Kommentar Russisch Roulette

Vladimir Putin ist laut der aktuellen Rangliste des Forbes Magazine noch vor Barack Obama der mächtigste Mann der Welt. Das renommierte Blatt begründete seine Entscheidung damit, dass der russische Präsident sich sowohl im Syrienkonflikt, als auch in der Snowden-Affäre gegen die Vereinigten Staaten durchgesetzt hätte. Im Gegensatz zur „lahmen Ente“ Obama vermochte es Putin, seine Macht über Russland zu konsolidieren und international an Reputation zu gewinnen.

Vladimir Putin ist laut der aktuellen Rangliste des Forbes Magazine noch vor Barack Obama der mächtigste Mann der Welt. Das renommierte Blatt begründete seine Entscheidung damit, dass der russische Präsident sich sowohl im Syrienkonflikt, als auch in der Snowden-Affäre gegen die Vereinigten Staaten durchgesetzt hätte. Im Gegensatz zur „lahmen Ente“ Obama vermochte es Putin, seine Macht über Russland zu konsolidieren und international an Reputation zu gewinnen.
Doch bereits diese Begründung offenbart das eigentliche Terrain des Wirtschaftsblattes, welches sich in aller Regel mit Glanz und Glamour sowie den Kontoständen der Superreichen beschäftigt. Geblendet von Marmorfassaden und polierten Rolls Royce Limousinen, verklärt es nicht nur Putin zum international bedeutendsten Politiker, sondern zählt selbst Vasallen wie den saudi-arabischen König mit Platz sieben zu den einflussreichsten Menschen überhaupt. Dies, obwohl sich der Tyrann von Riad anders als sein Artgenosse Pinoccio noch nicht einmal die Mühe macht, sein Marionettendasein zu kaschieren und selbst in der arabischen Welt eher den Ruf eines unterwürfigen Köters, als den eines charismatischen Staatsmannes genießt. Selbstverständlich gehört der Kremlchef zu den weltweit einflussreichsten Staatsmännern, der sich aber mit seinem narzisstischen Gehabe regelmäßig selbst überhöht. So lässt er keine Gelegenheit aus, sich in kitschiger Manier mal mit einer Raubkatze ringend und mal im Kampfanzug auf der Judomatte tobend der Weltöffentlichkeit zu präsentieren. Groteske Auftritte dieser Art sind ausschlaggebend, um ein Magazin hinters Licht zu führen, in dem das politische Ressorts nur als triviales Intermezzo neben den gewohnten Wirtschaftsthemen erscheint. So verwundert es nicht, dass die Forbes-Redakteure neben zahlreichen anderen Experten und Analysten nicht in der Lage zu sein scheinen, die Wichtigkeit und die politische Substanz eines Putin korrekt einzuordnen. Auch in realpolitischen Angelegenheiten kombiniert der Präsident Russlands seine tatsächliche Autorität als Staatschef mit intriganter aber dennoch raffinierter Selbstdarstellung.
Am 22. Oktober dieses Jahres überraschte Vladimir Putin mit seinen Ausführungen über die gesellschaftliche Rolle des Islam. „Der Islam wurde zu einem gewichtigen Faktor des gesellschaftspolitischen Lebens und leistete einen unschätzbaren Beitrag zur geistigen und kulturellen Entwicklung unserer Gesellschaft“ und so würdigte Putin den Islam in einer Art und Weise, wie sie aus Moskau selten zu hören ist. Aufgabe der islamischen Organisationen bestehe gemäß seiner Vorstellung in der „Herbeiführung des positiven Bildes des traditionellen Islam als einer wichtigen geistigen Komponente der allrussischen Identität“. Worte die angesichts der russischen Geschichte ein absolutes Novum darstellen, schließlich zeichnete sich bereits das zaristische Russland durch eine ausgeprägte Feindseligkeit gegenüber den Muslimen aus und sah sich selbst stets in der Beschützerrolle der Christenheit. Dies äußerte sich in einer über dreihundertjährigen Feindschaft mit dem osmanischen Kalifat, welche mit kontinuierlichen Scharmützeln und elf Kriegen einherging. Allein der von 1877 bis 1879 andauernde „Osmanisch-Russische Krieg“, dem tausende Muslime zum Opfer fielen, belegt die Bedeutung des Zarenreiches hinsichtlich der erbitterten Bekämpfung der islamischen Expansion. So beendete er die 500-jährige osmanische Herrschaft über Bulgarien und leitete den militärischen Niedergang des Kalifats ein. Diese tief verwurzelte Aversion überstand selbst den Sturz der russischen Monarchie und blieb als einziges Relikt vergangener Zeiten in der sozialistischen Gesellschaft erhalten. So verleibte sich die UDSSR im Jahre 1921 Tschetschenien als sogenannte Sowjetische Gebirgsrepublik ein und erklärte Aserbaidschan, Turkmenistan, Kasachstan, Usbekistan, Kirgisien und Tadschikistan zu Unionsrepubliken, welche sich fortan unter der Herrschaft des kommunistischen Zentralkomitees befanden. Hierauf folgte ein regelrechter Vernichtungsfeldzug gegen den Islam, in dessen Zuge tausende von Moscheen zerstört und hunderttausende Muslime getötet wurden. Allein im Jahre 1944 wurden laut den Angaben des verstorbenen Sowjetexperten Theodore Shabads 408.000 Tschetschenen und 92.000 Inguschen auf Veranlassung des sowjetischen Innenministeriums in