Sicherlich, Eingeständnisse sind eine hohes Gut, vor allem dann wenn sie Reue und Besserung nach sich ziehen. Doch welchen Wert hat ein ungewolltes Eingeständnis, dass nichts weiter als ein argumentativer Kollateralschaden ist und unangenehme Fragen aufwirft? Einen wahren Leckerbissen dieser Art bot der Nachrichtensender n-tv seinen Zuschauern, als er die Dokumentation mit dem Titel „Besucher aus dem All: Die geheimen Notfallpläne“ ausstrahlte und sich damit als glühender Verfechter asymmetrischer Kriegsführung präsentierte.
In der 80-minütigen Sendung, die von National Geographics produziert wurde, droht der Erde die Kolonialisierung und Ausbeutung durch eine extraterrestrische Zivilisation. Mit einem übermächtigen Aufgebot von Raumschiffen starten die Invasoren einen globalen Angriff auf alle Metropolen, Industriegebiete und militärischen Einrichtungen. Der US-Präsident ruft die Menschheit angesichts der fremden Bedrohung zu Geschlossenheit auf und aktiviert militärische Notfallpläne. Das gesamte Aufgebot von konventionellen Luft-, See- und Landstreitkräften erhält den Befehl, die Heimat vor den Aggressoren zu verteidigen. Doch die „Shock and Awe“-Taktik der Angreifer scheint Wirkung zu zeigen. Neben der allgemeinen Zerstörung sind insbesondere die Kommando- und Kommunikationsstrukturen empfindlich getroffen worden und so gerät der koordinierte Gegenschlag zu einem verlustreichen Desaster. Versprengte Einheiten, die trotz der unübersichtlichen Lage den Feind unter Beschuss nehmen, scheitern kläglich an der überlegenen Technologie der intergalaktischen Eroberer. Nachdem die Militärs zunehmend zu der Erkenntnis gelangt sind, dass dem Angriff mit konventionellen Mitteln nicht beizukommen ist, empfehlen sie dem US-Präsidenten den Einsatz von Nuklearwaffen, in der Hoffnung die Raumschiffe zu vernichten, welche direkt über dem Stadtzentrum von Washington DC und allen anderen Hauptstädten der Welt in Stellung gegangen sind. Da sich die Bevölkerung jedoch nach wie vor in besagten Städten aufhält, würde der Atomeinsatz Millionen Menschen das Leben kosten. Nach kurzem Zögern entschließt sich der Führer der freien Welt dennoch den Angriffsbefehl zu erteilen und einen Teil des Volkes für ein höheres Ziel zu opfern. Es gehöre zum Selbstverständnis einer jeden Nation, dass in entsprechenden Situationen auch solch radikale Maßnahmen zum Erhalt der eigenen Kultur angebracht seien und so war der Atomschlag nicht mehr abzuwenden. Kurz darauf wurde das sich über Washington befindliche Raumschiff von acht Gefechtsköpfen mit einer Sprengkraft von mehreren Megatonnen TNT getroffen. Die gewaltige Explosion, welche die US-amerikanische Hauptstadt samt Einwohnern binnen weniger Sekunden auslöschte, zeigte beim Kriegsgerät der feindlichen Invasoren jedoch keinerlei Wirkung.
