Kommentar Ein lachendes und ein weinendes Auge

Es sind junge Menschen aus Migrantenfamilien, aber auch deutsche Konvertiten, die in der Moschee oder im Internet durch den Kontakt zu islamistischem Gedankengut radikalisiert werden. Sie schotten sich von ihrem natürlichen Umfeld ab und halten sich streng an islamische Gesetze: kein Schweinefleisch, kein Alkohol, keine Drogen und kein Kontakt zum anderen Geschlecht.

Es sind junge Menschen aus Migrantenfamilien, aber auch deutsche Konvertiten, die in der Moschee oder im Internet durch den Kontakt zu islamistischem Gedankengut radikalisiert werden. Sie schotten sich von ihrem natürlichen Umfeld ab und halten sich streng an islamische Gesetze: kein Schweinefleisch, kein Alkohol, keine Drogen und kein Kontakt zum anderen Geschlecht.
Ihre innere Überzeugung stellen sie bewusst zur Schau, indem sich die jungen Männer Bärte wachsen lassen, sich anders kleiden und selbst vor den Augen ihrer Mitschüler oder Arbeitskollegen das Gebet vollrichten. Die radikalsten unter ihnen trainieren ihre Muskeln und tragen martialisch anmutende Kampfwesten in Tarnfarben. Einige von ihnen pflegen enge Kontakte zu international agierenden islamistischen Netzwerken, welche die in der Leistungsgesellschaft gescheiterten Männer für ihre Kampfeinsätze am Hindukusch, in Somalia, Ägypten und derzeit vor allem auch in Syrien rekrutieren. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass die deutsche Öffentlichkeit von den Medien mit Beschreibungen dieser Art konfrontiert wird. Unter Berufung auf den Verfassungsschutz berichten sie über jene Menschen, die sich entschieden haben, diesen Weg zu gehen und erzeugen so eine Atmosphäre voll Angst und Misstrauen.
Insbesondere der jüngste Fall von Burak Karan hat für viel Aufsehen gesorgt. Der 1987 in Wuppertal geborene Sohn einer türkischen Einwandererfamilie fiel schon in seinen jungen Jahren durch sein fußballerisches Talent auf. Nachdem er bei zahlreichen Spitzenvereinen gespielt hat, wurde er im Alter von 17 Jahren in den Kader der deutschen Jugendnationalmannschaft berufen und vertrat in mehreren Länderspielen die Bundesrepublik. Schon damals prophezeiten ihm Experten eine ähnlich eindrucksvolle Profikarriere, wie sie seine Mitspieler Sami Khedira, Dennis Aogo und Kevin-Prince Boateng später einschlagen sollten. Burak Karan winkten Millionenverträge und das Leben eines Stars, dem seine Fans zu Füßen liegen würden. Doch im Alter von zwanzig Jahren beendete das große Talent unerwartet seine Karriere und zog sich aus dem Profifußball zurück. Seitdem verschwand der inzwischen verheiratete Vater zweier Kinder aus den Schlagzeilen und führte das unauffällige Leben eines gewöhnlichen Menschen.
Doch am 11. Oktober 2013 katapultierte eine Meldung aus Syrien Burak Karan in nie dagewesener Weise zurück auf die Titelblätter. Der inzwischen Ausgewanderte ist bestätigten Angaben zufolge bei Kampfhandlungen in der im türkisch-syrischen Grenzgebiet liegenden Stadt Asas ums Leben gekommen. Über seine Todesumstände liegen bisher widersprüchliche Berichte vor. Während in den meisten Nachrichten die syrische Luftwaffe für seinen Tod verantwortlich gemacht wurde, heißt es aus Rebellenkreisen Burak habe sich Todesmutig gegen den syrischen Ableger der PKK (YPG) ins Gefecht gestürzt und hätte hierbei den Märtyrertod erlangt. Familienangehörige wiederum betonten, dass Burak bei der Absicherung eines Hilfskonvois durch feindliche Angriffe verstarb. Sieben Monate zuvor sei er gemeinsam mit Frau und Kindern nach Syrien gereist um humanitäre Hilfe zu leisten und habe sich dabei zum Schutz selbstverständlich auch bewaffnen müssen. „Wenn er sich bewaffnet hat, dann um die Transporte zu schützen. Sollte er mit Steinen werfen?“, so die Erklärung seines Bruders Mustafa.
