden sogar zum Dableiben bewegt. Die griechisch-orthodoxe wie auch die armenische Kirche fanden unter der islamischen Herrschaft Schutz. Der osmanische Staat kümmerte sich nicht nur um die Belange der Muslime. Als Muslime und Juden in Spanien verfolgt, zwangsbekehrt, getötet oder vertrieben wurden, schickte der Kalif Bayezid II. 1492 die osmanische Flotte nach Spanien, um Muslime und Juden, die sich nicht bekehren lassen wollten, zu retten und ihnen Zuflucht zu gewähren. 50.000 Juden fanden Asyl im Osmanischen Reich. Bis heute findet man Juden und ihre Synagogen in der Türkei.
Das Kalifat fand unter der Herrschaft der Osmanen allerdings nicht nur seine größte Ausdehnung, sondern auch sein Ende. Es endete in der heutigen Türkei, so dass die Geschichte der Türkischen Republik immer auch mit der Geschichte des osmanisch-islamischen Staates verknüpft bleibt, auch wenn die Türkei nicht mit dem Islam oder dem islamischen Staat in Verbindung gebracht werden möchte. Wer sich mit der Geschichte der Türkischen Republik beschäftigt, kommt aber nicht umhin, sich mit der Geschichte des islamischen Staates zu befassen, dessen Existenz 1924 endete und dessen letzter osmanischer Kalif Abduldmajid II. war. Die Türkische Republik bleibt somit das Symbol der Zerstörung des Kalifats.
Was von der einstigen osmanischen Weltmacht übrig blieb, sind Sehenswürdigkeiten, die in der ehemaligen Kalifenstadt Istanbul die Touristen anlockt. Der Topkapi-Palast, über Jahrhunderte sowohl Wohn- als auch Regierungssitz der Kalifen, wurde bereits 1923 zum Museum umfunktioniert, wodurch man das Kalifat noch in der Phase seiner Zerstörung symbolisch für Geschichte erklärte. Touristen drängen sich in Massen an islamischen Ausstellungsstücken wie den Schwertern des Propheten (s) und seiner Gefährten vorbei, die einst bei den islamischen Eröffnungen zum Einsatz kamen. Das vermeintliche Gewand von Muhammad II., der als Eröffner Konstantinopels in die islamische Geschichte einging, kann bestaunt werden, ohne dass es seine islamische Leistung in irgendeiner Form zum Ausdruck bringt. Alte osmanische Moscheen wie die berühmte Blaue Moschee, die Sultan Ahmad Anfang des 17. Jahrhunderts erbauen ließ, werden als Sehenswürdigkeit von Nichtmuslimen besucht, deren Zahl die der Betenden fast übersteigt. Alles, was die osmanischen Kalifen einst erbauen ließen, ist vor allem in Istanbul zur Sehenswürdigkeit verkommen.
[Topkapi-Palast in der ehemaligen Hauptstadt des Kalifats] Doch der Zustand ist keineswegs unumkehrbar. Verfolgt man die Geschichte des Osmanischen Staates, so gehen seine Wurzeln zurück auf den islamischen Staat, den Muhammad (s) in Medina im Jahr 622 gründete. Aus diesem kleinen Samenkorn wurde schließlich eine Weltmacht. Dies kann sich wiederholen, denn während alte Moscheen und Paläste im Laufe der Geschichte zu Sehenswürdigkeiten verkommen können, kann der Islam niemals zu einem Museumsstück in einem Glaskasten werden. Solange es Muslime gibt, bleibt das Potential zur Erneuerung des Kalifats vorhanden.
Dass das islamische Potential noch immer vorhanden ist, zeigte sich erst kürzlich an der Solidarität der türkischen Muslime mit den Muslimen im Gazastreifen, denen sie nicht nur mit Hilfskonvois beistanden, sondern auch mit ihrem Leben. Das islamische Herz schlägt also noch immer unbeirrt zwischen all den osmanischen Sehenswürdigkeiten weiter, so dass die Regeneration des islamischen Staates nicht aufzuhalten ist.