An dieser Stelle wird in der Dokumentation die zentrale Frage aufgeworfen, wie einer technologisch weit überlegenen Invasionsarmee zu begegnen sei und welche Strategien sich der Widerstand zu Eigen machen müsse, um überhaupt Aussicht auf Erfolg zu haben. Die Antwort darauf lieferten renommierte Militärstrategen der US-Army, indem sie den Zuschauer in bereits existierende Gefechtspläne für den Fall einer feindlichen Invasion einweihten. Zunächst müssten alle Truppen einen taktischen Rückzug antreten, um der überlegenen Feuerkraft des Gegners zu entkommen. Reguläre Streitkräfte müssten ihre Formationen auflösen, sich unter die überlebende Zivilbevölkerung mischen und sich mit ihnen in unwegsame Gebiete zurückziehen. Nur so könne der Verlust von ausgebildeten Militärs zerstreut werden. In den Wäldern und Gebirgen müsse nun der Aufbau einer geschlechts- und altersübergreifenden Widerstandsbewegung begonnen werden. Besonders betont der Dokumentarfilm hier die Rolle der Frau, welche darin bestehe, viele Kinder zu gebären, um die eigene Kampfkraft langfristig aufrechtzuerhalten. Den Frauen müssten zum Zwecke einer möglichst hohen Geburtenrate selbst Hormonpräparate verabreicht werden. Bemerkenswert ist zudem die Tatsache, dass die US-Spezialisten in diesem Kontext wie selbstverständlich eine „Wehrpflicht“ mit 14 Jahren für angemessen halten. In provisorischen Ausbildungslagern würden dann alle kampffähigen Personen in klassischen Guerillataktiken ausgebildet. Neben dem Umgang mit Schusswaffen seien insbesondere die Herstellung und das Legen von Sprengfallen, sowie die Durchführung von überfallartigen Partisanenangriffen von größter Bedeutung. In riskanten Operationen müssten darauf die Schwachpunkte der feindlichen Armee ausgemacht werden, um bei künftigen Angriffen maximale Zerstörung erzielen zu können. Hier erreicht die Dramaturgie der Dokumentation ihren Scheitelpunkt und es keimt erste Hoffnung auf, die anfangs sicher geglaubte Apokalypse abwenden zu können. Hochmotivierte Guerillas erkennen durch zahlreiche Operationen die Achillesferse der interstellaren Besatzer, welche darin besteht, dass ihre Technologie lediglich reguläres Kriegsgerät erkennen und vernichten kann. Nähern sich den Invasoren hingegen Lebewesen, schlagen ihre Verteidigungssysteme kein Alarm und gehen nicht in den Angriff über. Was der Zuschauer durch diese Erkenntnis von n-tv serviert bekommt, ist das unverhoffte Eingeständnis, dass unter diesen Vorrausetzungen mit Sprengstoff beladene Freiwillige das einzig effektive Mittel sind und dass das Schicksal der eigenen Zivilisation von der Opferbereitschaft heroischer Kämpfer abhängt. Daraufhin folgen melodramatische Szenen, in denen sich die gefeierten Helden von ihren Freunden und Angehörigen verabschieden und todesmutig auf ihre Himmelfahrtskommandos begeben. Gebannt verfolgt die Menschheit voller Hoffnung die Operationen, von denen es für die Kämpfer keine Rückkehr mehr geben wird. Nach einem Moment der Stille ereignen sich heftige Explosionen am Himmel und zerstören die feindlichen Raumschiffe, welche begleitet von Jubel und Freudentänzen der Menschen auf die Erde stürzen. Nachdem die Invasoren immer öfter Verluste dieser Art hinnehmen mussten, entschließen sie sich angesichts der Unverhältnismäßigkeit der eigenen Opfer, gemessen an den Kriegszielen, ihre Mission abzubrechen und den Rückzug anzutreten.