Nachdem die Nachricht von Buraks Ableben durch die Medien ging, zeigten sich seine ehemaligen Weggefährten bestürzt und drückten der Familie ihr Beileid aus. In einem Kondolenzschreiben auf Twitter bezeichnete ihn Fußballstar Boateng als „Bruder“ und „wahren Freund“. Sein ehemaliger Trainer Obmann Manfred Werner nannte ihn „einen sehr angenehmen, vernünftigen Jungen“, über den „überhaupt nichts Negatives“ gesagt werden könne. Aussagen, die so gar nicht in das übliche Bild eines „in der Leistungsgesellschaft gescheiterten“ und „desillusionierten“ jungen Mannes, der von „radikalen Predigern“ verführt wurde, passen. Auch der von den Medien immer wieder ins Feld geführte radikale Gesinnungs- und damit einhergehende Lebenswandel lässt sich gerade in dem Fall Burak Karans nicht aufrechterhalten. Dies belegen die Erinnerungen eines weiteren seiner ehemaligen Trainer: „Burak war schon sehr religiös, betete fünfmal am Tag gen Mekka und hielt sich an die Fastenzeit. Wenn wir im Trainingslager oder auf Fahrten waren, zog er sich zum Beten zurück. Aber er war auch ein lebenslustiger Typ, mit dem man Spaß haben konnte“, so Marcus Olm. Entgegen der medialen Darstellung eines fanatisierten Kriegers war Burak den Beschreibungen seiner Familie, Freunde und Weggefährten nach ein frommer, aufrichtiger und vernünftiger junger Mann. Es sind gerade diese Charaktereigenschaften, die seine Sinne für die Ungerechtigkeit in Syrien geschärft haben. Seine ausgeprägte Empathie und sein starkes Verantwortungsbewusstsein der leidenden Bevölkerung Syriens gegenüber erzeugten in ihm ein Pflichtgefühl, den Notleidenden zur Hilfe eilen zu müssen, ganz gleich ob letzteres nun in humanitärer oder kämpferischer Form geschehen ist. Diese besonderen Wesenszüge sind ebenfalls kennzeichnend für die überwältigende Mehrheit für die bis zu 200 von Deutschland nach Syrien ausgewanderte Muslime. Denn obwohl die von Medien und dem Verfassungsschutz herabwürdigend als Gefährder bezeichneten Auswanderer zwar nicht exakt denselben Werdegang wie Burak durchlebten, genossen sie in der Bundesrepublik nichts desto trotz finanzielle und existenzielle Sicherheit. Es handelt sich entgegen aller Darstellungen also nicht um Menschen ohne Perspektive und Lebensmut, sondern um willensstarke Persönlichkeiten, die bereit sind, für ihre Ideale ihr Leben zu opfern; Ideale, die – wären sie den Köpfen eines Kants, Hegels oder Voltaires entsprungen – Ruhm und Ehre für die Kämpfer nach sich ziehen würden.
Da es sich bei Burak jedoch um einen Menschen mit islamischer Überzeugung handelt, wird er nicht wie Prince Harry mit Lorbeerkränzen und Tapferkeitsmedaillen überschüttet. Letzterer wurde mit seiner Pastiche von Richard Löwenherz in der britischen Medienlandschaft gar zum Gesicht des „Kriegs gegen den Terror“. Keine einzige Zeitung bezeichnete ihn wegen seines freiwilligen Afghanistan-Einsatzes als totalen Versager, der des Lebens überdrüssig gewesen und an der Leistungsgesellschaft gescheitert wäre. Ebenso werden am Hindukusch getötete Bundeswehrsoldaten hierzulande nicht etwa als fanatisierte Opfer eines sinnlosen Krieges betrachtet. Viel mehr werden die bei ihren Todesmessen gehaltenen Reden der Bundeskanzlerin live im ganzen Land ausgestrahlt, um keinen Zweifel darüber aufkommen zu lassen, dass sie im Dienst des Vaterlandes und der westlichen Werte und daher keineswegs umsonst ihr Leben gelassen hätten.
