Dieser Artikel von Roberto J. De Lapuente wurde unverändert übernommen. Er zeigt, dass es auch unter Nichtmuslimen noch Menschen gibt, die sich den Blick in die Tiefe erhalten haben und durch den Mainstream nicht vollkommen erblindet sind.
Erdogans Forderung nach türkischen Lehrern und Schulen entrüstet die Politik. Praktizieren es die Deutschen im Ausland anders?
Mit Unverständnis hat die deutsche Öffentlichkeit den Vorschlag des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan aufgenommen, wonach mehr türkische Lehrer nach Deutschland entsendet werden sollten. Die Gründung türkischer Gymnasien, versteht man gar als Angriff auf die deutsche Leitkultur – nicht nur im Lager der christlichen Parteien. An diesem Punkt angelangt sieht man die geforderte Assimilation muslimischer Mitbürger gefährdet.
Nicht der Sinn oder Unsinn dieses Vorschlags soll folgend behandelt werden, aber ein Blick ins Ausland lohnt sich allemal. Hinlänglich bekannt ist, dass deutsche Touristen nichts von Zurückhaltung halten. Mallorca steht als leuchtendes Beispiel touristischer Respektlosigkeit vor den Belangen der einheimischen Bevölkerung. Neben deutschen Straßen, Kneipen, Dienstleistungsunternehmen, neben einer Balearenausgabe der BILD-Zeitung, ist man zudem versucht, deutsche Feier- und Partyinteressen – mittels Einzug ins Inselparlament – durchzusetzen. Laute Musik, Saufgelage und Strandbelagerungen bis tief in die Nacht als Gegenstand politischer Willensbildung!
In den türkischen Touristenhochburgen sieht es nicht anders aus: Statt Köfte fordert man Bratwurst und Sauerkraut und auch wenn in der Türkei religions- und damit konventionsbedingt Schweinefleisch nicht verzehrt wird: der Tourist möchte nicht darauf verzichten müssen. Die einheimischen Bewohner trösten sich damit, dass diese Vandalen früher oder später zurück in ihre Heimat gehen, wo sie sich in dieser Weise niemals benehmen würden.
Der Tourismus ist aber nicht das Zentrum deutschen Unwillens, sich diverser „anderer Leitkulturen“ anzupassen. Wie handhaben es Deutsche, die im Ausland – in diesem Falle in der Türkei – leben? – Integration findet auch dort nicht statt. Freilich, könnte man argumentieren, in der Türkei leben – laut Schätzungen – nur etwa 25.000 Deutsche, während in Deutschland 1,7 Millionen Türken leben.
Aber müsste es einer kleinen Zahl „volksfremder Charaktere“ nicht sogar leichter fallen, sich zu integrieren? – Scheinbar nicht. Es gibt deutsche Bäckereien und man habe den Türken etwas „mehr Sauberkeit beigebracht“, so diverse Rentner, die ihren Lebensabend in Antalya verbringen. Unverblümt lässt man Verachtung erkennen, tut gerade so, als habe die deutsche Präsenz ein Land aus der Wildnis gehoben. Von der geistigen Größe des Osmanenreiches, die lange Zeit Europa in den Schatten stellte, wissen solche Zeitgenossen wenig.
Gelesen werden deutsche Zeitungen, die da heißen „Alanya Bote“, „Deutsche Türkei Zeitung“ oder „Türkische Allgemeine“. Und auch – dies verwundert bei der Entrüstung zum Vorschlag Erdogans – deutsche Schulen existieren in der Türkei. Die Ernst-Reuter-Schule in Ankara wurde bereits 1952 – damals unter anderem Namen: Deutsche Schule Ankara – gegründet. Anzumerken sei, dass es sich um Privatschulen handelt, die tüchtig in den Geldbeutel der Eltern greifen, um dem Sprössling eine gute deutsche Schulbildung zu vermitteln. Doch das Prinzip ist jenes, welches man in Erdogans Vorschlag zu sehen glaubt: Man hält sich separat, versucht nicht integriert zu leben, sondern die Herkunft zu bewahren.
Wie auch die türkischen Mitbürger hierzulande, sind Deutsche im Ausland versucht, ihre Wurzeln zu bewahren. Diese Form des Herkunftsbewahrens führt nicht selten dazu, dass man sich sein Umfeld an die Heimat anpasst.
