Geschichte Salah ad-Din

Jede Gesellschaft hat ihre eigenen Vorbilder und Persönlichkeiten. Sie sind die Personifizierung der Weltanschauung einer Gesellschaft. Es sind Vorbilder, die durch ihre Handlungen die Ideen einer Gesellschaft zum Leben erwecken.

Jede Gesellschaft hat ihre eigenen Vorbilder und Persönlichkeiten. Sie sind die Personifizierung der Weltanschauung einer Gesellschaft. Es sind Vorbilder, die durch ihre Handlungen die Ideen einer Gesellschaft zum Leben erwecken.
Vorbild sein heißt, anderen Menschen durch sein Handeln, sein Festhalten an der Ideologie eine Orientierung zu geben und deshalb als nachahmenswert zu gelten. Aus der islamischen Umma gingen die besten Vorbilder hervor, denn sie setzten die islamischen Gesetze als umfassendes System in ihrem Leben um. Diese Vorbilder finden sich nicht nur in den Reihen der Gefährten des Propheten. Wer die islamische Geschichte gründlich studiert, wird auf viele dieser Vorbilder stoßen, deren Leben ausschließlich Allah (t) gewidmet war und die ihre Spuren in der islamischen Geschichte hinterlassen haben. Sie haben zwar nicht den Status der Sahaba, aber ihr islamischer Eifer hat sie zu starken islamischen Persönlichkeiten aufsteigen lassen.
Die Biographien von islamischen Vorbildern dürfen nicht zu falscher Verherrlichung der Vergangenheit führen. Die Erinnerung an islamische Vorbilder, vergangene Größe und vergangene Pracht darf nicht über Einschränkungen und Schwächen der Gegenwart hinwegtrösten. Es geht nämlich nicht darum, sich mit Vorbildern zu brüsten, sondern von ihnen zu lernen und ihnen nachzueifern. Die Erinnerung an diese „Idealgestalten“ ist wichtig, weil sie als Leitbild für die eigene Entwicklung und Lebensgestaltung dienen sollen.
Vor diesem Hintergrund sollte auch die Biographie des Mannes gelesen werden, nach dessen Tod man nichts fand, womit seine Söhne sein Grabtuch hätten kaufen können, weil er alles im Namen Allahs ausgegeben hatte. Seine Söhne waren auf Spenden angewiesen. Das Begräbnis dieses Mannes, der am 4. März 1193 nach der Stunde des Morgengebets starb und zum Nachmittagsgebet des gleichen Tages ins Grab gesenkt wurde, fiel mehr als bescheiden aus, auch wenn jeder seinen Namen und sein Wirken in der Geschichte kennt. Diejenigen, die trauerten wussten um den enormen Verlust jener Persönlichkeit: Sie trauerten um Salah ad-Din Yussuf ibn Ayyub, der sowohl den Muslimen als auch den Nichtmuslimen in Erinnerung geblieben ist, da er Jerusalem 1187 aus den Händen der Kreuzfahrer befreien konnte. Die Persönlichkeit Salah ul-Din faszinierte nicht nur die Muslime, sondern auch das so genannte Abendland, denn er zeichnete sich nicht nur durch seine diplomatische Vorgehensweise und militärische Gewalt aus, sondern galt auch in Europa als Idealbild eines gerechten Herrschers. Trotz seines Kampfes gegen die Ungläubigen hatte er in Europa den Ruf eines „edlen Ritters“. Sowohl die islamische als auch die europäische Geschichte zeichnet ein positives Bild von Salah ad-Din.
Nach fast neunzigjähriger Unterbrechung ging Jerusalem wieder in islamische Herrschaft über. Anhand der Eroberung Jerusalems durch die Europäer 1099 und der Eröffnung durch die Muslime im Jahr 1187 wird der Unterschied zwischen den Eroberungszügen der Ungläubigen und den Eröffnungen der Muslime offenkundig. In Europa war es nach einer erfolgreichen Eroberung üblich, Zivilisten zu massakrieren, Kriegsgefangene zu foltern und plündernd seine Eroberung zu feiern. Als die Kreuzfahrer Jerusalem eroberten, konnten sie massakrieren und in aller Ruhe grausame Psalmen singen: „Erhebe Dich, Herr, tritt entgegen dem Frevler und wirf ihn zu Boden, mit Deinem Schwert entreiße ihm seine Seele!“ (Ps. 17, 13) Obwohl das 5. Buch Mose eine „Ethik der tätigen Liebe“ lehre, so steht dort dennoch: „Und Sihon zog aus uns entgegen mit seinem ganzen Kriegsvolk zum Kampf nach Jahaz. Aber der HERR, unser Gott, gab ihn vor unsern Augen dahin, dass wir ihn schlugen mit seinen Söhnen und seinem ganzen Kriegsvolk. Da nahmen wir zu der Zeit alle seine Städte ein und vollstreckten den Bann [d. h. töten] an allen Städten, an Männern, Frauen und Kindern, und ließen niemand übrigbleiben.“ (5. Buch Mose, II, 32-34) Dies nahmen die Kreuzfahrer wörtlich. Ihr Einfall wird folgendermaßen beschrieben: „Die Sieger breiten sich in den Straßen aus und rufen laut: Das ist Gottes Wille! Gottes Wille. Die Mohammedaner werfen die Waffen weg und fliehen in alle Richtungen; das in Jerusalem versammelte christliche Heer gibt sich dem größten Freudenrausch hin. So wurde am Freitag um drei Uhr nachmittags dieser denkwürdige Sieg davongetragen; es war der tag und die Stunde der Passion unseres Retters.