Viehwaggons nach Zentralasien deportiert. Schätzungen zufolge fielen den Deportationen und Massakern dieser Zeit mindestens 50% der Gesamtpopulation Tschetscheniens zum Opfer. Durch Repressalien dieser Art zielte die Kommunistische Partei völlig unverblümt darauf ab, die islamische Identität dieser Völker für immer auszurotten. Auch nach dem Zusammenbruch des Sozialismus im Jahre 1989 gehörte die Islamfeindlichkeit zur Staatsräson des nunmehr kapitalistischen Russlands. Besonders deutlich wurde dies durch die unverhältnismäßig harte Reaktion der russischen Führung auf die tschetschenischen Autonomiebestrebungen in den frühen 90er Jahren. Während die separatistische Politik der baltischen Staaten faktisch hingenommen wurde, überfielen 1994 russische Truppen die junge Kaukasusrepublik und legten ihre Hauptstadt Grosny in Schutt und Asche. Dieser Aggression fielen bis zum Ende des ersten Tschetschenienkrieges im Jahre 1996 schätzungsweise 80.000 Zivilisten zum Opfer. Nachdem sich allmählich der islamische Widerstand im Kaukasus formierte und er die russischen Besatzer immer öfter in verlustreiche Kämpfe verwickelte, begann Vladimir Putin einen vernichtenden Feldzug, in dem international geächtete Brand-, Multisplitter- und Vakuumbomben zum Einsatz kamen. Die Zivilbevölkerung Tschetscheniens geriet buchstäblich unter die Ketten der russischen Panzer und wurde zum zweiten Mal in seiner Geschichte auf die Hälfte ihrer Anzahl dezimiert. Den aufopferungsvollen Widerstand der Muslime gegen die russischen Aggressoren bezeichnete Putin herabwürdigend als Terrorismus und „Pest des 21. Jahrhunderts“. Im Jahre 2007 installierte der Kreml schließlich ein Marionettenregime unter der Führung Ramsan Kadyrows, dessen Blutdurst bis heute Flüchtlinge nach Westeuropa treibt. Für Russland war der Feldzug 2009 offiziell beendet, hatte es doch einen hörigen Handlanger gefunden, welcher den Krieg gegen den „politischen Islam“ im Interesse Russlands fortsetzt.
In den Ländern Zentralasiens ist die regressive Politik gegen den Islam ebenfalls deutlich spürbar. So kann sich der Schlächter von Taschkent, Kadirov, auf seinen Gesinnungsgenossen Vladimir Putin stets verlassen. Letzterer spielte durch die Entsendung von Spezialeinheiten bei der Niederschlagung des Aufstandes von Andischan, in dem mehrere tausend Muslime getötet wurden, eine aktive Rolle. Auch die jüngsten Äußerungen des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma Alexej Puschkow, in denen er vor der Herausbildung eines „Zentrums des radikalen Islamismus“ in der Ukraine warnt, machen die Moskauer Geisteshaltung gegenüber der islamischen Ideologie offenkundig. In diesem Kontext betonten die Medien besonders die starken Aktivitäten der politischen Partei Hizb ut Tahrir, die bereits durch ihre Tätigkeit im Dreiländereck von Kirgisien, Usbekistan und Tadschikistan die russische Führung auf den Plan rief und deren Mitglieder samt ihrer Familien gnadenloser Verfolgung ausgesetzt wurden.
Der Präsident Russlands hat in der Vergangenheit nie ein Hehl aus seiner Feindseligkeit gegenüber dem Islam gemacht und warnte bereits im Jahre 2002 den Westen vor der „tödlichen Gefahr“, die von ihm ausgehe. Mit dieser Äußerung offenbarte Putin sein Selbstverständnis als Verteidiger der abendländischen Kultur und knüpfte damit an die zaristische Tradition Russlands an. Vor diesem Hintergrund kann seine aktuelle Lobpreisung des „traditionellen Islam“ getrost zu seinen inszenierten und kitschigen Auftritten gezählt werden. Anstatt zu warten, bis die Mikrofone abgestellt waren und hinter vorgehaltener Hand zu sagen, was er tatsächlich im Schilde führt, plauderte Putin unverblümt aus, dass es bei dieser Initiative primär darum gehe, „die Verbreitung destruktiver und extremistischer Literatur zu verhindern“. Schließlich sei das „staatliche Verbot radikalislamischer Literatur […] bei weitem nicht immer wirksam“ und so komme den staatlich sanktionierten Islamverbänden eine Schlüsselrolle in der Bekämpfung „extremistischer Strömungen“ zu. Somit sind Putins vermeintlich positive Äußerungen nur Teil eines jahrhundertealten Kampfes an dessen Ende die Erben Byzanz am liebsten die Taufe ihrer Kinder in der Hagia Sophia vollziehen würden.
All diesen Tatsachen zum Trotz finden sich unter den Muslimen erstaunlicherweise immer noch Menschen, die glauben, dass Russland ihre Interessen gegenüber den USA verteidigen würde und es für einen wichtigen Verbündeten halten. Während sie voller Stolz ihre Haut in Moskau zu Markte tragen, versuchen sie die Mujahedin Syriens durch ihren an den Haaren herbeigezogenen Vorwurf der Kollaboration mit den USA an den Pranger zu stellen. Doch allen russlandtreuen Höflingen sei gesagt, dass sie mit ihrer Unterstützung Putins Russisch Roulette spielen und sich nach dem Sieg der Muslime garantiert eine Kugel für sie im Lauf befinden wird.