Die Deutschen vollziehen dies im Ausland, so wie es viele türkische Mitbürger hier tun. Es ist auch nicht notwendig, integriert – was im Sinne der „deutschen Leitkultur“ assimiliert bedeutet – zu sein, um friedlich mit seinem Nachbarn leben zu können. Frei nach Pispers: In Düsseldorf leben viele Japaner, kaum einer ist der deutschen Sprache mächtig. Es gibt japanische Läden und Restaurants und Apotheken haben sogar japanisches Personal eingestellt, damit japanische Kunden beraten werden können. Liest man irgendwo etwas über kulturelle Verwerfungen am Rhein? – Nein, sagt Pispers, man muss nicht dieselbe Sprache sprechen um sich zu verstehen. Man kann deswegen genauso ein Bier zusammen trinken – d.h. der eine trinkt Bier, der andere das, was er für Bier hält. Was Pispers humoristisch aufarbeitet, trifft den Nagel auf den Kopf. Und solange viele Deutsche (nicht alle) glauben, an ihrem Wesen müsste die Welt genesen, sollte man auch den Menschen hier ermöglichen, ihren Wurzeln Ausdruck zu verleihen.
Das Monopol der Werte, Normen und Konventionen einer Volksgruppe innerhalb eines Nationalstaates, ist eine relativ junge Erscheinung in der Historie. Den Menschen war es vormals gleichgültig, unter welchem Regenten sie ihr Leben zu fristen hatten. Vielen Bauern ging es – trotz dschizya (Steuer für Nichtmuslime) – viel besser, als unter christlicher Herrschaft. Erst mit Aufkommen nationalistischen Totalitarismus, der eine mal latente, mal offenkundige Gleichschaltung der Lebensentwürfe mit sich brachte, verunmöglichte das Ausleben einer anderen Kultur innerhalb eines Staatenwesens.
Zu Zeiten Friedrichs II. – des Großen – sah man dies noch pragmatischer. Er ließ die andernorts verfolgten Hugenotten nach Preußen kommen, denn sie sollten den aufstrebenden Staat, der an Bevölkerungsarmut litt, bereichern. Er hätte, so sagte er einmal, auch Synagogen und Moscheen gebaut, wenn Juden und Muslime nach Preußen gekommen wären.
Forciert durch die Befreiungskriege gegen Napoléon fand mehr und mehr eine Abgrenzung zu anderen Lebensentwürfen statt. Der Lebensstil der Mehrheit, die sich als Nation proklamierte, schob kulturelle Unangepasstheiten zur Seite. Die Juden, gerade noch durch den Code Civil Napoléons emanzipiert, wurden plötzlich zu Fremdkörpern und Störenfriede.
Dies forcierte eine kopflose Assimilation, in welcher man doch immer „Deutscher zweiter Klasse“ blieb. Hannah Arendt sieht in dieser Kopflosigkeit, in der man sich lieber stillschweigend anpasste, als um die Emanzipation der eigenen Kultur zu kämpfen, die Wurzel der jüdischen Kampflosigkeit, als man sie zu den Schlachtbänken der Shoa führte.
Erdogans Vorschlag mag unsinnig sein, zumal muttersprachlicher Unterricht schon jetzt (und seit Jahren) in deutschen Schulen praktiziert wird. Derart an den Haaren herbeigezogen, wie man es nun darzustellen versucht, ist ein solcher Vorschlag aber nicht.
Integration ist kein Wert, welchen Westeuropäer gerne im Ausland umsetzen. Zu assimilieren haben sich andere Kulturen, der in die Köpfe zementierte Eurozentrismus erlaubt keinem west- oder mitteleuropäischen Menschen, in einer anderen Kultur zivilisatorische Kraft zu erkennen.
Nicht Erdogans Vorschlag ist vermessen; als vermessen wurde es verstanden, dass man aus einer niedrigen kulturellen Stellung heraus – die die Türkei und der Islam in Augen der Europäer einnimmt – solche Forderungen in den Raum stellt. Anders: Sowas dürfen Europäer fordern und umsetzen, aber nicht „geringwertigere Kulturkreise“.
Dieser Artikel von Roberto J. De Lapuente wurde unverändert übernommen. Er zeigt, dass es auch unter Nichtmuslimen noch Menschen gibt, die sich den Blick in die Tiefe erhalten haben und durch den Mainstream nicht vollkommen erblindet sind.