Die Christen aufgebracht durch die Beleidigungen der Sarazenen und deren zähen Widerstand, rächten sich für ihre gefallenen Brüder mit der Niedermetzelung von siebzigtausend Sarazenen.“ Unter den siebzigtausend waren Männer, Frauen und Kinder, die sich schuldig gemacht hatten, Muslime zu sein. Jedoch scheint dies den Autor nicht wesentlich zu interessieren. Gestützt auf die dreifache Zugehörigkeit – die christliche, die französische und die europäische –, kam der Historiker François Valentin dann zu dem Schluss: „Der erste Kreuzzug hat wunderbare Heldentaten vollbracht. Das alte Frankreich ist dabei zu Ruhm gelangt, und die Erinnerung an die Tapferkeit ist dem Vaterland höchst kostbar. Auf die innereuropäische Lage hatte der Kreuzzug eine günstige Auswirkung, die Kleinkriege hörten auf und es hatte ein Ende mit der Pflege der feudalen Anarchie. Aller Hass ging in einem einzigen auf: im Hass gegen die „Feinde des Christentums“. Diese allen gemeinsame Grundeinstellung förderte somit den Frieden und die Zivilisation.“ Dies schrieb Valentin nicht im tiefsten Mittelalter. Stolz beschreibt der Autor das Massaker an den Muslimen 1870 in seinem Buch Abrégé de l´ Histoire des croisades.
Hingegen wird sowohl von muslimischen wie von westlichen Autoren immer wieder hervorgehoben, dass die Muslime sich bei der Eröffnung Jerusalems durch ihre Gerechtigkeit auszeichneten. Als sich die Franken am 2. Oktober 1187 nach zweiwöchiger Belagerung und harten Verhandlungen ergaben, unterschied Salah ad-Din ganz klar zwischen den einheimischen zivilen Bürgern, die nach der Eröffnung islamrechtlich als Schutzbefohlene galten, und den feindlichen Personen. Letztere konnten sich freikaufen und erhielten nach Bezahlung des Lösegeldes freien Abzug. Wer die Mittel zur Bezahlung des Lösegeldes nicht besaß, wurde zunächst in die Sklaverei geführt, dann aber meist nach kurzer Zeit ohne Gegenleistung freigelassen. Verschiedene Quellen geben an, dass Salah ad-Din bei vielen älteren oder sehr armen Bürgern teilweise das Lösegeld aus seinem eigenen Budget bezahlte. Die Grabeskirche konnte ihre christliche Funktion behalten. Auch das Hospital der Johanniter blieb bestehen, und die dort dienenden Brüder durften mit der ausdrücklichen Genehmigung von Salah ad-Din die dort stationierten Kranken gesund pflegen.
Die Eröffnung Jerusalems durch Salah ad-Din war der Anlass zum dritten Kreuzzug, der von dem deutschen Kaiser Friedrich I. Barbarossa, dem französischen König Philipp August und dem englischen König Richard Löwenherz angeführt wurde. Dabei verloren die Muslime im Jahre 1189 Akkon. Die ca. 3000 Muslime, die gefangen genommen wurden, wurden auf Befehl von Richard Löwenherz allesamt hingerichtet. Diese aus westlicher Sicht „moralische Integrität“ von Salah ad-Din lässt sich aber nur aus der für ihn allein gültigen islamischen Lebensordnung erklären und nicht aus der Aufklärung oder der modernen westlichen Vorstellung von Menschenrechten. Er setzte lediglich islamisches Recht um.
Gerne erinnern sich die Muslime augrund der gegenwärtigen Schwäche an Salah ad–Din als den Befreier, und oft sehnt man sich nach einem „neuen Salah ad-Din“, der die Muslime erneut vom Joch der Ungläubigen befreien soll. In dieser Form ist er aber für sie kein Vorbild, sondern nur ein Held, zu dem die Menschen in der Not aufblicken. Ein Vorbild ist aber ein Mensch, der zur Nachahmung anregt, so auch Salah ad-Din. Es geht nicht darum, auf einen neuen Salah ad-Din zu warten, der Palästina, den Libanon, den Irak und den Rest des islamischen Bodens befreit, sondern selbst ein Salah ad-Din zu werden, die Initiative zu ergreifen und zu handeln, wie er gehandelt hat. Die Muslime damals waren keine Übermenschen. Was sie getan haben, war nichts anderes, als den Islam umzusetzen. Allein daraus resultierte das Heldentum von Muslimen wie Salah ad-Din. Und auch heute bringt der Islam noch Helden und Vorbilder hervor.