Die hier offenkundig ambivalente Beurteilung freiwilliger Kampfeinsätze offenbart, dass sich die substantielle Äquivalenz beider Handlungen angesichts der ideologischen Differenzen völlig auflöst. Weder ist das Risiko des Kampfeinsatzes entscheidend, noch das aufgebrachte Opfer, auch wenn es darin bestünde, ein Leben in Saus und Braus hinter sich zu lassen. Einzig und allein die zugrunde liegende Motivation entscheidet darüber, ob die betroffenen Personen zu Helden hochstilisiert oder als Terroristen stigmatisiert werden. Selbst das so oft suggerierte Argument, nur reguläre Truppen besäßen eine Kampfberechtigung, scheint im Syrienkonflikt seitens der westlichen Journaille nur einseitig Erwähnung zu finden. Denn während die Unterstützer der Hisbollah und der PKK von Staat und Medien völlig unbehelligt logistische, materielle und personelle Beihilfe leisten können, werden die Unterstützer der islamischen Revolution auf Schritt und Tritt verfolgt und öffentlich diskreditiert.
Selbst nach dem Ableben jener Unterstützer werden diese ideologischen Differenzen deutlich. Denn anstatt sich mit ihrem Tod zu begnügen, tanzen Politik, Verfassungsschutz und Medien schadenfroh auf den Gräbern der Betroffenen herum. Während ihre trauernden Familienangehörigen von hiesigen Nachrichtendiensten heimgesucht werden, muss sich das gesamte soziale Umfeld der Verstorbenen eine Flut von Bespitzelungen und Einschüchterungen gefallen lassen. In den Kommentarspalten selbst renommierter Online-Plattformen wie dem Spiegel- oder dem Focus-Forum lassen die Administratoren durch ihre Erlaubnis den Obszönitäten und dem abgrundtiefen Hass ihrer geschätzten Leserschaft gegenüber Menschen wie Burak freien Lauf; Kommentare dieser Art, wären sie gegen einen getöteten Bundeswehrsoldaten gerichtet, harte Konsequenzen nach sich ziehen würden.
Burak Karan zog mit seiner Frau und seinen zwei Kindern nach Syrien aus, um seinen Geschwistern in ihrem Kampf gegen einen ungerechten Tyrannen beiseite zu stehen. Während in der Umgebung Millionen Soldaten mit ihren polierten Stiefeln Truppenparaden abhalten, um danach brav in ihre Kasernen zurückmarschieren, musste Burak mit ansehen, wie das Blut unschuldiger Muslime tausendfach vergossen wurde. Deshalb sah er sich gezwungen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und auf eigene Faust mit bescheidenen Mitteln seinen Beitrag zu leisten. Die Geschichte Buraks sollte mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachtet werden. So sehr sein Heldenmut die Ummah auch ehrt, so beschämend ist die Tatsache, dass sie seinem Anspruch als Kämpfer nicht gerecht geworden ist. Menschen seines Formats verdienen es, in der Armee des islamischen Staates zu dienen, in deren Reihe er die Muslime gut ausgerüstet und ausgebildet effektiv verteidigen könnte. Als Teil der islamischen Armee hätten die Menschen, welche jetzt noch als Radikale beschimpft werden, sogar die Aussicht, in die Fußstapfen eines Tariq bin Ziyad oder Muhammad al-Fatih zu treten und auch nichtmuslimische Völker von der Tyrannei zu befreien, um ihnen ein Leben in Würde zu ermöglichen. Die Hinterbliebenen der Märtyrer könnten erhobenen Hauptes ihre Häuser verlassen, ohne der widerwärtigen Schikane westlicher Medien, sogenannter Sicherheitsorgane und der Politik ausgeliefert zu sein. Die Muslime sollten sich mit all ihrer Kraft für die Errichtung des Kalifats einsetzen, auf dass solch großartige Menschen wie Burak Karan und ihre Familien nicht auf sich alleine gestellt sind.