Wer angesichts dieses Dokumentarfilmes ein Déjà-vu zu haben glaubt und sich fragt warum ihm die erzählte Geschichte so bekannt vorkommt, der muss sich lediglich bis zu den nächsten Nachrichten von n-tv gedulden, um des Rätsels Lösung zu erfahren. Hier könnte er nämlich von „feigen“ Selbstmordanschlägen in Kunduz auf die Bundeswehr oder die US-Streitkräfte erfahren und sich fragen, warum der noch bis vor wenigen Minuten gepriesene Modus Operandi plötzlich als Innenbegriff von Irrationalität, Fanatismus und Terror dargestellt wird. Die Parallelen zwischen dem Film und der Realität Afghanistans, des Irak und anderer besetzter Länder machen die Dokumentation im Grunde völlig überflüssig. Schließlich wurden besagte Länder ebenfalls von einer übermächtigen Armee einer fremden Zivilisation heimgesucht und zunächst mit der sogenannten „Shock-and-Awe“-Taktik in die Steinzeit zurückgebombt. Hierauf folgte eine Invasion mit allerlei Kriegsgerät, dessen Feuerkraft die militärischen Kapazitäten der angegriffenen Länder um ein vielfaches überstieg. Anstatt sich auf eine direkte Konfrontation auf dem Schlachtfeld einzulassen, die in einem einseitigen Gemetzel geendet wäre, gingen die einheimischen Kämpfer aus der Schusslinie und zogen sich in unwegsame und dünn besiedelte Gebiete zurück. Dort organisierten sie den Widerstand und schulten ihre Soldaten in besagten Guerilla-Taktiken, durch welche sie den Besatzern seit nunmehr zehn Jahren empfindliche Verluste zufügen. Auch sie folgen der einfachen Formel, den Kriegsaufwand der Besatzer durch ihre Anschläge als nicht mehr lohnenswert erscheinen zu lassen und machen laut den Ausführungen der hier zitierten Militärexperten somit alles richtig.
Dass n-tv in seiner Dokumentation „Selbstmordattentate“ als Wunderwaffe der asymmetrischen Kriegsführung rühmt, diese im Falle der Mujahedin jedoch zur menschenverachtenden Barbarei erklärt, ist nichts weiter als der Ausdruck eines kulturellen Überlegenheitswahns, der aus Goebbels Feder hätte stammen können. Die Losung „‚Mein Kampf‘ ist heilig und jeder Gefallene ein Märtyrer, ‚Dein Kampf‘ ist unmoralisch und jeder Verblichene eine Bestie“ ist die eigentliche Erkenntnis, durch die sich die Doppelzüngigkeit des Nachrichtensenders erklären lässt. Angesichts der deutschen Geschichte sollte dies allerdings nicht verwundern, werden in der Bundesrepublik doch gewisse „Selbstmordattentäter“ und „Terroristen“ allseits geschätzt und gar als Volkshelden verehrt. So wurde Freiherr von Gersdorff, welcher am 21.03.1943 ein Selbstmordattentat auf den demokratisch gewählten Reichskanzler Adolf Hitler plante, in der BRD mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Auch der deutschen liebster Widerstandskämpfer Carl Schenk Graf von Stauffenberg, der zumindest Zeitweise erwog, sich mit einem Sprengsatz in Gegenwart seines Führers selbst in die Luft zu sprengen, wird in einem regelrechten Märtyrerkult von Gesinnungsgenossen wie der Bundeskanzlerin geehrt. Dass es sich dabei nicht etwa um eine strafbare Verherrlichung von Terrorismus handelt, liegt auch hier an der ideologischen Artverwandschaft des Täters und seiner Verehrer, schließlich ließ Stauffenberg durch seine letzten Worte „Es lebe das heilige Deutschland“ keinen Zweifel an seiner national-ideologisch und somit aufgeklärten Einstellung.
Abschließend sollte der, wenn auch ungewollte Dienst von n-tv nicht unerwähnt bleiben. Es ist die Diskrepanz zwischen diesem Dokumentarfilm und der darauffolgenden Berichterstattung, welche den Muslimen zu verstehen gibt, dass es in erster Linie nicht um die gewählten Mittel der militärischen Auseinandersetzung, sondern viel mehr um die ihr zugrunde liegende Motivation geht. Während der kapitalistischen Götze Menschenopfer dargebracht werden müssen, existieren für ihre Feinde oktroyierte moralische Fesseln, die nicht einmal durch den Einsatz von Uranmunition zerstört werden können.
Sicherlich, Eingeständnisse sind eine hohes Gut, vor allem dann wenn sie Reue und Besserung nach sich ziehen. Doch welchen Wert hat ein ungewolltes Eingeständnis, dass nichts weiter als ein argumentativer Kollateralschaden ist und unangenehme Fragen aufwirft?
